L 1 U 5547/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 2608/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 5547/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 12. September 2006 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die gesundheitlichen Auswirkungen einer Hirnblutung des Klägers Folgen eines landwirtschaftlichen Unfalls sind.

Der 1937 geborene Kläger war am 16.04.2004 als Helfer im landwirtschaftlichen Betrieb seines Neffen, des Landwirts J. H. jr. (J.H.jr), auf dem Feld beim Setzen von Kartoffeln tätig. Auf dem Feld befanden sich noch die Eltern von J.H.jr., A. H. (A.H.) und J. H. sen. (J.H. sen). Der Kläger und A.H. saßen auf den speziellen Sitzen der Setzmaschine, die von dem von J.H. sen. gesteuerten Traktor über den Acker gezogen wurde. Während einer Fahrtunterbrechung transportierte der Kläger die Setzkartoffeln von dem am Ackerrand abgestellten landwirtschaftlichen Anhänger in einer Kiste zu der am Schlepper angebrachten Setzmaschine, um sie mit Setzlingen frisch aufzufüllen. J.H. sen. und A.H. befanden sich am anderen Ende des Schleppers, als A.H. beobachtete, dass der Kläger auf dem Wiesenstreifen am Ackerrand zwischen Anhänger und Setzmaschine lag und gerade wieder im Aufstehen begriffen war. Sie half ihm beim Aufstehen. Der Kläger zeigte J.H. und A.H. sen eine Prellung an der Wade und setzte danach seine Tätigkeit fort.

Am Abend rief der Kläger von zu Hause den ärztlichen Notdienst wegen Kopfschmerzen an, die er gegenüber dem zuständigen Arzt Dr. S. darauf zurückführte, dass er sich bei dem Sturz am Nachmittag den Kopf angeschlagen habe. Weiteres wurde nicht veranlasst. Der Kläger erhielt von seiner Ehefrau Kopfschmerztabletten. Am übernächsten Tag, am Sonntag den 18.04.2004, unternahm der Kläger mit seinen Enkelkindern am Vormittag eine Radtour. Um 17:00 Uhr suchte er die chirurgische Abteilung des Kreiskrankenhauses Ehingen auf. Der Durchgangsarzt Dr. S. dokumentierte in seinem Durchgangsarztbericht vom 19.04.2004 die Angaben, der Kläger sei am 16.04.2004 gegen 17:00 Uhr beim Anpflanzen von Kartoffeln auf dem Acker vom Sähgerät gestürzt und auf die linke Schädelhälfte gefallen. Als Befund erhob Dr. S. eine fünf Zentimeter lange Schürfwunde mit Hämatom an der Wade links, keine äußerlichen Verletzungszeichen am Schädel oder neurologische Auffälligkeiten und einen unauffälligen Röntgenbefund des Schädels. Dr. S. diagnostizierte eine Schädelprellung und Schürfwunde an der linken Wade. Der Kläger begab sich wieder nach Hause, nachdem in der Klinik keine weiteren diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen ergriffen wurden.

Um 22:30 Uhr am 18.04.2004 wurde der Notarzt Dr. R. alarmiert und diagnostizierte nach dem Eintreffen in der Wohnung des Klägers eine Gehirnblutung unter Marcumar mit rechtsseitiger Halbseitenlähmung und Sprachstörung. Es erfolgte die sofortige Einweisung ins Bundeswehrkrankenhaus U., wo eine intracerebrale Blutung links frontal diagnostiziert wurde. Der Kläger wurde am gleichen Tag zur Ausräumung der intracerebralen Blutung operiert. Er befand sich zur stationären Behandlung bis 21.05.2004 im Bundeswehrkrankenhaus U., danach zur Rehabilitation im Fachkrankenhaus N. vom 21.05.2004 bis 10.11.2004, von wo er in die Rehabilitationsklinik B. S. zur vollstationären Dauerpflege verlegt wurde.

