L 2 KA 3/05

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 3 KA 288/02
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 KA 3/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. 3. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten. 4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine höhere Vergütung vertragsärztlicher Leistungen für das Quartal I/99.

Der Kläger ist seit 1995 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Nervenarzt in Hamburg. Er wandte sich mit Widerspruch vom 15. Dezember 1999 gegen den Honorarabrechungsbescheid vom 14. Dezember 1999. Das Honorarvolumen, welches der nervenärztlichen Fachgruppe zuerkannt wurde, sei nicht korrekt berechnet worden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2002 zurück. Die Honorarabrechnung sei nach den gültigen Bestimmungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) und des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) berechnet worden. Diese seien verbindlich. Es bestehe keine Möglichkeit, hiervon abzuweichen. Mit seiner hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Festlegung des Praxisbudgets sei rechtswidrig, weil bei der Gruppe der Nervenärzte nicht weiter nach den tatsächlich ausgeführten Tätigkeiten differenziert werde. Zwar werde für die Festlegung der Praxisbudgets zwischen den Arztgruppen der Nervenärzte, Neurologen, Psychiater, Ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzten, psychologischen Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichen Therapeuten unterschieden. Innerhalb der Gruppe der Nervenärzte finde jedoch eine weitere Differenzierung nicht statt. Diese sei aber geboten, weil es Nervenärzte gebe, die überwiegend psychotherapeutisch und psychoanalytisch arbeiteten, ohne einer der anderen Arztgruppen, die sich überwiegend der Gesprächsmedizin widmeten, zugeordnet werden zu können. Demgegenüber beschäftige er – der Kläger – sich schwerpunktmäßig mit neurologischer Diagnostik und Therapie, während der Gesprächsmedizin in seiner Praxis nur geringe Bedeutung zukomme. Sein Praxiskostenanteil sei daher vergleichsweise hoch. Aus der Gruppe der Nervenärzte müssten daher diejenigen herausgenommen werden, die überwiegend auf dem Gebiet der Gesprächsmedizin tätig seien, weil diese einen vergleichsweise geringeren Praxiskostenanteil hätten als seine – des Klägers – Praxis. Die Beklagte hat auf die "stabile Rechtsprechung" des Bundessozialgerichts zu den Praxisbudgets hingewiesen und gemeint, dem Verlangen nach einer weiteren Unterdifferenzierung müsse nicht gefolgt werden. Innerhalb der – sicherlich recht inhomogenen – Gruppe, welcher der Kläger angehöre, seien bereits alle sinnvollen Differenzierungen vorgenommen worden, die sich am Zulassungsstatus festmachen ließen. Der Kläger besitze eine Zulassung als Nervenarzt und müsse sich demgemäß hinsichtlich der Zulassung zu den Praxisbudgets auch als solcher behandeln lassen.

Die Beigeladene zu 6) hat vorgetragen, es sei bei der Bemessung der Praxisbudgets im Einheitlichen Bewertungsmaßstab berücksichtigt worden, dass Ärzte ausschließlich psychotherapeutisch tätig seien. So seien die Praxiskosten für Neurologen, Nervenärzte und Psychiater getrennt ermittelt worden. Zusätzlich sei ein Praxiskostensatz für diejenigen Ärzte ermittelt worden, die ausschließlich psychotherapeutisch tätig seien. Im Übrigen sei für die Zuordnung zu einem der Praxisbudgets der Zulassungsstatus entscheidend. Schließlich könnten die in größerem Umfange von Nervenärzten durchgeführten psychotherapeutischen Leistungen außerhalb der Praxisbudgets abgerechnet werden. Hierbei handele es sich um die Psychotherapie nach den Nrn. 860 bis 884 EBM. Auf den Schriftsatz der Beigeladenen vom 15. März 2004 (Blatt 220 ff. der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 30. März 2005 abgewiesen. Es sei nicht zu beanstanden, dass in dem gruppenspezifischen Honorarkontingent die Nervenärzte/Neurologen ohne weitere Differenzierung zusammengefasst seien. Von der Rechtsprechung sei anerkannt, dass den Kassenärztlichen Vereinigungen bei der Ausgestaltung der Honorarverteilung ein Gestaltungsspielraum zustehe, weil die Honorarverteilung eine in der Rechtsform einer Norm ergehende Maßnahme der Selbstverwaltung sei. Als rechtmäßig angesehen werde auch die Bildung von Honorarkontingenten für einzelne Arztgruppen. Hierdurch werde der Punktwert in allen Leistungsbereichen stabilisiert und es diene damit diese Maßnahme der Kalkulationssicherheit aller an der Honorarverteilung beteiligten Ärzte. Dem bei der Bildung von Honorarkontingenten eben so wie bei der Honorarverteilung überhaupt zu beachtenden Grundsatz der leistungsproportionalen Verteilung des Honorars und dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit habe die Beklagte durch die von ihr vorgenommene Kontingentbildung genügt. Indem sie nämlich innerhalb der budgetierten Gruppe die Nervenärzte/Neurologen von den Psychiatern getrennt habe und über die Zuordnung zu den nicht budgetierten Gruppen darüber hinaus die Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie auch die genehmigungspflichtige Psycho- und Verhaltenstherapie getrennt habe, seien die gesprächsintensiven und weniger Praxiskosten verursachenden Arztgruppen herausgenommen worden. Eine weitere Differenzierung innerhalb der Nervenärzte sei sicherlich denkbar, dränge sich aber nicht auf. Die verbleibenden Unterschiede seien nicht derart gravierend, dass nicht mehr von einer sachlich begründeten Kontingentbildung gesprochen werden könnte. Auf die Entscheidung wird Bezug genommen. Sie ist in dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 04. Juni 2005 zugestellt worden.

