S 28 SO 21/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
28
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 28 SO 21/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Einstellung von Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Grundsicherungsgesetz (GsiG) und von Hilfe zum Lebensunterhalt sowie Krankenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und verlangt die Weiterzahlung der Leistungen.

Der 1930 geborene Kläger bezieht eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von ca. 340,51 Euro monatlich. Er ist mit Hauptwohnsitz in X1 und mit Nebenwohnsitz in W gemeldet. Er ist Eigentümer eines Hauses und Grundstücks in W. In X1 bewohnt er eine Mietunterkunft in der Bstraße 00. Zudem ist er im Grundbuch des Amtsgerichts X als Eigentümer einer Immobilie in X1 (T1) eingetragen.

Der Kläger bezog in der Vergangenheit Hilfen zum Lebensunterhalt und Krankenhilfe in Form von Behandlungsscheinen nach den Bestimmungen des BSHG und ab dem 1.1.2003 Leistungen nach dem GSiG (Bewilligungsbescheid vom 19.12.2002). Die Grundsicherungsleistungen und die Hilfe zum Lebensunterhalt wurden von Seiten der Beklagten, nachdem ihr bekannt geworden war, dass der Kläger neben seiner Mietunterkunft in X1 (Hauptwohnsitz) Eigentümer eines Grundstücks mit Haus in W und dort mit Nebenwohnsitz gemeldet ist, mit Bescheide vom 26.3.2003 zum 1.4.2003 vorläufig eingestellt. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 1.4.2003 – eingegangen am 3.4.2003 - Widerspruch.

Mit Bescheid vom 21.6.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankenhilfe gemäß § 37 BSHG in Verbindung mit § 264 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) wegen Unklarheiten und Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Klägers ab. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 25.6.2004 - eingegangen am 29.6.2004 - Widerspruch.

Die Beklagte entschied zunächst nicht über die erhobenen Widersprüche.

Der Kläger hat am 19.7.2005 vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage erhoben (00 K 0000/00 VG Düsseldorf). Er hat "Amtshaftungsklage" gegen die Beklagte geltend gemacht. Des weiteren hat er die im Jahr 2003 erfolgte "Einstellung der Grundsicherung, Krankenschutz und Wohngeld ohne Bescheid und Rechtsmittel" gerügt und die Weiterzahlung der Leistungen verlangt. Er sei Kleinstrentner mit einer Rente in Höhe von 340,51 Euro und verfüge über keine weiteren Einkünfte.

Mit Beschluss vom 1.8.2005 hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf das Verfahren, mit dem Amtshaftungsansprüche gegen die Beklagte geltend gemacht worden sind, vom Verfahren 00 K 0000/00 abgetrennt und das abgetrennte Verfahren 00 K 0000/00 VG Düsseldorf mit Beschluss vom 8.8.2005 an das zuständige Landgericht Wuppertal verwiesen (00 O 000/00 LG Wuppertal).

Das Verfahren 00 K 0000/00 VG Düsseldorf hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 1.8.2005 an das Sozialgericht Düsseldorf verwiesen.

Die Beklagte hat mit Schreiben 8.9.2005 auf die Klage vom 19.7.2005 erwidert, bei der Klage könne es sich nur um eine Untätigkeitsklage hinsichtlich bislang nicht erteilter Widerspruchsbescheide zu den Widersprüchen in Bezug auf die Ablehnung von Grundsicherungsleistungen und Hilfe zum Lebensunterhalt ab dem 1.4.2003 sowie Krankenhilfe ab dem 1.8.2003 handeln. Die Bescheiderteilung habe bislang nicht erfolgen können, weil der Kläger trotz mehrfacher Aufforderung einen dezidierten Widerspruchsvortrag unterlassen habe. Zum anderen liege eine erhebliche Arbeitsbelastung der Behörde im Zuge der Einführung der neuen Sozialgesetzbücher Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) und Zwölftes Buch – Sozialhilfe - (SGB XII) zum 1.1.2005 vor.

Die Beklagte hat zunächst beantragt,

die Klage, soweit sie zulässig ist, als unbegründet zurückzuweisen.

Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 21.10.2005 darauf hingewiesen, dass die Widersprüche gegen die Einstellungsbescheide vom 26.3.2003 und den Ablehnungsbescheid vom 21.6.2004 noch nicht beschieden worden sind und das Gericht daher die vom Kläger am 19.7.2005 erhobene Klage als Untätigkeitsklage gemäß § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wertet.

