L 9 U 279/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 1273/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 279/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 13. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Verletztenrente nach einem Wegeunfall der Klägerin am 10.11.1998 streitig.

Die 1947 geborene Klägerin war seit 1989 überwiegend im Schreibdienst bei der Bundeswehr in H. beschäftigt. Am 10.11.1998 gegen 14.50 Uhr erlitt sie auf der Heimfahrt von ihrer Arbeitsstelle zu ihrer Wohnung in F. einen Unfall. Ausweislich der Unfallanzeige stießt die Klägerin an der Kreuzung der L 355 mit der K 4706 in H. mit geringer Geschwindigkeit mit einem vorfahrtsberechtigten, von links kommenden PKW zusammen. Beim Unfall war die Klägerin angeschnallt. Um 18:00 Uhr wurde sie vom Durchgangsarzt Dr. Sch. behandelt. Dieser stellte im Durchgangsarztbericht eine geringe Schwellung, Druckschmerz an der Stirn links und im Nacken, vor allem rechts, sowie eine Verspannung der paravertebralen Muskulatur mit Bewegungsschmerz fest. Die Röntgenbefunde der HWS und des Schädels ergaben keinen sicheren Frakturhinweis. Dr. Sch. stellte die Diagnosen einer Distorsion der HWS sowie einer Schädelprellung. Dr. Sch. rezeptierte eine Schanz’sche Krawatte und empfahl Schonung. Im Nachschaubericht vom 10.12.1998 gab Dr. Sch. an, die Klägerin habe sich spontan vorgestellt und noch über Nackenschmerzen geklagt. Er diagnostizierte einen Zustand nach Distorsion der HWS sowie Blockierung C 2, C 3, C 5. Die Klägerin sei weiterhin arbeitsunfähig.

Am 25.01.1999 wurde die Klägerin durch Prof. Dr. K., Arzt für Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie - untersucht. Im neurologischen Befundbericht führte dieser aus, die Klägerin sei bei dem Unfall nicht bewusstlos gewesen. Sie habe seit dem Unfall Schmerzen, die vom Nacken über die rechte Schulter bis zum Ellenbogen zögen. Seither bestünden auch eine hartnäckige Schlafstörung, Weinerlichkeit, Grübeltendenz und eine allgemeine Verunsicherung mit reduziertem Selbstvertrauen. Auf neurologischem Gebiet seien keine äußeren Verletzungszeichen erkennbar. Es bestehe voller Bewegungsumfang im Bereich der HWS. Es liege jedoch eine depressive Störung mit Affektlabilität vor. Prof. Dr. K. stellte die Diagnosen einer posttraumatischen Belastungsreaktion mit Zustand nach HWS-Distorsion und Schädelprellung.

Im Abschlussbericht vom 09.03.1999 führte Dr. Sch. aus, er habe die Klägerin am 14.12.1998 letztmals gesehen und Chirotherapie durchgeführt. Danach habe sie sich noch einmal schriftlich gemeldet. Am 24.03.1999 fand bei Dr. Sch. eine Nachuntersuchung statt. Die Klägerin sei nicht arbeitsunfähig (Bericht vom 24.03.1999). Mit Schreiben vom 31.05.1999 teilte Dr. Sch. mit, die Erstellung eines Abschlussberichtes sei zur Zeit noch nicht möglich, da wegen massiver Beschwerden immer noch eine Therapie notwendig sei.

Am 05.07.1999 wurde die Klägerin in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. untersucht. Im Zwischenbericht vom 13.07.1999 wurde die Diagnose einer HWS-Distorsion 11/98 mit beginnender Chronifizierung genannt und ein stationäres Heilverfahren für erforderlich gehalten.

