L 1 RJ 78/04

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
16 RJ 1342/01
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 RJ 78/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist die Aufhebung des Rentenbescheids vom 10. März 1998, mit welchem dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Dezember 1997 auf Dauer gewährt worden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit und die Zukunft durch den Bescheid vom 17. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2001.

Der 1952 geborene Kläger ist türkischer Herkunft, lebt seit 1980 in der Bundesrepublik Deutschland und ist seit 1994 deutsche Staatsangehöriger. Er erlernte keinen Beruf und war zuletzt vom 1. November 1991 bis 31. Dezember 1997 als Arbeiter (Lagern und Transportieren von Paketen, Ein- und Abgangsbearbeitung von Frachtsendungen) im Dienst der D. P. AG beschäftigt. Er wurde nach Lohngruppe 4 TV Arb bezahlt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Aufhebungsvertrag (Abfindung).

Der Kläger hatte sich im Jahre 1996 bei dem praktischen Arzt Dr. M. und dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M1. (Bericht vom 22. Februar 1996) und seit dem 14. Mai 1997 bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. in Behandlung befunden. Auf Grund seines Rentenantrages vom 4. Dezember 1997, den er mit dem Bestehen von Depressionen seit dem 5. Juni 1997 begründete und den Dr. A. durch Attest vom 27. November 1997 unterstützte, wurde der Kläger auf Veranlassung der Beklagten am 18. Februar 1998 durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A1. untersucht. Bei dieser erschien er in Begleitung seines Sohnes H. B. und einer türkischen, sich als Krankenschwester ausgebenden Landsmännin. Den zur Untersuchung mitgebrachten Fragebogen hatte, wie es sich aus dem Schriftsachverständigengutachten der M2. N. vom 2. September 2005 (3250 Js 42/05, Bl. 334) ergibt, R. N1. (Schwiegertochter des S. Y.) für den Kläger ausgefüllt, er war mit "M. B." unterschrieben. Auf den Inhalt dieses Fragebogens (Bl. 5 Gutachtenakte - GuA -), dessen Angaben, dass der Kläger die Medikamente Stangyl, Haldol Tropfen und Tafil-Tabletten verordnet bekommen habe, nicht der Wirklichkeit entsprechen, wird Bezug genommen. H. B. schilderte bei der Untersuchung bei Dr. A1. am 18. Februar 1998 psychisch kranke Verhaltensweisen seines Vaters, des Klägers, wie Verfolgungswahn, Stimmenhören etc., während der Kläger selbst ein Gespräch mit der Gutachterin und eine Untersuchung durch sie durch abweisendes, vermeintlich psychisch krankes Verhalten verhinderte mit der Folge, dass Dr. A1. zu der Auffassung gelangte, dass der Kläger psychisch so krank sei, dass er erwerbsunfähig sei. In ihrem Gutachten vom 20. Februar 1998 (Bl. 6-14 GuA), auf dessen Inhalt insgesamt Bezug genommen wird, führte Dr. A1. aus, eine eingehende körperliche Untersuchung sei auf Grund des schlechten psychischen Zustandes des Klägers nicht möglich gewesen. Sie diagnostizierte eine ausgeprägte paranoid-halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Diese bedinge Leistungsunfähigkeit. Eine stationäre Behandlung sei angebracht, was sie mit der begleitenden Krankenschwester ausführlich besprochen habe. Diese habe berichtet, dass die Familie sich bisher gegen eine solche Behandlung des Klägers gestellt habe, da sie ihn nicht abgeschieden wolle. Mit Bescheid vom 10. März 1998 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 1. Dezember 1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer. Dieser Bescheid wurde bindend.

Nach dem Ergebnis des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens begleitete der Kläger am 21. Dezember 1998 seine Ehefrau zum Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, wobei er als Dolmetscher fungierte.

Im Rahmen der von der Beklagten im Frühjahr 2000 eingeleiteten Nachuntersuchung wurde für den Kläger am 13. März 2000 (unterschrieben: "H. B.") von R. N1. angegeben, dass er psychisch krank sei, ihm seine Schwiegertochter im Haushalt helfe, weil er diesen nicht allein führen könne. Der zu der Untersuchung des Klägers durch den Internisten Dr. J. am 30. November 2000 mitgebrachte, ausgefüllte Fragebogen (Bl. 27 GuA), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (angebliche - von Dr. A. verneinte - Medikation u. a.: Haldol-Janssen, Stangyl, Valoron), war ebenfalls mit "H. B." unterschrieben. Er konnte von der Schriftsachverständigen N. nicht zugeordnet werden, soll nach Angaben des H. B. aber von dessen Ehefrau B1. B. ausgefüllt worden sein. Auf den Inhalt des Gutachtens des Dr. J. vom 6. Dezember 2000, in dem der Ablauf des Untersuchungstermins vom 30. November 2000, die von Dr. J. während dieses Termins geführten Telefonate und das Verhalten des Klägers eingehend geschildert werden - er war in Begleitung einer sich als Freundin der Familie ausgebenden und F. S1. (geb. X.XXXXXXXXX 1977) nennenden - tatsächlich als solche nicht existenten - Frau erschienen - wird Bezug genommen (Bl. 28-32 GuA). Dr. J. diagnostizierte: Artefizielle Störung (Vortäuschen von psychischen Behinderungen), spastische Bronchitis. Die zahlreichen Widersprüche und Ungereimtheiten ließen keinen anderen Schluss zu, als dass durch den Kläger und seine Begleiterin versucht worden sei, eine psychische Erkrankung vorzutäuschen, die in diesem Ausmaße keineswegs vorliege. Ob eine sozialmedizinisch depressive Erkrankung bestehe, sei angesichts der fehlenden Mitarbeit des Klägers, zu der dieser durchaus in der Klage sein müsste, nicht zu prüfen gewesen.