Mit Schreiben vom 9.11.2005 hat der Beklagte mitgeteilt, dass mit Datum vom 7.11.2005 der Widerspruch in der Grundsicherungsangelegenheit vom 1.4.2003 gegen den Einstellungsbescheid vom 26.3.2003 als unbegründet und mit Datum vom 8.11.2005 die Widersprüche in der Sozialhilfeangelegenheit vom 1.4.2003 und 25.6.2004 ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen worden sind. Das Schreiben der Beklagten ist dem Kläger vom Gericht am 14.11.2005 übersandt worden.

Mit Schreiben vom 19.12.2005 hat die Beklagte mitteilt, die Widerspruchsbescheide vom 7.11.2005 und 8.11.2005 seien durch Niederlegung am 10.11.2005 zugestellt worden. Sie hat die Postzustellungsurkunde vom 10.11.2005 zu den Gerichtsakten gereicht. Eine Durchschrift des Schreibens nebst einer Kopie der Postzustellungsurkunde ist dem Kläger am 3.1.2006 von Seiten des Gerichts übersandt worden. Ausweislich der Postzustellungsurkunde sind die Widerspruchsbescheide vom 7.11.2005 und 8.11.2005 am 10.11.2005 in der Abholstelle U, X2 Straße 000, 00000 X1 niedergelegt und eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben worden.

Mit Schreiben vom 17.2.2006 – eingegangen am 23.2.2006 -, welches der Kläger mit "Sache: Grundsicherung, Krankenschutz und Wohngeld" überschrieben hat, hat er vorgetragen, dem Präsidenten des Landessozialgerichts sei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Az 1 BvR 569/05 bekannt. Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, der Bürger könne verhungern, eine Behörde nicht.

Mit Schreiben vom 8.3.2006 hat die Beklagte mitgeteilt, der Kläger habe die durch Niederlegung zugestellten Widerspruchsbescheide bei der Hinterlegungsstelle innerhalb der Lagerfrist nicht abgeholt. Die ordnungsgemäße Benachrichtigung über die Hinterlegung habe er jedoch erhalten, denn er habe ihr Ende Januar 2006 eine Kopie der Benachrichtigungskarte vom 10.11.2005 übersandt.

Auf Aufforderung hat die Beklagte unter dem 24.5.2006 das Schreiben des Klägers an sie vom 20.1.2006 nebst Fotokopie der Benachrichtigungskarte vom 10.11.2005 zu den Gerichtsakten gereicht.

In der mündlichen Verhandlung am 14.5.2007 hat der Kläger vorgetragen, er habe die Widerspruchsbescheide nicht abholen können, da er krank gewesen sei. Er leide an Bluthochdruck, Herzbeschwerden und an einer Schwerhörigkeit.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 26.03.2003 und 21.06.2004 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 07.11.2005 und 08.11.2005 zu verurteilen, ihm über den 31.03.2003 hinaus Leistungen zur Grundsicherung, Krankenversicherungsschutz und Unterkunftskosten zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Gerichtsakten des Landgerichts Wuppertal 00 O 000/00 und des Verwaltungsgerichts Düsseldorf 00 L 00/00 und der Verwaltungsakten der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Klage bleibt wegen Unzulässigkeit ohne Erfolg.

Die vom Kläger geltend gemachte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen die Einstellungsbescheide vom 26.3.2003 und den Ablehnungsbescheid vom 21.6.2004 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 7.11.2005 und 8.11.2005 ist wegen Unanfechtbarkeit der Bescheide unzulässig. Einer gerichtlichen Überprüfung und Abänderung sind die streitbefangenen Bescheide nicht mehr zugänglich.

