Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 KR 44/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 39/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 12/07 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Rev. erledigt duch Zurücknahme
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 15.08.2005 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Versorgung des Klägers mit einer Teilhandprothese (Epithese).
Infolge einer Kriegsverletzung verlor der 1966 geborene Kläger, der iranischer Herkunft ist, die Finger 2 - 4 der linken Hand. Er lebt seit ende der 80er Jahre in Deutschland und hat vorübergehend als Taxifahrer gearbeitet.
Unter Vorlage einer Verordnung des Orthopäden Dr. L vom 21.02.2002 beantragte der Kläger die Bewilligung einer Teilhandprothese, deren Kosten sich ausweislich des Kostenvoranschlags der Firma Orthopädietechnik L1 vom 16.07.2002 auf 8.712,39 Euro beliefen. Nachdem die Beklagte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 14.08.2002 eingeholt hatte, lehnte sie den Antrag mit Bescheid vom 28.08.2002 ab und führte zur Begründung aus, die Prothese diene nicht dem Ausgleich einer Behinderung, sie verschaffe keinen funktionellen, vielmehr nur einen optischen Ausgleich. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte zunächst mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2003 zurück. Diesen Bescheid hob sie später wieder auf, da es sich nicht um einen Bescheid des Widerspruchsausschusses gehandelt habe und wies sodann den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2003 zurück.
Hiergegen richtete sich die bereits am 20.03.2003 erhobene Klage, mit der der Kläger sein Begehren weiter verfolgte. Er wies insbesondere auf ständige Belastungsbeschwerden im linken Handgelenk hin.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2003 zu verurteilen, ihm eine Teilhandprothese links zur Verfügung zu stellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Eine telefonische Nachfrage vom Juli 2003 bei der Firma P als Hilfsmittelhersteller habe ergeben, dass mit der Epithese kein aktiver Funktionsausgleich der Finger möglich sei, der Zangengriff werde lediglich verbessert. Eine weitere MDK-Stellungnahme des Dr. H von Februar 2004 habe ergeben, dass bei einer alle zwei Jahre erforderlichen Nachversorgung die Prothesenversorgung mit einem im Wesentlichen nur optischen Behinderungsausgleich unwirtschaftlich sei. Soweit die Prothesenversorgung der beruflichen Wiedereingliederung dienen sollte, komme die Leistungszuständigkeit anderer Versicherungsträger in Betracht.
Das Sozialgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (Urteil vom 15.08.2005). Der Anspruch ergebe sich aus § 33 Abs. 1 des Sozialgesetzbuch (SGB) V, da die Prothese zum Ausgleich einer Behinderung erforderlich sei. Erforderlich bedeute ausreichend, zweckmäßig und notwendig und damit wirtschaftlich im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Die Rechtsprechung habe die Hilfsmittelversorgung dahingehend konkretisiert, dass bei einem unmittelbar auf den Ausgleich der beeinträchtigenden Organfunktion selbst gerichteten Hilfsmittel, insbesondere einem künstlichen Körperglied, diese Voraussetzung gegeben sei. Hingegen würden nur mittelbar oder nur teilweise die Organfunktion ersetzende Mittel lediglich dann als Hilfsmittel im Sinne der Krankenversicherung angesehen, wenn sie die Auswirkungen der Behinderungen nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich, sondern im gesamten täglichen Leben beseitigten oder milderten und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens befriedigten. Da die Teilhandprothese die fehlenden drei Finger der linken Hand ersetze, gleiche sie eine Behinderung unmittelbar aus, so dass es nicht darauf ankomme, ob ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen sei. Der Einsatz der Epithese sei unmittelbar medizinische Rehabilitation, der das Hilfsmittel diene. Sie sei auch erforderlich, denn ohne diese könne der Kläger weder den Drei-Punkt-Griff, der 60 v. H. seiner Griffmöglichkeiten ausmache, noch den Schlüsselgriff, den Kugelgriff und den Klammergriff ausüben. Mit der Prothese könne er den Fingerkuppengriff und den Faustgriff wesentlich besser ausüben. Dies habe die Firma P in ihrer Auskunft vom 14.11.2003 mit entsprechenden bildlichen Darstellungen belegt. Auch der vom Gericht gehörte Sachverständige H O habe in seinem Gutachten vom 01.06.2004 diese Darstellungen aus orthopädischer Sicht bestätigt. Der Umstand, dass der insgesamt erzielbare Funktionsausgleich bezüglich Feinmotorik und Greiffunktion wegen der nur passiven Beweglichkeit