Der Kläger hat am 01. Juli 2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren. Ergänzend trägt vor, der Betriebskostenanteil seiner Praxis mache etwa 50 bis 60 Prozent (1999 = 58 %) der Gesamtkosten der Praxis aus. Aus der Arztgruppe der Nervenärzte seien daher diejenigen herauszunehmen, die überwiegend auf dem Gebiet der Gesprächsmedizin tätig seien. Von den etwa 100 im ersten Quartal 1999 in Hamburg tätigen Nervenärzten seien zirka 20 ausschließlich psychotherapeutisch tätig. Gleichwohl würden sie der Gruppe der Nervenärzte zugerechnet. Dies verletze den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit, dessen Bestandteil das Differenzierungsgebot sei. Zwischen den Gruppen der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Nervenärzte einerseits und derjenigen Nervenärzte, die sich schwerpunktmäßig mit neurologischer Diagnostik und Therapie beschäftigten, bestünden so gewichtige Strukturunterschiede, dass sie nicht derselben Gruppe zugeordnet werden könnten. Auf die Berufungsbegründung (Schriftsatz vom 22.5.2006, Blatt 139 ff. der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 30. März 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Abrechungsbescheides für das Quartal 1/99 vom 14. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2002 zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Sie hält die im Honorarverteilungsmaßstab vorgenommene Differenzierung für ausreichend, sie überschreite jedenfalls nicht ihre Gestaltungsfreiheit. Die betreffenden Regelungen des Honorarverteilungsmaßstabes ließen erkennen, dass eine ausreichende Differenzierung vorgenommen worden sei. Die demgegenüber möglicherweise spezielle Ausrichtung der Praxis des Klägers liege nicht in ihrem Verantwortungsbereich, sondern in der Wahl des klägerischen Leistungsspektrums. Der Normgeber sei nicht verpflichtet, individuell für jede Arztgruppe eine besondere Bestimmung oder für einzelne Arztgruppen Sonderregelungen zu treffen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Der Honorarabrechnungsbescheid der Beklagten unterliegt nicht den vom Kläger angeführten rechtlichen Bedenken. Der ihm zugrundeliegende Honorarverteilungsmaßstab der Beklagten in der hier maßgeblichen, am 20. Juni 1997 in Kraft getretenen Fassung vom 19. Juni 1997 (Hamburger Ärzteblatt 1997, 353 ff.) verstößt namentlich nicht gegen das aus § 85 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 19.12.1998 (BGBl I Seite 3853) abzuleitende Gebot leistungsproportionaler Verteilung des Honorars sowie den aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) herzuleitenden Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts haben die Kassenärztlichen Vereinigungen bei der Ausformung des Honorarverteilungsmaßstabes einen Gestaltungsspielraum (BSG 20.10.2004 – B 6 KA 30/03 R, SozR 4-2500 § 85 Nr. 12). Sie müssen nicht individuell für jede Arztgruppe eine besondere Bestimmung oder für einzelne Arztgruppen Sonderregelungen treffen. Vielmehr haben sie die Befugnis zur Schematisierung und Typisierung und dürfen im Einzelfall sogar für alle Arztgruppen einheitliche Regelungen treffen. Der Normsetzungsspielraum wird aber durch das Gebot leistungsproportionaler Verteilung und den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit begrenzt (a.a.O.). Von diesem Recht hat die Beklagte bestimmungsgemäß Gebrauch gemacht. Eine weitere Differenzierung innerhalb der Gruppe der Nervenärzte/Neurologen ist in Ansehung dieser Grundsätze nicht erforderlich gewesen.

