L 18 B 94/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 95 AS 11131/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 B 94/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. Dezember 2006 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die den Antragstellerinnen gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Dezember 2006 bis zum 31. Mai 2007 neu festzustellen und dabei weitere Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 187,03 EUR zu berücksichtigen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Der Antrag der Antragstellerinnen, ihnen unter Beiordnung von Rechtsanwältin W Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen, wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beschwerde, mit der bei verständiger Würdigung (vgl. § 123 Sozialgerichtsgesetz – SGG-) beide Antragstellerinnen, die eine Bedarfsgemeinschaft nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 4 Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) bilden, ihre erstinstanzlich gestellten Anträge weiter verfolgen, den Antragsgegner im Wege einer Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu verpflichten, weitere Unterkunftskosten in Höhe von monatlich insgesamt 187,03 EUR für die Zeit vom 1. Dezember 2006 bis zum 31. Mai 2007 zu berücksichtigen, ist zulässig. Dass nicht nur ein Rechtsschutzantrag der Antragstellerin zu 1., sondern auch der Antragstellerin zu 2. vorliegt, ist zumindest bis zum Ablauf einer Übergangsfrist (30. Juni 2007) anzunehmen, da die an einer Bedarfsgemeinschaft beteiligten Personen Anträge bzw. Klagen regelmäßig in der Weise erheben, dass die für die Bedarfsgemeinschaft insgesamt erstrebten höheren Leistungen geltend gemacht werden (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 8/06 R -). Dabei ist davon auszugehen, dass die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin zu 1. die Beschwerde nicht nur für die Antragstellerin zu 1., sondern auch für die Antragstellerin zu 2. eingelegt hat. Eine Bevollmächtigung der Antragstellerin zu 1. durch die Antragstellerin zu 2. ist dabei nach § 73 Abs. 2 Satz 2 SGG zu unterstellen (vgl. hierzu BSG aaO). Die Antragstellerin zu 2. ist im Hinblick auf ihren individuellen anteiligen Anspruch auf Übernahme weiterer Unterkunftskosten auch durch den angefochtenen Beschluss beschwert.

Die Beschwerde der Antragstellerinnen ist auch begründet. Der einstweilige Rechtsschutzantrag der Antragstellerin zu 2. ist nicht schon deshalb unzulässig, weil der Bescheid des Antragsgegners vom 15. Dezember 2006 ihr gegenüber in Bestandskraft erwachsen wäre. Die Antragstellerin zu 1. hat gegen diesen Bescheid auch in Vertretung der Antragstellerin zu 2. Widerspruch erhoben.

Der Anordnungsanspruch folgt aus § 22 Abs. 1 SGB II. Nach Satz 1 dieser Vorschrift werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Vorliegend war von dem erkennenden Senat nicht abschließend darüber zu entscheiden, ob die von den Antragstellerinnen zu tragenden Unterkunftskosten von 631,03 EUR monatlich angemessen im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind bzw. bis zu welchem Betrag diese Kosten gegebenenfalls noch als angemessen angesehen werden können. An die in dem Rundschreiben I Nr. 14/2005 vom 17. Juni 2005 der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz Berlin enthaltenen Verwaltungsvorschriften ist das Gericht nicht gebunden. Selbst wenn aber die von den Antragstellerinnen geltend gemachten Differenzbeträge zwischen den vom Antragsgegner gemäß den vorgenannten Ausführungsvorschriften berücksichtigten 444,- EUR monatlich und den tatsächlichen Unterkunftskosten von 631,03 EUR monatlich nicht als angemessen anzusehen wären, bleibt der Antragsgegner bis zum 31. Mai 2007 – so der zeitlich entsprechend eingegrenzte Antrag der Antragstellerinnen - verpflichtet, diese jedenfalls nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II zu berücksichtigen.

Soweit danach die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Kosten zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ist ersichtlich, dass eine Übernahme an sich unangemessener Unterkunftskosten auch über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus zulässig ist, sofern – wie hier - ein atypischer Fall vorliegt, bei dem mögliche oder zumutbare Kostensenkungsmaßnahmen fehlen (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rz. 60). Die Antragstellerinnen haben glaubhaft dargelegt, dass sich die Antragstellerin zu 2. derzeit in einem Ausbildungsabschnitt befindet, in dem die Abiturprüfungen unmittelbar bevorstehen. Die Prüfungstermine, die sich bis zum Juni des Jahres hinziehen, ergeben sich aus dem vorgelegten Schul-Rundschreiben Nr. 40/2006 mit dem Vermerk der C-Schule vom 30. November 2006. In Anbetracht dieser Situation, die entscheidenden Einfluss auf den weiteren Lebensweg der Antragstellerin zu 2. hat und haben wird, ist jedenfalls bis zum Abschluss der Abiturprüfung keine zumutbare Möglichkeit zu ersehen, wie die Antragstellerinnen ihre Unterkunftskosten senken könnten. Denn es dürfte auf der Hand liegen, dass ein Wohnungswechsel in der "heißen" Schulabschlussphase sowohl die Prüfungsvorbereitung als auch die Durchführung der Abiturprüfung selbst belasten würde. Andere – zeitnah wirksame – Kostensenkungsmaßnahmen sind konkret nicht ersichtlich und auch vom Antragsgegner nicht dargetan worden.

Auch ein eiliges Regelungsbedürfnis ist ungeachtet dessen, dass ein unmittelbarer Verlust der Unterkunft nicht droht, schon deshalb gegeben, weil bereits die aus der mangelnden Übernahme der gesamten Unterkunftskosten gegebenenfalls folgende Schuldenaufnahme der Antragstellerin zu 1. und die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung nach zweimaligem Zahlungsrückstand (vgl. § 543 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a Bürgerliches Gesetzbuch) durch den Vermieter eine psychische Belastung für die ohnehin in familiär instabilen Verhältnissen lebende Antragstellerin zu 2. gerade in einer Prüfungssituation darstellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung der Verfahrensbevollmächtigten besteht aufgrund der für die Antragstellerinnen günstigen Kostengrundentscheidung kein Raum mehr, da die Antragstellerinnen aufgrund dessen in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V. mit § 114 Zivilprozessordnung).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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