L 15 VG 1/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 VG 2/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 1/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 01.02.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der 1990 geborene Kläger ist wie seine zweieinhalb Jahre jüngere Schwester von nächsten Angehörigen sexuell erheblich missbraucht worden. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger bereits ab Sommer 1997 oder erst ab 01.02.2000 (Beginn des Antragsmonats) Versorgungsleistungen zustehen.

Der Kläger ist seit 1995 bis zur Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt im März 1998 immer wieder Opfer von sexuellen Misshandlungen geworden, begangen durch die leiblichen Eltern, die Großmutter väterlicherseits sowie dem angeheirateten Onkel (Ehemann der Schwester des Vaters). Die Täter sind zwischenzeitlich von zu vier bis zu acht Jahren Haft verurteilt worden.

Das Landratsamt B. - Kreisjugendamt - hat mit Schreiben vom 16.02.2000 Leistungen nach dem OEG beantragt. Das Amt für Versorgung und Familienförderung B. hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 03.06.2003 als Folge einer Schädigung nach dem OEG ab 01.02.2000 anerkannt: "Sekundäre Enkopresis, emotionale und soziale Verunsicherung, dissoziales Verhalten, Angststörung" im Sinne der Entstehung. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist vom 01.02.2000 bis 30.06.2002 um 40 v.H. festgesetzt worden, ab 01.07.2002 unter 25 v.H.

Dem Widerspruch des Kreisjugendamtes vom 17.06.2003 ist mit Teilabhilfe-Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung B. vom 04.02.2005 insoweit stattgegeben worden, als die vorstehend bezeichneten Schädigungsfolgen ab 01.07.2002 mit einer MdE vom 30 v.H. bewertet und entsprechende Versorgungsleistungen weiterbewilligt worden sind.

Im Übrigen ist der Widerspruch vom 17.06.2003 gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung B. vom 03.06.2003 mit Widerspruchsbescheid des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 21.03.2005 zurückgewiesen worden. Eine Rückwirkung der Leistungen über den Zeitpunkt der Antragstellung hinaus sei nicht möglich. Es träfe zwar zu, dass das Opfer selbst nicht in der Lage gewesen sei, einen Antrag fristgemäß zu stellen. Entgegen den Ausführungen im Widerspruchsschreiben sei das Jugendamt bereits am 05.03.1998 mit dem Recht auf Aufenthaltsbestimmung und Beantragung von Leistungen nach dem SGB VIII betraut worden. Damit habe zum Aufgabenbereich auch die Antragstellung auf Leistungen nach dem OEG gemäß § 97 SGB VIII gehört. Die Jahresfrist des § 60 Abs.1 Satz 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sei somit mit Ablauf des 05.03.1999 verstrichen.