Nachfolgend befand sich die Klägerin vom 31.08. bis 16.09.1999 in stationärer Behandlung der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T ... Im Zwischenbericht vom 21.09.1999 stellte der Ärztliche Direktor Prof. Dr. W. die Diagnosen von Restbeschwerden bei Zustand nach HWS-Distorsion 11/98 mit beginnender Chronifizierung sowie degenerativer Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Das stationäre Heilverfahren sei im Einvernehmen mit der Klägerin beendet worden. Ein funktionelles Defizit bezüglich der Beweglichkeit der Halswirbelsäule sei nicht mehr festzustellen gewesen. Ab dem 05.10.1999 bestehe voraussichtlich wieder vollschichtige Arbeitsfähigkeit. Eine rentenrelevante MdE verbleibe aufgrund des Unfallereignisses vom 10.11.1998 nicht.

Am auf die Entlassung folgenden Tag, dem 17.09.1999, suchte die Klägerin Prof. Dr. K. auf. Ausweislich des Arztbriefes vom 17.09.1999 gab sie an, sie habe noch immer Beschwerden, insbesondere Schmerzen im Bereich des linken Beines. Außerdem sei sie in der Zwischenzeit dreimal umgekippt und habe sich dabei auch den Kopf angeschlagen, weshalb sie noch unter Kopfschmerzen leide. Nach Prof. Dr. K. stand eine depressive Symptomatik im Vordergrund, gekennzeichnet durch fehlende Lebensfreude, Schwunglosigkeit, Affektlabilität und tendenzielle Orientierungslosigkeit.

Mit weiteren Zwischenberichten vom 13.10. und 29.10.1999 stellte Prof. Dr. W. vollschichtige Arbeitsfähigkeit ab Montag, dem 25.10.1999 fest.

Im Auftrag der Beklagten erstattete Dr. B., Chefarzt der Unfallchirurgischen Klinik B.-B., ein Zusammenhangsgutachten über die Klägerin. Im Gutachten vom 25.04.2000 führte Dr.B. unter Mitarbeit von Oberarzt Dr. N. aus, nach den Angaben der Klägerin hätten ihre Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule nach einem Unfall vor bereits 10 Jahren begonnen. Seit dem Unfall am 10.11.1998 habe sie rezidivierende Kopfschmerzen, sei nicht mehr belastbar und nicht mehr in der Lage, ihr Leben in geordneten Bahnen zu führen. Dr. B. führte weiter aus, die vom Unfall am 10.11.1998 verursachten Gesundheitsschäden (Halswirbelsäulendistorsion, Schädelprellung) hätten zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht mehr bestanden. Die zum Zeitpunkt der Untersuchung bestehenden Gesundheitsschäden könnten mit dem Unfall aus chirurgischer Sicht nicht in Einklang gebracht werden. Die bereits vorbestehenden Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule seien temporär durch den Unfall verschlimmert worden, für den aktuellen Gesundheitszustand der Klägerin spiele der Unfall jedoch keine Rolle. Im Sinne der Kausalitätslehre habe der Unfall vom 10.11.1998 keinerlei Einfluss auf den momentanen Gesundheitszustand. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit als Folge des erlittenen Unfalls vom 10.11.1998 liege nicht im rentenrelevanten Bereich. Es liege unfallunabhängig eine psychische Alteration vor.

Im Auftrag der Beklagten erstattete Prof. Dr. K. am 02.10.2000 ein Gutachten. Gegenüber Prof. Dr. K. gab die Klägerin an, sie habe vor 10 Jahren bereits einen Verkehrsunfall gehabt, Verletzungen habe sie dabei nicht erlitten. Prof. Dr. K. führte aus, der Unfall vom 18.11.1998 habe mit allergrößter Wahrscheinlichkeit zu einem traumabedingten Bandscheibenvorfall C 5/6 geführt. Durch diesen sei auch der Schmerz im Nacken und im linken Arm hinreichend erklärt. Der Bandscheibenvorfall sei auch ein wichtiger Teilaspekt für die Entwicklung der Depression. Das Trauma sei zwar der Auslöser einer schweren depressiven Entwicklung, nicht jedoch gänzlich deren Ursache gewesen. Der jetzige Unfall sei quasi eine Reinszenierung des erstmaligen Unfalls gewesen, so dass nach wie vor die primäre diagnostische Vermutung einer posttraumatischen Belastungsreaktion zutreffe. Durch den vorausgegangenen Unfall habe die Klägerin mit größter Wahrscheinlichkeit einen Schaden erlitten, der bisher nicht erkannt worden sei. Zur Frage des Dauerschadens könne im Augenblick nicht Stellung genommen werden.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 20.10.2000 führte Dr. B. aus, die Anerkennung des Bandscheibenvorfalls im HWS-Bereich als Unfallfolge sei in Frage zu stellen, da nach den vorliegenden Unterlagen bei der Klägerin eine vertebragene Vorerkrankung vorliege. Sollte der Bandscheibenvorfall als unfallbedingt anerkannt werden, könnten hierdurch die Schmerzen im Bereich des linken Arms auch als Unfallfolge erklärt werden. Diese rechtfertigten eine maximale MdE von 10 v.H.

