L 2 U 258/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 170/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 258/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 15/07 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 11.07.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob es sich bei dem Ereignis vom 13. Januar 2003 um einen Arbeitsunfall handelt und der Klägerin hieraus Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren sind.

Die 1975 geborene Klägerin ist Pflanzenbaugärtnerin und in Vollzeit tätig. Am 13. Januar 2003 verließ sie um 7.10 Uhr ihr Haus, um zur Arbeitsstätte, der Fa. J. in R. , zu fahren. Sie ging zunächst in die in der gleichen Straße schräg gegenüber der Wohnung befindliche Metzgerei, um sich für die Arbeit eine Brotzeit zu kaufen. Anschließend wollte sie zurück zu dem auf ihrem Grundstück geparkten Pkw gehen, um zur Arbeitsstätte zu fahren. Auf dem Rückweg rutschte sie im Hofbereich der Metzgerei bei Glatteis um 7.15 Uhr aus und zog sich eine Schien- und Wadenbeinfraktur rechtes Bein zu. Der Hof der Metzgerei grenzt unmittelbar an die Straße an und ist zugleich der Zugang zum Geschäftseingang.

Mit Bescheid vom 12. Februar 2004 lehnte es die Beklagte ab, das Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Mit Betreten des Hofbereichs habe eine Wegeunterbrechung vorgelegen, so dass mit Verlassen des öffentlichen Verkehrsraums der Versicherungsschutz geendet habe. Dieser Weg sei als eigenwirtschaftlich und deshalb unversichert anzusehen. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 2004 zurück. Der unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehende Weg sei unterbrochen worden, da das Besorgen einer Brotzeit dem privaten Bereich zuzurechnen sei.

Die hiergegen gerichtete Klage wies das Sozialgericht Regensburg mit Urteil vom 11. Juli 2006 ab. Zwar seien durch den Einkauf von Nahrungsmitteln zum Verzehr während der Arbeit bedingte, nicht erhebliche Abweichungen vom Weg zur Arbeit versichert. Ein solcher sei jedoch für den Einkauf oder die Essenseinnahme selbst ausgeschlossen, da die Vorschrift des § 8 Abs. 2 Ziff. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) nur Wege versichere. Der Versicherungsschutz ende daher beim Hinweg mit dem Betreten des Gebäudes durch die Außentür, in dem sich das Geschäft befindet, je nach Gegebenheit aber auch an anderen Grenzen, die eine Wegbeendigung ergeben. Da die Klägerin im Hof der Metzgerei ausgerutscht sei, habe sie sich noch außerhalb des öffentlichen Verkehrsraumes befunden und sei damit nicht unter Versicherungsschutz gem. § 8 Abs. 2 Ziff. 1 SGB VII gestanden.

Zur Begründung der Berufung wies die Klägerin darauf hin, das Sozialgericht verkenne, dass mit dem Verlassen des Gebäudes der Metzgerei der Versicherungsschutz wieder auflebe. Zwar sei sie nach dem Verlassen der Metzgerei noch außerhalb des öffentlichen Verkehrsraumes gestürzt, hierauf komme es jedoch nicht an. Maßgeblich sei die Außentür des Gebäudes. Das Bundessozialgericht (BSG) habe klargestellt, dass bereits die Grenze "Außentür des Gebäudes" den öffentlichen Verkehrsraum vom übrigen Bereich abtrenne. Der Hofraum vor der Metzgerei sei für jedermann zugänglich und durch keinen Gartenzaun oder ähnliches versperrt oder eingezäunt. Versicherungstechnisch sei der Hofraum als öffentlicher Verkehrsraum anzusehen. Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 1 SGB VII lägen vor. Der Unfall sei auch im Rahmen eines inneren Zusammenhangs mit der beruflichen Tätigkeit erfolgt, nämlich anlässlich des Brotzeiteinkaufs für die berufliche Tätigkeit. Es habe damit eine berufliche Tätigkeit vorgelegen und keine Tätigkeit, die eigenwirtschaftlichen Interessen diente. Selbst wenn der Einkauf von Brotzeit als eigenwirtschaftliche Tätigkeit angesehen werde, sei mit dem Verlassen des Gebäudes, in dem der Einkauf getätigt wurde, der Weg zur Arbeit wieder aufgenommen worden. Die finale Handlungstendenz sei darauf gerichtet gewesen, den Weg zur Arbeit fortzusetzen. Der Versicherungsschutz sei deshalb wieder aufgelebt, als sie sich auf dem Weg zu ihrem Fahrzeug befand. Es sei Intention des Gesetzgebers, den Weg von der Wohnungstür zum Fahrzeug unter Versicherungsschutz zu stellen.