der in den Kunstfingern enthaltenen Metallgelenke nur gering bis mittelgradig sei, hebe die Erforderlichkeit nicht auf. Es würden eine wesentliche Greiffunktion, nämlich der Drei-Punkt-Griff und drei weitere Greiffunktionen überhaupt erst möglich gemacht und zwei weitere Greiffunktionen verbessert. Die Erforderlichkeit könne auch nicht mit dem Argument verneint werden, der Kläger habe über 20 Jahre lang ohne Teilhandprothese leben können. Geeignete Silikonhandprothesen stünden erst neuerdings auf dem Hilfsmittelmarkt zur Verfügung. Die Teilhandprothese sei auch nicht unwirtschaftlich, denn sie sei keine von mehreren Behandlungsmöglichkeiten, von denen andere kostengünstiger seien. Sofern nur eine wirksame Behandlungsmethode zur Verfügung stehe, sei der Kostenfaktor unmaßgeblich.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 07.10.2005. Zu Unrecht gehe das Sozialgericht davon aus, dass es sich bei der Hilfsmittelversorgung um eine unmittelbare medizinische Rehabilitation handele und es deshalb nicht mehr darauf ankomme, ob ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens befriedigt werde. Bei der Epithese handele es sich um ein Körperersatzstück, welches die fehlenden drei Finger der linken Hand ersetze. Es seien aber Zweifel erlaubt, ob es sich damit zugleich auch um ein Hilfsmittel handele, welches der Zweckbestimmung des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V gerecht werde. Es handele sich bei der Epithese unstreitig um eine passive Prothese, die allein einen Ausgleich der durch die fehlenden Finger beeinträchtigten Funktionen der linken Hand nicht herbeizuführen vermöge, denn es bedürfe nach dem Ergebnis aller vorliegenden gutachtlichen Stellungnahmen stets der Zuhilfenahme der rechten Hand. Expressis verbis habe Dr. O in seinem Gutachten vom 01.06.2004 ausgeführt, der Kläger könne die geforderte Fingerstellung der linken Hand immer nur mit der rechten Hand korrigieren. Auf diese Gegebenheiten könne die Rechtsprechung zu § 33 SGB V und dem früheren § 182 b der Reichsversicherungsordnung (RVO), nach der bei einem künstlichen Körperglied ohne weiteres anzunehmen sei, dass eine medizinische Rehabilitation vorliege, nicht ohne weiteres übertragen werden. Mit Rücksicht auf die nur passive Einsatzmöglichkeit fehle es vorliegend gerade an jenen für Hilfsmittel in diesem Zusammenhang vorausgesetzten Eigenschaften, die einen unmittelbaren Ausgleich der beeinträchtigten Körperfunktionen allein durch den Einsatz des Hilfsmittels gewährleisteten, ohne dass es hierzu des Hinzutretens weiterer Umstände bedürfe. Selbst wenn man dieser Betrachtungsweise nicht folgen würde, stünde dem Anspruch des Klägers entgegen, dass die beantragte Silikonteilhandprothese nicht erforderlich sei, denn dieses Merkmal setze voraus, dass die Behinderung nicht nur in einem unwesentlichen Umfang ausgeglichen werde. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Epithese allein der Verbesserung des Erscheingungsbildes dienen solle. Ungeachtet der erweiterten Greifmöglichkeiten, die sie dem Kläger einräume, weise Dr. O in seinem Gutachten vom 01.06.2004 darauf hin, dass der Einsatz der Prothese nicht zu einer wesentlichen Funktionsverbesserung führe. Darüber hinaus habe der Sachverständige Zweifel geäußert, ob der Kläger im täglichen Leben dazu in der Lage und gewillt sei, nach über 20 Jahren als Rechtshänder die bei Einsatz der Teilhandprothese unter Zuhilfenahme der rechten Hand regelmäßig erforderlichen Korrekturen immer wieder durchzuführen. Diese Bedenken würden sich erübrigen, wenn der Prothese ein eigenständiger Nutz- und Funktionswert zukäme. Angesichts dessen sei die Prothese auch nicht wirtschaftlich, denn es ließe sich keine begründbare Relation zwischen Kosten und Teilerfolg herstellen. Die Kosten beliefen sich auf 8.712,39 Euro, die Prothese müsse allein aus optischen Gründen alle zwei Jahre erneuert werden. Im Übrigen sei auch nur festzustellen, dass der Kläger selbst in dem bisherigen Verfahren die Notwendigkeit des von ihm beantragten Hilfsmittels durch substantiierten Sachvortrag nie ernsthaft behauptet habe. Dadurch werde die Beklagte in ihrer Auffassung bestärkt, dass die Prothese in erster Linie der Wiederherstellung des äußerlichen Erscheinungsbildes dienen solle.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 15.08.2005 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung seines Antrags bezieht der Kläger sich auf die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung. Er benötige die Prothese im täglichen Leben, sie werde ihm insbesondere auch bei der Vermittlung einer Arbeitsstelle helfen.
Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung den Mitarbeiter der Firma P, Herrn T, als sachverständigen Zeugen zur Funktionsweise der Teilhandepithese befragt. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 20.06.2007 wird dazu Bezug genommen.
Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte sowie den Vortrag der Beteiligten im Übrigen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung der streitigen Teilhandprothese verurteilt.
Hierzu verweist der Senat zunächst vollinhaltlich auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung, die er sich nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG).
Auch der Vortrag der Beklagten zur Begründung ihres Rechtsmittels führt zu keiner abweichenden Entscheidung. Die vor dem erkennenden Senat durchgeführte Beweisaufnahme in Form der Vernehmung des Mitarbeiters T der Firma P als sachverständiger Zeuge hat die Richtigkeit der sozialgerichtlichen Entscheidung bestätigt. Seine Ausführungen sind schlüssig und in sich widerspruchsfrei, so dass der Senat keine Veranlassung hat, diese Ausführungen seiner Entscheidung nicht zu Grunde zu legen. Danach ist entgegen der Auffassung der Beklagten davon auszugehen, dass die streitige Teilhandepithese in nennenswertem Umfang die Trage- und Greiffunktione der linken Hand und damit Grundbedürfnisse des täglichen Lebens teilweise ausgleicht oder zumindest erleichtert. Für diese Fälle hat das BSG ausgeführt, dass ein unmittelbarer Behinderungsausgleich anzunehmen sei, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion ermöglicht, ersetzt oder erleichtert (BSG, Urteil vom 06.06.2002, Az.: B 3 KR 68/01 R). Auf jeden Fall kann der Kläger mit der Teilhandprothese eine leichte Aktentasche oder vergleichbare Gegenstände tragen. Einen Koffer von 20 kg Gewicht halten die prothetischen Finger selber nicht, eine Verstärkung kann aber und wird auch in der Regel dadurch erreicht, dass der beim Kläger erhalten gebliebene gesunde Daumen die gebogenen prothetischen Finger mit abstützt. Dieser Griff ist zu verstehen wie der sogenannte Breitgriff mit dem die gebeugt positionierten Finger durch Übergreifen mit dem Daumen in der gebeugten Stellung blockiert werden. Dadurch ist ein deutlich festeres Zugreifen möglich als ohne Prothese. Beim Fingerkuppengriff kann durch eine starke Einlage ein Finger gebogen fixiert werden, um stärkere Haltemöglichkeiten zu erreichen. Der Vorteil des Drei-Punkt-Griffs liegt darin, dass eine dritte Auf- oder Anlagemöglichkeit besteht und damit z. B. Besteck oder Schreibstifte fixiert werden kann. Mit dem Schlüsselgriff wird eine größere Gegenauflagefläche gegenüber dem Daumen erreicht und auf diese Weise kann mehr Kraft entwickelt werden. Dem Tragen von Gegenständen ist jedoch an der Stelle eine Grenze gesetzt, an der der Daumen Gegenstände alleine halten kann. Der Kugelgriff, den die streitige Epithese auch ermöglicht, dient zum formschlüssigen Halten, wenn entsprechende kugelförmige Gegenstände gehalten werden müssen, wie z. B. Flaschen oder zylinderförmige Konservendosen. Darüber hinaus bietet die Prothese beim Lenken des Fahrzeugs auch den Vorteil, dass mit ihr nicht nur eine Auflagefläche vorhanden ist, sondern ein Formgriff, der das Lenkrad zumindest teilweise mit umschließt und somit die in diesem Fall linke Hand mehr fixiert. Anhaltspunkte dafür, dass Prothesen ähnlicher Art beim Führen eines Kraftfahrzeugs nachteilig sein können, bestehen nicht. Hingegen scheint es naheliegender