Die Beklagte veranlasste Ermittlungen durch ihren Außendienst. Der Außendienstmitarbeiter hörte den Neffen des Klägers, befragte das Ehepaar A.H. und J.H. sen. und erstattete hierüber die Berichte vom 07.09., 28.09. und 21.10.2004 zu den Arbeitsabläufen und dem Sturz auf dem Kartoffelacker. Im Gutachten von Privatdozent Dr. K. von 11.11.2004 wurde die beim Kläger diagnostizierte Hemiparese rechts mit Aphasie (zentrale Sprachstörung) auf die intracerebrale Blutung links fronto-parietal zurückgeführt. Es könne aktuell nicht entschieden werden, ob überhaupt ein Unfall stattgefunden habe. Die niedrigen Quick-Werte bei Marcumar-Einnahme könnten im Zusammenhang mit einer hypertonen Phase eine spontane intracerebrale Blutung ausgelöst haben, die eine kurze Bewusstlosigkeit zur Folge gehabt hätte. Im Rahmen dieser Bewusstlosigkeit könne der Kläger zu Boden gegangen sein und sich die Schürfung an der Wade zugezogen haben. Eine typische traumatische Blutung wäre eher ein subdurales Hämatom.

Mit Bescheid vom 24.11.2004 lehnte die Beklagte die Feststellung eines Arbeitsunfalls ab. Es spreche mehr dafür als dagegen, dass die festgestellten Krankheitserscheinungen aus innerer Ursache entstanden seien. Es lasse sich weder ein Arbeitsunfall mit der notwendigen Sicherheit feststellen, noch sei hinreichend wahrscheinlich, dass durch das Ereignis am 16.04.2004 eine Hirnblutung verursacht worden sei.

Hiergegen legte der Kläger über seinen von der zur Betreuerin bestellten Ehefrau beauftragten Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein. Zur Begründung wurde ausgeführt, im Durchgangs¬arztbericht sei ein Sturz auf die linke Schädelhälfte angegeben, was nur auf den Angaben des Klägers beruhen könne. Der Kläger habe am 18.4.2004 auf der Radtour einen Bekannten getroffen, dem er berichtet habe, dass er am Freitag vom Legegerät gefallen und mit dem Kopf auf der Erde aufgeschlagen sei. Auch der hinzugezogene Notarzt Dr. R. habe die zunehmende Ausdehnung der Blutung und Verdrängung der Gehirnmasse auf den zwei Tage zurückliegenden Sturz zurückgeführt. Die Beklagte zog die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft U. (21 Js 12.794/04), die auf die Anzeige der Familie des Klägers gegen Dr. S. wegen unterlassener Hilfeleistung/Körperverletzung angefallen ist, bei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.2005 änderte sie den angefochtenen Bescheid vom 24.11.2004 insoweit ab, als sie das Ereignis am 16.04.2004 als landwirtschaftlichen Arbeitsunfall anerkannte und als Unfallfolge eine Prellung der linken Wade, welche keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) hinterlassen habe, feststellte. Nicht als Folgen des Unfalls wurden anerkannt eine Schädelprellung, Gehirnblutung mit daraus folgendem Hirnschaden sowie Halbseitenlähmung rechts, Harn- und Stuhlinkontinenz. Die Gewährung eine Rente wurde abgelehnt. Insoweit wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der Kläger habe am 16.4.2004 einen Unfall i. S. des Gesetzes erlitten, der zu dem Körperschaden einer Prellung der linken Wade geführt habe. Das Vorliegen einer inneren Ursachen wegen einer spontanen Gehirnblutung sei nach dem Gutachten zwar möglich, jedoch nicht wahrscheinlich. Hierdurch seien jedoch nicht alle Gesundheitsschäden automatisch Folgen des Arbeitsunfalls. Nach den getroffenen Feststellungen sei ein Sturz auf den Kopf nicht nachgewiesen, weder habe der Kläger selbst entsprechende Angaben gemacht, noch seien Verletzungszeichen am Kopf festzustellen gewesen. Die Ursache der Gehirnblutung habe nicht geklärt werden können.

