L 4 P 2828/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 P 2688/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 2828/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Anspruch auf Verhinderungspflege im EU-Ausland (hier: Österreich)
Revision zugelassen
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27. April 2006 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 05. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09. Juni 2005 verurteilt, die Klägerin von Kosten in Höhe von EUR 360,00 für die Verhinderungspflege vom 04. bis 08. Mai 2005 freizustellen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte die Klägerin von den Kosten in Höhe von EUR 360,00 für die Teilnahme an einer Behindertenfreizeit in Österreich vom 04. bis 08. Mai 2005 freizustellen hat.

Die am 1972 geborene Klägerin ist bei der Beklagten pflegeversichert. Sie bezieht von der Beklagten Pflegegeld nach Pflegestufe II (monatlich EUR 410,00). Sie wird von ihrer Mutter L. S. (L.S.) in der gemeinsamen Wohnung in O. gepflegt. Am 14. April 2005 hatte die Klägerin bei der Beklagten Kurzzeitpflege nach § 42 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) in der Vertragseinrichtung des Clubs 82 (Freizeitclub mit behinderten Menschen, im Folgenden Club) in H. für die Zeit vom 30. April bis 04. Mai sowie vom 08. bis 13. Mai 2005 beantragt, und zwar mit dem Hinweis, dass die Kurzzeitpflege durch die Teilnahme an einer Freizeit vom 04. bis 08. Mai 2005 unterbrochen werde. Ihre Mutter sei nervlich im Moment nicht in der Lage, die häusliche Pflege durchzuführen. L.S. befand sich vom 04. bis 11. Mai 2005 im Urlaub in Ägypten. Die Kurzzeitpflege fand bei der Klägerin vom 30. April bis 04. Mai sowie vom 08. bis 13. Mai 2005 in der mit Versorgungsvertrag zugelassenen Pflegeeinrichtung "Wohnen am Kreisel" des Clubs statt. Für diese Kurzzeitpflege zahlte die Beklagte an den Club insgesamt EUR 691,20 (= EUR 307,20 + EUR 384,00). Ferner gewährte sie der Klägerin - aufgrund einer während des Berufungsverfahrens durchgeführten Nachberechnung - insgesamt restliches Pflegegeld für Mai 2005 (24 Tage) von EUR 328,08.

Vom 04. bis 08. Mai 2005 nahm die Klägerin dann an einer vom Club durchgeführten Behindertenfreizeit in Schwarzach in Österreich teil. Diese Freizeit fand im Selbstversorgerhaus "Ingrüne" statt, das dafür angemietet worden war. An der Freizeit nahmen insgesamt 20 behinderte Personen teil. Als Betreuer und Pfleger standen insgesamt sechs Begleitpersonen zur Verfügung. Die Verrichtungen der Grundpflege und der häuslichen Versorgung wurden bei den Pflegebedürftigen, die Pflegegeldbezieher waren, von einem Diplompädagogen, einer Altenpflegerin, einer Physiotherapeutin, einem Erzieher, einer Familienpflegerin und einem ehemaligen Zivildienstleistenden als haupt- und nebenamtliche Mitarbeiter des Clubs ausgeführt. Für die pflegebedingten Aufwendungen während der Freizeit wurden für die Klägerin, ausgehend von einem Tagespflegesatz von EUR 63,00 für Pflegestufe I, zunächst EUR 315,00 berechnet (Antrag auf Kostenzusage vom 24. Februar 2005), dann aber im Hinblick auf einen Tagespflegesatz von EUR 72,00 für die Pflegestufe II auf EUR 360,00 erhöht (Rechnung vom 10. Mai 2005). Zusätzlich wurden der Klägerin Sachkosten für die Teilnahme an der Freizeit in Höhe von EUR 83,20 (Rechnung vom 13. Mai 2005) in Rechnung gestellt, die sie bezahlte. Den Antrag auf eine Kostenzusage für die pflegebedingten Aufwendungen während der Freizeit als Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI hatte die Beklagte bereits mit Bescheid vom 05. April 2005 gegenüber der Klägerin abgelehnt, wovon auch der Club unterrichtet wurde. Die Leistung werde im Rahmen der Ersatzpflege bei Verhinderung der Pflegeperson beantragt. Nach den gesetzlichen Bestimmungen des § 34 SGB XI ruhe jedoch der Leistungsanspruch, solange sich der Versicherte im Ausland aufhalte. Bei vorübergehendem Auslandsaufenthalt bis zu sechs Wochen bestehe ein Anspruch auf Pflegegeld. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Der Betrag von EUR 1.432,00 für Verhinderungspflege sei auch dann maßgebend, wenn die Zeitgrenze noch nicht ausgeschöpft sei. Gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 SGB XI sei bei vorübergehendem Aufenthalt von bis zu sechs Wochen im Kalendermonat die Pflegesachleistung dann weiterzugewähren, soweit die Pflegekräfte, die ansonsten die Pflegesachleistung erbrächten, die pflegebedürftige Person ins Ausland begleiten würden. Dies sei durch die Mitarbeiter des Clubs der Fall; somit liege im eigentlichen Sinne kein Export von Leistungen vor, weil die Pflegekraft des Clubs sie ins Ausland begleite. Im Übrigen verstoße der Ausschluss des Exports der Leistung Verhinderungspflege nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen die EWG-Verordnung Nr. 1408/71. Im Übrigen sei durch das Erste SGB XI-Änderungsgesetz der Ort der Pflege in § 39 SGB XI in den Hintergrund gerückt. Die Voraussetzungen der Verhinderungspflege könnten auch dann erfüllt sein, wenn die pflegebedürftige Person in Urlaub fahre. Auch solle es nicht darauf ankommen, ob die Pflegeperson sie begleite. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber angesichts dieser klaren Regelung die Verhinderungspflege auf einen Urlaubsort in Deutschland habe begrenzen wollen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid des bei der Beklagten gebildeten Widerspruchsausschusses vom 09. Juni 2005).

Am 01. Juli 2005 erhob die Klägerin deswegen Klage beim Sozialgericht (SG) Freiburg, mit der sie die Übernahme der Kosten für die Freizeit in Höhe von EUR 315,00 begehrte. Sie wiederholte ihre Widerspruchsbegründung. Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage ihrer Verwaltungsakten entgegen. Das SG wies mit Urteil vom 27. April 2006, das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 12. Mai 2006 zugestellt wurde, die Klage ab. Das SG ließ die Berufung zu und führte aus, bei den in § 39 Satz 1 SGB XI genannten anderen Gründen müsse es sich um solche von einigem Gewicht handeln, die in ihrer Wertigkeit mit der Notwendigkeit eines Erholungsurlaubs und der Notwendigkeit der Freistellung der Pflegeperson wegen eigener Krankheit vergleichbar seien. Im Falle der Klägerin seien diese tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Mutter der Klägerin als ihre Pflegeperson sei in der Zeit, in welcher die Behindertenfreizeit stattgefunden habe, weder krank gewesen noch durch Erschöpfungszustände an einer weiteren Pflege gehindert gewesen. Auch im Vorfeld der Behindertenfreizeit sei niemals vorgetragen worden, die Mutter habe einen Erholungsurlaub wegen pflegerischer Überlastung dringend nötig gehabt und habe deshalb für die Behindertenfreizeit ihrer Tochter gesorgt, um sich während deren Abwesenheit selbst regenerieren zu können. Es sei in der mündlichen Verhandlung lediglich vorgetragen worden, dass bei einer derartigen kürzeren Behindertenfreizeit natürlicherweise immer eine Regeneration der zu Hause bleibenden und dann nicht belasteten Pflegeperson stattfinde. Dies könne jedoch nach Überzeugung der Kammer nicht ausreichen, um die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 39 Satz 1 SGB XI zu erfüllen. Wäre es anders, so stünde es völlig im Belieben der Pflegeperson, jederzeit Leistungen der Verhinderungspflege für den zu pflegenden Versicherten in Anspruch nehmen zu lassen. Einen so weitgehenden Spielraum räume jedoch das Gesetz der Pflegeperson und dem anspruchsberechtigten Pflegling gerade nicht ein.