zu sein, dass der Kläger durch den bei ihm noch vorhandenen aktiven Daumen gezielter Greifen und das Lenkrad festhalten kann, ohne Befürchten zu müssen, dass er es bei schneller Reaktion nicht rechtzeitig loslassen kann. Da somit Grundbedürfnisse des täglichen Lebens ausgeglichen werden, kommt es auf den Umstand, dass die Finger der linken Hand nur unter Zuhilfenahme der rechten Hand bewegt werden können, entgegen der Ansicht der Beklagten nicht streitentscheidend an. Wesentliche und deutliche Verbesserungen der Gebrauchsvorteile werden allein schon durch eine fixierte Stellung der Prothesenfinger erreicht. Gleiches gilt auch für die von der Beklagten geltend gemachten Zweifel, ob sich der Kläger nach einem 20-jährigen Gewöhnungsprozess des Greifens und Haltens ohne die Finger 2 - 4 der linken Hand noch nach erfolgter prothetischer Versorgung umstellen kann. Verletzte Patienten entwickeln Umgehungs- und Griffmuster, um die Behinderung auszugleichen. Im Regelfall führt das aber zu weitergehenden Überlastungen oder ungleichen Belastungen des ganzen Körpers, so dass davon auszugehen ist, dass die Prothese auch dieses Defizit ausgleicht und der Kläger sich auf die veränderte Situation zügig einstellen wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Versorgung des Klägers mit einer Teilhandprothese (Epithese).
Infolge einer Kriegsverletzung verlor der 1966 geborene Kläger, der iranischer Herkunft ist, die Finger 2 - 4 der linken Hand. Er lebt seit ende der 80er Jahre in Deutschland und hat vorübergehend als Taxifahrer gearbeitet.
Unter Vorlage einer Verordnung des Orthopäden Dr. L vom 21.02.2002 beantragte der Kläger die Bewilligung einer Teilhandprothese, deren Kosten sich ausweislich des Kostenvoranschlags der Firma Orthopädietechnik L1 vom 16.07.2002 auf 8.712,39 Euro beliefen. Nachdem die Beklagte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 14.08.2002 eingeholt hatte, lehnte sie den Antrag mit Bescheid vom 28.08.2002 ab und führte zur Begründung aus, die Prothese diene nicht dem Ausgleich einer Behinderung, sie verschaffe keinen funktionellen, vielmehr nur einen optischen Ausgleich. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte zunächst mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2003 zurück. Diesen Bescheid hob sie später wieder auf, da es sich nicht um einen Bescheid des Widerspruchsausschusses gehandelt habe und wies sodann den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2003 zurück.
Hiergegen richtete sich die bereits am 20.03.2003 erhobene Klage, mit der der Kläger sein Begehren weiter verfolgte. Er wies insbesondere auf ständige Belastungsbeschwerden im linken Handgelenk hin.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2003 zu verurteilen, ihm eine Teilhandprothese links zur Verfügung zu stellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Eine telefonische Nachfrage vom Juli 2003 bei der Firma P als Hilfsmittelhersteller habe ergeben, dass mit der Epithese kein aktiver Funktionsausgleich der Finger möglich sei, der Zangengriff werde lediglich verbessert. Eine weitere MDK-Stellungnahme des Dr. H von Februar 2004 habe ergeben, dass bei einer alle zwei Jahre erforderlichen Nachversorgung die Prothesenversorgung mit einem im Wesentlichen nur optischen Behinderungsausgleich unwirtschaftlich sei. Soweit die Prothesenversorgung der beruflichen Wiedereingliederung dienen sollte, komme die Leistungszuständigkeit anderer Versicherungsträger in Betracht.