Der Kläger hat am 06.05.2005 Klage beim Sozialgericht R. erhoben, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 22.07.2005 an das örtlich zuständige Sozialgericht Ulm verwiesen hat.

In dem von Amts wegen eingeholten Gutachten vom 19.01.2006 hat der Sachverständige Prof. Dr. Dr. W. die nach Untersuchung des Klägers diagnostizierte globale Aphasie sowie eine komplette Halbseitenlähmung rechts als Folge der Hirnblutung beurteilt, die im wesentlichen durch den Arbeitsunfall am 16.04.2004 verursacht worden sei. Auf Grund der vorgenommenen telefonischen Befragung der damals auf dem Feld ebenfalls anwesenden Enkel des Klägers im damaligen Alter von sieben und fünf Jahren, die im Gegensatz zu den anwesenden Erwachsenen den Unfall beobachtet hätten, sei davon auszugehen, dass der Kläger auf den Metallsitzen der Setzmaschine gestanden habe, um die Kartoffelkiste in den Behälter des Legegeräts zu leeren. Dabei habe er das Gleichgewicht verloren und sei nach unten gefallen. Am Abend des Unfalltages sei es zu Kopfschmerzen gekommen, die sich nach Einnahme von ein oder zwei Aspirin gebessert hätten. Am darauf folgenden Tag sei von keinen weiteren Beschwerden berichtet worden. Nach dem Fahrradausflug am Sonntag seien nach dem Mittagessen Wortfindungsstörungen und eine leichte Halbseitensymptomatik aufgetreten, die am Spätnachmittag bei der Vorstellung beim Durchgangsarzt einen nur gering beeinträchtigten Eindruck vermittelten. Eine akute Verschlechterung am Abend habe zur Hinzuziehung des Notarztes und zur Einweisung in die Neurochirurgische Abteilung des Bundeswehrkrankenhaus U. geführt. Ausgehend von diesem Verlauf seien die eindeutig dokumentierten Kopfschmerzen am Abend des 16.04.2004 als Brückensymptomatik ein eindeutiger Beleg für eine zerebrale Beteiligung infolge des Sturzes. Da es sich um eine Frontalhirnblutung gehandelt habe, sei es anatomisch nachvollziehbar, dass eine im Frontalhirn lokalisierte Schädigung weder motorische Ausfälle noch Bewusstseinsstörungen verursache. Entsprechende Beschwerden seien erst mit zunehmendem Hirndruck wegen der Raumforderung durch weitere Blutungen aufgetreten, als weiter hinten liegende Hirnstrukturen gequetscht worden seien. Damit sei der Einwand zum beschwerdefreien Tag nach dem Unfall nicht ausgeräumt. Auf Grund des Verlaufs sei davon auszugehen, dass die Fahrradfahrt am Sonntag die bis dahin nur geringfügige Blutung zum Explodieren gebracht habe. Nach der dokumentierten Erstsymptomatik mit Kopfschmerzen am Freitag spreche aber mehr dafür als dagegen, dass die Exacerbation der Blutung am Sonntag durch die Fahrradfahrt nicht aufgetreten wäre, wenn es nicht bereits zwei Tage zuvor zu einer ersten traumatischen Schädigung der zerebralen Blutgefäße gekommen wäre. Man könne spekulieren, ob die zusätzliche Aspirin-Einnahme die Blutgerinnungssituation weiter verschlechtert habe, was für die Zusammenhangsbeurteilung aber nicht mehr weiter relevant sei. Die MdE belaufe sich auf 100 v.H. ab dem Unfalltag.

