L 17 B 324/07 R ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 R 5872/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 B 324/07 R ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Februar 2007 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Widerspruch der Antragstellerin vom 18. Dezember 2006 gegen den Bescheid vom 29. November 2006 aufschiebende Wirkung hat. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um die Fortführung einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben über den 30. November 2006 hinaus. Der Antragstellerin wurde mit Bescheid vom 11. November 2005 folgende berufliche Integrationsmaßnahme bewilligt: Modulare Qualifizierung Office/IT. Nach der der Beklagten dazu vorgelegten Anmeldebestätigung sollte die Qualifizierung aus dem Modul A (OFFICE-Einsteiger – 3 Monate), Modul B (OFFICE-Fortgeschrittene – 3 Monate) und dem Modul C (Praktikum/Eingliederungsphase – 6 Monate) bestehen. In dem Bescheid ist ausgeführt, die Maßnahme dauere voraussichtlich 12 Monate und werde in der Einrichtung "S" durchgeführt. Als Beginn sei der 1. Dezember 2005 vorgesehen. Mit Bescheiden vom 2. und 28. Februar 2006 wurde ihr für die Dauer der Maßnahme Übergangsgeld bewilligt. Während des Moduls A erkrankte die Antragstellerin (2. Januar bis 3. Februar 2006) und konnte nach Einschätzung der Fachanleiterin nur geringe Lernfortschritte erzielen. Sie wiederholte deshalb nach Kenntnisnahme durch die Antragsgegnerin das Modul A und setzte die Ausbildung plangemäß fort. Seit September 2006 absolvierte sie ein Praktikum beim S Museum, für das nach der Vereinbarung vom 1. September 2006 eine Dauer bis zum 1. März 2007 vorgesehen war. Im November 2006 teilte die S GmbH (Diplom-Psychologe S) der Antragsgegnerin mit, die Antragstellerin werde das Maßnahmeziel nach ihren Ergebnissen nicht erreichen können. Trotz erzielter Lernfortschritte und einer im Maßnahmeverlauf zu beobachtenden Tendenz zur psychischen Stabilisierung und Verbesserung ihrer Belastbarkeit werde sie nach Beendigung der Maßnahme aufgrund ihrer Leistungsverminderung bzw. noch reduzierten psychischen Belastbarkeit bis auf mittlere Sicht nicht in der Lage sein, übliche arbeitsmarktliche Anforderungen erfolgreich zu bewältigen. Sie empfehle unter prognostischen Gesichtspunkten daher, dem aktuellen Wunsch der Antragstellerin nach einer 3-monatigen Verlängerung der Maßnahme bis März 2007 (Fortführung ihres derzeitigen Praktikums in einem privaten Museum) nicht zu entsprechen. Nach Rücksprache mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst B könne unter Berücksichtigung des aktuellen Lebensumfeldes der Antragstellerin und der derzeit bei ihr noch erforderlichen Betreuungsmaßnahmen (Einzelfallhilfe durch Herrn H) die (temporäre) Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Menschen in Erwägung gezogen werden.