Das Sozialgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (Urteil vom 15.08.2005). Der Anspruch ergebe sich aus § 33 Abs. 1 des Sozialgesetzbuch (SGB) V, da die Prothese zum Ausgleich einer Behinderung erforderlich sei. Erforderlich bedeute ausreichend, zweckmäßig und notwendig und damit wirtschaftlich im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Die Rechtsprechung habe die Hilfsmittelversorgung dahingehend konkretisiert, dass bei einem unmittelbar auf den Ausgleich der beeinträchtigenden Organfunktion selbst gerichteten Hilfsmittel, insbesondere einem künstlichen Körperglied, diese Voraussetzung gegeben sei. Hingegen würden nur mittelbar oder nur teilweise die Organfunktion ersetzende Mittel lediglich dann als Hilfsmittel im Sinne der Krankenversicherung angesehen, wenn sie die Auswirkungen der Behinderungen nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich, sondern im gesamten täglichen Leben beseitigten oder milderten und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens befriedigten. Da die Teilhandprothese die fehlenden drei Finger der linken Hand ersetze, gleiche sie eine Behinderung unmittelbar aus, so dass es nicht darauf ankomme, ob ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen sei. Der Einsatz der Epithese sei unmittelbar medizinische Rehabilitation, der das Hilfsmittel diene. Sie sei auch erforderlich, denn ohne diese könne der Kläger weder den Drei-Punkt-Griff, der 60 v. H. seiner Griffmöglichkeiten ausmache, noch den Schlüsselgriff, den Kugelgriff und den Klammergriff ausüben. Mit der Prothese könne er den Fingerkuppengriff und den Faustgriff wesentlich besser ausüben. Dies habe die Firma P in ihrer Auskunft vom 14.11.2003 mit entsprechenden bildlichen Darstellungen belegt. Auch der vom Gericht gehörte Sachverständige H O habe in seinem Gutachten vom 01.06.2004 diese Darstellungen aus orthopädischer Sicht bestätigt. Der Umstand, dass der insgesamt erzielbare Funktionsausgleich bezüglich Feinmotorik und Greiffunktion wegen der nur passiven Beweglichkeit der in den Kunstfingern enthaltenen Metallgelenke nur gering bis mittelgradig sei, hebe die Erforderlichkeit nicht auf. Es würden eine wesentliche Greiffunktion, nämlich der Drei-Punkt-Griff und drei weitere Greiffunktionen überhaupt erst möglich gemacht und zwei weitere Greiffunktionen verbessert. Die Erforderlichkeit könne auch nicht mit dem Argument verneint werden, der Kläger habe über 20 Jahre lang ohne Teilhandprothese leben können. Geeignete Silikonhandprothesen stünden erst neuerdings auf dem Hilfsmittelmarkt zur Verfügung. Die Teilhandprothese sei auch nicht unwirtschaftlich, denn sie sei keine von mehreren Behandlungsmöglichkeiten, von denen andere kostengünstiger seien. Sofern nur eine wirksame Behandlungsmethode zur Verfügung stehe, sei der Kostenfaktor unmaßgeblich.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 07.10.2005. Zu Unrecht gehe das Sozialgericht davon aus, dass es sich bei der Hilfsmittelversorgung um eine unmittelbare medizinische Rehabilitation handele und es deshalb nicht mehr darauf ankomme, ob ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens befriedigt werde. Bei der Epithese handele es sich um ein Körperersatzstück, welches die fehlenden drei Finger der linken Hand ersetze. Es seien aber Zweifel erlaubt, ob es sich damit zugleich auch um ein Hilfsmittel handele, welches der Zweckbestimmung des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V gerecht werde. Es handele sich bei der Epithese unstreitig um eine passive Prothese, die allein einen Ausgleich der durch die fehlenden Finger beeinträchtigten Funktionen der linken Hand nicht