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 02. Juni 2006 schriftlich Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie trägt vor, die Beklagte habe den Antrag nicht mit der Begründung abgelehnt, dass die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 SGB XI nicht vorlägen. Die Beklagte habe vielmehr inzident bestätigt, dass ihrer Ansicht nach die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 SGB XI vorlägen. Daher hätte auch das SG unterstellen müssen, dass der Tatbestand, auf den sie den Anspruch gestützt habe, erfüllt sei. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass sich ihre Mutter in dem Zeitraum vom 04. bis 08. Mai 2005 im Urlaub befunden habe, weshalb sie zur Pflege nicht in der Lage gewesen sei. Mithin habe ein Fall der Verhinderungspflege vorgelegen. Dazu hat die Klägerin eine Bestätigung ihrer Mutter vom 14. Juli 2006, deren weiteres Schreiben vom 28. August 2006 sowie eine Buchungsbestätigung über eine Ferienreise nach Ägypten vom 04. bis 11. Mai 2005 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27. April 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 05. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09. Juni 2005 zu verurteilen, sie von den Kosten für die Verhinderungspflege vom 04. bis 08. Mai 2005 in Höhe von EUR 360,00 freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, im Fall der dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) SozR 3-3300 § 39 Nr. 3 zugrunde liege, habe es sich um Verhinderungspflege im Inland gehandelt. Die Klägerin habe sich jedoch im Ausland aufgehalten, sodass gemäß § 34 SGB XI die Leistungen der Pflegeversicherung, hier die Leistungen wegen Verhinderungspflege, geruht hätten. Die Beklagte hat auch Unterlagen zur Gewährung von Leistungen für die Kurzzeitpflege vom 30. April bis 04. Mai sowie vom 08. bis 13. Mai 2005 vorgelegt. Nach ihrem Schriftsatz vom 03. März 2007 hat der Klägerin für Mai 2005 Anspruch auf anteiliges Pflegegeld für 24 Tage in Höhe von EUR 328,08 zugestanden.

Der Berichterstatter des Senats hat Auskünfte des Clubs vom 05. und 20. Februar 2007 eingeholt, auf die Bezug genommen wird.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist aufgrund der Zulassung durch das SG im Urteil statthaft. Sie ist auch nach § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist auch begründet. Die Beklagte hat zu Unrecht den hier streitigen Anspruch der Klägerin auf Freistellung von den Kosten in Höhe von EUR 360,00 für die Verhinderungspflege vom 04. bis 08. Mai 2006 als pflegebedingte Aufwendungen im Rahmen der vom Club in Schwarzach/Österreich durchgeführten Behindertenfreizeit abgelehnt. Der Bescheid der Beklagten vom 5. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09. Juni 2005 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Die Klägerin, die von ihrer Mutter in der gemeinsamen Wohnung gepflegt wird, bezieht Pflegegeld nach Pflegestufe II. Im Hinblick auf den Antrag der Klägerin vom 14. April 2005 hat die Beklagte ihr, weil ihre Mutter damals nervlich nicht in der Lage war, die häusliche Pflege durchzuführen, vom 30. April bis 04. Mai sowie vom 08. bis 13. Mai 2005 Leistungen bei Verhinderung der häuslichen Pflege in Form von Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI in der vom Club betriebenen zugelassenen Pflegeeinrichtung gewährt, und zwar in Höhe des auf 80 vom Hundert (v.H.) gekürzten Tagespflegesatzes von EUR 96,-. Leistungen bei Verhinderung der Pflegeperson nach § 39 SGB XI stehen der Klägerin auch für die Zeit vom 04. bis 08. Mai 2005 zu.