Mit Urteil vom 12.09.2006 hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids abgeändert und die Beklagte verurteilt, die Schädelprellung, Hirnblutung mit folgendem Hirnschaden sowie Halbseitenlähmung, Harn- und Stuhlinkontinenz als Folge des Arbeitsunfalls anzuerkennen und Leistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Das Gericht hat sich zur Begründung auf das Gutachten des Sachverständigen gestützt. Es sei nicht zwingend, dass eine Gehirnblutung lediglich an der Stelle des vermutlichen Aufpralls entstehe, da die durch den Aufprall ausgelösten weitergehenden Erschütterungen auch andere Stellen des Gehirns betreffen könnten, an denen dann Blutungen auftreten.

Gegen das der Beklagten am 11.10.2006 zugestellte Urteil hat sie am 06.11.2006 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, ein frontales Hirntrauma habe nicht stattgefunden, da der Kläger rückwärts auf den weichen Wiesenboden gefallen sei. Die Schlussfolgerung des Sachverständigen sei daher hypothetisch. Nach dem Gutachten von Dr. K. sei bei Einlieferung in das Bundeswehrkrankenhaus der Quick-Wert des Klägers überaus niedrig gewesen, weshalb eine Operation erst nach Stabilisierung des Gerinnungswerts habe erfolgen können. Der Nachweis für eine unfallbedingte Entstehung der Hirnblutung sei nicht geführt. Entgegen den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils sei nicht die haftungsausfüllende Kausalität streitig. Diese könne erst geprüft werden, wenn die Voraussetzungen der haftungsbegründenden Kausalität erfüllt seien. Es sei nicht nachgewiesen, welche Verletzungen sich der Kläger bei dem Sturz neben der Schürfwunde an der Wade zugezogen habe. Ob er sich den Kopf angeschlagen habe, sei durch die Aussagen der Zeugen nicht geklärt. Wenn überhaupt sei allenfalls von einem minimalen Aufprall auszugehen, denn normal seien Abstützreaktionen und der Sturz erfolgte auf den weichen Wiesenboden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts U. vom 12.09.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise ein rechtsmedizinisches Gutachten zur Ursache der Hirnblutung einzuholen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten gehe Prof. Dr. Dr. W. nicht von falschen Tatsachen aus. Ein frontales Hirntrauma ergebe sich aus dem Durchgangsarztbericht vom 19.04.2004, wo ein Sturz auf die linke Schädelhälfte angegeben sei. Im Gutachten von Dr. K. sei außerdem als Diagnose eine Gehirnblutung "fronto-parietal", also im seitlichen Stirnbereich angeführt. Ein Sturz auf weichen Wiesenboden habe ebenfalls nicht vorgelegen, denn der Boden sei völlig ausgetrocknet und steinhart gewesen. Die von Prof. Dr. Dr. W. beschriebene Brückensymptomatik werde im Gutachten von Dr. K. nicht berücksichtigt, der sogar einen Sturz bezweifle bzw. negiere. Der Prozessbevollmächtigte verweist darauf, dass der Kläger, solange er noch bei Bewusstsein gewesen sei, gegenüber seinem Bekannten und Dr. S. von einem Anschlagen des Kopfes berichtet habe.

Der Senat hat die Verwaltungsakte, die als "unregistered" ImageXL in Kopie vorgelegt worden ist, und die Akte des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen sowie auf die beim Senat angefallene Berufungsakte wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, Berufungsausschlussgründe gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden, denn die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des Klägers sind Folgen des Arbeitsunfalls vom 16.04.2004.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2 , 3 , 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII ). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, B 2 U 40/05 R, B 2 U 26/04 R).

Das Ereignis am 16.04.2004 ist von der Beklagten als Arbeitsunfall anerkannt worden. Der insoweit dem Widerspruch stattgebende Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 07.04.2005 hat dies bestandskräftig festgestellt. Ob der Sturz des Klägers auf innerer Ursache wegen einer hypertonen Krise beruht haben könnte, ist rechtlich nicht mehr von Belang.

Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen Hirnschaden, Halbseitenlähmung, Harn- und Stuhlinkontinenz sind Folgen der diagnostizierten Hirnblutung, was zur Überzeugung des Senats feststeht und zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist. Diese Gesundheitsstörungen sind ebenfalls zur Überzeugung des Senats auch Unfallfolgen, was das Sozialgericht zu Recht festgestellt hat.