herbeizuführen vermöge, denn es bedürfe nach dem Ergebnis aller vorliegenden gutachtlichen Stellungnahmen stets der Zuhilfenahme der rechten Hand. Expressis verbis habe Dr. O in seinem Gutachten vom 01.06.2004 ausgeführt, der Kläger könne die geforderte Fingerstellung der linken Hand immer nur mit der rechten Hand korrigieren. Auf diese Gegebenheiten könne die Rechtsprechung zu § 33 SGB V und dem früheren § 182 b der Reichsversicherungsordnung (RVO), nach der bei einem künstlichen Körperglied ohne weiteres anzunehmen sei, dass eine medizinische Rehabilitation vorliege, nicht ohne weiteres übertragen werden. Mit Rücksicht auf die nur passive Einsatzmöglichkeit fehle es vorliegend gerade an jenen für Hilfsmittel in diesem Zusammenhang vorausgesetzten Eigenschaften, die einen unmittelbaren Ausgleich der beeinträchtigten Körperfunktionen allein durch den Einsatz des Hilfsmittels gewährleisteten, ohne dass es hierzu des Hinzutretens weiterer Umstände bedürfe. Selbst wenn man dieser Betrachtungsweise nicht folgen würde, stünde dem Anspruch des Klägers entgegen, dass die beantragte Silikonteilhandprothese nicht erforderlich sei, denn dieses Merkmal setze voraus, dass die Behinderung nicht nur in einem unwesentlichen Umfang ausgeglichen werde. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Epithese allein der Verbesserung des Erscheingungsbildes dienen solle. Ungeachtet der erweiterten Greifmöglichkeiten, die sie dem Kläger einräume, weise Dr. O in seinem Gutachten vom 01.06.2004 darauf hin, dass der Einsatz der Prothese nicht zu einer wesentlichen Funktionsverbesserung führe. Darüber hinaus habe der Sachverständige Zweifel geäußert, ob der Kläger im täglichen Leben dazu in der Lage und gewillt sei, nach über 20 Jahren als Rechtshänder die bei Einsatz der Teilhandprothese unter Zuhilfenahme der rechten Hand regelmäßig erforderlichen Korrekturen immer wieder durchzuführen. Diese Bedenken würden sich erübrigen, wenn der Prothese ein eigenständiger Nutz- und Funktionswert zukäme. Angesichts dessen sei die Prothese auch nicht wirtschaftlich, denn es ließe sich keine begründbare Relation zwischen Kosten und Teilerfolg herstellen. Die Kosten beliefen sich auf 8.712,39 Euro, die Prothese müsse allein aus optischen Gründen alle zwei Jahre erneuert werden. Im Übrigen sei auch nur festzustellen, dass der Kläger selbst in dem bisherigen Verfahren die Notwendigkeit des von ihm beantragten Hilfsmittels durch substantiierten Sachvortrag nie ernsthaft behauptet habe. Dadurch werde die Beklagte in ihrer Auffassung bestärkt, dass die Prothese in erster Linie der Wiederherstellung des äußerlichen Erscheinungsbildes dienen solle.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 15.08.2005 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung seines Antrags bezieht der Kläger sich auf die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung. Er benötige die Prothese im täglichen Leben, sie werde ihm insbesondere auch bei der Vermittlung einer Arbeitsstelle helfen.
Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung den Mitarbeiter der Firma P, Herrn T, als sachverständigen Zeugen zur Funktionsweise der Teilhandepithese befragt. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 20.06.2007 wird dazu Bezug genommen.
Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte sowie den Vortrag der Beteiligten im Übrigen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung der streitigen Teilhandprothese verurteilt.
Hierzu verweist der Senat zunächst vollinhaltlich auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung, die er sich nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG).