Insoweit bestimmt § 39 SGB XI: Ist eine Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert, übernimmt die Pflegekasse die Kosten einer notwendigen Ersatzpflege für längstens vier Wochen je Kalenderjahr; § 34 Abs. 2 Satz 1 SGB XI gilt nicht. Voraussetzung ist, dass die Pflegeperson den Pflegebedürftigen vor der erstmaligen Verhinderung mindestens zwölf Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt hat. Die Aufwendungen der Pflegekasse dürfen im Einzelfall EUR 1.432,- im Kalenderjahr nicht überschreiten. Bei einer Ersatzpflege durch Pflegepersonen, die mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grad verwandt oder verschwägert sind oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben, wird vermutet, dass die Ersatzpflege nicht erwerbsmäßig ausgeübt wird; in diesen Fällen dürfen die Aufwendungen der Pflegekasse den Betrag des Pflegegeldes der festgestellten Pflegestufe nach § 37 Abs. 1 SGB XI nicht überschreiten. Zusätzlich können von der Pflegekasse auf Nachweis notwendige Aufwendungen, die der Pflegeperson im Zusammenhang mit der Ersatzpflege entstanden sind, übernommen werden. Die Aufwendungen der Pflegekasse nach den Sätzen 4 und 5 dürfen zusammen den in Satz 3 genannten Betrag nicht übersteigen. Die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 SGB XI sind entgegen der Annahme des SG erfüllt. Der Senat stellt fest, dass in der streitigen Zeit die Mutter der Klägerin als Pflegeperson, die die Klägerin zuvor, d.h. vor dem 30. April 2005 bzw. vor dem 04. Mai 2005 auch in erforderlichem Umfang nach § 39 Satz 2 SGB XI in ihrer häuslichen Umgebung gepflegt hatte, wegen Erholungsurlaubs an der häuslichen Pflege der Klägerin gehindert war. Diese Urlaubsreise nach Ägypten ist durch die von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen, insbesondere die Buchungsbestätigung über die Ferienreise vom 04. bis 11. Mai 2005 nachgewiesen. Insoweit will die gesetzliche Vorschrift gerade den Pflegepersonen die Möglichkeit zum "Urlaub von der Pflege" eröffnen, ohne die Bedürfnisse des Pflegebedürftigen zu beeinträchtigen. Die Bestimmung des § 39 Satz 1 SGB XI trägt der Tatsache Rechnung, dass den Pflegepersonen ein hohes Maß an psychischer und physischer Anstrengung abverlangt wird und sich viele Pflegepersonen selbst schon in einem fortgeschrittenen Alter befinden, in dem es häufig zu gesundheitlichen Ausfällen der Pflegefähigkeit kommt oder jedenfalls regelmäßige Erholungsphasen erforderlich sind. Entscheidend ist allein, dass die Pflegeperson in einem bestimmten Zeitraum urlaubsbedingt die Pflege tatsächlich nicht ausführen kann (BSG SozR 3-3300 § 39 Nr. 3 Bl. 13). Bei den hier streitigen Kosten von EUR 360,00 handelt es sich auch um Kosten einer notwendigen Ersatzpflege im Sinne des § 39 Satz 1 SGB XI. Der Club betreibt eine Pflegeeinrichtung "Wohnen am Kreisel", für die ein Versorgungsvertrag besteht und in der die Klägerin im Rahmen der Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI sowohl vor dem 04. Mai als auch nach dem 08. Mai 2005 unter Kostenübernahme durch die Beklagte untergebracht war. In der hier streitigen Zeit wurde die Ersatzpflege im Rahmen der vom Club in Schwarzach in Österreich organisierten und mittels Pflegekräften ihrer zugelassenen Einrichtung, nämlich Diplompädagogen, Altenpflegerinnen, Physiotherapeuten, Erzieher, Familienpflegerin und Zivildienstleistende, durchgeführten Behindertenfreizeit erbracht. Soweit die Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson im häuslichen Bereich nicht sichergestellt werden konnte, kam bis zum 24. Juni 1996 die Leistungspflicht der Pflegekassen nur unter den Voraussetzungen der teilstationären Pflege nach § 41 SGB XI oder durch Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI in zugelassenen