L 2 U 44/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 304/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 44/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 9. Januar 2006 aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 13. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2003 verurteilt, eine bronchiale Überempfindlichkeit sowie ein Asthma bronchiale als weitere Folgen der Berufskrankheit nach Nr. 1315 der Anlage zur BKV anzuerkennen und dem Kläger ab 1. Februar 2003 eine Rente nach einer MdE um 20 v.H. auf unbestimmte Zeit zu gewähren.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtliche Kosten des Klägers beider Instanzen. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob beim Kläger über einen bereits anerkannten Zustand nach einer leichtgradigen Sensibilisierung gegenüber dem Isocyanat TDI hinaus eine bronchiale Überempfindlichkeit sowie ein Asthma bronchiale als Folgen der Berufskrankheit nach Nr. 1315 (Erkrankung durch Isocyanate) der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anzuerkennen und zu entschädigen sind.

Der 1955 geborene Kläger war von 1970 bis 27. Juni 1975 und vom 27. Mai 1980 bis 31. Januar 2003 als Autolackierer bei der D. AG tätig. Am 18. September 2001 ging eine Anzeige über eine Berufskrankheit durch den Internisten, Lungenarzt und Allergologen Dr. H. ein. Als Berufskrankheit liege ein irritatives Asthma vor. Der Kläger hatte sich wegen einer Belastungsdyspnoe, aufgetreten im Rahmen von Baumfällarbeiten, vorgestellte. Dabei stellte sich heraus, dass die Laborparameter gegenüber Chemikalien (Isocyanate und Phtalsäureanhydrit) positiv waren. Dr. H. diagnostizierte eine Belastungsdyspnoe bei bronchialer Hyperreagibilität, einen Verdacht auf Isocyanatallergie sowie eine Tabakabhängigkeit. Eine Untersuchung im Juli 2001 erbrachte eine deutliche bronchiale Hyperreagibilität, aber noch keinen Nachweis von spezifischen IgE-Antikörpern gegen Isocyanat TDI im Blut. Dr. H. gab am 31. Juli 2001 an, möglich wäre ein Asthma bronchiale als Folge einer toxischen irritativen Belastung. Nach dem Bericht vom 4. September 2001 ist ein toxisch irritatives Asthma bei starker Isocyanatbelastung denkbar.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme des TAD vom 6. Dezember 2001 ein. Danach war der Kläger in seinem Beruf als Lackierer mit Isocyanaten in Berührung gekommen. Es habe jedoch zumindest in den letzten vier Jahren, rein rechnerisch auch in der Zeit davor, eine dauerhaft sichere Einhaltung des zulässigen Grenzwertes vorgelegen. Allerdings sei beim Abwaschen von Führerhäusern mit Nitroverdünnung sowie beim Spritzen von zinkchromathaltigem Lack und beim Abschleifen dieses Lackes eine Zinkchromat-Exposition oberhalb des heute zulässigen Luftgrenzwertes erreicht worden. Diese Tätigkeiten habe der Kläger während seiner Lehre vom 1. November 1970 bis 30. Oktober 1973 und im Jahre 1981 vermehrt durchgeführt.

Die Beklagte holte ferner eine Stellungnahme des Gewerbearztes Dr. S. vom 18. Februar 2002 ein, wonach nach den derzeit vorliegenden Unterlagen die Anerkennung einer Berufskrankheit nicht empfohlen werden könne.

Der von der Beklagten beauftragte Lungenarzt, Internist und Allergologe Dr. M. gelangte in seinem Gutachten vom 26. Juli 2002 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger eine mittelgradige bronchiale Hyperreagibilität bestehe, wahrscheinlich auf dem Boden eines Asthma bronchiale. Der Kläger leide an Atemnot bei körperlicher Belastung. Spezifische IgE-Antikörper gegenüber berufsspezifischen Substanzen ließen sich gegenüber TDI nachweisen. Der Befund einer leichtgradigen Sensibilisierung gegenüber dem Isocyanat TDI sei mit Wahrscheinlichkeit auf die beruflichen Einwirkungen zurückzuführen. Hingegen sei die bronchiale Hyperreagibilität mit Wahrscheinlichkeit Folge eines bestehenden Asthma bronchiale und eines langjährigen Inhalationsrauchens und somit nicht Folge der beruflichen Einwirkung. Eine Provokationstestung habe keine Reaktion im Sinne eines irritativ toxischen oder exogen-allergischen Asthma bronchiale ergeben.

