L 8/14 KR 354/04

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 25 KR 3729/02
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8/14 KR 354/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 R 10/07 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beigeladenen zu 1.) wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. November 2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1.).

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 120.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1.) in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) gemäß § 3 Satz 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) aufgrund der Zahlung einer "Übergangsversorgung".

Der Beigeladene zu 1.), geboren 1950, war bei der Klägerin als Fluglotse beschäftigt. Die fliegerärztliche Untersuchungsstelle des Landes X. stellte im Februar 2002 fest, dass der Beigeladene zu 1.) für die Tätigkeit im Flugverkehrkontrolldienst nicht mehr tauglich ist.

Am 30. Juni 2002 endete das Arbeitsverhältnis des Beigeladenen zu 1.) bei der Klägerin und seit dem 1. Juli 2002 bezieht er eine Übergangsversorgung gemäß des Tarifvertrages über den Ausgleich des dauernden Verlustes der Tauglichkeit gemäß FSPAV für die bei der Klägerin beschäftigten Fluglotsen (Loss of Licence-TV), und zwar gemäß § 3 Abs. 3 Loss of Licence-TV in entsprechender Anwendung des Tarifvertrags über die Übergangsversorgung für die bei der Klägerin beschäftigten Fluglotsen (Ü-VersTV-Lotsen) vom 7. Juli 1993 in der Fassung des Änderungs-TV vom 27. November 1998 in Höhe von 5.132,14 DM (Stand Juli 2002) monatlich. Der Beigeladene zu 1.) unterschrieb nicht den ihm von der Klägerin vorgelegten Vertrag zur Übergangsversorgung vom 22. März 2002. Unter § 7 Nr. 1 des Vertrages (Beitragspflicht und Haftung) heißt es "Herr A. wurde ausdrücklich auf den Umstand hingewiesen, dass während der Laufzeit dieses Vertrages jede Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, die die Geringfügigkeitsgrenze gemäß § 8 SGB IV übersteigt oder die Arbeitslosmeldung den Wegfall der Beitragspflicht (vgl. § 2) nach sich zieht."

Mit Bescheid vom 20. August 2002 stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1.) fest, die dem Beigeladenen zu 1.) ab 1. Juli 2002 gewährte Übergangsversorgung begründe keine Rentenversicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI. Dagegen erhob die Klägerin am 10. September 2002 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2002 als unbegründet zurückwies.

Dagegen hat die Klägerin am 1. November 2002 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben. Das Sozialgericht hat Herrn A. (Beigeladener zu 1.)) und die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (heutige Bezeichnung: Deutsche Rentenversicherung Bund; Beigeladene zu 2.) beigeladen. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, bei dem Übergangsgeld handele es sich um ein rentenversicherungspflichtiges Vorruhestandsgeld im Sinne von § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI. Die Tarifvertragsparteien seien sich darüber einig gewesen, dass der Arbeitnehmer im Falle der Zahlung von Übergangsgeld endgültig aus dem Erwerbsleben ausscheide. Mit der Regelung des § 2 Abs. 2c und § 4 des Ü-VersTV-Lotsen sei das endgültige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben sichergestellt worden. Darüber hinaus sei allein das tatsächliche Ausscheiden aus dem Erwerbsleben für die Beurteilung der Versicherungspflicht maßgebend. Erst mit Beginn der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung könne dem Übergangsgeld der Charakter als rentenversicherungspflichtiges Vorruhestandsgeld genommen werden.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass der in dem ursprünglichen Tarifvertragsentwurf enthaltene Passus zum endgültigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gestrichen worden sei.

Der Beigeladene zu 1.) hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten, das ihm gewährte Übergangsgeld unterliege nicht der Rentenversicherungspflicht. Er habe sich nicht verpflichtet, endgültig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Er habe sich am 4. Mai 2004 bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitsuchend gemeldet und darüber hinaus sich selbst für eine neue Anstellung beworben.