Zur Feststellung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung in Folge eines Versicherungsfalles muss zwischen dem Unfallereignis und den geltend gemachten Unfallfolgen entweder mittels des Gesundheitserstschadens oder direkt ein Ursachenzusammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen.

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. dazu nur Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl. 2006, Vorb. v § 249 RdNr. 57 ff mwN sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.

Da Verschulden bei der Prüfung eines Versicherungsfalles in der gesetzlichen Unfallversicherung unbeachtlich ist, weil verbotswidriges Handeln einen Versicherungsfall nicht ausschließt (§ 7 Abs 2 SGB VII), erfolgt im Sozialrecht diese Unterscheidung und Zurechnung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Nach dieser werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (grundlegend: Reichsversicherungsamt, AN 1912, S 930 f; übernommen vom BSG in BSGE 1, 72, 76; BSGE 1, 150, 156 f; st.Rspr. vgl. zuletzt BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15, jeweils RdNr 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG SozR Nr. 69 zu § 542 aF RVO; BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO; vgl. Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8 RdNr. 314, Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Kap 1.3.6.1, S 80 f). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (BSGE 12, 242, 245 = SozR Nr 27 zu § 542 RVO; BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO). Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (BSGE 62, 220, 222 f = SozR 2200 § 589 Nr 10; BSG SozR 2200 § 548 Nr 75; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15 jeweils RdNr 11). Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62, 220, 222 f = SozR 2200 § 589 Nr 10; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15 jeweils RdNr 11; ähnlich Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO). Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der Gelegenheitsursache durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem vom LSG offenbar gezogenen Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung, wie sie vom LSG im Fall des Klägers angenommen wurden, ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne weiteres zu unterstellen ist (vgl. insgesamt zum Vorstehenden BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, B 2 U 40/05 R, B 2 U 26/04 R).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Dies wird häufig bei einem klar erkennbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, vor allem wenn es keine feststellbare konkurrierende Ursache gibt, kein Problem sein. Aber es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSGE 19, 52 = SozR Nr 62 zu § 542 aF RVO; BSG Urteil vom 7. September 2004 - B 2 U 34/03 R; zu Berufskrankheiten vgl § 9 Abs 3 SGB VII). Für die Feststellung dieses Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (stRspr BSGE 19, 52 = SozR Nr 62 zu § 542 aF RVO; BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr 15 zu § 1263 aF RVO; BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vo 09.05.2006 a.a.O. mH auf BSG SozR Nr 41 zu § 128 SGG; BSG SozR Nr 20 zu § 542 aF RVO; BSGE 19, 52 = SozR Nr 62 zu § 542 aF RVO; BSG SozR 3-1300 § 48 Nr 67; Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO, Kap 1.8.2, S 119 f; Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 128 RdNr 3c). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß iS des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 mwN).

Nach diesen Grundsätzen ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger bei dem Sturz am 16.04.2004 den Kopf angeschlagen hat, was unmittelbar zu dem in diesem Sinne Gesundheitserstschaden einer traumatischen Schädigung der zerebralen Blutgefäße im Frontalhirnbereich geführt hat.