Die Beklagte verwies auf die neuere Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 9. Dezember 2003, Az.: B 2 U 23/03 R). Der Versicherungsschutz richte sich nach der "finalen Handlungstendenz"; er erlösche, sobald der Versicherte aus eigenwirtschaftlichen Gründen den Weg von oder zur Arbeitsstätte unterbreche und lebe erst wieder auf, wenn er den versicherten Weg fortsetze. Danach wäre die Klägerin selbst dann nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, wenn sie sich wieder auf einer öffentlichen Verkehrsfläche aufgehalten hätte, da sie ihre Fahrt zum Arbeitsplatz noch nicht angetreten hatte.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 11. Juli 2006 und den Bescheid vom 12. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2004 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 13. Januar 2003 ein versicherter Arbeitsunfall war.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), jedoch unbegründet.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage auf Vorliegen eines Arbeitsunfalls gemäß §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig (BSG v. 15. Februar 2005, SozR 4-2700 § 8 Nr. 12).

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit, § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Eine versicherte Tätigkeit ist auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit, § 8 Abs. 2 Ziff. 1 SGB VII. Der Weg muss somit zum Ort der Tätigkeit hinführen oder von diesem Ort wegführen. Dabei setzt der Versicherungsschutz voraus, dass der Weg des Versicherten in räumlicher Hinsicht dem gesetzlich begrenzten sozialen Schutzbereich der Unfallversicherung zuzuordnen ist. Erforderlich ist ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Zurücklegung des Weges. Abweichende Ziele des Weges sind nur versichert, wenn sie noch in den Rahmen des Schutzzwecks der Norm fallen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist von Bedeutung, ob sich der Versicherte in seiner Handlungstendenz und in seinem Verhalten in dem damit vorgesehenen rechtlichen Rahmen gehalten hat. Abzustellen ist auf die objektiven Umstände des Einzelfalls (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 4 und 16; BSGE 91, 293 ff.; zum Ganzen: Schwerdtfeger/Watermann, in: Lauterbach, Unfallversicherung Sozialgesetzbuch VII, 4. Aufl., Bd. 1 § 8 Rdnr. 361 ff.). Wege, die dem eigenwirtschaftlichen Interesse des Versicherten dienen, sind dabei grundsätzlich nicht versichert. Die Wege, die der Versicherte zurücklegen muss, um sich Essen zu besorgen, gehören grundsätzlich zum persönlichen, unversicherten Lebensbereich (z.B. BSGE 11, 267, 268; 12, 247, 249). Diese Wege stehen nur dann unter Versicherungsschutz, wenn zum einen der Weg durch die Notwendigkeit geprägt war, persönlich in dem Dienst- bzw. Betriebsgebäude anwesend zu sein und dort die betrieblichen Tätigkeiten zu verrichten, und zum anderen die Einnahme der Mahlzeit der Erhaltung der Arbeitskraft dient (z.B. BSG v. 05.08.1993, Az.: 2 RU 2/93). Nur wenn beide betriebsbezogenen Merkmale, d.h. die Betriebsbedingtheit des Weges zur Nahrungsaufnahme oder zur Beschaffung von Lebensmitteln zum Verzehr während der Arbeit und die betriebsbezogene Handlungstendenz, vorliegen, steht auch ein solcher Weg im inneren Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis.

Unstreitig befand sich die Klägerin am Unfalltag nicht auf dem unmittelbarem Weg zur Arbeitsstätte, da sie zunächst in die schräg gegenüber ihrer Wohnung liegende Metzgerei ging. Dabei war ihre Handlungstendenz darauf gerichtet, Lebensmittel zu kaufen, um diese zur Mittagszeit während der Arbeit zu verzehren. Da die Klägerin Vollzeit arbeitete, ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass der für später geplante Verzehr dieser Brotzeit der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit dienen sollte, so dass eine betriebsbezogene Handlungstendenz vorliegt. Das BSG hat entschieden, dass Wege zur Nahrungsaufnahme während der Arbeitszeit unter Versicherungsschutz stehen, weil sie dadurch gekennzeichnet sind, dass sie regelmäßig unaufschiebbare, notwendige Handlungen sind, um die Arbeitskraft des Versicherten zu erhalten und es ihm zu ermöglichen, die jeweilige betriebliche Tätigkeit fortzusetzen. Nichts anderes gelte, wenn der Versicherte während der Arbeitszeit in einem Geschäft die zum Verzehr von ihm während der Arbeitszeit benötigten Lebensmittel oder Getränke kaufen will (BSG v. 24.06.2003, Az.: B 2 U 24/02 R m.w.N.).