Nach Anhörung des Klägers vom 24. Januar 2001 - Gegenäußerung vom 29. Juni 2001, Vorlage des Schreibens des Dr. A. vom 19. Juni 2001 und des Ärztlichen Berichts des praktischen Arztes Y1. vom 27. Mai 2001 - nahm der Internist Dr. F1. unter dem 10. Juli 2001 nach Aktenlage Stellung und meinte, dass die vorgelegten Atteste die Einschätzung stützten, dass der Kläger sowohl bei der Begutachtung 1998 als auch bei der Begutachtung im November 2000 den Versuch unternommen habe, eine schwere psychische Erkrankung (Psychose) vorzutäuschen. Die Feststellung, dass vorliegend ein bewusster Täuschungsversuch unternommen worden sei, könne durch einen erfahrenen sozialmedizinischen Gutachter, gleich welcher Fachrichtung, getroffen werden. Eine fachpsychiatrische Zusatzbegutachtung erübrige sich, weil auch eine solche vorliegend zu keiner validen Beurteilung des tatsächlichen sozialmedizinischen Leistungsvermögens des Klägers führen würde.

Daraufhin erteilte die Beklagte dem Kläger den Bescheid vom 17. Juli 2001, mit dem sie den Bescheid vom 10. März 1998 mit Wirkung vom 1. Dezember 1997 an zurück nahm. Für die Zeit vom 1. Dezember 1997 bis 31. Juli 2001 habe der Kläger 65.265,39 DM zu erstatten. Der Rentenbescheid sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, weil der Kläger durch sein Verhalten im Rahmen der medizinischen Untersuchung am 18. Februar 1998 bei der Gutachterin den Eindruck erweckt habe, nicht mehr in der Lage zu sein, vollschichtige Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten zu können. Die Ermittlungen - insbesondere das Gutachten des Dr. J. vom 30. November 2000 - hätten ergeben, dass der Kläger in der Lage sei, leichte Arbeiten vollschichtig zu erbringen und dies bereits seit dem Zeitpunkt der Erstbegutachtung bzw. erstmaligen Rentengewährung. Auf Vertrauen könne sich der Kläger nicht berufen, weil er durch ein bewusstes Verhalten den medizinischen Sachverständigen zu einer für ihn günstigeren Leistungsbeurteilung veranlasst habe, die nicht dem tatsächlichen gesundheitlichen Krankheitsbild entsprach. Nach Abwägung aller Umstände und der vom Kläger im Anhörungsverfahren vorgebrachten Argumente werde das Ermessen dahin ausgeübt, das der Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werde und der Kläger die zu Unrecht in Empfang genommen Rentenbeträge zu erstatten habe. Sie, die Beklagte, habe die Rechtswidrigkeit des Bescheides nicht erkennen können. Sie habe nicht schuldhaft zu dem Entstehen der Überzahlung beigetragen. Der Kläger sei auch nicht etwa aus wirtschaftlichen Gründen außer Stande, den unrechtmäßig empfangenen Betrag zurückzuzahlen. Die Rückforderung stelle sich weder als unzumutbar noch als unbilliger Eingriff in die persönlichen, sozialen oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers dar. Die berechtigten Interessen der Versichertengemeinschaft an der Rücknahme des Bescheides überwögen somit gegenüber dem privaten Interesse des Klägers am Bestand des Bescheides.

Im anschließenden Vorverfahren hat der Kläger ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Rentenbescheides vom 10. März 1998 nicht vorlägen. Insbesondere seien die gesetzlichen Fristen für eine Rücknahme verstrichen. Er habe auf die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides vertraut. Zudem habe er die empfangenen Rentenbeträge verbraucht. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2001), gewährte dem Kläger auf Grund der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs aber (unter Vorbehalt) noch für die Monate August bis November 2001 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von insgesamt 2.364,80 DM (Bescheid vom 17. Oktober 2001), behielt die Nachzahlung aber vorläufig ein, weil das Sozialamt, das dem Kläger ab 1. August 2001 Sozialhilfe und pauschaliertes Wohngeld gezahlt hatte, am 1. Oktober 2001 einen Erstattungsanspruch angemeldet hatte.

Der Kläger hat gegen den am 7. November 2001 erhaltenen Widerspruchsbescheid am 7. Dezember 2001 Klage erhoben. Auf den Inhalt der Klagschrift vom 6. Dezember 2001 wird verwiesen.