Pflegeheimen (§ 71 Abs. 2 SGB XI) in Betracht. Mit dem Änderungen zum 25. Juni 1996 durch das Erste SGB XI-Änderungsgesetz hat der Gesetzgeber für den Bereich der Verhinderungspflege zum Ausdruck gebracht, dass die Kostenübernahme bei Verhinderung der Pflegeperson nunmehr unabhängig davon beansprucht werden kann, ob die Pflege in einem Privathaushalt oder auf - nicht von den Regelungen der §§ 41, 42 oder 43 SGB XI erfasste - andere geeignete Weise, also beispielsweise auch in einer Behinderteneinrichtung (§§ 43a, 71 Abs. 4 SGB XI) erfolgt. Verhinderungspflege kann somit auch in Feriencamps oder Ferienheimen erfolgen, die von einer Behinderteneinrichtung unterhalten werden (BSG, a.a.O., Bl. 12/13). Mithin stellen hier die vom Club für die Behindertenfreizeit in Rechnung gestellten EUR 360,00 Kosten einer notwendigen Ersatzpflege im Sinne des § 39 Satz 1 SGB XI dar. Entgegen der Ansicht der Beklagten steht dem Freistellungsanspruch nicht entgegen, dass die Verhinderungspflege hier im Rahmen der Behindertenfreizeit in Österreich, d.h. im Bereich der Europäischen Union (EU), durchgeführt wurde. § 34 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 SGB XI bestimmt, dass der Anspruch auf Leistungen ruht, solange sich der Versicherte im Ausland aufhält. Bei vorübergehendem Auslandaufenthalt von bis zu sechs Wochen im Kalenderjahr ist nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 SGB XI das Pflegegeld nach § 37 SGB XI oder anteiliges Pflegegeld nach § 38 SGB XI weiter zu gewähren. § 34 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 SGB XI bezieht sich also auf die in § 37 und § 38 SGB XI genannten Geldleistungen wegen Pflege. Im Übrigen hat auch der EuGH entschieden, dass es sich bei den Geldleistungen wegen Pflege, wie dem Pflegegeld, aber auch den Rentenversicherungsbeiträgen für Personen, von denen sich ein Pflegebedürftiger Leistungen der häuslichen Pflege erbringen lässt, um Geldleistungen der Krankenversicherung im Sinne der EWG-Verordnung Nr. 1408/71 handelt, die auch ins EU-Ausland zu exportieren sind, also beim Aufenthalt im EU-Ausland generell nicht ruhen (vgl. EuGH, Urteil vom 05. März 1998 - C-160/96 - = NZS 1998, 240 = SozR 3-3300 § 34 Nr. 2; Urteil vom 08. Juli 2004 - C-502/01 und C-31/01 - = NZS 2005, 88). Danach gehören zu den Geldleistungen nicht Leistungen, die die häusliche oder stationäre Pflege des Versicherten, den Kauf von Pflegehilfsmitteln und bestimmte Maßnahmen decken sollen; sie fallen unter den Begriff der "Sachleistungen", die in das EU-Ausland nicht exportierbar sind. Für die Pflegesachleistung gilt § 34 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 SGB XI nur, soweit die Pflegefachkraft, die ansonsten die Pflegesachleistung erbringt, den Pflegebedürftigen während des Auslandsaufenthalts begleitet (Satz 3).

Die Klägerin hatte bis zum Beginn der Kurzzeitpflege am 30. April 2005 Anspruch auf Pflegegeld, dieses auch wieder ab 04. Mai 2005, als sie sich nicht mehr in der Kurzzeitpflege im Sinne des § 42 SGB XI befand. Mithin hatte sie ab diesem Tag nach § 37 SGB XI Anspruch auf Pflegegeld. Pflegegeld nach § 37 SGB XI setzt voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstellt. Hatte die Klägerin demnach grundsätzlich auch während ihres Auslandsaufenthalts Anspruch auf Pflegegeld nach § 37 SGB XI, so ergäbe sich daraus, dass auch ein Anspruch auf Kostenübernahme bei Verhinderung der häuslichen Pflegeperson nach § 39 SGB XI bestünde. Die Leistungen bei Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI setzten nämlich gerade voraus, dass nicht etwa häusliche Pflegehilfe als Sachleistung erbracht wird, sondern dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung selbst in eigener Weise sicherstellt. Die Verhinderungspflege stellte sich deshalb als