In einem Zusammenhangsgutachten nach Aktenlage vom 27.11.2000 führte der Arzt für Chirurgie Dr. Sch. aus, als Unfallfolgen seien eine ohne wesentliche Folgen hinterlassende Zerrung der Halswirbelsäule sowie eine Kopfprellung anzusehen. Unfallunabhängig bestünden Bandscheibenschäden der Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule sowie eine depressive Verstimmung. Das Unfallereignis sei nicht geeignet gewesen, einen Bandscheibenschaden der HWS herbeizuführen. Ab Eintritt der Arbeitsfähigkeit liege die MdE unter 10 v.H.

Mit Bescheid vom 12.12.2000 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannte sie eine ohne wesentliche Folgen abgeheilte Zerrung der Halswirbelsäule und eine Kopfprellung. Unfallunabhängig bestünden Bandscheibenschäden der Hals- und Lendenwirbelsäule sowie eine depressive Verstimmung. Den hiergegen am 22.12.2000 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2001, auf den Bezug genommen wird, zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 11.05.2001 Klage zum Sozialgericht (SG) Reutlingen. Zur Begründung trug sie vor, sie habe gleich nach dem Unfall angegeben, dass Schmerzen im Lendenwirbelsäulen-, Hüft- und Beckenbereich vorhanden seien und die ganze linke Körperseite verstaucht sei. Sowohl die gesamte Arbeitsunfähigkeit von einem Jahr als auch die Veränderungen der Lendenwirbelsäule seien unfallbedingt. Gleiches gelte für die Schmerzen und die Depression. Die Unfallfolgen seien vom Durchgangsarzt nicht richtig aufgenommen worden.

Das SG veranlasste die gutachterliche Untersuchung der Klägerin durch Dr. Ne., Chefarzt der Neurologischen Abteilung des V. v. P. Hospitals R ... Im neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 08.09.2003 führte Dr. Ne. aus, im Vordergrund stehe eine depressive Störung von der Schwere einer mittelgradigen depressiven Episode. Seit einem Unfall im Jahr 1990 leide die Klägerin unter leichten Depressionen. Hierbei handle es sich um eine Krankheitsentwicklung im Sinne einer Involutionsdepression. Die Tatsache, dass sich die psychische Situation nach dem Unfallgeschehen weiter kontinuierlich verschlimmert habe, weise darauf hin, dass ein unfallunabhängiges, eigenständiges Krankheitsgeschehen vorliege. Das Unfallereignis von 1998 sei deshalb lediglich als Gelegenheitsursache, als sozusagen letzter Anstoß der Krankheitsentwicklung zu betrachten und stelle keine wesentliche Bedingung für die Erkrankung dar. Bei dem Unfall am 10.11.1998 habe sich die Klägerin eine leichte Distorsion der Halswirbelsäule zugezogen, deren Folgen inzwischen abgeklungen seien. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem kleinen linkslateralen Bandscheibenvorfall im Segment C 5/6 sei spekulativ und keineswegs wahrscheinlich. Auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet lägen keine Unfallfolgen vor.