In dem sich anschließenden Rechtsstreit hat das Sozialgericht Bayreuth die Rechtsauffassung des Beklagten mit Gerichtsbescheid vom 01.02.2006 bestätigt. Nach § 1 Abs.1 Satz 1 OEG i.V.m. § 60 Abs.1 Satz 1 BVG beginne die Beschädigtenversorgung mit dem Monat, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt seien, frühestens mit dem Antragsmonat, hier also im Februar 2000. Verzögere sich die Antragstellung um längstens ein Jahr nach Eintritt der Schädigung, so sei dies nach § 60 Abs.1 Satz 2 BVG unschädlich. Nach § 60 Abs.1 Satz 3 BVG verlängere sich die Jahresfrist um den Zeitraum, während dessen der Beschädigte ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei Versorgung zu beantragen. Von dem Grundsatz, dass dem Minderjährigen ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters bei der verspäteten Antragstellung zuzurechnen sei, habe das Bundessozialgericht (BSG) dann eine Ausnahme gemacht, wenn ein Gewalttäter als alleiniger gesetzlicher Vertreter des minderjährigen Hinterbliebenen seines Opfers für dieses keinen Versorgungsantrag nach dem OEG gestellt habe (BSGE 59, 40, 42 = SozR 3800 § 1 Nr.5). Es dürfe sich nicht nachteilig auf den Versorgungsanspruch eines Gewaltopfers auswirken, dass sein gesetzlicher Vertreter den Widerspruch zwischen seinen Eigeninteressen (als Täter unentdeckt zu bleiben) und den Interessen der von ihm gesetzlich vertretenen Kinder zu Lasten letzterer löst. In einem solchen Fall lasse sich das pflichtwidrige Unterlassen des Vertreters dem Vertretenen ausnahmsweise nicht zurechnen. Hier sei nicht entscheidungserheblich, dass das Amtsgericht B. - Vormundschaftsgericht - mit Beschluss vom 13.07.1999 dem Landratsamt B. - Kreisjugendamt - die Personensorgeberechtigung übertragen habe. Vielmehr sei darauf abzustellen, dass das Amtsgericht B. - Vormundschaftsgericht - bereits mit Beschluss vom 05.03.1998 den leiblichen Eltern das Recht der Aufenthaltsbestimmung und das Recht auf Beantragung von Leistungen nach dem SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) entzogen und die entzogenen Rechte auf das Kreisjugendamt B. als Pfleger übertragen habe. Der erstattungsberechtigte Träger der öffentlichen Jugendhilfe, das heiße hier das in vorliegendem Verfahren als Personensorgeberechtigter auftretende Kreisjugendamt B. , könne die Feststellung einer Sozialleistung gemäß § 97 SGB VIII betreiben. Diese Befugnis diene zumindest auch der Realisierung des Nachrangs und stehe damit in Konkurrenz zur Geltendmachung eigener Erstattungsansprüche des Jugendhilfeträgers. Dem Kläger sei nicht darin zu folgen, dass zwischen dem Handeln des Kreisjugendamtes B. als Jugendhilfeträger einerseits und dem Handeln des Kreisjugendamtes B. in seiner Eigenschaft als Personensorgeberechtigter andererseits zu unterscheiden sei. Denn es sei auch nicht Sinn und Zweck des § 60 BVG, dem erstattungsberechtigten Jugendhilfeträger gewissermaßen über die Hintertür zur Realisierung seiner Erstattungsansprüche gegenüber dem Kläger (vgl. §§ 91 ff. SGB VIII) zu verhelfen.

Die hiergegen gerichtete Berufungsschrift vom 22.02.2006 ging am 24.02.2006 im Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) ein. Von Seiten des Senats wurden die Versorgungsakten des Beklagten und die erstinstanzlichen Unterlagen beigezogen. Das Sozialgericht Bayreuth hat zwischenzeitlich mit Beschluss vom 21.12.2006 das Datum des Gerichtsbescheides vom 15.09.2003 gemäß § 138 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) korrigiert: 01.02.2006.

Der gesetzliche Vertreter des Klägers hob mit Berufungsbegründung vom 30.03.2006 hervor, dass die Schädigungen bereits im Sommer 1997 eingetreten seien. Zu diesem Zeitpunkt sei es dem Beschädigten nicht möglich gewesen, den erforderlichen Antrag bis Sommer 1998 innerhalb der üblichen Jahresfrist zu stellen, weil seine leiblichen Eltern als damalige gesetzliche Vertreter selbst an den an ihm begangenen Straftaten beteiligt gewesen seien. Zwar sei das Kreisjugendamt B. mit Beschluss des Amtsgerichts B. vom 05.03.1998 - X 0357/79 zum Pfleger bestellt worden. Der Wirkungskreis dieser Pflegschaft habe sich jedoch nur auf die Aufenthaltsbestimmung und das Recht auf Beantragung von Leistungen nach dem SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) bezogen. Da durch den Wirkungskreis der Pflegschaft eine Beantragung der Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz nicht abgedeckt gewesen sei, habe durch den Pfleger auch kein Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem OEG gestellt werden können. Erst durch Beschluss des Amtsgerichts B. vom 31.03.1999 - 003 F 1071/98 sei den Eltern die gesamte Personensorge entzogen worden. Da innerhalb eines Jahres nach der Bestellung des Kreisjugendamtes B. vom Personensorgerechtspfleger die Antragstellung erfolgt sei, habe der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem OEG ab dem Zeitpunkt der Schädigung. Denn gemäß § 60 Abs.1 Satz 3 BVG sei die Frist zur Antragstellung um den Zeitraum der Verhinderung zu verlängern. Auch habe das Sozialgericht Bayreuth in seinem Gerichtsbescheid vom 01.02.2006 nicht zwischen dem Kreisjugendamt B. als Jugendhilfeträger und seiner Funktion als gesetzlicher Vertreter des minderjährigen Klägers zu differenzieren gewusst. Es sei vielmehr zu unterscheiden zwischen dem Jugendamt in seiner Funktion als Jugendhilfeträger nach öffentlichem Recht und als bestellter gesetzlicher Vertreter im Rahmen der bürgerlich-rechtlichen Vertretung des Minderjährigen.