Diesen Unfallverlauf hat der Kläger bereits am Abend des Unfalltages dem Notdienstarzt Dr. S. geschildert, der sich bei seiner Vernehmung durch die Polizei am 28.10.2004 an den Anruf noch erinnern konnte, wenn er auch nicht mehr mit Sicherheit hat angeben können, wann der Anruf erfolgte und ob er mit dem Kläger selbst oder einem Angehörigen gesprochen hat. Er hat aber mit Bestimmtheit ungefragt noch angeben können, dass es sich um einen landwirtschaftlichen Unfall handelte und der Anrufer auf Nachfrage einen Sturz auf den Kopf bestätigte. Dies deckt sich mit den Aussagen der Ehefrau des Klägers, die laut ihrer Aussage bei der Polizei am 23.07.2004 erst durch den Anruf ihres Ehemannes beim ärztlichen Notdienst von dem Sturz erfahren hat. Eine gleich lautende Unfallschilderung hat der Kläger auch gegenüber dem Durchgangsarzt Dr. S. am 18.04.2004 abgegeben, der im Durchgangsarztbericht einen Sturz auf die linke Schädelhälfte vermerkt hat. Diese Einzelheit kann nur vom Kläger selbst stammen. Dass der Kläger unmittelbar nach dem Sturz auf dem Acker den anwesenden Verwandten nichts von dem Anschlagen des Kopfes erzählt hat, ist bei lebensnaher Betrachtung damit zu erklären, dass er dem selbst keine Bedeutung beigemessen hat, weil er aus seiner Sicht bis dahin noch keine hierauf rückführbare Beschwerden hatte. Er hat weitergearbeitet und zunächst sogar seiner Ehefrau nichts von dem Sturz erzählt.

Auf die vom Sachverständigen telefonisch eingeholten Auskünfte des Enkels des Klägers zum Hergang des Sturzes stellt der Senat nicht ab, weshalb auch offen bleiben kann, ob diese im Gutachten erwähnten Umstände ohne Vernehmung des Enkels durch den Senat in das Verfahren hätten eingeführt und verwertet werden können.

Die nachgewiesene diagnostizierte Gefäßschädigung im Hirngewebe ist zur Überzeugung des Senats auch mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit durch den Sturz entstanden. Der Sachverständige Prof. Dr. Dr. W. hat nachvollziehbar ausgeführt, dass die am Abend des Unfalltages aufgetretenen Kopfschmerzen hinreichende Brückensymptome für die zuvor stattgefunde Läsion von Hirngewebe und der später eingetretenen neurologischen Symptomatik sind. Die im frohto-parietalen Stirnbereich aufgetretene Hirnblutung (vgl. auch Gutachten von Dr. K. vom 11.12.2004) verursachte keine motorischen oder neurologischen Ausfälle, da die Raumforderung aus der Blutung noch keine hierfür maßgeblichen Hirnstrukturen bedrängte. Andererseits ist zur Überzeugung des Senats die Tatsache, dass der Kläger wegen der aufgetretenen Kopfschmerzen einen Arzt angerufen hat, ein deutlicher Hinweis darauf, dass er selbst die Kopfschmerzen nicht als normal, z. B. als blutdruckbedingt, angesehen hat. Bei der für den Senat erkennbaren Struktur des Klägers, der trotz erkennbarer Ausfälle erst am Abend des 18.04.2004 auf Drängen der Familie einen Arzt aufsuchte und seinen Angehörigen anfangs nichts von dem Sturz und seinen Beschwerden gesagt hat - so die Aussage seines Sohnes und der Ehefrau bei der Polizei - , wäre der von ihm eigeninitiativ unternommene Anruf am 16.04.2004 beim Notdienstarzt Dr. S. nicht erfolgt, wäre er von Kopfschmerzen, wie sie alltäglich auftreten können, ausgegangen. Es ist unwahrscheinlich, dass der Kläger nur wegen allgemeiner, auf seiner Herz-Kreislauferkrankung beruhender Kopfschmerzen einen Arzt zu Rate gezogen hätte, zumal die Ehefrau glaubhaft versichert hat, der Kläger habe zuvor keine Kopfschmerzen gehabt. Dazu passt ihre Aussage, der Ehemann habe sie nach Kopfschmerztabletten gefragt, was bei häufiger vorkommender Kopfschmerzbehandlung mit Tabletten eher ungewöhnlich wäre. Auch diese Umstände sprechen daher für die von Prof. Dr. Dr. W. vertretene Auffassung, dass die Kopfschmerzen ihrer Natur nach Symptome der einsetzenden Hirnblutung waren.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, der Sturz könne keine Blutung im Frontalgehirn ausgelöst haben bzw. der Aufschlag sei wegen des Wiesenbodens nicht stark genug gewesen. Die vom Sozialgericht angestellten Überlegungen zur Erschütterung des gesamten Gehirns beim Aufschlag auf den Boden hält auch der Senat für überzeugend, zumal ein seitlicher Anstoß angegeben und später Blutungen frontal-parietal diagnostiziert worden waren. Es widerspricht nicht der täglichen Lebenserfahrung, dass ein Sturz auf ebenem Boden bei einem Versicherten, der blutgerinnungshemmende Mittel eingenommen hat, auch bei weichem Wiesenboden Erschütterungen auszulösen vermag, die zu Schäden an Blutgefäßen des Gehirns führen. Prof. Dr. Dr. W. hat hieran aus fachlicher Sicht keine Zweifel, was den Senat überzeugt. Ob Abstützreaktionen unterblieben sein müssen, kann dahinstehen. Einen anderen Sturzverlauf hat die Beklagte nicht bewiesen. Selbst bei einem Sturz auf ebenem Boden – und nicht von den Metallsitzen der Legemaschine – ist ein Aufschlagen des Kopfes auf dem Boden noch heftig. Ob Abstützreaktionen unterblieben oder nur unzureichend unternommen werden konnten, z. B. weil der Kläger beim Tragen der Kiste mit den Setzkartoffeln an einer schnellen Reaktion gehindert war, ist nicht aufzuklären, denn keiner der Erwachsenen hat den eigentlichen Unfall beobachtet. Der damals sieben Jahre alte Enkel hat hierzu gegenüber dem Sachverständigen keine Angaben gemacht, seine Angaben stehen im Übrigen auch im Widerspruch zu den unfallnahen Angaben von A.H. und J.H.sen., die weder ein Stehen auf den Metallsitzen noch von infolge des Sturzes ausgeschütteten Kartoffeln berichtet haben.