Die vom Kläger am 19.7.2005 erhobene Klage, mit der er "die Einstellung der Grundsicherung, des Krankenschutzes und des Wohngeldes ohne Bescheid und Rechtsmittel" gerügt hat, war als Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 2 SGG zu werten. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war von Seiten der Beklagten über die Widersprüche des Klägers, mit denen er sich gegen die Einstellung der Grundsicherungsleistungen und der Hilfe zum Lebensunterhalt (Bescheide vom 26.3.2003) und gegen die Ablehnung von Krankenhilfe (Bescheid vom 21.6.2004) gewandt hatte, noch nicht entschieden worden. Eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage war infolgedessen im Zeitpunkt der Klageerhebung und bis zum Erlass der Widerspruchsbescheide am 7.11.2005 bzw. 8.11.2005 mangels abgeschlossenen Vorverfahrens unzulässig (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGG). Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 21.10.2005 darauf hingewiesen, dass die am 19.7.2005 erhobene Klage mit Blick auf die fehlende Entscheidung der Beklagten über die Widersprüche vom 1.4.2003 und 25.6.2004 als Untätigkeitsklage zu werten ist. Eine Aussetzung des Verfahrens analog § 114 Abs. 2 SGG bis zum Abschluss des Vorverfahrens hat das Gericht seinerzeit nicht in Erwägung gezogen, weil bei Erhebung der Klage am 19.7.2005 die Sperrfrist nach § 88 Abs. 2 SGG eindeutig verstrichen und damit eine Untätigkeitsklage zulässig war. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach das Gericht dem Kläger die Möglichkeit geben muss, dass Vorverfahren abzuschließen und das Verfahren bis dahin aussetzen muss (Meyer/Ladewig/Leitherer/Keller, Sozialgerichtsgesetz, § 78 Rdn. 3a und § 114 Rdn. 3a) hat vorliegend keine Anwendung gefunden. Für das Gericht ist kein tragender Grund ersichtlich, weshalb beim Fehlen eines abgeschlossenen Vorverfahrens als zwingende Prozessvoraussetzung für eine zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage eine Aussetzung des Verfahrens unter analoger Anwendung des § 114 Abs. 2 SGG zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes erforderlich sein soll. Dem rechtssuchenden Bürger steht für den Fall, dass die Behörde nicht innerhalb der in § 88 Abs. 2 SGG normierten Dreimonatsfrist (Sperrfrist) das Vorverfahren durch Entscheidung über den Widerspruch abschließt, zur effektiven Rechtsverfolgung die Erhebung einer Untätigkeitsklage (§ 88 Abs. 2 SGG) und darüber hinaus im Eilfall eines Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz (§ 86b Abs. 1 und 2 SGG) zur Verfügung.

Die zunächst zulässige (und ggf. auch begründete) Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 2 SGG ist durch den Erlass der Widerspruchsbescheide vom 7.11.2005 und 8.11.2005 unzulässig geworden, denn durch den Erlass der Widerspruchsbescheide ist der Kläger im Hinblick auf sein anzunehmendes Bescheidungsinteresse klaglos gestellt worden. Für die Untätigkeitsklage besteht ab dem Zeitpunkt der Klaglosstellung kein Rechtsschutzbedürfnis mehr. Ergeht ein ungünstiger Widerspruchsbescheid, ist die Hauptsache nach herrschender Meinung erledigt, auch wenn der Kläger durch die Entscheidung der Behörde beschwert ist. Der Kläger kann aber seine Klage im Wege der Klageänderung (§ 99 SGG) als Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage fortsetzen. Eine Klageänderung in diese Richtung wird in der Regel sachdienlich sein (Meyer-Ladewig/Leitherer/ Keller, aaO, § 88 Rdn. 10b). Das Gericht hat die Prozessvoraussetzungen der neuen Klage zu prüfen. Liegen diese nicht vor, ist die Klage grundsätzlich als unzulässig abzuweisen (BSG Urteile vom 31.7.2002 -B 4 RA 113/00 R- und -B 4 RA 3/01 R-). Für die Klagefrist muss bei der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf den Zeitpunkt der Klageänderung abgestellt werden. Die Klage ist insoweit unzulässig, wenn der streitbefangene Verwaltungsakt schon bestandskräftig ist (Meyer-Ladewig/Leitherer/Keller, aaO, § 99 Rdn. 13a).

Die vom Kläger geltend gemachte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen die mit Widerspruchsbescheide vom 7.11.2005 und 8.11.2005 erfolgte Versagung von Grundsicherungsleistungen und Sozialhilfeleistungen ist wegen Verfristung unzulässig. Nach Erlass der Widerspruchsbescheide vom 7.11.2005 und 8.11.2005 könnte frühestens das aktenkundige Schreiben des Klägers vom 17.2.2006 – eingegangen am 23.2.2006 - als Klageänderung im Sinne des § 99 SGG gedeutet werden. Der Formulierung des Klägers "Sache: Grundsicherung, Krankenschutz und Wohngeld" kann entnommen werden, dass er eine Verpflichtung der Beklagten auf (Weiter-)Gewährung von Grundsicherungsleistungen, Hilfe zum Lebensunterhalt und Krankenbeihilfe (weiterhin) begehrt. Ausgehend vom Eingang des Schreibens am 23.2.2006 ergibt sich aber eine Verfristung des Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehrens des Klägers, denn die angefochtenen Bescheide vom 26.3.2003 und 21.6.2004 in Form der Widerspruchsbescheide vom 7.11.2005 bzw. 8.11.2005 waren zu diesem Zeitpunkt bereits in Bestandskraft erwachsen. Die dadurch eingetretene Bindung (§ 77 SGG) kann durch einen nachträglichen, verspäteten Antrag nicht mehr beseitigt werden.