Der Präventionsdienst der Beklagten riet mit Schreiben vom 29. August 2002 zur Aufgabe der Tätigkeit in der Lackiererei, damit der Kläger nicht weiter Isocyanaten ausgesetzt sei.

Mit Bescheid vom 24. September 2002 erkannte die Beklagte das Vorliegen einer Erkrankung durch Isocyanate aufgrund der versicherten Tätigkeit als Autolackierer an. Da die Tätigkeit bislang nicht aufgegeben worden sei, lägen die Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 1315 der BKV nicht vor. Den Widerspruch nahm der Kläger zurück.

Zum 1. Februar 2003 gab der Kläger die gefährdende Tätigkeit auf. Mit Bescheid vom 13. Februar 2003 erkannte die Beklagte das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 1315 der Anlage zur BKV und als Folge an: "Zustand nach einer leichtgradigen Sensibilisierung gegenüber dem Isocyanat TDI". Eine bronchiale Überempfindlichkeit sowie ein Asthma bronchiale erkannte sie nicht als Folgen an. Ein Anspruch auf eine Rente bestehe nicht, da die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) unter 20 v.H. liege. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme des TAD ein, in der die Einhaltung des Grenzwertes bestätigt wurde. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 6. August 2003 zurück.

Dagegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Augsburg, das ein arbeitsmedizinisches Fachgutachten des Prof. Dr. N. vom 2. Mai 2004 einholte. Dieser stellte fest, dass sich seit Aufgabe der Tätigkeit als Lackierer die Atembeschwerden geringfügig gebessert hätten. Weiterhin bestehe jedoch eine Belastungsdyspnoe sowie anfallsartige Atemnot. Isocyanate könnten an den Atemorganen zu einem Asthma bronchiale oder zu einer Typ III-Sensibilisierung im Sinne einer exogen-allergischen Alveolitis führen, die beim Kläger nicht vorliege. Wenn, wie geschehen, eine Berufskrankheit nach Nr. 1315 der Anlage zur BKV anerkannt werde, müsse eine Krankheit, hier eine asthmoide Reaktion als Manifestation einer Isocyanat-Sensibilisierung, bestehen. Der Kläger gebe entsprechende Beschwerden an; das Vorliegen einer bronchialen Hyperreagibilität sei mehrfach nachgewiesen. Unklar bleibe allerdings eine - wie auch im Vorgutachten festgestellte - Sensibilisierung gegenüber Schimmelpilzen. Die MdE betrage dann 20 v.H.

In einer ergänzenden Stellungnahme erklärte der Gutachter, keine Stellungnahme zur Kausalität zwischen der beruflichen Tätigkeit des Klägers und seiner Erkrankung abgegeben zu haben. Er legte dar, es sei nicht zu erkennen, worin die Berufskrankheit bestehe. Eine Sensibilisierung sei keine Krankheit; es handele sich nur um einen Laborwert. Der Bescheid der Beklagten über die Anerkennung einer Berufskrankheit sei nicht nachvollziehbar. Da eine Anerkennung jedoch vorliege, betrage die MdE 20 v.H.

Die Beklagte wies darauf hin, dass nach dem Bescheid die bronchiale Hyperempfindlichkeit und das Asthma bronchiale ausdrücklich nicht als Berufskrankheit anerkannt worden seien. Eine anerkannte "Krankheit" bestehe in der Sensibilisierung gegenüber Isocyanat.

Auf klägerischen Antrag gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das Gericht ferner ein pneumologisches Gutachten des Dr. S. vom 16. Juni 2005 ein. Wenig wahrscheinlich sei danach zum einen ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Asthma bronchiale und dem Rauchkonsum des Klägers. Zum anderen sei auch ein Zusammenhang mit einer versteckten Schimmelpilzsensibilisierung wenig wahrscheinlich. Ein Anhalten der Akutsymptome auch nach Beendigung der Exposition entspreche den Langzeitstudien. Es sei deshalb zumindest von einer richtungsweisenden Verschlimmerung der Erkrankung durch die beruflichen Einflüsse auszugehen. Die MdE betrage ab 25. Januar 2003 20 v.H.