Zwar ist nach Prof. Dr. Dr. W. die Krise mit neurologischen Ausfällen erst im Zusammenwirken mit der körperlichen Anstrengung der Radtour eingetreten, doch ist nach seiner nachvollziehbaren Schlussfolgerung die Exacerbation der Hirnblutung ohne das Initialereignis des Sturzes nicht denkbar gewesen. Eine Kausalität im Sinne der conditio sine qua non ist für den Unfall daher zu bejahen. Ihm kommt auch auf der zweiten Ebene der Kausalitätsprüfung die Wertung als wesentliche Bedingung zu in Abgrenzung von den konkurrierenden Mitursachen "Radtour" und "Marcumar-Medikation", die nicht unfallbedingt sind. Es ist weder erkennbar geworden, dass eine unfallvorbestehende, durch jede alltägliche Belastung leicht ansprechbare Erkrankung bestand, noch, dass der Sturz nur mit einer Belastung des Gehirngewebes einhergegangen ist, wie sie auch bei alltäglichen Verrichtungen auftreten kann. Dem Kläger war vor dem Unfall die körperliche Anstrengung der Feldarbeit oder beim Radfahren nicht ärztlich untersagt, auch sind gesundheitliche Beschwerden bei vergleichbarer Belastung nicht bekannt geworden. Eine auf Alltagsbelastungen leicht ansprechbare Vorerkrankung ist daher insoweit nicht nachgewiesen. Es spricht nichts dafür, dass der Kläger die Gehirnblutung ohne das Sturzereignis aufgrund der Radtour (unter der seit Jahren bestehenden Marcumarisierung) erlitten hätte. Das Sturzereignis selbst ist in der Intensität der Einwirkung auf das Hirngewebe nicht mit einer Alltagsbelastung vergleichbar. Die Zusammenhangsbeurteilung von Prof. Dr. Dr. W. war für den Senat somit überzeugend.

Der Senat hat daher keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen gesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor
Rechtskraft
Aus
Saved