Die Widerspruchsbescheide vom 7.11.2005 und 8.11.2005 sind ausweislich Postzustellungsurkunde am 10.11.2005 durch Ersatzzustellung niedergelegt worden (§ 181 Zivilprozessordnung – ZPO -). Über die Niederlegung auf der von der Post bestimmten Stelle – hier Abholstelle T2 U, X2 Straße 000, 00000 X1 - ist eine schriftliche Mitteilung abgegeben worden (§ 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Die entsprechende Mitteilung hat der Kläger auch nachweislich erhalten. Er hat insoweit eine Kopie der Benachrichtigung mit Schreiben vom 20.1.2006 zu den Verwaltungsakten der Beklagten gereicht. Die niedergelegten Widerspruchsbescheide vom 7.11.2005 und 8.11.2005 gelten gemäß § 181 Abs. 1 Satz 4 ZPO mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung, also am 10.11.2005 als zugestellt. Durch die wirksame Zustellung am 10.11.2005 sind die Widerspruchsbescheide dem Kläger mit gleichem Datum bekannt gegeben worden (§ 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X). Unschädlich bleibt insoweit, dass der Kläger die Widerspruchsbescheide tatsächlich nicht abgeholt und infolgedessen vom Inhalt der Bescheide keine Kenntnis erhalten hat. Ausgehend vom Tag der Bekanntgabe der Widerspruchsbescheide (10.11.2005) endete die Monatsfrist zur Erhebung der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (bzw. hier Erklärung der Klageänderung) gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 in Verbindung mit § 64 Abs. 2 und 3 SGG am Montag den 12.12.2005. Für eine Annahme der Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 SGG besteht mit Blick auf die in den Widerspruchsbescheiden vom 7.11.2005 und 8.11.2005 nach § 66 Abs. 1 SGG ordnungsgemäß erteilten Rechtsbehelfsbelehrungen kein Ansatzpunkt. Durch den Ablauf der Klagefrist am 12.12.2005 sind die streitbefangenen Bescheide unanfechtbar bzw. (formell) bestandskräftig geworden. Die Bestandskraft steht einer gerichtlichen Überprüfung und Abänderung der Bescheide entgegen.

Hinreichende Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG in Bezug auf die versäumte Klagefrist hat das Gericht nicht gesehen. Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung ist, dass eine gesetzliche Frist ohne Verschulden versäumt worden ist. Das setzt voraus, dass der Betroffene diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist (BSG Urteil vom 25.2.1992 - 9a BVg 10/91 -). Die Versäumnis der Frist muss auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein. Das liegt hier nicht vor. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, er habe die Widerspruchsbescheide nicht abholen können (und – weitergedacht - infolgedessen aufgrund seiner Unkenntnis über ihren Inhalt auch keine Klage erheben können), weil er krank gewesen sei. Nach der Rechtsprechung entschuldigt nicht jeder Erkrankung eine Fristversäumnis. Krankheit schließt Verschulden nur aus, wenn der Betroffene so schwer erkrankt ist, dass er außerstande ist, seine Angelegenheiten selbst wahrzunehmen und auch nicht einen Dritten hiermit beauftragen kann (BSG 25.2.1992, aaO). Der Kläger hat auf die Frage nach seiner Erkrankung im maßgebenden Zeitraum gegenüber dem Gericht erklärt, er leide an Bluthochdruck, Herzbeschwerden und Schwerhörigkeit. Es handelt sich hierbei offensichtlich um chronische Krankheitsbilder, welche in der Regel die Abholung von niedergelegten Schriftstücken bei der Hinterlegungsstelle und die Erhebung einer Klage bei Gericht per Post zulassen dürften. Jedenfalls schließen diese Krankheitsbilder nicht die Handlungsfähigkeit des Erkrankten aus, einen Dritten als Bevollmächtigten mit der Erledigung des entsprechenden Rechtsgeschäfts zu beauftragen. Ein schweres Krankheitsgeschehen, dass Anlass für die Annahme einer Handlungsunfähigkeit des Klägers im maßgebenden Zeitraum geben könnte, ist von ihm nicht vorgetragen worden.

Mangels Zulässigkeit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage hatte das Gericht über die Erfolgsaussichten in der Sache nicht mehr zu befinden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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