B 9a SB 4/06 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
9a
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 9 SB 495/05
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 4 SB 174/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9a SB 4/06 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 8. März 2006 aufgehoben, soweit es die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 27. Juli 2005 zurückgewiesen hat. In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

1

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe der Klägerin Kosten eines (isolierten) Widerspruchsverfahrens zu erstatten sind.

2

Der Beklagte stellte den Grad der Behinderung bei der Klägerin zunächst mit 20 und erst auf deren Widerspruch mit 30 fest. Zugleich erklärte er die Zuziehung der bevollmächtigten Rechtsanwältin im Vorverfahren für notwendig und entschied, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen dieses Verfahrens seien der Klägerin in voller Höhe zu erstatten.

3

Die Bevollmächtigte der Klägerin berechnete ihre Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) mit 353,80 EUR (Verfahrensgebühr, Widerspruchsverfahren: 280 EUR; Kopien: 5 EUR; Post- und Telekommunikationspauschale: 20 EUR; Umsatzsteuer: 48,80 EUR).

4

Der Beklagte setzte die zu erstattenden Kosten ausgehend von einer Verfahrensgebühr von 180 EUR auf 237,80 EUR fest. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sei durchschnittlich und die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin gering gewesen. Die geltend gemachte Regelgebühr von 280 EUR sei deshalb nicht gerechtfertigt (Bescheid vom 7. März 2005; Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2005).

5

Das Sozialgericht Koblenz (SG) hat den Beklagten - ausgehend von einer Verfahrensgebühr von 230 EUR - verurteilt, weitere 58 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 3. März 2005 zu erstatten (Urteil vom 27. Juli 2005). Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die Zinsentscheidung aufgehoben und die Klage insoweit abgewiesen, das Urteil im Übrigen aber bestätigt. Nach § 3 Abs 2 iVm Abs 1 Satz 1 RVG und Nr 2500 der Anlage 1 zu diesem Gesetz stehe der Rechtsanwältin an sich eine Betragsrahmengebühr zwischen 40 und 520 EUR, im Mittel also eine Gebühr von 280 EUR zu. Für eine weder umfangreiche noch schwierige Tätigkeit des Bevollmächtigten - wie im vorliegenden Fall - sei die Gebühr aber auf 240 EUR begrenzt. Die vom SG als angemessen und billig erachtete Geschäftsgebühr von 230 EUR liege noch unter diesem Betrag.

6

Mit der Revision macht der Beklagte geltend, das LSG habe § 3 RVG iVm Nr 2500 der Anlage 1 verletzt. Dort seien zwei Regelgebühren aufgeführt: 40 bis 520 EUR mit einer Mittelgebühr von 280 EUR bei umfangreicher und/oder schwieriger Tätigkeit des Bevollmächtigten und eine weitere Regelgebühr von 240 EUR für alle übrigen Fälle, wozu der vorliegende zähle. Der Betrag von 240 EUR sei wegen der unterdurchschnittlichen wirtschaftlichen Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin - wie in den angegriffenen Bescheiden geschehen - um 60 auf 180 EUR abzusenken.

7

Der Beklagte beantragt (sinngemäß), die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 8. März 2006 und des Sozialgerichts Koblenz vom 27. Juli 2005 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

9

Sie verteidigt die angegriffenen Entscheidungen.

10

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) einverstanden erklärt.

II

11

Die Revision des Beklagten ist begründet. Das angegriffene Urteil ist - soweit die Berufung des Beklagten keinen Erfolg gehabt hat - aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

12

Der Senat kann das Berufungsurteil revisionsgerichtlich nicht überprüfen, weil es keine - genügenden - Entscheidungsgründe enthält. Dieser Verfahrensmangel ist von Amts wegen zu beachten (vgl BSG SozR 1500 § 136 Nr 10 = NJW 1989, 1758 sowie Urteile des 4b. Senats vom 9. Oktober 1986 - 4b RV 9/86 - und des 4. Senats vom 21. Juli 1992 - 4 RA 37/91 - beide juris).

13

Nach § 136 Abs 1 Nr 6 SGG enthält das Urteil "die Entscheidungsgründe". Sie fehlen, wenn und soweit in der Urteilsbegründung selbst oder durch Bezugnahme gemäß § 153 Abs 2 SGG nicht mindestens die Überlegungen zusammengefasst worden sind, auf denen die Entscheidung über jeden einzelnen für den Urteilsausspruch rechtserheblichen Streitpunkt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht (BSG SozR 1500 § 136 Nr 10). So liegt es hier.

14

Dem Urteil des LSG lässt sich zwar entnehmen, dass das Berufungsgericht geprüft hat, ob hier eine Geschäftsgebühr von 230 EUR - wie vom SG angenommen - "billig" iS des § 14 Abs 1 RVG ist. Zur Begründung des - positiven - Ergebnisses dieser Prüfung teilt das LSG aber nur mit, es gehe mit dem SG, auf dessen Urteil es insoweit nach § 153 Abs 2 SGG Bezug nehme, davon aus, die anwaltliche Tätigkeit im Vorverfahren sei "nicht umfangreich oder schwierig" im Sinne des Zusatzes zur Nr 2500 der Anlage 1 zum RVG (damaliger Fassung) gewesen. Weiter geht aus den Entscheidungsgründen des SG hervor, dass es den in dem genannten, hier einschlägigen Zusatz angegebenen Betrag von 240 EUR als Schwellengebühr ansieht, die aufgrund einer Kappung für "Durchschnittsfälle" vorgesehen sei. Dem schließt sich lediglich die Bemerkung des Berufungsgerichts an, das SG habe der Klägerin "ausgehend von einer als angemessen bzw billig erachteten Geschäftsgebühr von 230 EUR weitere 58 EUR zugesprochen" und die Klägerin habe gegen dieses Urteil keine Berufung eingelegt.

15

Damit hat das LSG sich weder die ausführliche Begründung des SG für die Billigkeit einer Geschäftsgebühr von hier 230 EUR zu eigen gemacht noch hat es selbst begründet, weshalb diese und nicht statt ihrer die vom Beklagten in den angegriffenen Bescheiden festgesetzte niedrigere Gebühr von nur 180 EUR unter Berücksichtigung der in § 14 Abs 1 RVG genannten Gesichtspunkte (vor allem Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers sowie Haftungsrisiko des Rechtsanwaltes) "billig" sein soll.

16

Im wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LSG - weiterhin - davon ausgehen können, dass die Gebühr des Rechtsanwaltes für das (isolierte) sozialgerichtliche Vorverfahren zunächst nach den in § 14 Abs 1 RVG genannten Gesichtspunkten innerhalb des Rahmens von 40 bis 520 EUR (Nr 2500 der Anlage 1 alter Fassung) zu bestimmen und der sich danach ergebende Betrag in den Fällen auf 240 EUR zu "kappen" ist, in denen die Tätigkeit des Rechtsanwaltes nicht "umfangreich oder schwierig" gewesen ist (vgl dazu die Anmerkung zum Urteil des LSG von Keller, juris PR-SozR 13/2006, Nr 6 mwN; ebenso zB Dinkat in Mayer/Kroiß (Hrsg), RVG Handkomm, 2. Aufl, Nr 2400 bis 2401 VV RdNr 5 ff; Baumgärtel ua, RVG, 11. Aufl, VV Nr 2400 Anm 5 f).

17

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Rechtskraft
Aus
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