Die Beigeladene zu 2.) hat die Auffassung vertreten, die streitige Übergangsversorgung unterliege der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV). Erst wenn eine Beschäftigung ausgeübt werde, die die Geringfügigkeitsgrenze des § 8 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) überschreite, trete die Rentenversicherungspflicht nach den allgemeinen Vorschriften wieder in Kraft.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 8. November 2004 den Bescheid der Beklagten vom 20. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2002 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei auch sachlich begründet, da die dem Beigeladenen zu 1.) gewährte Übergangsversorgung seine Rentenversicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI begründe. Der in § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI verwendete Begriff des Vorruhestandsgelds setze inhaltlich voraus, dass der Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben ausscheide und dies auch bleibe. Die Bezeichnung der Leistung sei unerheblich. Entscheidend sei vielmehr der Inhalt der Parteivereinbarung. Für den Fortbestand der Rentenversicherung sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 26. November 1992, Az.: 7 RAr 46/92) erforderlich, dass der Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben ausscheide und sich nicht arbeitslos melde. Grundlage für die Zahlung der als Übergangsgeld bezeichneten Leistungen sei nach Maßgabe des Ü-VersTV-Lotsen die Einigung der Vertragsparteien, dass der Beigeladene zu 1.) seine Erwerbstätigkeit beende. Das Ausscheiden des Beigeladenen zu 1.) aus dem Erwerbsleben sei die essenzielle Voraussetzung für die Arbeitgeberleistung gewesen. Nach § 2 Abs. 1c Ü-VersTV-Lotsen sei Voraussetzung für die Gewährung von Übergangsgeld, dass der Beigeladene zu 1.) seine Erwerbstätigkeit bei der Klägerin beendet habe. Nach § 4 Ü-VersTV-Lotsen sei der Beigeladene zu 1.) verpflichtet, während des Bezugs von Übergangsgeld sich nicht arbeitslos zu melden. Im Falle der Arbeitslosmeldung sei der Beigeladene zu 1.) verpflichtet, der Klägerin die daraus entstehenden Aufwendungen gemäß § 9 Abs. 5 Ü-VersTV-Lotsen zu erstatten. Wenn bereits die Arbeitslosmeldung ausgeschlossen sei, setze dies denknotwendig voraus, dass auch die Aufnahme einer neuen Beschäftigung nicht gewollt gewesen sei. Nach dem Sinn und Zweck dieser tarifvertraglichen Regelung solle sichergestellt werden, dass der tarifgebundene Arbeitnehmer insgesamt aus dem Erwerbsleben ausscheide und nicht nur das Beschäftigungsverhältnis mit der Klägerin beendet werde. Dies ergebe sich auch aus der Erwägung, dass für das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis mit der Klägerin der Abschluss eines Tarifvertrages nicht notwendig gewesen sei. Für das endgültige Ausscheiden des Beigeladenen zu 1.) spreche auch die Höhe der Übergangsversorgung nach § 5 Ü-VersTV-Lotsen von 70 % des ruhegeldfähigen Einkommens. Dies belege die vollwertige Geldersatzfunktion dieser Leistung. Ein Hinzuverdienst durch Aufnahme einer mehr als geringfügigen Erwerbstätigkeit sollte nicht notwendig sein. Das Einigsein der Tarifvertragsparteien über das endgültige Ausscheiden des tarifgebundenen Arbeitnehmers ergebe sich auch aus der Regelung des § 7 Abs. 1 Ü-VersTV-Lotsen über den Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses und der Zahlung von Übergangsgeld. Danach solle der Anspruch bereits zu dem Zeitpunkt enden, zu dem eine Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres beansprucht werden könne. Nach § 9 Abs. 1 Ü-VersTV-Lotsen sei der tarifgebundene Arbeitnehmer verpflichtet, frühestmöglich einen Antrag auf Altersrente oder auf eine vergleichbare Leistung zu stellen, die zum Erlöschen des Anspruchs führe. Um einen frühestmöglichen Rentenbeginn sicherzustellen, sei im Einzelfall die Beitragspflicht des Übergangsgeldes zur Erfüllung der Wartezeit der Altersrente für langjährig Versicherte (§ 36 SGB VI) oder für schwerbehinderte Menschen (§ 37 SGB VI) erforderlich. Da das von der Klägerin gezahlte Übergangsgeld nur dann der Beitragspflicht zur GRV unterliege, wenn der Arbeitnehmer endgültig aus dem Erwerbsleben ausscheide, müsse gefolgert werden, dass der tarifgebundene Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben gezogen werden sollte, um das Ziel des § 7 Abs. 1 Ü-VersTV-Lotsen zu erreichen. Einer ausdrücklichen Parteivereinbarung zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1.) habe es nicht bedurft. Letztlich sei die Beurteilung der Versicherungspflicht aufgrund der Zahlung des Übergangsgelds allein nach dem tatsächlichen Ausscheiden des Beigeladenen zu 1.) vorzunehmen. Dem Beigeladenen zu 1.) sei einzuräumen, dass er zu einem späteren Zeitpunkt seinen Entschluss, aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, revidieren und eine mehr als nur geringfügige Erwerbstätigkeit aufnehmen oder sich arbeitsuchend melden könne. Solange dies nicht der Fall sei, müsse von einem Ausscheiden des Beigeladenen zu 1.) aus dem Erwerbsleben ausgegangen werden. Erst mit dem Beginn einer mehr als geringfügigen Erwerbstätigkeit nach § 8 SGB VI oder einer Arbeitslosmeldung entfalle die Grundlage für die Annahme einer Versicherungspflicht. Vorliegend sei die Meldung des Beigeladenen zu 1.) als arbeitsuchend nicht maßgeblich, da diese nicht mit einer Arbeitslosmeldung gleichzustellen sei. Diese habe nicht die Wirkung einer Arbeitslosmeldung.

Gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 8. November 2004 hat der Beigeladene zu 1.) am 8. Dezember 2004 Berufung eingelegt.

Der Beigeladene zu 1.) ist weiterhin der Auffassung, er sei aufgrund der Zahlung des Übergangsgelds nicht versicherungspflichtig in der GRV. Mit dem Abschluss des Ü VersTV-Lotsen hätten sich die Tarifvertragsparteien bewusst gegen das Vorruhestandsmodell des SGB VI entschieden. Mit diesem Tarifvertrag habe das bis dahin geltende Beamtenrecht in eine privat-arbeitsrechtliche Vertragsgrundlage umgewandelt werden sollen. Dies sei vor dem Hintergrund der Privatisierung der Bundesanstalt für Flugsicherung (BfS) geschehen und sei Grundvoraussetzung für den Verzicht der zuvor als Beamte auf Lebenszeit beschäftigten Fluglotsen auf ihren öffentlich-rechtlichen Status gewesen. Wesentlicher Unterschied zwischen dem Vorruhestandsgeld und dem Übergangsgeld sei, dass bei Ausübung einer Erwerbstätigkeit die Zahlung von Vorruhestandsgeld entfalle, dies sei jedoch bei dem von der Klägerin gezahlten Übergangsgeld nicht der Fall. Dass er nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis bei der Klägerin nicht mehr erwerbstätig gewesen sei, sei durch die Lage am Arbeitsmarkt bedingt gewesen.

Der Beigeladene zu 1.) beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. November 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise festzustellen,
dass das an ihn gezahlte Übergangsgeld nicht versicherungspflichtig ist und weiter hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe zutreffend entschieden. Sie weist im Übrigen darauf hin, dass mit der Privatisierung der BfS eine erhebliche Gehaltssteigerung für die bis dahin als Beamte beschäftigten Fluglotsen verbunden gewesen sei. Auch sei kein Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Ü-VersTV-Lotsen und der Privatisierung der BfS zu sehen und habe im Übrigen keinen Einfluss auf die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung des vorliegend streitigen Übergangsgelds. Auch sei zwischen dem arbeitsrechtlichen Anspruch auf Zahlung von Übergangsgeld und der sozialrechtlichen Behandlung dieser Leistung zu unterscheiden. Vorliegend sei maßgeblich, dass der Beigeladene zu 1.) sich erst 2 ½ Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis arbeitsuchend gemeldet habe. Sie legt die Neufassung der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ihr am 23. Dezember 1992 getroffenen Rahmenvereinbarung gemäß des Gesellschafterbeschlusses vom 12. Mai 1995 vor.