Surrogat für Pflegegeld nach § 37 SGB XI dar. Wenn danach im Rahmen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 SGB XI Ansprüche auf Pflegegeld während eines Auslandsaufenthalts nicht ruhen würden, so könnten deshalb auch Ansprüche auf Verhinderungspflege bei einem Auslandsaufenthalt nicht ruhen. Der Anspruch auf Verhinderungspflege würde insoweit das rechtliche Schicksal des Anspruchs auf Pflegegeld teilen. Allerdings werden nach Nr. 1.2 Abs. 6 Buchst. b des Gemeinsamen Rundschreibens der Spitzenverbände der Pflegekassen und der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland zu Leistungen der Pflegeversicherung bei Auslandsaufenthalt vom 06. September 2005 die Leistungen der Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI den Sachleistungen zugerechnet. Gegen diese Zuordnung als Sachleistung könnten jedoch Bedenken bestehen, zumal sie den systematischen Zusammenhang der Verhinderungspflege mit anderen Leistungen der Pflegeversicherung vernachlässigen könnte. Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI kommt nur in Betracht, wenn der Pflegebedürftige Pflegegeld nach § 37 SGB XI in Anspruch nimmt. In Fällen, in denen statt des Pflegegelds die Pflegesachleistung nach § 36 SGB XI beansprucht wird, ist ein Fall der Verhinderung der Pflegeperson nicht denkbar. In dieser Fallkonstellation beauftragt der Pflegebedürftige nämlich einen zugelassenen Leistungserbringer mit der Durchführung der Grundpflege und der häuslichen Versorgung. Dieser Leistungserbringer hat dann jeweils dafür Sorge zu tragen, dass bei Urlaub, Krankheit oder anderen Umständen die von ihm vertragliche übernommene Verpflichtung zur Durchführung der Pflege nicht gefährdet wird (Leitherer in Kasseler Kommentar, § 39 SGB XI Rdnr. 9; Schiffer in SGB V - Ergänzungsband XI Soziale Pflegeversicherung, Kommentar, § 39 SGB XI Rdnr. 9; Udsching, SGB XI, 2. Aufl., § 39 Rdnr. 3; Vogel in LPK-SGB XI, § 39 Rdnr. 6). Der Anwendungsfall der Verhinderungspflege betrifft deshalb nur solche Pflegebedürftige, die anstelle der Pflegesachleistung Pflegegeld beziehen. Nur diese Gruppe der Pflegebedürftigen kann in die Lage kommen, dass die Durchführung der Pflege nicht mehr sichergestellt ist, weil die Pflegeperson verhindert ist.

Der Senat braucht jedoch nicht abschließend zu entscheiden, ob es sich bei der Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI um eine Geldleistung im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 SGB XI handelt, denn auch bei Bejahung der Verhinderungspflege als Sachleistung, wobei sich ein Anspruch auf eine solche Pflegesachleistung nach dem österreichischen Recht nicht feststellen lässt, ist ein Ruhen des Anspruchs auf Leistungen bei Verhinderung der häuslichen Pflegeperson nach § 39 Satz 1 SGB XI wegen des vorübergehenden, urlaubsbedingten Aufenthalts der Klägerin und der Durchführung der Behindertenfreizeit im Sinne eines Feriencamps oder Familienheims im EU-Ausland nicht gerechtfertigt. Der Senat hat schon Bedenken, dass es im Rahmen des § 39 Satz 1 SGB XI gerechtfertigt sein könnte, danach zu unterscheiden, ob die Behindertenfreizeit in einem Feriencamp oder Ferienheim im Inland oder im EU-Ausland durchgeführt wird. Dieses hat das BSG im Urteil vom 17. Juni 1999 (B 3 P 1/98 R) für die bis zum 24. Juni 1996 geltende Regelung des § 39 SGB XI offen gelassen. Jedoch berücksichtigt der Senat, dass den Unionsbürgern das allgemeine Freizügigkeitsrecht des Art. 18 des EG-Vertrags zusteht. Die Wahrnehmung dieses Rechts auf Freizügigkeit wäre insbesondere dann in Frage gestellt, wenn Unionsbürger befürchten müssten, bei einem Urlaub im EU-Ausland bestimmte Sozialleistungen nicht zu erhalten (vgl. dazu BSG, Urteil vom 28. September 2006 - B 3 P 3/05 R). Jedenfalls ergibt sich aus § 34 