Auch der Vortrag der Beklagten zur Begründung ihres Rechtsmittels führt zu keiner abweichenden Entscheidung. Die vor dem erkennenden Senat durchgeführte Beweisaufnahme in Form der Vernehmung des Mitarbeiters T der Firma P als sachverständiger Zeuge hat die Richtigkeit der sozialgerichtlichen Entscheidung bestätigt. Seine Ausführungen sind schlüssig und in sich widerspruchsfrei, so dass der Senat keine Veranlassung hat, diese Ausführungen seiner Entscheidung nicht zu Grunde zu legen. Danach ist entgegen der Auffassung der Beklagten davon auszugehen, dass die streitige Teilhandepithese in nennenswertem Umfang die Trage- und Greiffunktione der linken Hand und damit Grundbedürfnisse des täglichen Lebens teilweise ausgleicht oder zumindest erleichtert. Für diese Fälle hat das BSG ausgeführt, dass ein unmittelbarer Behinderungsausgleich anzunehmen sei, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion ermöglicht, ersetzt oder erleichtert (BSG, Urteil vom 06.06.2002, Az.: B 3 KR 68/01 R). Auf jeden Fall kann der Kläger mit der Teilhandprothese eine leichte Aktentasche oder vergleichbare Gegenstände tragen. Einen Koffer von 20 kg Gewicht halten die prothetischen Finger selber nicht, eine Verstärkung kann aber und wird auch in der Regel dadurch erreicht, dass der beim Kläger erhalten gebliebene gesunde Daumen die gebogenen prothetischen Finger mit abstützt. Dieser Griff ist zu verstehen wie der sogenannte Breitgriff mit dem die gebeugt positionierten Finger durch Übergreifen mit dem Daumen in der gebeugten Stellung blockiert werden. Dadurch ist ein deutlich festeres Zugreifen möglich als ohne Prothese. Beim Fingerkuppengriff kann durch eine starke Einlage ein Finger gebogen fixiert werden, um stärkere Haltemöglichkeiten zu erreichen. Der Vorteil des Drei-Punkt-Griffs liegt darin, dass eine dritte Auf- oder Anlagemöglichkeit besteht und damit z. B. Besteck oder Schreibstifte fixiert werden kann. Mit dem Schlüsselgriff wird eine größere Gegenauflagefläche gegenüber dem Daumen erreicht und auf diese Weise kann mehr Kraft entwickelt werden. Dem Tragen von Gegenständen ist jedoch an der Stelle eine Grenze gesetzt, an der der Daumen Gegenstände alleine halten kann. Der Kugelgriff, den die streitige Epithese auch ermöglicht, dient zum formschlüssigen Halten, wenn entsprechende kugelförmige Gegenstände gehalten werden müssen, wie z. B. Flaschen oder zylinderförmige Konservendosen. Darüber hinaus bietet die Prothese beim Lenken des Fahrzeugs auch den Vorteil, dass mit ihr nicht nur eine Auflagefläche vorhanden ist, sondern ein Formgriff, der das Lenkrad zumindest teilweise mit umschließt und somit die in diesem Fall linke Hand mehr fixiert. Anhaltspunkte dafür, dass Prothesen ähnlicher Art beim Führen eines Kraftfahrzeugs nachteilig sein können, bestehen nicht. Hingegen scheint es naheliegender zu sein, dass der Kläger durch den bei ihm noch vorhandenen aktiven Daumen gezielter Greifen und das Lenkrad festhalten kann, ohne Befürchten zu müssen, dass er es bei schneller Reaktion nicht rechtzeitig loslassen kann. Da somit Grundbedürfnisse des täglichen Lebens ausgeglichen werden, kommt es auf den Umstand, dass die Finger der linken Hand nur unter Zuhilfenahme der rechten Hand bewegt werden können, entgegen der Ansicht der Beklagten nicht streitentscheidend an. Wesentliche und deutliche Verbesserungen der Gebrauchsvorteile werden allein schon durch eine fixierte Stellung der Prothesenfinger erreicht. Gleiches gilt auch für die von der Beklagten geltend gemachten Zweifel, ob sich der Kläger nach einem 20-jährigen Gewöhnungsprozess des Greifens und Haltens ohne die Finger 2 - 4 der linken Hand noch nach erfolgter prothetischer Versorgung umstellen kann. Verletzte Patienten entwickeln Umgehungs- und Griffmuster, um die Behinderung auszugleichen. Im Regelfall führt das aber zu weitergehenden Überlastungen oder ungleichen Belastungen des ganzen Körpers, so dass davon auszugehen ist, dass die Prothese auch dieses Defizit ausgleicht und der Kläger sich auf die veränderte Situation zügig einstellen wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
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