Der gesetzliche Vertreter des Klägers beantragt entsprechend seinem Schriftsatz vom 30.03.2006 sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 01.02.2006 aufzuheben und den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung B. vom 03.06.2003 in Gestalt des Teilabhilfe-Bescheides des Amtes für Versorgung und Familienförderung B. vom 04.02.2005 sowie des Widerspruchsbescheides des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 31.03.2005 insoweit abzuändern, als Leistungen nach dem OEG auch im Zeitraum "Sommer 1997" bis 31.01.2000 zu bewilligen sind.

Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 01.02.2006 zurückzuweisen.

Der Beklagte hält entsprechend seinem Schriftsatz vom 02.05.2006 die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie § 136 Abs.2 SGG auf den Inhalt der beigezogenen Versorgungsakten des Beklagten sowie die erst- und zweitinstanzlichen Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht Bayreuth hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 01.02.2006 - S 10 VG 2/05 - zu Recht abgewiesen. Der Beklagte hat mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung B. vom 03.06.2003 in Gestalt des Teilabhilfe-Bescheides des Amtes für Versorgung und Familienförderung B. vom 04.02.2005 sowie des Widerspruchsbescheides des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 21.03.2005 zutreffend Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) erst beginnend ab 01.02.2000 bewilligt, nicht jedoch für den weiter zurückliegenden Zeitraum ab "Sommer" 1997.

Der erstattungsberechtigte Träger der öffentlichen Jugendhilfe kann gemäß § 97 des Sozialgesetzbuches - Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) die Feststellung einer Sozialleistung betreiben sowie Rechtsmittel einlegen. Der Ablauf der Fristen, die ohne sein Verschulden verstrichen sind, wirkt nicht gegen ihn. Dies gilt nicht für die Verfahrensfristen, soweit der Träger der öffentlichen Jugendhilfe das Verfahren selbst betreibt.

Nach dem Bekunden des gesetzlichen Vertreters des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 13.02.2007 ist das Kreisjugendamt B. dem Grunde nach in Hinblick auf verauslagte Jugendhilfeleistungen erstattungsberechtigt. Dies ergibt sich beispielhaft auch aus den Akten des Beklagten auf Grund erbrachter Frühförderungsleistungen im Rahmen einer medizinisch indizierten Beschäftigungstherapie.

§ 97 SGB VIII steht im Spannungsverhältnis zu der Antragsbefugnis des Klägers gemäß § 1 Abs.1 OEG i.V.m. § 60 Abs.1 Sätze 1 bis 3 BVG.

Hier stehen sich das Landratsamt B. - Kreisjugendamt - als Träger der Kinder- und Jugendhilfe (vgl. Beschluss des Amtsgerichts B. vom 05.03.1998 - X 0357/97) und als personensorgeberechtigter gesetzlicher Vertreter des Klägers (vgl. Beschluss des Amtsgerichts B. - Vormundschaftsgericht - vom 31.03.1999 - 003 F 1071/98) gleichsam in Personalunion gegenüber. In diesem Spannungsverhältnis ist dem erstinstanzlichen Gericht und dem Beklagten beizupflichten, dass im Interesse des betroffenen versorgungsberechtigten Klägers auf den frühestmöglichen Zeitpunkt abzustellen ist, indem von Seiten des Kreisjugendamtes B. entsprechende Versorgungsleistungen nach dem OEG hätten geltend gemacht werden können, hier Zustellung des Beschlusses des Amtsgerichts B. - Vormundschaftsgericht - vom 05.03.1998 - X 0357/97.