Auf Antrag der Klägerin gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wurde PD Dr. R., Ärztlicher Direktor der R. Klinik Bad W., mit der Erstellung eines neurologisch-schmerztherapeutischen Gutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 24.05.2004 führte PD Dr. R. aus, bei der Klägerin bestehe ein Zustand nach HWS-Distorsion vom 10.11.1998 mit persistierender Cervikobrachialgie links, intermittierenden Nackenschmerzen und einem reaktiv depressiven Syndrom mit Anpassungsstörung. Die Cervikobrachialgie sei vollständig, das depressive Syndrom zum Teil auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Bei der körperlichen Untersuchung hätten sich dem Dermatom C 8 bzw. dem Nervus ulnaris zuordenbare Sensibilitätsstörungen ergeben, jedoch keine motorischen Störungen oder Reflexdifferenzen, die auf eine Schädigung der Wurzel C 6 bezogen werden könnten. Unabhängig von der Frage, ob der beschriebene cervikale Bandscheibenvorfall unfallunabhängig sei oder nicht, fänden sich somit keine klinisch relevanten Auffälligkeiten, welche sicher auf den Bandscheibenvorfall zu beziehen seien. Die Cervikobrachialgien seien in entscheidendem Ausmaß sicher als unfallabhängig zu werten, hierbei sei aber auch eine Überlagerung durch die psychischen Veränderungen und das mittelschwere depressive Syndrom anzunehmen. Die Lumboischialgien würden von der Klägerin auf einen Unfall im Jahr 1990 zurückgeführt. Eindeutig im Vordergrund stünde die psychische Problematik. Ob allerdings das Schleudertrauma als Gelegenheitsursache für die Verstärkung einer bereits zuvor beginnenden Involutionsdepression nebensächlich sei oder eine größere Bedeutung habe, sei letztlich schwer zu klären. Aus den ihm vorliegenden Unterlagen gehe nichts über schwerwiegende psychiatrische Vorerkrankungen hervor. Es könne deshalb angenommen werden, dass der Unfall doch wesentlich zum Auftreten der Gesundheitsstörung beigetragen habe. Es liege eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v.H. vor.

Mit Gerichtsbescheid vom 13.12.2004 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, es lägen keine unfallbedingten Gesundheitsschäden mehr vor. Entgegen der Beurteilung durch Dr. R. habe der Unfall nicht wesentlich zur psychischen Problematik beigetragen. Überzeugender sei die Beurteilung durch Dr. Ne., der die nach dem nicht sehr schwerwiegenden Unfallereignis anhaltenden bzw. zunehmenden Beschwerden vorwiegend einer Involutionsdepression zuordne.

Gegen den am 22.12.2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 21.01.2005 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie trägt vor, die Beurteilung durch PD Dr. R. sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Danach liege zum einen als Unfallfolge eine Cervikobrachialgie vor. Darüber hinaus sei auch das depressive Syndrom dem Arbeitsunfall zuzuordnen. Hierfür spreche insbesondere, dass keine relevanten psychiatrischen Vorerkrankungen bekannt seien. Nicht zutreffend sei insbesondere die Annahme des Sachverständigen Dr. Ne., sie habe bereits vor dem Unfall psychische Probleme gehabt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 13. Dezember 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 10. November 1998 eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

In einem weiteren Verfahren hat die Klägerin die Anerkennung und Entschädigung eines am 10.10.1990 erlittenen Unfalls als Arbeitsunfall geltend gemacht. Die gegen die ablehnenden Bescheide (Bescheid vom 11.10.2002, Widerspruchsbescheid vom 08.04.2003) erhobene Klage (S 2 U 1311/03) hat das SG Reutlingen mit Urteil vom 29.01.2004 abgewiesen mit der Begründung, es sei kein Gesundheitsschaden nachgewiesen, der ursächlich auf den Unfall zurückzuführen sei. Die hiergegen zum LSG Baden-Württemberg eingelegte Berufung (L 10 U 1013/04) hat die Klägerin am 14.12.2004 zurückgenommen.

Zum Verfahren beigezogen wurden die Rehabilitationsakten der Deutschen Rentenversicherung Bund und die Akten des Verfahrens S 3 RA 2170/02 vor dem SG Reutlingen, in welchem die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig war.