Das Sozialgericht hat von Dr. A. und dem Arzt Y1. die Befundberichte vom 27. August und 1. September 2002 und von der Ärztin für Psychiatrie/Psychotherapie Dr. R1. das nach Untersuchung des Klägers am 12. Juni 2003 erstattete Gutachten vom 4. September 2003 eingeholt. Dr. R1. hat ausgeführt, das gegenwärtig vom Kläger gebotene Bild spreche in keiner Weise für das Vorliegen einer Minus-Symptomatik oder einer anders gearteten Veränderung durch eine abgelaufene Psychose. Der Kläger habe sich bei den Untersuchungen bei Dr. A1. und Dr. J. in einem Zustand befunden, der es ihm ermöglicht habe, genau den Verlauf des Gespräches mitzubekommen und bei nicht zutreffenden Informationen aktiv einzugreifen. Die von ihm bei Dr. A1. gezeigten Symptome entsprächen keinerlei bekanntem Krankheitsbild. Der Einschätzung von Dr. J., dass es sich um eine artefizielle Störung handle, schließe sie sich an. Es müsse ein vollschichtiges Leistungsvermögen angenommen werden. Hemmungen gegenüber einer Arbeitsaufnahme könne der Kläger bei entsprechender Willensanspannung überwinden. Eine psychiatrisch relevante Erkrankung liege jetzt bei ihm nicht vor und habe auch in der Vergangenheit bei ihm nicht diagnostiziert werden können.

Nachdem der Kläger dem Gutachten von Dr. R1. entgegengehalten hatte, dass es nicht geeignet sei, die gutachterlichen Bewertungen von Dr. A1. zu erschüttern (Schriftsatz vom 5. Januar 2004), hat Dr. R1. unter dem 9. Mai 2004 hierzu ergänzend schriftlich Stellung genommen. Sie ist in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts am 26. Juli 2007 gehört worden.

Durch Urteil vom 26. Juli 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe die Rente durch arglistige Täuschung - Vorspiegelung eines an sich zur Rentengewährung berechtigenden schweren psychiatrischen Leidens - erwirkt. Die Beklagte sei zur Rücknahme des Rentenbescheides vom 10. März 1998 nach pflichtgemäßem - und entsprechend ausgeübtem - Ermessen berechtigt. Die Voraussetzungen des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Rücknahme seien - auch im Zeitpunkt der Bescheiderteilung vom 17. Juli 2001 - erfüllt.

Gegen das ihm am 11. August 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9. September 2004 Berufung eingelegt. Er hält das Gutachten der Dr. A1. für zutreffend (Schriftsatz vom 9. Mai 2005). Soweit Dr. R1. meine, dass er bei Dr. A1. keine (objektiven) Krankheitsanzeichen gezeigt habe, stelle sich die Frage, weshalb Dr. A1. und Dr. R1. zu derart voneinander abweichenden Diagnosen gelangten. A1. sei sich ihrer Diagnose völlig sicher gewesen, weil sie sonst nicht in der Epikrise des Gutachtens vom 20. Februar 1998 ausgeführt hätte, dass an der Diagnose einer floriden paranoid-halluzinatorischen Psychose kein Zweifel bestehe, und für höchst unwahrscheinlich gehalten hätte, dass sich seine volle Leistungsfähigkeit bei der Schwere der Erkrankung und in Anbetracht des jetzigen Verlaufs wieder einstellen werde. Nach Dr. A1. hätten mit Sicherheit auch ausgeprägte akustische Halluzinationen bei ihm vorgelegen. Der Untersuchungsgang der Dr. A1. und die von ihr gestellte Diagnose seien nach den Regeln der medizinischen Kunst nachvollziehbar. Die im Februar 1998 gestellte Diagnose und darauf gestützte Leistungsbeurteilung könne nicht durch eine gutachtliche Bewertung, die im Wege apodiktischer Feststellung zu dem Ergebnis gelange, dass es sich um eine glatte Fehldiagnose gehandelt habe - so das Gutachten Dr. R1. - erschüttert werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. Juli 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2001 aufzuheben,

hilfsweise von Dr. M3. G. ein Gutachten nach § 109 SGG zu den Beweisfragen des Sozialgerichts vom 16. Mai 2003 (= Beweisfragen zum Gutachten Dr. R1.) einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Das Berufungsgericht hat von dem praktischen Arzt Dr. M. einen Befundbericht eingeholt (17.8.2005: chronisch rezidivierende obstruktive Bronchitis, Hypertonie, chronisches Lumbalsyndrom bei degenerativen Lendenwirbelsäulenveränderungen). Nach dem diesem Bericht beigefügten Bericht des Kardiologen Dr. P. vom 1. November 2004 bestanden keine Ischämiezeichen, keine angina pectoris und eine gute Funktion des vitium corda. Gemäß dem ebenfalls beigefügten Bericht des Urologen Dr. K. vom 20. Dezember 2004 war kein Nachweis eines Steines gegeben. Der Art für Neurologie und Psychiatrie Dr. F2. hat im Befundbericht vom 20. Juli 2004 auf Grund der Untersuchung vom 19. Juli 2004 den Verdacht auf eine Somatisierungsstörung geäußert; jedenfalls habe die Beschwerdeschilderung dafür gesprochen. Ein eigentliches depressives Syndrom sei jedoch nicht deutlich geworden. Es bestünden keine Hinweise auf eine organische Hirnleistungsschwäche oder Wesensänderung oder auf formale oder inhaltliche Denkstörungen. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R2., bei dem der Kläger seit 30. März 2005 in Behandlung steht, hat im Bericht vom 21. Oktober 2005 mitgeteilt, dass der Kläger psychopathologisch ein mittelschweres depressives - aber episodenhaftes -Zustandsbild zeige. Die Medikation sei von Doxeptin auf Mirtazapin umgestellt worden. Aus seiner nervenärztlichen Sicht sei der Kläger erwerbsunfähig.

Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B2. hat den Kläger nach § 106 SGG von Amts wegen am 2. März 2007 im Beisein der Dolmetscherin für die türkische Sprache Mahpare Krause exploriert und den Befundbericht vom 3. März 2007 erstattet. Nach diesem Befundbericht bestehen beim Kläger weder Zeichen für einen hirnorganischen Abbau noch Hinweise für eine Erkrankung aus dem endogenen Formenkreis oder überzeugende Befunde, um eine tiefer greifende neurotische Problematik annehmen zu können. Psychotische Denk- und/oder Erlebnisinhalte sind auch hintergründig nicht zu vermuten. Letztendlich reduziert sich nach Dr. B2. der Gesamteindruck auf eine im Wesentlichen persönlichkeitsgetragene und durch situative Umstände geprägte Anpassungsstörung.

In der mündlichen Verhandlung am 14. März 2007 hat der Senat Dr. B2. als medizinischen Sachverständigen gehört. Wegen dessen Ausführungen wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten und Gutachtenakten der Beklagten und der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§ 141, 151 Sozialgerichtsgesetz ( SGG )).

Das Rechtsmittel ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte hat den Bescheid vom 10. März 1998, mit dem sie dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt hat, zu Recht mit Wirkung für die Vergangenheit und Zukunft zurückgenommen.

Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen des § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Der Rentenbescheid vom 10. März 1998 war für den Kläger ein begünstigender Verwaltungsakt. Dieser Verwaltungsakt war rechtswidrig, denn der Kläger war im Zeitpunkt des Erlasses dieses Bescheids nicht erwerbsunfähig, aber auch nicht berufsunfähig (§§ 44, 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB VI ) in der damals - und bis zum 31. Dezember 2000 - geltenden Fassung ( a. F. )). Von der Erteilung des Bescheides vom 10. März 1998 an bis zur mündlichen Verhandlung am 14. März 2007 war der Kläger ebenfalls nicht erwerbsunfähig oder berufsunfähig. Bei ihm lag oder liegt auch keine zur Rente berechtigende Erwerbsminderung nach dem ab 1. Januar 2001 geltenden Recht des SGB VI (§§ 43, 240 SGB VI n. F.) vor. Der Bescheid vom 10. März 1998 - ein Dauerverwaltungsakt - ist folglich in vollem Umfang rechtswidrig.

Nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VI a. F. sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Erwerbsunfähig ist nach § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI a. F. nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger bei Bescheiderteilung am 10. März 1998 nicht. Er war nämlich in der Lage, zumindest noch leichte körperliche Arbeiten - mit geringen qualitativen Einschränkungen - vollschichtig zu verrichten. Damit lag auch Berufsunfähigkeit nicht vor. Denn der Kläger genoss als sog. "Übriger Arbeiter" der D. P. AG keinen Berufsschutz, sondern war auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Ihm stand ab Dezember 1997 deshalb weder Rente wegen Erwerbsunfähigkeit noch Rente wegen Berufsunfähigkeit zu.

Zwar hat Dr. A1. am 18. Februar 1998 keine Zweifel gehabt, dass beim Kläger eine sehr ausgeprägte paranoid-halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis bestehe, und gemeint, dass diese Erkrankung Leistungsunfähigkeit beim Kläger begründe. Diese Diagnose war indessen unzutreffend. Sie fußte nicht auf der Erhebung eines psychopathologischen Befundes. Vom Kläger waren damals überhaupt keine eigenen Angaben zu erfahren, da er sich zurückzog, sich unruhig abwandte, an die Decke schaute und anfing, sich mit imaginären Stimmen zu unterhalten. Es war Frau Dr. A1. "in der Untersuchungssituation" nicht möglich, einen gezielten Kontakt zum Kläger aufzunehmen, da er sich auf jene Art verhielt, die im "Untersuchungsbefund" auf Seite 2 Mitte des Gutachtens vom 20. Februar 1998 beschrieben ist, auf den - um Wiederholungen zu vermeiden - Bezug genommen wird. Eine eingehende körperliche Untersuchung des Klägers fand nicht statt. Selbst für die Durchführung der im Gutachten bezeichneten orientierenden internen und neurologischen Untersuchung, die nach Dr. A1. einen gravierenden Befund vom Krankheitswert nicht feststellen ließ, gibt das Gutachten keinen wirklich überzeugenden Anhalt. Der Untersuchungsbefund beschränkt sich vielmehr auf die allgemeine Aussage, dass es sich beim Kläger um einen großen, sehr kräftigen, innerlich sehr angespannt und misstrauisch wirkenden Mann in deutlich reduziertem Allgemeinzustand und deutlicher Verwahrlosungstendenz handele. Anamnestische Angaben hat Dr. A1. nur vom Sohn H. B. und von der begleitenden Krankenschwester erhalten. Die von der R. N1. stammenden Angaben im Fragebogen vom 13. Februar 1998 und die Verordnung von zwei mal drei Tropfen Haldol, einer Tablette Tafil und einer Ampulle Imap pro Woche - über die ihr ein Zettel vorgelegt wurde - hat Dr. A1. als glaubhaft übernommen, sodass sie fälschlicherweise zu der Auffassung gelangt ist, dass zumindest seit Sommer 1997 eine schizophrene Symptomatik vorliege. Eine solche Symptomatik bestand aber nicht einmal nach dem Attest von Dr. A. vom 27. November 1997, nach welchem eine schwere Depression, verbunden mit Angstzuständen und Schlafstörungen, vorlag und sich ein Versagenszustand diagnostizieren ließ. Im Übrigen ergibt sich aus dem Befundbericht des Dr. A. vom 19. Juni 2001, dass er seinerzeit einen psychopathologischen Befund durch eigene Befragung des Klägers nicht erhoben hat. Die Kommunikation wurde von ihm im Wesentlichen über den Kläger zur Untersuchung begleitende Bekannte geführt.