Die Beklagte schließt sich dem Antrag des Beigeladenen zu 1.) an. Darüber hinaus ist sie der Auffassung, die Motive des Abschlusses der vorliegend angewandten Tarifverträge besäßen keinen Einfluss auf die sozialversicherungsrechtliche Bewertung des dem Beigeladenen zu 1.) gezahlten Übergangsgelds.

Die Beigeladene zu 2.) stellt keinen Antrag. Sie schließt sich der Auffassung der Klägerin an. Die Frage der finanziellen Versorgung der ehemaligen Mitarbeiter der Klägerin sei für die vorliegende sozialversicherungsrechtliche Bewertung nicht ausschlaggebend.

Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten und des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (zwei Bände), der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Beigeladenen zu 2.) ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beigeladenen zu 1.) ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. November 2004 war aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Bescheid der Beklagten vom 20. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2002 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat zutreffend festgestellt, dass der Beigeladene zu 1.) auf Grund der ihm ab 1. Juli 2002 gewährten Übergangsversorgung der Rentenversicherungspflicht nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI in der vorliegend anzuwendenden bis zum 31. Dezember 2004 gültigen Fassung (BGBl. 1997 I S. 594) nicht unterliegt.

Das dem Beigeladenen zu 1.) von der Klägerin gezahlte Übergangsgeld fällt nicht unter den Begriff des Vorruhestandgelds des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI. Diese Regelung knüpft an die Bestimmung der § 1227 Abs. 2 Satz 2 Rentenversicherungsordnung (RVO), § 2 Abs. 3 Satz 1 Angestelltenversicherungsordnung (AVG) und § 29 Abs. 1 Satz 3 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) an. Danach galten Bezieher von Vorruhestandsgeld als entgeltlich beschäftigte Arbeitnehmer, die der Versicherungspflicht zu den verschiedenen Zweigen der GKV unterlagen. Diese Versicherungspflicht ist die rentenversicherungsrechtliche Folge des Gesetzes zur Förderung von Vorruhestandsleistungen (VRG, vom 13. April 1984, BGBl. I S. 601). Für die Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI ist nicht erforderlich, dass das VRG gemäß § 14 VRG über den 31. Dezember 1998 hinaus anwendbar ist. Für die Anwendung dieser Norm ist maßgelblich, dass eine Person aufgrund eines Tarifvertrages, einer kirchlichenrechtlichen Regelung oder einer Einzelvereinbarung Vorruhestandsgeld tatsächlich bezieht (Boecken in GK-SGB VI, § 3 Rdnr. 61).

Die Bezieher von Vorruhestandsgeld mussten durch eine besondere Regelung in die Rentenversicherungspflicht einbezogen werden, da der Vorruhestand begrifflich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraussetzt (Boecken in GK-SGB VI, § 3 Rdnr. 60) und das sich anschließende Vorruhestandsverhältnis ein gegenüber dem vorher bestehenden Arbeitsverhältnis als ein neues und selbständiges Rechtsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber darstellt. Dieses neue Rechtsverhältnis erfüllt ohne die Regelung des § 3 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI nicht die Voraussetzungen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung (Boecken in GK-SGB VI, a.a.O., m.w.N.).

Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, ist für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung der Leistung deren Bezeichnung nicht ausschlaggebend. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 6. September 2001, Az.: B 5 RJ 28/00 R; Urteil vom 1. Februar 2005, Az.: B 8 KN 6/04 R), der sich der Senat anschließt, kann ein Anpassungsgeld, Überbrückungsgeld, Übergangsgeld, vorgezogenes Ruhegeld, vorgezogene Betriebsrente oder deren Kombination unter den Anwendungsbereich des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI fallen. Maßgeblich ist, dass die zur Sicherung des Lebensunterhalts dienende laufende Leistung des früheren Arbeitgebers - oder einer gemeinsamen Einrichtung - im Anschluss an das vereinbarte Ende des Beschäftigungsverhältnisses auf der Grundlage eines Tarifvertrages oder einer individuellen Vereinbarung und bis zum Beginn einer Rente wegen Alters gezahlt wird (Bundessozialgericht, Urteil vom 6. September 2001, Az.: B 5 RJ 28/00 R). Das Vorruhestandsgeld stellt sich damit als eine Zahlung des Arbeitgebers in Fortführung des bisherigen Einkommens und damit als mit dem Arbeitseinkommen vergleichbare Einkünfte dar. Ein besonderes Schutzbedürfnis der Empfänger dieser Leistungen sah der Gesetzgeber in der Übergangszeit bis zum Bezug einer Rente wegen Alters. Diesem Bedürfnis entsprechend wurde u.a. eine besondere Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI zur Rentenversicherungspflicht dieses Personenkreises eingeführt.

Auch wenn die vorliegend streitige Übergangsleistung der Klägerin im Anschluss an das Beschäftigungsverhältnis mit dem Beigeladenen zu 1.) gezahlt wird und der Höhe nach einem Vorruhestandgeld entsprechen könnte, sind die Voraussetzungen für eine Versicherungspflicht in der GKV letztlich nicht erfüllt. Unstreitig ist die Rechtsgrundlage der monatlichen Leistungen der Klägerin an den Beigeladenen zu 1.) ab dem 1. Juli 2002 in den Regelungen des Loss of Licence-TV und in der entsprechenden Anwendung (§ 3 Abs. 3 Loss of Licence-TV) des Ü-VersTV-Lotsen zu sehen. Loss of Licence-TV regelt nach § 1 die Ansprüche aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Klägerin, die als Fluglotsen arbeiten und bei denen eine Untauglichkeit gemäß FSPAV festgestellt wird. Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Loss of Licence-TV bezieht die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter der Klägerin bei Eintritt des dauernden Verlustes der Tauglichkeit nach Vollendung des 50. Lebensjahres ein Übergangsgeld in entsprechender Anwendung des Ü-VersTV-Lotsen. Dieses Übergangsgeld wird dem Beigeladenen zu 1.) nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Klägerin zum 30. Juni 2002 nach Vollendung des 52. Lebensjahres gewährt, und zwar in Nachwirkung des beendeten Arbeitsverhältnisses. Der Beigeladene zu 1.) hatte zum 1. Juli 2002 sowohl die Voraussetzungen des Loss of Licence-TV durch den Verlust seiner Flugverkehrkontrolldiensttauglichkeit und des Ü VersTV-Lotsen durch Vollendung des 52. Lebensjahres und damit einen Anspruch auf Übergangsgeld in Höhe von 70 % des ruhegeldfähigen Einkommens erworben. Dass dieses Übergangsgeld für die Übergangszeit bis zur Gewährung einer Rente wegen Alters gewährt wird, ist § 7 Abs. 1 Ü-VersTV-Lotsen zu entnehmen. Danach endet die Leistung mit Beginn einer Altersrente oder einer vergleichbaren Leistung. Nach § 9 Abs. 1 Ü-VersTV-Lotsen ist der frühere Arbeitnehmer der Klägerin verpflichtet frühestmöglich einen entsprechenden Antrag zu stellen.

Dies allein ist jedoch nicht ausreichend, um die dem Beigeladenen zu 1.) gezahlte Übergangsleistung als Vorruhestandsgeld nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI zu qualifizieren. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 26. November 1992, Az.: 7 RAr 46/92), der sich der Senat anschließt, ist für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung einer Versorgungsleistung im Anschluss eines Arbeitsverhältnisses als Vorruhestandsgeld maßgeblich, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Vereinbarung über das umfassende und endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben treffen.