Aus den Rehabilitationsakten ergibt sich, dass für die Klägerin mit den Einweisungsdiagnosen "degenerative Erkrankung der WS und nervöse Erschöpfung" vom 14.11.1995 bis zum 19.12.1995 im Sanatorium St. M. in Bad B. und vom 05.11.1997 bis zum 10.12.1997 in der Reha-Klinik B. in Bad S.-S. medizinische Leistungen zur Rehabilitation erbracht worden waren. Mit denselben Einweisungsdiagnosen war schon vom 15.11.1983 bis zum 13.12.1983 in der H.klinik in W. ein Heilverfahren durchgeführt worden. Aus dem vom 24.01 bis 07.03.2002 in der Klinik A. in I. durchgeführten Heilverfahren wurde die Klägerin mit den Diagnosen "mittelgradige depressive Episode, anhaltende somatoforme Schmerzstörung" als leistungsfähig für eine Tätigkeit als Schreibkraft für vier bis sechs Stunden täglich entlassen. Die körperlichen Beschwerden seien erheblich psychogen überlagert und Ausdruck eines Rentenbegehrens.

Im Verfahren S 3 RA 2170/02 wurde Prof. Dr. K. als sachverständiger Zeuge gehört (Auskunft vom 15.01.2003) und ein Gutachten von Dr. Ne. am 08.09.2003 eingeholt. Letzterer schätzte ein, dass die Klägerin wegen einer depressiven Antriebsstörung allenfalls noch vier Stunden täglich leichte körperliche Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen verrichten könne. Mit Schreiben vom 25.05.2004 anerkannte die Deutsche Rentenversicherung Bund einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf unbestimmte Zeit auf der Grundlage eines Leistungsfalles vom 09.11.2000 ab 01.01.2001.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 14.02.2006 hat die Klägerin die Einholung eines weiteren Gutachtens gem. § 109 SGG durch den Facharzt für Neurologie Dr. F. beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihr psychischer Zustand habe sich verschlechtert, zudem stehe nicht eine neurologische, sondern eine psychiatrische Begutachtung im Vordergrund.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Rehabilitationsakten der Deutschen Rentenversicherung Bund, der Gerichtsakten S 2 U 1311/03, L 10 U 1013/04, S 3 RA 2170/02 sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da bei der Klägerin keine unfallbedingten Gesundheitsstörungen mehr bestehen und deshalb auch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt. Sie hat daher auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente.

Nach § 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) - gesetzliche Unfallversicherung - haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit in Folge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII). Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründeten Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (vgl. § 8 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB VII).

Die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung setzt voraus, dass die versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis und der geltend gemachte Gesundheitsschaden mit Gewissheit bewiesen sind. Die Kausalität zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden - sog. haftungsausfüllende Kausalität - als Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch beurteilt sich nach der unfallrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Danach sind ursächlich oder mitursächlich nur die Bedingungen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen der besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Hierbei muss der Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und dem Gesundheitsschaden, dessen Entschädigung begehrt wird, zwar nicht nachgewiesen, aber hinreichend wahrscheinlich gemacht sein. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den wesentlichen Ursachenzusammenhang sprechenden so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann und ernstliche Zweifel ausscheiden; die bloße Möglichkeit einer wesentlichen Verursachung genügt nicht (BSG, Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 34/03 R m.w.N.).

Der Verkehrsunfall der Klägerin am 10.11.1998 war ein Arbeitsunfall, da sich die Klägerin auf direktem Weg von der Arbeitsstelle nach Hause befand. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII umfassen die versicherten Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.

Bei diesem Unfall zog sich die Klägerin eine Distorsion der Halswirbelsäule sowie eine Schädelprellung zu. Diese Unfallfolgen sind zwischenzeitlich folgenlos ausgeheilt. Weitere Unfallfolgen liegen nicht vor. Der Senat stützt sich bei seiner Beurteilung auf das von Dr. B. im Verwaltungsverfahren erstattete Zusammenhangsgutachten vom 25.04.2000 mit ergänzender Stellungnahme vom 20.10.2000 und das am 27.11.2000 von Dr. Schü. erstattete Gutachten, die im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, sowie auf das im Klageverfahren von Dr. Ne. am 08.09.2003 erstattete Gutachten.

Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und einem kleinen linkslateralen Bandscheibenvorfall im Segment C 5/6 besteht nicht. Dieser wurde erstmals bei einer Kernspintomographie der HWS vom 27.09.2000 und damit nahezu zwei Jahre nach dem Unfallgeschehen diagnostiziert. Während bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. B. am 05.04.2000 die Halswirbelsäule nahezu frei beweglich und lediglich bei Kopfdrehung nach rechts endgradig eingeschränkt war, zeigte sich der Bewegungsumfang der Halswirbelsäule bei der gutachterlichen Untersuchung durch Prof. Dr. K. am 06.09.2000 in allen Ebenen schmerzhaft eingeschränkt, bei Seitwärtsbewegungen, insbesondere nach rechts, kam es zu einem heftigen Ziehen im linken Arm. Entsprechende Befunde hatte Prof. Dr. K. bei seinen vorherigen Untersuchungen der Klägerin jedoch nicht festgestellt. Im neurologischen Befundbericht vom 25.01.1999 hatte Prof. Dr. K. noch Schmerzen von der rechten Schulter zum Ellenbogen angegeben, es bestand ein voller Bewegungsumfang im Bereich der HWS. Im Arztbrief vom 17.09.1999 hatte er angegeben, im Bereich der oberen Extremitäten fänden sich normale Verhältnisse, die Klägerin klage über Schmerzen im Bereich des linken Beines, die sich dem Segment L5/S1 zuordnen ließen. Der Senat folgt deshalb der Beurteilung des Sachverständigen Dr. Ne., der einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall und einem kleinen linkslateralen Bandscheibenvorfall C 5/6 verneint.

Unabhängig hiervon finden sich keine klinisch relevanten Auffälligkeiten, die sicher auf diesen Bandscheibenvorfall zu beziehen wären. Von der Klägerin geschilderte Sensibilitätsstörungen sind dem Nervus ulnaris bzw. dem Dermaton C 8 zuzuordnen. Der Sachverständige PD Dr. R. hat hierzu ausgeführt, es fänden sich weder motorische Störungen noch Reflexdifferenzen, welche auf eine Schädigung der Wurzel C 6 zu beziehen seien. Mit Dr. Ne. ist davon auszugehen, dass die Wirbelsäulenbeschwerden ganz wesentlich Teil der psychiatrischen Problematik sind und als psychosomatische Symptombildung im Rahmen der Depression aufzufassen sind.

Die bei der Klägerin bestehende Depression im Sinne einer Involutionsdepression, deretwegen sie nunmehr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht, ist gleichfalls nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 10.11.1998 zurückzuführen.

Bereits vor diesem Unfall litt die Klägerin unter einer depressiven Symptomatik. Der Senat entnimmt der beigezogenen Rehabilitationsakte, dass der Rentenversicherungsträger für die Klägerin seit 1983 wiederholt stationäre Heilverfahren wegen degenerativer Erkrankung der Wirbelsäule und nervöser Erschöpfung durchgeführt hat. Vor dem Arbeitsunfall vom 10.11.1998 war dies im November/Dezember 1995 und 1997 geschehen. Des Weiteren hatte die Klägerin selbst anlässlich der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. Ne. angegeben, seit dem Unfall im Jahr 1990 habe die depressive Entwicklung begonnen, seither funktioniere sie nicht mehr so gut wie vorher, sei langsamer und geistig nicht mehr so agil.