Mit Urteil vom 9. Januar 2006 wies das Sozialgericht die Klage ab. Einerseits ergebe sich aus der Anerkennung der Berufskrankheit durch die Beklagte nicht zugleich die Anerkennung des Asthma bronchiale und der bronchialen Hyperreagibilität als Folge, da dies durch den Wortlaut des Bescheides ausdrücklich ausgeschlossen worden sei. Dies gelte auch dann, wenn der Bescheid mangels Vorliegen einer Erkrankung, worauf Prof. Dr. N. hinwies, nicht mehr nachvollziehbar bzw. in sich widersprüchlich sei. Andererseits sei kein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der beruflichen Belastung gegeben. Zu diesem Ergebnis seien - mit Ausnahme des Dr. S. - alle Gutachter gelangt. Insgesamt sei eine beruflich bedingte Isocyanat-Erkrankung lediglich möglich, jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich.

Dagegen legte der Kläger Berufung ein und beantragte mit Schriftsatz vom 6. Februar 2006, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 9. Januar 2006 und unter Abänderung des Bescheides vom 13. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2003 zu verurteilen, die bronchiale Überempfindlichkeit und das Asthma bronchiale als Folgen der bereits früher anerkannten Berufskrankheit anzuerkennen und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. ab 1. Februar 2003 zu gewähren. Zur Begründung verwies er insbesondere auf die Gutachten des Prof. Dr. N. und des Dr. S ... Schließlich sei der Provokationstest im Rahmen der Begutachtung durch Dr. M. entgegen dessen Dokumentation positiv verlaufen, da er danach massive Schlafprobleme gehabt habe.

Der Senat holte ein Gutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin und Allergologen Prof. Dr. D. (Universität E.) vom 20. Juni 2006 ein. Danach spreche mehr dafür als dagegen, dass beim Kläger eine Erkrankung durch Isocyanate als Berufskrankheit nach Nr. 1315 der Anlage zur BKV im Sinne einer obstruktiven Atemwegserkrankung vorliege. Unstreitig seien eine bronchiale Überempfindlichkeit sowie ein Asthma bronchiale gegeben. Dr. S. sei zuzustimmen, dass ein ausschließlicher Zusammenhang zwischen der bronchialen Hyperreagibilität und dem inhalativen Rauchen (bis 2001) wenig wahrscheinlich sei. Der zeitliche Verlauf des klinischen Beschwerdebildes und der Verlauf des Nachweises spezifischer IgE-Antikörper gegenüber dem Isocyanat TDI seien mit dem Vorliegen einer Berufskrankheit durch Isocyanat vereinbar. Eine berufliche Exposition müsse als gesichert angesehen werden. Ein wiederholter Hautkontakt könne neben lokalen toxischen und allergischen Reaktionen eine stoffspezifische bronchiale Überempfindlichkeit hervorrufen. Die klinische Bedeutung der in Allergietests nachgewiesenen Sensibilisierung gegenüber Schimmelpilzen erscheine aufgrund der Anamnese unklar. Die MdE betrage 20 v.H.

Zu den Einwendungen der Beklagten äußerte der Gutachter am 22. August 2006 ergänzend, der positive Nachweis von spezifischen IgE-Antikörpern während und kurz nach der Exposition deute auf eine relevante berufliche Exposition hin. Es sei ausgeschlossen, das Baumfällen, bei dem die Belastungsdyspnoe aufgetreten war, als Ursache der Atemwegserkrankung anzusehen. Auch sprächen die anamnestischen Angaben des Klägers anlässlich des Gutachtens des Dr. M. vom 19. Juli 2002 für das Vorliegen einer Berufskrankheit. Gerade beim Isocyanat-Asthma verstärkten sich bisweilen die Atembeschwerden erst einige Stunden nach der Exposition. Ferner finde sich in der Krankenakte des Internisten Dr. R. unter dem 16. Februar 1990 ein Eintrag: "Rezidivierendes Brennen im Thorax nur bei Kontakt mit Lackdämpfen". Dies sei ein Indiz, dass sich erste Beschwerden und Anzeichen am Arbeitsplatz bereits zu einem Zeitpunkt entwickelten, als noch eine deutlich höhere Isocyanatkonzentration als in den letzten Arbeitsjahren vorhanden gewesen seien. Es sei Indiz, dass die Erkrankung während der beruflichen Tätigkeit begonnen hatte und dann, wie dies bei einem Isocyanat-Asthma nicht ungewöhnlich sei, weiter vorangeschritten sei. Unter sorgfältigem Abwägen aller Argumente sei davon auszugehen, dass beim Kläger das Vorliegen einer Berufskrankheit hinreichend wahrscheinlich sei.