Unstreitig ist eine solche vertragliche Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1.) nicht zustande gekommen. Der Beigeladene zu 1.) hat den ihm von der Klägerin vorgelegte Vertrag mit Datum vom 22. März 2002 nicht unterschrieben.

Auch kann eine Verpflichtung des Beigeladenen zu 1.) zum umfassenden und endgültigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben aus den tarifvertraglichen Regelungen nicht entnommen werden. Dies kann weder aus dem Wortlaut des § 4 Ü-VersTV-Lotsen noch aus dem Willen der Tarifparteien entnommen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 18. Mai 2006 – 6 AZR 631/05) ist der normative Teil eines Tarifvertrages nach den Regeln der Gesetzesauslegung auszulegen. Somit ist der Auslegung zunächst der Tarifwortlaut zu Grunde zulegen. Über den reinen Wortlaut hinaus ist jedoch der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Zweck der Tarifnorm zu berücksichtigen, sofern und soweit dieser Wille in den Tarifnormen seinen Niederschlag gefunden hat.

Nach dem Wortlaut des vorliegend einschlägigen § 4 Ü-VersTV-Lotsen ist es dem Arbeitnehmer und damit dem Beigeladenen zu 1.) verwehrt, während des Bezugs von Übergangsgeld sich arbeitslos zu melden. Nach Überzeugung des Senats ist damit jedoch nicht ein Verbot zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit umfasst. Auch wenn sich in der Arbeitslosmeldung der Wille manifestiert, wieder erwerbstätig zu sein (Bundessozialgericht Urteil vom 26. November 1992 – Az.: 7 RAr 46/92), so setzt die Erwerbstätigkeit nicht automatisch eine Arbeitslosmeldung voraus. Darüber hinaus ergibt sich aus dem - in der Akte der Beklagten befindlichen - Schreiben von Herrn J. S. – Mitglied der damaligen Tarifkommission - vom 9. März 2002, dass die Tarifvertragsparteien bei Vertragsabschluss eine Verpflichtung der Arbeitnehmer der Klägerin zum umfassenden und endgültigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nicht vereinbart haben. Nach dem Schreiben des Herrn J. S. vom 9. März 2002 war in dem Textentwurf des Tarifvertrages in § 4 eine Regelung enthalten, die die Rentenversicherungspflicht der Arbeitnehmer in der Zeit des Bezugs der Übergangsversorgung regelte sowie die Verpflichtung der Arbeitnehmer zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Im Rahmen der Tarifverhandlungen konnten die Tarifparteien wegen des Widerstandes der Arbeitnehmervertreter zu diesem Punkt keine Einigung erzielen. Aus diesem Grund wurden diese Regelungen in den Wortlaut des § 4 Ü-VersTV-Lotsen nicht aufgenommen.

Übrig blieb die Regelung des § 4 Ü-VersTV-Lotsen zum Verbot der Arbeitslosmeldung der Arbeitnehmer während des Bezugs der Übergangsversorgung verbunden mit der Verpflichtung des Arbeitnehmers, der Klägerin die daraus entstehenden Aufwendungen gemäß § 9 Abs. 5 Ü-VersTV-Lotsen zu erstatten. Die Regelung des § 4 Ü-VersTV-Lotsen ist somit im Zusammenhang mit der Erstattungsregelung des damals gültigen § 128 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zu sehen. Nach dieser Norm waren die Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, der Arbeitsverwaltung das den ehemaligen Arbeitnehmer gezahlte Arbeitslosengeld zu erstatten.

Nur dieser Regelungsinhalt ist § 4 Ü-VersTV-Lotsen zu entnehmen und nicht die Verpflichtung der Arbeitnehmer während des Bezugs des tarifvertraglichen Übergangsgeldes aus dem Erwerbsleben auszuscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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