Der Senat stützt seine Feststellung, dass der Kläger bei Bescheiderteilung (und auch später) weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig war, auf die Gutachten des Dr. J., die Stellungnahme des Dr. F1. und die Gutachten/Ausführungen von Dr. R1. und Dr. B2 ...

Nach Dr. J., der sich, weil sich der Kläger selbst nicht entkleidete, auf das Messen des Pulses (96/min., regelmäßig), die Auskultation der Lunge (deutliches exspiratorisches Giemen und Brummen über allen Lungenabschnitten) beschränkt hat, nachdem er dem unkooperativen Kläger Jacke und Hemd ausgezogen hatte, liegt eine Vortäuschung einer psychischen Erkrankung vor. Dr. J. hat diesen Schluss mit zahlreichen Widersprüchen und Ungereimtheiten begründet, die bei den Untersuchungen des Klägers zu Tage getreten sind. Dr. F1. hat nach Auswertung der von den Ärzten Y1. und Dr. A. im Mai/Juni 2001 ausgestellten Atteste klar gestellt, dass die Berentungsdiagnose "schizophrene Erkrankung" nicht vorliegt. Sie sei vorgetäuscht worden. Dr. R1., bei der sich der Kläger völlig anders als am 13. Februar 1998 und 30. November 2000 (Dr. A1., Dr. J.) dargestellt und verhalten sowie bei der Befragung bereitwillig Auskunft gegeben hat, hat zwar ebenfalls auf eine körperliche Untersuchung verzichtet, weil körperliche Symptome fehlten und der Kläger untergründig feindselig wirkte. Jedoch lässt der von Dr. R1. erhobene psychopathologische Befund, dass nämlich ein psychiatrisches Leiden von Krankheitswert nicht vorliegt, an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Der Kläger hat sich bewusstseinsklar, orientiert, konzentriert, merkfähig, emotional schwingungsfähig, affektiv unauffällig, allerdings angespannt und zum Teil gereizt, gezeigt und hat nicht mehr die 1998/2000 gezeigten "psychopathologischen Auffälligkeiten" geboten. Formale Denkstörungen oder eine produktive Symptomatik (Wahn, Halluzinationen) bestanden nicht, allenfalls lag eine nicht krankheitswertige Persönlichkeitsauffälligkeit vor. Diese steht einem vollschichtigen Leistungsvermögen nicht entgegen. Dr. R1. hat klar gestellt, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung des Klägers bei Dr. A1. auch eine Depression bzw. depressive Störung im Rahmen einer Anpassungsstörung nicht vorgelegen hat.

Bei Dr. B2. war der Kläger ebenfalls bewusstseinsklar und voll orientiert. Im Laufe der Untersuchung ist sein - demonstriertes - apathisches, Blickkontakt nicht aufnehmendes, auf Ansprache nicht reagierendes, psychomotorisch gebundenes, den Eindruck völliger Gebrechlichkeit vermittelndes Verhalten einer zunehmenden Gesprächigkeit und einem der Situation angemessenen Auftreten bei ausgeglichener Stimmungslage, Wachheit, Aufmerksamkeit und beherrschtem Affekt gewichen. Zwar ließ sich der Kläger, der in Begleitung der Ehefrau und eines Bekannten zur Untersuchung bei Dr. B2. erschien, zunächst wie ein körperlich kranker, gebrechlicher Mann am Arm führen. Dieses Verhalten hat der Kläger im Verlauf der Untersuchung aber nicht mehr demonstriert. Während er am Anfang fast apathisch wirkte, keinen Blickkontakt aufnahm, auf Ansprache nicht reagierte und den Anschein erweckte, wie von fern erst mühsam gedanklich in die Gegenwart zurückfinden zu müssen, taute er, nachdem die Dolmetscherin auf Bitte des Gutachters mit ihm vor der später vom Gutachter selbst durchgeführten Exploration einen längeren Smalltalk geführt hatte, um ihn gewissermaßen aufzuwärmen, ersichtlich auf, wurde immer gesprächiger. Seine anfänglich gebundene Körperhaltung löste sich auf, sodass er nach wenigen Minuten wie ausgewechselt erschien. In der Folge war es Dr. B2. dann problemlos möglich, mit dem Kläger ein sehr umfassendes und Problem orientiertes Gespräch zu führen, wobei dieser allerdings bei bestimmten, ihm sensibel erscheinenden Fragen die Antwort mit der Begründung schuldig blieb, dass er sich nicht erinnern könne. Insgesamt machte der Kläger aber einen entspannten Eindruck und wirkte wach und aufmerksam. Vordergründig betrachtet war er völlig unauffällig.