Es fehlt jedoch an der Betriebsbedingtheit des Weges zur Beschaffung von Lebensmitteln zum Verzehr während der Arbeit. Die Klägerin hatte ihre Arbeit an diesem Tag noch nicht aufgenommen, sondern hatte mit Verlassen der Außentür ihrer Wohnung erst den Weg zur Arbeit begonnen. Auch wenn vorliegend der Um- bzw. Abweg nur wenige Meter betrug, ist dieser Weg vor der Arbeitsaufnahme nicht durch die Notwendigkeit geprägt, persönlich an der Arbeitsstätte anwesend zu sein und dort die betrieblichen Tätigkeiten zu verrichten. Der Weg zum Einkauf einer Brotzeit vor Arbeitsbeginn stellt vielmehr eine Vorbereitungshandlung dar, die nicht vom Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst ist. Die abgelöste Risikohaftung des Arbeitgebers würde zu weit ausgedehnt, wenn auch diese Wege unter Versicherungsschutz gestellt würden, zumal die Grenzen des Versicherungsschutzes nicht mehr klar zu ziehen wären. Es wäre kaum nachvollziehbar, beispielsweise dem Arbeitnehmer, der seine Brotzeit bereits am Abend zuvor einkauft, keinen Versicherungsschutz zuzubilligen.

Damit liegt eine nicht betrieblich bedingte Unterbrechung des Weges zur Arbeit vor. Aufgrund vielschichtiger Abgrenzungsprobleme hielt das BSG mit Urteil vom 9. Dezember 2003 (BSGE 91, 293 ff.) nicht mehr an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, nach der eine Unterbrechung des Unfallversicherungsschutzes erst mit dem Verlassen des öffentlichen Verkehrsraums eintrat. Sobald der Versicherte allein eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt, die mit der versicherten Fortbewegung nicht übereinstimmen, wird der Versicherungsschutz solange unterbrochen, bis er die Fortbewegung auf sein ursprüngliches Ziel hin wieder aufnimmt. Die eigenwirtschaftliche Handlungstendenz prägt das Verhalten des Versicherten, sobald er z.B. mit dem Ziel, ein Geschäft aufzusuchen, sein Fahrzeug verlässt. Damit ist auch das Zurücklegen des Fußweges zwischen dem Fahrzeug und dem Geschäft allein der eigenwirtschaftlichen Verrichtung des Einkaufens und nicht mehr dem Zurücklegen des versicherten Weges zu dienen bestimmt. Es kann auch nicht als gemischte Tätigkeit angesehen werden (BSG a.a.O.).

Der Versicherungsschutz scheidet deshalb für den gesamten Um- bzw. Abweg der Klägerin aus. Der Versicherungsschutz wäre erst wieder mit Beendigung des Um- bzw. Abweges und Fortsetzung des Weges zur Arbeit aufgelebt. Zum Zeitpunkt des Sturzes der Klägerin im Hofbereich der Metzgerei war dies noch nicht der Fall.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Der Senat sieht sich zwar in Einklang mit der Rechtsprechung des BSG, jedoch ist die hier umstrittene grundsätzliche Frage des Versicherungsschutzes bei Unterbrechung des morgendlichen Weges zur Arbeit, um Nahrungsmittel zum Verzehr während der Arbeit zu kaufen, noch nicht vom BSG entschieden. Das BSG führte im Rahmen der Begründung in seinem Urteil vom 22. September 1966 (BSG SozR Nr. 61 zu § 543 RVO) zwar aus, es könne auch ein Weg, der zur Einnahme des Essens vor Beginn der Arbeitsschicht zurückgelegt wird, unter den angeführten Voraussetzungen versichert sein (so auch Schwerdt-feger, a.a.O., Rdnr. 408 mit dem Hinweis, es dürfe kein größerer Umweg anfallen), lehnte jedoch im Ergebnis einen Versicherungsschutz ab, da keine ausreichenden Umstände erkennbar gewesen seien, aus denen die Annahme des erforderlichen ursächlichen Zusammenhangs des Weges mit der versicherten Tätigkeit zu rechtfertigen sei. Im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 5. August 1993 (BSG, a.a.O.), wonach Essen und Trinken während der Arbeitszeit im Gegensatz zu bloßen Vorbereitungshandlungen vor der Arbeit dadurch gekennzeichnet sind, dass sie regelmäßig wesentlich auch der Erhaltung der Arbeitskraft des Versicherten dienen und es ihm dadurch ermöglichen, die jeweils aktuelle betriebliche Tätigkeit fortzusetzen, ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache anzunehmen.
Rechtskraft
Aus
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