Denn das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits mit Urteil vom 15.02.2000 - B 11 AL 73/99 R (ZFS 2000, S.111 bis 112) zu der nämlichen Rechtsproblematik (wenngleich mit anderer Rollenverteilung; dort ist der Betroffene beigeladen gewesen) grundlegend ausgeführt: Nach § 97 SGB VIII kann der erstattungsberechtigte Jugendhilfeträger die Feststellung einer Sozialleistung betreiben sowie Rechtsmittel einlegen, d.h. als Prozessstandschafter des eigentlich Berechtigten auftreten. Insofern muss das Vorverfahren eingehalten werden. Die Klagebefugnis dient zumindest auch der Realisierung des Nachrangs und steht in Konkurrenz zur Geltendmachung eigener Erstattungsansprüche. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage nach § 97 SGB VIII könnte daher fehlen, wenn lediglich abgeschlossene Zeiträume betroffen sind und auf Erstattung geklagt werden könnte.

Hier geht es (bei umgekehrter Rollenverteilung) um den in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Zeitraum "Sommer 1997" bis 31.12.1999, also zum einen um den Erstattungsanspruch des Trägers der Jugendhilfe gegen den Beklagten und zum anderen um das Eigeninteresse des minderjährigen Versorgungsberechtigten. - Nachdem hier die Rollenverteilung umgekehrt als in dem vom BSG a.a.O. entschiedenen Rechtsstreit ist, folgt aus der vom BSG a.a.O. dargelegten Konkurrenzsituation, dass von Seiten des Landratsamtes B. - Kreisjugendamt - vorrangig ein Verfahren nach § 97 SGB VIII hätte betrieben werden können und müssen.

Von grundsätzlicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass zwischen dem Anspruch des Klägers selbst und dem Erstattungsanspruch des Trägers der Jugendhilfe zu unterscheiden ist. Entsprechend dem DIJuF-Rechtsgutachten vom 14.06.2002 - J 3.317 My ist der Einsatz von Ansprüchen nach dem Opferentschädigungsgesetz gemäß § 93 Abs.5 SGB VIII nur eingeschränkt möglich (JAmt 2002, 345 f.). Nach § 91 Abs.1 Nr.4b und c SGB VIII können Kinder oder Jugendliche zu den Kosten der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) oder in einem Heim bzw. in einer sonstigen betreuten Wohnform (§ 34 SGB VIII) herangezogen werden. Die Heranziehung zu den Kosten erfolgt durch Erhebung eines Kostenbeitrages (§ 93 Abs.1 S.1 SGB VIII). Ein Kostenbeitrag ist nicht zu erheben, soweit der Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber seinen Eltern auf das Jugendamt übergeht (§ 93 Abs.1 S.1 i.V.m. § 94 Abs.3 SGB VIII). - Über diesen Kostenbeitrag hinaus sind Mittel in Höhe der Geldleistungen, die dem gleichen Zweck wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe dienen, ebenfalls einzusetzen (§ 93 Abs.5 SGB VIII). Im vorliegenden Fall stellt sich nun die Frage, ob Leistungen nach dem OEG die notwendige Zweckindentität im Sinne des § 93 Abs.5 SGB VIII aufweisen. Eine solche Zweckidentität wird nach herrschender Auffassung verneint (DIJuF-Rechtsgutachten vom 14.06.2002 a.a.O.). Folglich ist die Grundrente nur dann im Rahmen der Kostenheranziehung nach § 93 Abs.1 und 3 SGB VIII über einen Kostenbeitrag vom Jugendamt zu vereinnahmen, wenn es sich hierbei um Einkommen im Sinne des Sozialhilferechts (nunmehr: SGB XII) handelt. Erhält ein Kind oder ein Jugendlicher somit eine Grundrente nach dem OEG, ist diese bei der Bemessung des Kostenbeitrags als Einkommen anzusetzen (§ 94 Abs.1 Satz 1 SGB VIII). Dies führt jedoch nicht automatisch dazu, dass der Kostenbeitrag stets in voller Höhe der Grundrente erhoben werden könnte. Vielmehr ist dabei die häusliche Ersparnis zugrunde zu legen. Hiervon sind dem Kind oder Jugendlichen wiederum lediglich 70 bis 80 % der sozialhilferechtlichen Regelsätze für ein Kind bzw. Jugendlichen in seiner entsprechenden Altersgruppe als Grundlage für die Kostenbeitragsbemessung in Rechnung zu stellen. Das heißt, wenn die Grundrente nach dem OEG 70 bis 80 % des Regelsatzes für ein Kind oder einen Jugendlichen in der jeweiligen Altersstufe übersteigt, kann dieser in Bezug auf den überschießenden Betrag nicht im Wege des Kostenbeitrags vom Jugendamt in Anspruch genommen werden und verbleibt daher somit dem Kind oder Jugendlichen zur eigenständigen Verwendung (DIJuF-Rechtsgutachten vom 14.06.2002 a.a.O.).

Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob dem Kläger etwaige OEG-Leistungen für den Zeitraum "Sommer 1997" bis 31.01.2000 in vollem Umfang verbleiben würden oder nur teilweise. Denn entscheidungserheblich ist hier vielmehr, dass gemäß § 55 Abs.1 SGB VIII das Jugendamt Beistand, Pfleger oder Vormund in den durch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) vorgesehenen Fällen (Beistandschaft, Amtspflegschaft, Amtsvormundschaft) wird. Hier hat das Amtsgericht B. - Vormundschaftsgericht - bereits mit Beschluss vom 05.03.1998 - X o357/97 den leiblichen Eltern das Recht der Aufenthaltsbestimmung und das Recht auf Beantragung von Leistungen nach dem SGB VIII entzogen und die entzogenen Rechte auf das Kreisjugendamt B. als Pfleger übertragen.

Erst anschließend überträgt das Jugendamt gemäß § 55 Abs.2 SGB VIII die Ausübung der Aufgaben des Beistands, des Amtspflegers oder des Amtsvormunds einzeln seinen Beamten oder Angestellten. Die Übertragung gehört zu den Angelegenheiten in der laufenden Verwaltung. In dem durch die Übertragung umschriebenen Rahmen ist der Beamte oder Angestellte gesetzlicher Vertreter des Kindes oder des Jugendlichen.

Die Ausführung des Amtes als Beistand, Pfleger oder Vormund - nicht das Amt selbst - wird auf die Beamten und Angestellten des Jugendamtes übertragen. Wie im Wortlaut des Abs.1 zum Ausdruck gebracht, wird das Jugendamt Beistand, Pfleger oder Vormund, nicht der mit der Ausübung betraute Beamte oder Angestellte. Es findet also keine Delegation statt. Vielmehr nimmt der Beamte oder Angestellte die Aufgaben als Amtswalter für das Jugendamt wahr. Nach § 55 Abs.2 SGB V wird dem Beamten oder Angestellten somit lediglich eine eigene Vollzugskompetenz zugewiesen (Roesler in Jung, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, Rz.14 zu § 55 SGB VIII).

Der bestellte Pfleger kann sich also nicht darauf berufen, dass das Amtsgericht B. - Vormundschaftsgericht - erst mit Beschluss vom 13.07.1999 - oo3 F 1071/98 dem Landratsamt B. - Kreisjugendamt - die Personensorgeberechtigung übertragen hat. - Nachdem es sich bei der Übertragung im Sinne von § 55 Abs.2 SGB VIII gleichsam nur um ein "Internum" handelt, ist vielmehr gemäß § 55 Abs.1 SGB VIII der Beschluss des Amtsgerichts B. - Vormundschaftsgericht - vom 05.03.1998 - X o357/97 maßgeblich, der es dem Kreisjugendamt B. als Pfleger ermöglicht hätte, die Bestellung einer Sozialleistung gemäß § 97 SGB VIII unverzüglich zu betreiben. Nachdem dies nicht geschehen ist, ist auf den Antrag vom 16.02.2000 abzustellen.

Im Übrigen sieht das BayLSG gemäß § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da die Berufung insoweit auch aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung des Sozialgerichts Bayreuth als unbegründet zurückgewiesen wird.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Revision ist gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Feststellungsbefugnis gemäß § 97 SGB VIII im Rahmen von § 1 Abs.1 OEG i.V.m. § 60 Abs.1 Sätze 1 bis 3 BVG ist bislang höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt.
Rechtskraft
Aus
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