Dr. B2. hat Zeichen eines hirnorganischen Abbaus nicht festzustellen und Hinweise für eine Erkrankung aus dem endogenen Formenkreis nicht auszumachen vermocht. Für eine tiefer greifende neurotische Problematik hat er keinen Befund erheben können. Zusammengefasst liegt, wie von Dr. B2. in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, eine im Wesentlichen persönlichkeitsgetragene, durch situative Umstände geprägte Anpassungsstörung vor. Rein phänomenologisch betrachtet bestand im Februar 1998 angesichts des außerordentlich bizarren Verhaltens des Klägers zwar dringend Anlass, das Vorliegen eines relevanten psychiatrischen Befundes zu vermuten. Eine zusätzlich erforderliche differentialdiagnostische Abklärung, eine medizinische Recherche iS einer Hinterfragung, die diese Vermutung widerlegt hätte, blieb damals allerdings aus. Die Ergebnisse der neuro-psychiatrische Untersuchung durch Dr. B2. vom 2. März 2007 und der psychiatrischen Untersuchung durch Dr. R1. am 12. Juni 2003 lassen indes keinen Zweifel daran, dass bei dem Kläger eine sozialmedizinisch relevante Erkrankung (iS einer schizophrenen oder affektiven Psychose) weder bestand noch besteht. Nach alledem war der Kläger im Frühjahr 1998 und ist auch gegenwärtig noch in der Lage, vollschichtig Arbeiten zu verrichten. Durch ein seelisches Leiden von Krankheitswert ist er an einer Arbeitsaufnahme nicht gehindert. Behauptete Hemmungen gegenüber einer Arbeitsaufnahme kann er aus eigener Kraft überwinden. Die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 10. März 1998 steht damit fest.

Der Senat sieht keine Veranlassung, entsprechend dem Hilfsantrag von Dr. G. ein Gutachten nach § 109 SGG einzuholen. Der Kläger hat diesen Arzt verspätet benannt. Nachdem ihm das Gericht unter dem 30. März 2006 mitgeteilt hatte, dass es eine weitere Begutachtung nicht für notwendig halte, und eine Frist zur Beantragung eines Gutachtens nach § 109 SGG zum 30. April 2006 gesetzt hatte, hat der Kläger am 28. April 2006 um Fristverlängerung von zwei Wochen gebeten, die gewährt worden ist. Am 10. Mai 2006 hat der Kläger zwar beantragt, ein Gutachten nach § 109 SGG von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M4. einzuholen, der sich am 2. Juni 2006 zur Erstattung eines Gutachtens auch bereit erklärt hat. Dann hat der Kläger jedoch am 9. Juni 2006 beantragt, Dr. H1. nach § 109 SGG zu beauftragen. Dr. H1. hat am 27. Juni 2006 mitgeteilt, dass er sich zur Erstellung eines Gutachtens nicht in der Lage sehe. Das Gericht hat dem Kläger dann unter dem 29. Juni 2006 eine Frist zur Benennung eines Arztes nach § 109 SGG zum 20. Juli 2006 gesetzt. Der Kläger hat am 7. Juli 2006 wiederum Dr. M4. als Gutachter benannt und 1.000 EUR eingezahlt. Dr. M4. hat nunmehr die Erstattung eines Gutachtens am 29. September 2006 abgelehnt. Daraufhin ist dem Kläger am 4. Oktober 2006 eine Frist bis zum 20. Oktober 2006 gesetzt worden, einen Gutachter zu benennen und eine Erklärung desselben beizufügen, dass er das Gutachten erstatten werde. Am 17. Oktober 2006 hat der Kläger Fristverlängerung bis zum 10. November 2006 beantragt, die am 23. Oktober 2006 gewährt worden ist. Am 9. November 2006 hat der Kläger beantragt, Fristverlängerung bis 20. Dezember 2006 zu bewilligen. Das Gericht hat dem Kläger unter dem 17. November 2006 mitgeteilt, dass die Frist nicht verlängert werde.

Zwar hat der Kläger am 30. November 2006 beantragt, Dr. M3. G. als Gutachter nach § 109 SGG zu bestellen, der sich auf sein Schreiben vom 21. November 2006 unter dem 28. November 2006 gegenüber ihm hierzu bereiterklärt hatte. Dieser Antrag ist aber außerhalb der am 10. November 2006 geendeten Frist eingegangen und ist damit unzulässig. Der Kläger hat über sieben Monate Zeit gehabt, einen zur Gutachtenerstellung bereiten Arzt seines Vertrauens zu benennen. Das Gericht war deshalb, zumal es damit rechnen musste, dass die Erledigung des Rechtstreits sich weiter verzögern würde, nicht gehalten, dem am 30. November 2006 nach § 109 SGG gestellten Beweisantrag nachzukommen.