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 SGB XI, dass hier der Anspruch auf Verhinderungspflege nach § 39 Satz 1 SGB XI trotz ihrer Durchführung im Ausland nicht geruht hat. Denn daraus folgt, dass der Anspruch auf Pflegesachleistung für einen Auslandsaufenthalt bis zu sechs Wochen im Kalenderjahr besteht, soweit die Pflegekraft, die ansonsten die Pflegesachleistung erbringt, den Pflegebedürftigen während des Auslandsaufenthalts begleitet. Eine derartige Situation bejaht der Senat für die hier durchgeführte Verhinderungspflege. Der Senat berücksichtigt nämlich, dass bei der Klägerin die Kurzzeitpflege (als Form der Verhinderungspflege) bis zum 04. Mai und dann wieder ab 08. Mai 2005 im Inland in der zugelassenen Pflegeeinrichtung des Clubs durchgeführt worden war. Diese Kurzzeitpflege war lediglich durch die hier streitige Behindertenfreizeit unterbrochen worden. Dabei entnimmt der Senat den Auskünften des Clubs, dass während der Behindertenfreizeit in Österreich die Pflege der Klägerin, d.h. die notwendigen Verrichtungen der Grundpflege und der häuslichen Versorgung, durch qualifizierte Pflegepersonen als haupt- bzw. nebenamtliche Mitarbeiter des Clubs, die sonst in der zugelassenen Einrichtung der Kurzzeitpflege tätig waren, verrichtet wurde, die insbesondere auch keine österreichischen Ortskräfte waren. Mithin geht der Senat davon aus, dass hier die notwendige Pflege bei der Klägerin in qualitativ gleicher Form durch solche Personen verrichtet wurde, die jedenfalls die Kurzzeitpflege vor und nach dieser Freizeit im Inland durchgeführt haben. Hier bejaht der Senat mithin, dass die Klägerin als Pflegebedürftige während des Auslandsaufenthalts durch die Pflegekräfte, die ansonsten zunächst bis zum 04. Mai 2005 die Kurzzeitpflege als Pflegesachleistung erbracht haben, begleitet wurde. Daher erscheint es nicht gerechtfertigt, einen Anspruch auf Verhinderungspflege während der vom Club organisierten Behindertenfreizeit in Österreich zu verneinen. Dem Ort der Pflege kommt damit keine entscheidende Bedeutung zu. Die Klägerin konnte auch nicht auf die Fortführung der Kurzzeitpflege im Inland verwiesen werden. Im Übrigen berücksichtigt der Senat auch, dass der Pflegesatz für die Verhinderungspflege im Ausland EUR 72,00 pro Tag betrug, während die Beklagte für die Kurzzeitpflege im Inland vor und nach der Behindertenfreizeit jeweils einen Pflegesatz von EUR 77,00 pro Tag erbracht hat. Mithin sind für die Beklagte bei kurzzeitiger Fortführung der Pflege bei Verhinderung der häuslichen Pflegeperson im EU-Ausland auch keine höheren, sondern niedrigere Kosten für die Pflege im Vergleich zu einer ununterbrochenen Durchführung der Kurzzeitpflege im Inland entstanden. Da im Jahre 2005 die zweite Grenze von längstens vier Wochen nach § 39 Satz 1 SGB XI ebenso wenig ausgeschöpft war wie der Höchstbetrag von EUR 1.432,00 nach § 39 Satz 3 SGB XI, ist hier der Freistellungsanspruch begründet.

Gegen die Höhe des Betrags von EUR 360,00, von der die Klägerin für die Durchführung der Verhinderungspflege auch vom 04. bis 08. Mai 2005 freizustellen ist, vermag die Beklagte nicht einzuwenden, dass sie der Klägerin für den 05. und 08. Mai 2005 noch anteiliges Pflegegeld bezahlt hat, das die Klägerin bei durchgehender Pflege wegen Verhinderung der häuslichen Pflegeperson bzw. auch bei durchgehender Kurzzeitpflege vom 30. April bis 13. Mai 2005 nicht zu beanspruchen hätte. Tatsächlich zuviel bezahltes Pflegegeld könnte nicht mit dem Anspruch auf Kostenfreistellung für die Verhinderungspflege saldiert werden.

Die (notwendige) Beiladung des Clubs war hier nicht geboten.

Danach erwies sich die Berufung als begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu.
Rechtskraft
Aus
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