Die Beklagte verwies mit Schriftsatz vom 26. September 2006 auf die Messungen des TAD, wonach die Grenzwerte eingehalten worden seien. Die Isocyanateexposition als Grundvoraussetzung für eine beruflich bedingte Atemwegserkrankung sei wegen der geringen Quantität kein Argument für den ursächlichen Zusammenhang. Ferner habe im September 2001 noch kein Nachweis von positiven Antikörpern gegenüber Isocyanat TDI geführt werden können. Auch seien das Rauchen sowie die Familienanamnese durchaus eine mögliche außerberufliche Ursache für die Atemwegserkrankung des Klägers. Zwar komme der leichtgradigen Sensibilisierung streng genommen kein eigentlicher Krankheitswert zu; daraus resultiere jedoch nur, dass kein Anspruch auf eine Verletztenrente bestehe.

Der Kläger stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 6. Februar 2006.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 9. Januar 2006 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet. Die bronchiale Überempfindlichkeit und das Asthma bronchiale sind als weitere Folgen der von der Beklagten anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 1315 der Anlage zur BKV anzuerkennen; hieraus ergibt sich ab 1. Februar 2003 ein Anspruch auf eine Rente nach einer MdE um 20 v.H ...

Berufskrankheiten sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Versicherungsfälle. Berufskrankheiten sind dabei Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Vorliegend betrifft der Rechtsstreit die Nr. 1315 der Anlage zur BKV. Hierunter fallen Erkrankungen durch Isocyanate, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Isocyanate können ein allergisch bedingtes Isocyanat-Asthma oder ein chemisch-irritativ bzw. toxisch bedingtes Isocyanat-Asthma auslösen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 1128).

Vorliegend erkannte die Beklagte mit Bescheiden vom 24. September 2002 und 13. Februar 2003 das Vorliegen einer Erkrankung durch Isocyanate bzw. einer Berufskrankheit nach Nr. 1315 an; zwar berücksichtigte sie mit Bescheid vom 13. Februar 2003 als Folge der Berufskrankheit jedoch lediglich einen Zustand nach einer leichtgradigen Sensibilisierung gegenüber dem Isocyanat TDI, nicht jedoch eine bronchiale Überempfindlichkeit und ein Asthma bronchiale. Allerdings erkannte sie mit Bescheid vom 24. September 2002 das Bestehen einer "Erkrankung durch Isocyanate" ohne weitere Einschränkung an und lehnte das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 1315 der Anlage zur BKV nur deshalb ab, weil der Kläger die belastende Tätigkeit zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgegeben hatte. Ansprüche auf vorbeugende Leistungen wurden hierdurch jedoch ausdrücklich nicht berührt. Da diesem Bescheid die ärztliche Anzeige über ein irritatives Asthma zugrunde lag und der Bescheid bestandskräftig wurde, liegt bereits eine formal bindende Anerkennung auch eines Asthma bronchiale als Erkrankung nahe.

Aber selbst unter Zugrundelegung der eingeschränkten Anerkennung von Krankheitsfolgen durch den Bescheid vom 13. Februar 2003 ergibt sich ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung der bronchialen Hyperreagibilität sowie eines Asthma bronchiale. Das Bestehen dieser Krankheitssymptome ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, sondern die Ableitung auf den ebenfalls unstreitig gegebenen beruflich bedingten Umgang des Klägers als Autolackierer mit isocyanathaltigen Stoffen bis zur Berufsaufgabe zum 31. Januar 2003.