Ausgehend von dem vom Kläger in das Verfahren eingeführten Zahlenverhältnis zwischen den in Hamburg niedergelassenen Nervenärzten mit überwiegender Gesprächsausrichtung und denjenigen, die sich schwerpunktmäßig mit neurologischer Diagnostik und Therapie beschäftigen, fordern weder das Gebot leistungsproportionaler Verteilung des Honorars noch der Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit die Schaffung einer weiteren Arztgruppe der ausschließlich auf dem Gebiet der Gesprächsmedizin tätigen Nervenärzte/Neurologen. Dies gilt selbst dann, wenn die erfolgte Einbeziehung dieser Ärzte in die Gruppe eine Veränderung des Praxiskostensatzes zuungunsten der sich schwerpunktmäßig mit neurologischer Diagnostik und Therapie beschäftigenden Nervenärzte/Neurologen zur Folge gehabt hätte, wie dies der Kläger unter Vorlage von Unterlagen des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte e.V. behauptet.

Bei seiner Tätigkeit muss sich der Normgeber an Strukturprinzipien orientieren, er muss Fallgruppen bilden und Sachverhalte so zusammenfassen, dass die Norm auch die Regelung massenhaft auftretender Lebenssachverhalte ermöglicht. Indem der Honorarverteilungsmaßstab der Beklagten – die im Einheitlichen Bewertungsmaßstab zum Ausdruck kommende Systematik bei der Festlegung der Praxisbudgets aufgreifend – ausschließlich an den Zulassungsstatus der gruppenzugehörigen Ärzte anknüpft, stellt er sicher, dass strukturell vergleichbare Sachverhalte auch gleich behandelt werden. Insoweit durfte die Beklagte zunächst davon ausgehen, dass im Bundesdurchschnitt der Praxiskostensatz für Neurologen einerseits und Nervenärzte andererseits mit 58,1 Prozent bzw. 55,2 Prozent (vgl. Anlage 3 zu den Allgemeinen Bestimmungen des EBM A I, Teil B) nicht so stark differierten, dass eine Zusammenfassung der Nervenärzte und Neurologen in einer Gruppe von vorneherein ausschied. Sie durfte ferner davon ausgehen, dass der Bewertungsausschuss gesonderte Gruppen für Psychiater, Ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für ausschließlich psychotherapeutisch tätige Vertragsärzte gebildet hatte, deren Praxiskostensatz jeweils erheblich niedriger ist als derjenige von Nervenärzten und Neurologen (vgl. a.a.O.), so dass Verzerrungen zuungunsten der Neurologen/Nervenärzte bereits auf dieser Ebene vermieden wurden. Wenn die Beklagte vor diesem Hintergrund eine weitere Differenzierung innerhalb der Gruppe der Nervenärzte/Neurologen nicht vorgenommen hat, so hat sie hierdurch ihren Normsetzungsspielraum nicht verletzt. Der Normgeber darf nämlich im Rahmen der ihm zugestandenen Schematisierung und Typisierung davon ausgehen, dass ein zugelassener Nervenarzt/Neurologe das Leistungsspektrum seines Fachgebiets auch ausschöpft. Wenn demgegenüber innerhalb der Gruppe der Nervenärzte/Neurologen einzelne Ärzte nur einen Teil des ihnen möglichen Leistungsspektrums anbieten und so in eine ungünstige Kostensituation geraten, so muss die Beklagte hierauf nicht mit weiterer Differenzierung reagieren. Hierdurch würde die Ebene des Strukturellen zugunsten einer Einzelfallregelung verlassen, die ausschließlich noch an die jeweiligen wirtschaftlichen Gegebenheiten einer konkreten Praxis anknüpft. Es ist nämlich die allein von dem Vertragsarzt zu verantwortende unternehmerische Entscheidung, wenn er sich innerhalb des durch seinen Zulassungsstatus gesteckten Rahmens auf lediglich einen Teil der von ihm zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringbaren Leistungen spezialisiert. Auch ist er an diese Entscheidung nicht gebunden und kann seine Praxis jederzeit einer geänderten Nachfrage anpassen und so seine Kostensituation verändern. Dies aber muss der Normgeber nicht fortlaufend in seinem Regelwerk abbilden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Als erfolgloser Rechtsmittelführer hat der Kläger auch die Kosten des Berufungsverfahrens, d.h. nach § 162 VwGO sowohl die Gerichtskosten als auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung der Beklagten notwendigen Aufwendungen der Beklagten, zu tragen, da weder er noch die Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht nach § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, weil Gründe, die dies im Hinblick auf die Billigkeit geboten hätten, nicht ersichtlich sind.

Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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