Für die Erneuerung dieses Beweisantrages in der mündlichen Verhandlung gilt nichts anderes. Das Gericht braucht auch nunmehr Dr. G. nicht nach § 109 SGG zu hören. Daran ändert nichts, dass das Gericht am 16. Februar 2007 nach § 106 SGG als medizinischen Sachverständigen Dr. B2. bestellt, mit der Untersuchung des Klägers, der Erstellung eines Befundberichts sowie mit der Beantwortung der Beweisfragen in der mündlichen Verhandlung beauftragt und dass Dr. B2. sich in der mündlichen Verhandlung der Gutachterin Dr. R1. angeschlossen hat. Hierdurch lebt das Antragsrecht des Klägers nach § 109 SGG, das er durch die Nichtbenennung eines gutachtlich zu hörenden "bestimmten Arztes" in der ihm gesetzten - mehrmals verlängerten - Frist verloren hat, nicht wieder auf. Das unterscheidet den Fall des Klägers von der Fallkonstellation, in der das Gericht von Amts wegen ermittelt, einen Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung lädt und nunmehr erstmals ein Antrag nach § 109 SGG gestellt wird (vgl. Bundessozialgericht 15. Januar 1960 - 11 RV 528/58, SozR § 109 SGG Nr. 27).

Die Beklagte durfte den Bescheid vom 10. März 1998 auch für die Vergangenheit und Zukunft zurücknehmen. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Diese - nur alternativ zu erfüllenden - Voraussetzungen, unter denen Vertrauensschutz nicht besteht, liegen vor.

Der Kläger hat den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung bewirkt. Die arglistige Täuschung setzt wie der strafrechtliche Betrug das Hervorrufen oder Aufrechterhalten eines Irrtums durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen voraus, verlangt aber weder Bereicherungsabsicht des Täuschenden noch Schädigung des Vermögens des Getäuschten. Erforderlich ist der Vorsatz, auf den Erklärungswillen des anderen einzuwirken; Eventualvorsatz genügt, so etwa das Bewusstsein, dass die Täuschung den anderen zu der Erklärung bestimmen könne. Es ist ein unlauteres Verhalten notwendig, Schädigungsabsicht bzw. Schädigungsvorsatz erfordert die Arglist nicht. Das Verhalten des Klägers, der - wie Dr. B2. ausgeführt hat - um die Bedeutsamkeit der Begutachtung und um die Konsequenzen seines Verhaltens im zielgerichteten Sinne wusste, war darauf ausgerichtet, bei der Gutachterin Dr. A1. - und letztlich beim Rentenversicherungsträger - die Vorstellung zu erwecken, als handele es sich bei ihm um ein schwerwiegendes, seine Leistungsfähigkeit ausschließendes Krankheitsgeschehen. Dieses Verhalten war vom Kläger steuerungsfähig und wurde auch gesteuert. Der Kläger fuhr, wie es Dr. B2. ausgedrückt hat, bei der Untersuchung durch Dr. A1. ein auf die Rentengewährung gerichtetes, kalkuliertes Täuschungsmanöver. Sein Verhalten war gespielt, vorgetäuscht, sollte - welchen es bei der Gutachterin auch bewirkt hat - den Eindruck einer psychotischen Erkrankung vermitteln. Dazu gehörte sein im Wartezimmer gezeigtes Verhalten (Spielen mit Bauklötzen, gespieltes halluzinatorisches Verhalten, Zeichenmachen, Beantwortung und Unterhaltung von/mit imaginären Stimmen, Aufspringen etc.). Anzeichen dafür, dass der Kläger bei seinem vorgetäuschten, demonstrierten auffälligen Verhalten unter dem Druck anderweitiger Beeinflussung gehandelt und die Folgen seines Verhaltens nicht überblickt hat, sind nicht zu erkennen. Hätte der Kläger sich nicht so - wie geschehen – aufgeführt, hätte Dr. A1. weder von einer eingehenden körperlichen Untersuchung Abstand genommen noch auf eine eigenständige Exploration des Klägers verzichtet, sodass sie weder auf die zum Teil unzutreffenden schriftlichen Angaben im Fragebogen vom 13. Februar 1998 noch auf die "Fremdanamnese" des H. B. und der begleitenden Krankenschwester hätte zurückgreifen müssen. Der Kläger hat sich zwar sowohl bei Dr. R1. als auch bei Dr. B2. und ebenso in der mündlichen Verhandlung zum Komplex "Täuschung" ausgeschwiegen bzw. auf darauf abzielende Fragen der Gutachter nur insoweit geantwortet, als dass er sich an sein Verhalten bei der Untersuchung nicht erinnern könne. Das Gericht hat jedoch, zumal der Kläger bei Dr. R1. und Dr. B2. ein von seinem Verhalten am 18. Februar 1998 gänzlich abweichendes Bild geboten hat, keinen Zweifel daran, dass der Kläger am 18. Februar 1998 mit Täuschungswillen und auch mit der Absicht agiert hat, einen für den Erlass des Verwaltungsaktes ausschlaggebenden Irrtum bei Dr. A1. zu erzeugen. Der bewilligende Bescheid vom 10. März 1998 wurde durch diese arglistige Täuschung erwirkt, weil die Verwaltungsentscheidung des Referenten der Beklagten vom 9. März 1998 (Erwerbsunfähigkeit seit 24. April 1997), dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Dezember 1997 zu gewähren, Folge dieser arglistigen Täuschung der Gutachterin war.