Der Klägerin zuzugestehen ist, dass der Unfall am 10.11.1998 zwar vorübergehend begünstigend auf die Entwicklung der Involutionsdepression eingewirkt haben kann. Es handelt sich hierbei jedoch um ein multifaktorielles Geschehen, das vorrangig von mehreren unfallunabhängigen Ursachen unterhalten wird. So hat der Sachverständige Dr. Ne. gut nachvollziehbar dargelegt, dass neben einer vorbestehenden depressiven Symptomatik, deren Ursachen auch in lebensgeschichtlichen Gegebenheiten zu suchen sind, und seit längerer Zeit bestehenden unfallunabhängigen Wirbelsäulenbeschwerden auch die Probleme am Arbeitsplatz der Klägerin mindestens gleichwertig zur Verschlechterung der psychischen Situation der Klägerin beigetragen haben. Die Klägerin war bei der Bundeswehr angestellt, seit 1989 mit einem Arbeitsplatz in H ... Dieser fiel im Jahr 2001 rationalisierungsbedingt weg. Seit August 2002 hatte die Klägerin einen Arbeitsplatz bei der Bundeswehr in Stuttgart, wurde im November 2002 nach C. und später wieder nach H. versetzt. Überzeugend verweist der Sachverständige darauf, dass gerade die Tatsache, dass sich die psychische Situation der Klägerin seit dem Unfall kontinuierlich verschlimmert hat, auf ein unfallunabhängiges eigenständiges Krankheitsgeschehen hinweist, das auch von körperlichen Umstellungs- und Rückbildungsvorgängen begünstigt wird. Angesichts dieser Vielzahl von krankheitsauslösenden und -unterhaltenden Faktoren kommt dem Unfallereignis keine wesentlich ursächliche Bedeutung für die depressive Erkrankung der Klägerin zu.

Der Senat folgt nicht der Beurteilung von PD Dr. R. im Gutachten vom 24.05.2004, soweit dieser eine persistierende Cervikobrachialgie links mit intermittierenden Nackenschmerzen und ein reaktiv depressives Syndrom mit Anpassungsstörung als Folgen des Unfalls vom 10.11.1998 angesehen hat. PD Dr. R. hat zum einen selbst ausgeführt, es sei letztlich schwer zu klären, ob dem Schleudertrauma als Gelegenheitsursache für die Verstärkung einer bereits zuvor beginnenden Involutionsdepression größere Bedeutung zukomme. PD Dr. R. hat dies bejaht mit der Begründung, aus den ihm vorliegenden Unterlagen gehe nichts über schwerwiegende psychiatrische Vorerkrankungen hervor. Er hat sich jedoch nicht mit den von Dr. Ne. eingehend dargelegten vielfältigen Ursachen der - im Übrigen typisch verlaufenden - Involutionsdepression, insbesondere den lebensgeschichtlichen Ereignissen, den Belastungen am Arbeitsplatz und körperlichen Umstellungs- und Rückbildungsvorgängen, auseinandergesetzt. Darüber hinaus hat auch PD Dr. R. lediglich eine nicht rentenberechtigende MdE von 10 v.H. angenommen.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG, nachdem bereits PD Dr. R. im Klageverfahren auf Antrag der Klägerin zum gerichtlichen Sachverständigen gem. § 109 SGG bestellt worden war. Gem. § 109 Abs. 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung mehrerer Ärzte bedarf einer besonderen Rechtfertigung, die insbesondere dann vorliegt, wenn Gesundheitsstörungen auf verschiedenen medizinischen Fachgebieten streitig sind. Hat bereits das SG ein Gutachten nach § 109 SGG eingeholt, ist die Einholung eines weiteren Gutachtens auf demselben medizinischen Fachgebiet in der Berufungsinstanz nur unter besonderen Umständen, wie insbesondere zwischenzeitlicher rechtlicher oder tatsächlicher Veränderungen oder neuer Erkenntnisse, möglich (HK-SGG/Roller, § 109 SGG Rdnr. 6, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Klägerin beantragte im Erörterungstermin die erneute Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens, ohne dass seit der Erstattung des Gutachtens durch PD Dr. R. Änderungen in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eingetreten waren. Im Übrigen hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 08.08.2006 diesen Antrag nicht wiederholt.

Die Berufung konnte demnach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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