Eine berufliche Verursachung der bronchialen Überempfindlichkeit und des Asthma bronchiale im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 1315 der Anlage zur BKV ist hinreichend wahrscheinlich. Dies ergibt sich nach Überzeugung des Senats aus dem Gutachten des Prof. Dr. D ... Die Erkrankung muss durch eine versicherte Tätigkeit verursacht sein, d.h., es muss ein innerer ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der versicherten Arbeitstätigkeit bestehen. Es ist erforderlich, dass die Arbeitstätigkeit eine wesentliche Bedingung für die Erkrankung darstellt. Verursacht sind die Gesundheitsstörungen, wenn die berufliche Exposition gegenüber sonstigen schädigungsfremden Faktoren (z.B. Vorerkrankungen/Dispositionen) nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung (wesentliche Mitursache). Die für die Bejahung des Zusammenhangs der Gesundheitsstörungen mit der umschriebenen beruflichen Exposition notwendige Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung zu Ätiologie und Pathogenese den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt.

Nach dem Gutachten des Prof. Dr. D. sind - bei gesicherter bzw. anerkannter beruflicher Exposition - der zeitliche Verlauf des klinischen Beschwerdebildes und der Verlauf des Nachweises spezifischer IgE-Antikörper gegenüber dem Isocyanat TDI mit dem Vorliegen einer Berufskrankheit durch Isocyanat vereinbar. Durch den wiederholten Hautkontakt kann es neben lokalen toxischen und allergischen Reaktionen zu einer stoffspezifischen bronchialen Überempfindlichkeit kommen. Der Kläger ist insbesondere mit Isocyanathärtern und damit mit isocyanathaltigen Aerosolen in Verbindung gekommen. Beim Verarbeiten von derartigen Zweikomponenten-Reaktionssystemen muss mit einer Gesundheitsgefährdung gerechnet werden (Merkblatt zur BK 1315, Bundesarbeitsblatt 3/2004, S. 32 f.). Das Krankheitsbild bei der obstruktiven Atemwegserkrankung durch Isocyanate, wie sie beim Kläger aufgetreten ist, ist gekennzeichnet durch Reaktionen in den Luftwegen in Form von Hustenreiz, retrosternalem Druckgefühl, Brennen in der Luftröhre, gelegentlichen Reizerscheinungen an den Konjunktiven und an den Nasenschleimhäuten. Nach einem Eintrag in der Krankenakte vom 16. Februar 1990 findet sich bereits ein rezidivierendes Brennen im Thorax nur bei Kontakt mit Lackdämpfen. Im Dezember 1992 und Januar 1993 klagte der Kläger über eine akute Rhinobronchitis mit "Verdacht auf erhöhte Transaminasen in Folge einer persistierenden Lösungsmittelexposition als Autolackierer" (Bericht Dr. R. vom 18. Januar 2002). Auf diesen Zeitpunkt ist der Krankheitsbeginn zu datieren. Der Krankheitsverlauf deckt sich mit einer Erkrankung durch Isocyanate.

Die Testergebnisse auf spezifische IgE- oder IgG-Antikörper verliefen beim Kläger unterschiedlich. Ein positives Testergebnis lag z.B. bei Prof. Dr. N. vor, nicht jedoch bei Prof. Dr. D ... Dieser weist jedoch darauf hin, dass der Verlauf der Test-Ergebnisse mit der Exposition übereinstimmt, da in den Jahren 2002 und 2004 die Testergebnisse positiv und ab 2005 die RAST-Untersuchung auf TDI durchweg negativ ausfielen. Das Verschwinden spezifischer IgE-Antikörper gegenüber dem Isocyanat TDI ist durch die seit Februar 2003 bestehende Expositionskarenz bestätigt und muss als weiteres Indiz für eine beruflichen Ursachenzusammenhang gesehen werden.

Dr. H. berichtete im September 2001, laut Angaben des Klägers hätte ein Peak Flow Protokoll keine eindeutige Korrelation zu der beruflichen Tätigkeit erbracht. Dies spricht jedoch entgegen der Ansicht der Beklagten nicht zwangsläufig gegen das Vorliegen einer Berufskrankheit, da sich die Atembeschwerden bisweilen erst einige Stunden nach der Exposition verstärken können, worauf Prof. Dr. D. in seinem Gutachten hinweist.