Mit Bescheid vom 29. November 2006 lehnte die Antragsgegnerin die Verlängerung des Praktikums ab, weil in absehbarer Zeit mit einer Belastungsfähigkeit für den ersten Arbeitsmarkt nicht zu rechnen sei. Dieser Bescheid wurde an die von der Klägerin bevollmächtigte s GbR gesandt. Die Zahlung des Übergangsgeldes wurde zum 30. November 2006 eingestellt. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2006 erhob die Antragstellerin, die angab, keinen Bescheid erhalten zu haben, unter Bezug auf eine Besprechung vom 24. November 2006 vorsorglich Widerspruch und stellte am selben Tag beim Sozialgericht Berlin einen Antrag auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieses Widerspruchs. Sie trug vor, ihr seien Leistungen zur Teilhabe bis zum 1. März 2007 bewilligt worden. Sie habe keinen Antrag auf Verlängerung gestellt, da sie von einer Dauer der Maßnahme bis zum 1. März 2007 ausgegangen sei. Dies sei ihr auch mündlich von der Sachbearbeiterin der Antragsgegnerin Frau W bestätigt worden. Die Praktikumsstelle und die dort abverlangten Tätigkeiten seien ihrer Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt förderlich. Gründe für eine Aufhebung der Bewilligung seien nicht ersichtlich. Dazu legte sie eine Beurteilung des Diplom-Psychologen H (Sozialpsychiatrischer Dienst P) vom 19. Januar 2007, der behandelnden Psychologin B vom 10. Januar 2007, ein Zwischenzeugnis des Ausstellungskurators des S Museums S vom 9. Januar 2007 sowie eine Stellungnahme der Kursteilnehmerin Sch vom 11. Januar 2007 vor. Die Antragsgegnerin verwies darauf, dass die Antragstellerin zwar Leistungsfortschritte erzielt habe, aber auch bei Verlängerung der Maßnahme ein erfolgreicher Abschluss nicht möglich gewesen wäre. Mit Beschluss vom 14. Februar 2007 lehnte das Sozialgericht Berlin den Antrag der Klägerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab. Der Hauptantrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs habe keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen für eine solche Feststellung nicht vorlägen. Das Gericht könne nach § 86 b Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG die aufschiebende Wirkung nur feststellen, wenn die Behörde zu erkennen gebe, dass ein Widerspruch, der tatsächlich aufschiebende Wirkung habe, eine solche nicht besitze. Der Widerspruch der Antragstellerin richte sich jedoch gegen die Ablehnung eines Antrags auf Bewilligung einer Verlängerung der Maßnahme bis zum 1. März 2007, nicht aber gegen einen vermeintlichen Widerruf einer bis zum 1. März 2007 bewilligten Maßnahme. Bei der Ablehnung eines Antrags auf eine Leistung helfe die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nicht.

Auch der Hilfsantrag auf einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Bewilligung von Leistungen auf Teilhabe bis zum 1. März 2007 sei unbegründet, da die Voraussetzungen für eine solche Regelungsanordnung nicht vorlägen. Es mangele an einem Anordnungsanspruch. Es sei bei summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin mit ihrem Begehren erfolgreich sein werde. Es sei nicht wahrscheinlich, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben über November 2006 hinaus habe. Die Bewilligung ende am 30. November 2006. Es bedürfe keines weiteren Aufhebungsbescheids. Daran ändere auch die Formulierung "voraussichtlich" 12 Monate in dem Bewilligungsbescheid nichts, weil hiermit für den objektiven Empfänger verständlich allein die allgemeinen Unwägbarkeiten der zukünftigen Entwicklung während der Maßnahme gemeint seien; keinesfalls könne sich bereits hieraus ein Anspruch der Antragstellerin auf eine Verlängerung der Maßnahme ergeben. Dies gelte auch für Auskünfte des Bildungsträgers. Unabhängig von der bereits erfolgten Bewilligung durch die Antragsgegnerin könne sich ein Anspruch der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin auf eine Bewilligung von Leistungen auf Teilhabe am Arbeitsleben in Gestalt der Fortführung des begonnen Praktikums allein nach §§ 9, 10 SGB VI richten. Es sei aber auch bei Würdigung aller von der Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren eingereichten Unterlagen nicht überwiegend wahrscheinlich, dass ihre geminderte Erwerbsfähigkeit durch die begehrte Verlängerung des Praktikums voraussichtlich wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden könnte. Für diese Prognose über die Entwicklung sei der Bildungsträger aufgrund seiner Sachnähe und Fachkenntnisse besonders kompetent. Der Dipl.-Psychologe S habe jedoch nach Ablauf eines Jahres prognostiziert, dass die Antragstellerin mittelfristig nicht in der Lage sein werde, üblichen Anforderungen des Arbeitsmarkts zu entsprechen. Dies sei nach dem Akteninhalt auch nachvollziehbar. Dieser Einschätzung stünden auch die von der Antragstellerin eingereichten Unterlagen nicht entgegen. Nach alledem sei das Vorliegen der für die Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlichen persönlichen Voraussetzungen jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich. Aber selbst wenn die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erfüllt wären, stünde die Auswahl der geeigneten konkreten Maßnahme im pflichtgemäßen Ermessen der Antragsgegnerin. Ein Obsiegen der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren mit ihrem Begehren, das Praktikum bei diesem Museum unter der Obhut dieses Bildungsträgers fortzuführen, würde insoweit erfordern, dass sich das Ermessen der Antragsgegnerin entsprechend auf gerade diese Maßnahme reduziert habe. Dies sei angesichts der Vielzahl anderer möglicher Maßnahmen auch bei Berücksichtigung der guten Erfahrungen der Antragstellerin bei dem ihr nun bereits bekannten S Museum nicht überwiegend wahrscheinlich, so dass auch dieser Aspekt gegen einen zum Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86 b Abs. 2 SGG erforderlichen Anordnungsanspruch spreche. Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin am 7. März 2007 Beschwerde eingelegt und sich auf ihr bisheriges Vorbringen bezogen. Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Februar 2007 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 18. Dezember 2006 gegen die Aufhebung der Bewilligung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und des Übergangsgeldes festzustellen, hilfsweise die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin bis zum 28. Februar 2007 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren und Übergangsgeld zu zahlen. Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Sie hält den Beschluss des Sozialgerichts Berlin für zutreffend. II. Die form- und fristgerecht eingegangene Beschwerde ist zulässig und begründet. Der angegriffene Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Februar 2007 ist nicht zutreffend. Der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 29. November 2006 hat aufschiebende Wirkung. Es handelte sich um einen Bescheid, der eine laufende Leistung entzogen hat. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin nämlich mit Bescheid vom 11. November 2005 nach dem Verfügungssatz nicht Leistungen für eine bestimmte Zeit bewilligt, sondern für eine bestimmte Maßnahme, die "voraussichtlich" 12 Monate dauern sollte. Diese Maßnahme war noch nicht abgeschlossen, als die Beklagte die Gewährung beendete und eine Verlängerung ablehnte. Das Sozialgericht hat richtig ausgeführt, dass die Formulierung "voraussichtlich" im Bescheid der Tatsache Rechnung trägt, dass im Verlauf eines Jahres "Unwägbarkeiten" eintreten können. Genau dies war aber vorliegend der Fall. Die Antragstellerin erkrankte während des ersten Moduls so schwer, dass sie über einen Monat dem Unterricht fernbleiben musste. Sie wiederholte deshalb das erste Modul auf Empfehlung des Maßnahmeträgers und mit Kenntnis der Antragsgegnerin. Wegen solcher Sachverhalte wird im Bescheid gerade nicht auf die Leistungszeit, sondern auf die Maßnahme abgestellt. Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. November 2006 stellt deshalb nicht die Ablehnung eines Antrags, sondern die Aufhebung einer Bewilligung dar. Es kann hier dahinstehen, ob diese Aufhebung rechtmäßig ist. Denn die Beklagte hätte wegen der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs auch bei Rechtmäßigkeit des Bescheides vorläufig weiter leisten müssen. Die aufschiebende Wirkung ergibt sich aus § 86a Abs.1 Satz 1 SGG. Nach dieser Vorschrift haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Es gilt auch keine der in § 86a Abs. 2 SGG bezeichneten Ausnahmen von diesem Grundsatz. § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG sieht das Entfallen der aufschiebenden Wirkung in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen, nur für die Anfechtungsklage vor, nicht aber für den Widerspruch. Bis zum Erlass des Widerspruchbescheides ist deshalb vorläufig zu leisten. Eine Interessenabwägung, wie sie im Rahmen von Entscheidungen nach § 86 b Abs. 1 SGG durchzuführen ist, entfällt. Denn anders als in diesen Fällen ändert das Gericht die Rechtslage durch seine Entscheidung nicht, sondern stellt sie lediglich fest. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG in entsprechender Anwendung. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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