Nicht untypisch ist nach Darlegung des Sachverständigen, dass sich die Atemwegsbeschwerden nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zwar stabilisierten, jedoch keine wesentliche Besserung eingetreten ist. Nach Beendigung der Exposition gegenüber Isocyanaten bilden sich die respiratorischen Symptome nur in etwa der Hälfte der Fälle wieder vollständig zurück (s.a. Merkblatt zur BK Nr. 1315, a.a.O.).

Das zunächst negative Ergebnis eines am 25. Juni 2002 erfolgten arbeitsplatzbezogenen inhalativen Provokationstest wurde vom Gutachter ebenfalls bewertet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nach der Anamnese zuvor zwei Wochen im Urlaub war und in der Nacht nach der Exposition Schlafstörungen aufgetreten sind. Der Test ist im Übrigen nur eingeschränkt zu beurteilen, da die Art des Isocyanats, das zur Exposition gelangte, sowie die Intensität nicht dokumentiert sind. Insoweit können aus dem Testergebnis keine bzw. nur eingeschränkt Rückschlüsse gezogen werden.

Konkurrierende Faktoren für die Entstehung der obstruktiven Atemwegserkrankung sind zwar zu diskutieren, greifen jedoch nicht durch. Zum einen besteht, worauf auch Prof. Dr. N. hinwies, eine nachweisbare Sensibilisierung gegen Schimmelpilze. Soweit der die Beklagte beratende Arzt Dr. W. auf eine mögliche Schimmelpilzsporen-Exposition bei den Baumfällarbeiten, weswegen sich der Kläger bei dem Allergologen Dr. H. vorgestellt hätte, hinweist, stellt dies nur eine nicht belegte Vermutung dar. Schimmelpilzsporen treten vielerorts auf. Diagnostisch wäre bei Auftreten mit Baumfällarbeiten eine belastungsabhängige Atemnotsymptomatik zu erwarten, die jedoch nicht aufgetreten war. Insgesamt ist die klinische Bedeutung der Sensibilisierung gegenüber Schimmelpilzen unklar, worauf auch Prof. Dr. N. verweist. Die Beschwerdesymptomatik und der Verlauf der Erkrankung sind hingegen mit einer Erkrankung durch Isoyanate vereinbar.

Ebenfalls unwahrscheinlich ist ein Zusammenhang mit den Rauchgewohnheiten des Klägers, auf die der im Verwaltungsverfahren gehörte Gutachter Dr. M. abstellte. Eine typische Rauchererkrankung im Sinne einer chronisch obstruktiven Bronchitis ist beim Kläger nicht festgestellt worden. Zwar ist gemäß vorliegenden Studien eine bronchiale Hyperreagilibität als Begleitphänomen beim Rauchen möglich, doch handelt es sich dann regelmäßig um eine Mischform einer chronischen Bronchitis und einem versteckten Asthma bronchiale. Die klägerische Angabe, dass er im Jahre 2001 mit dem inhalativen Rauchen aufgehört habe, wird durch nachfolgende Untersuchungsergebnisse bestätigt, bei denen sich kein Hinweis auf aktiven Rauchkonsum ergab.

Nach Überzeugung des Senats ist deshalb eine bronchiale Überempfindlichkeit sowie ein Asthma bronchiale mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch den beruflichen Kontakt mit Isocyanat anzunehmen. Dem steht auch nicht das Gutachten des Prof. Dr. N. entgegen, der ausdrücklich darauf hinweist, keine Stellungnahme zur Kausalität zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung abgegeben zu haben.

Die weitere Voraussetzung der Berufskrankheit nach Nr. 1315 der Anlage zur BKV ist aufgrund der Aufgabe der belastenden Tätigkeit ab 1. Februar 2003 gegeben. Die Höhe der MdE ist nach den insoweit einheitlichen Gutachten des Prof. Dr. N. , Dr. S. sowie Prof. Dr. D. mit 20 v.H. anzunehmen. Die weitere Frage, ob sich dies auch aufgrund der Anerkennung der Berufskrankheit durch den streitgegenständlichen Bescheid ergibt, wie dies von Prof. Dr. N. angenommen wurde, kann deshalb dahingestellt bleiben, da auch Prof. Dr. N. bei der Bewertung der MdE auf das konkrete Beschwerdebild abstellte, das sich durch eine asthmoide Reaktion und eine bronchiale Hyperreagibilität äußert.

Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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