Der Kläger kannte auch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Er war sich im Klaren, dass der Rentenbescheid auf ihm bekannten falschen Tatsachen - nämlich einer in Wirklichkeit nicht vorliegenden, von ihm nur gespielten schizophrenen Erkrankung - beruhte. Zumindest musste er sich - wie Dr. B2. bestätigt hat - im Klaren sein, dass der positive Rentenbescheid auf ihm bekannten falschen Tatsachen beruhte.

Ob der Verwaltungsakt darüber hinaus auch auf Angaben beruht, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat, bedarf keiner Entscheidung. Der Rentenbescheid beruht allerdings auch auf Angaben, die H. B. mündlich bei Dr. A1. und R. N1. schriftlich im Fragebogen vom 13. Februar 1998 gemacht haben. Diese Angaben zur Anamnese und zur Medikation, die in mancher Hinsicht nicht der Wahrheit entsprechen, haben mit Sicherheit dazu beigetragen, dass Dr. A1. eine Fehldiagnose stellte und dass die Beklagte im Vertrauen auf die Richtigkeit des Gutachtens vom 20. Februar 1998 die Rente gewährte. Es spricht manches dafür, dass der Kläger sich diese in wesentlicher Beziehung unrichtigen Angaben zurechnen lassen muss. Denn er war in der Lage, den anamnestischen Ausführungen seines Sohnes zu folgen, den Verlauf des Gespräches mitzubekommen und bei nicht zutreffenden Informationen aktiv und korrigierend einzugreifen. Der Kläger hätte die Dinge richtig stellen können, wenn er dies gewollt hätte. Das ergibt sich aus den Ausführungen von Dr. R1. (Seite 19 des Gutachtens). Das trifft auch für die Ausführungen der ihn begleitenden Krankenschwester zu, die bei Dr. A1. den Eindruck verstärkte, dass eine stationäre Behandlung des Klägers dringend indiziert sei, so dass Dr. A1. keinen Zweifel mehr an ihrer (falschen) Diagnose hatte. Der Kläger wollte dies aber offenbar nicht, weil sonst das Vorhaben wahrscheinlich geplatzt wäre. Ob er sich angesichts dieses Umstandes im Rahmen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X auch die unrichtigen Angaben Dritter, hier von Familienangehörigen oder Nahestehenden (vgl. hierzu Wiesner, in: von Wulffen u. a., SGB X, 4. Aufl., 2001, § 45 Rdnr. 22), zurechnen lassen muss, bedarf - wie gesagt - keiner Entscheidung, weil bereits die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 - und auch Nr. 3 - SGB X vorliegen.

Die Beklagte durfte den Rentenbescheid auch im Jahre 2001 noch zurücknehmen. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach § 45 Abs. 2 SGB X nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X). § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) vorliegen (§ 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X). Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach § 45 Abs. 2 SGB X u. a. zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 SGB X gegeben sind (§ 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X). Nur in den Fällen von § 45 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 SGB X wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 45 Abs. 4 SGB X).

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts gilt in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X (arglistige Täuschung) nicht die Zehnjahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X. In § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X wird § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X nicht aufgeführt. Vielmehr ist vorliegend die Zurücknahme unbeschränkt möglich (vgl. Wiesner, in: von Wulffen, SGB X, § 45 Rdnr. 30). Es werden hierbei ein § 580 ZPO entsprechender Wiederaufnahmegrund und ein Tatbestand vorausgesetzt, der dem § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X entspricht. Selbst wenn aber, wie vereinzelt in der Literatur vertreten wird, bei § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X die Zehnjahresfrist gälte, wäre diese Frist hier eingehalten. Im Übrigen griffe die Zehnjahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X auch deshalb ein, weil auch die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gegeben sind.

Die Beklagte durfte den Bescheid vom 10. März 1998 auch für die Vergangenheit zurücknehmen, denn es liegt ein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vor. Ob auch ein Fall des § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X vorliegt, kann offen bleiben, denn § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X ist nicht kumulativ ("und") gemeint, sondern alternativ ("oder") zu lesen. Die Beklagte hat den Bescheid vom 17. Juli 2001 auch in der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X erlassen. Sie hat die Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes rechtfertigen, frühestens nach Einsichtnahme in das Gutachten des Dr. J. vom 6. Dezember 2000 erhalten, so dass der Rücknahmebescheid in der gesetzlichen Frist erging.

Der Senat hält die Ermessenserwägungen, die die Beklagte zur Begründung der vollständigen Rücknahme des Bescheides vom 10. März 1998 angeführt hat, mit dem Sozialgericht, auf dessen Ausführungen insoweit verwiesen wird (§ 153 Abs. 2 SGG), für ausreichend. Der Kläger hat - soweit er nicht ohnehin nur das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zurücknahme bestreitet - im Wesentlichen nur vorgebracht, dass er die Leistungen bereits verbraucht habe. Dieser Umstand ist indes unbeachtlich, weil der Kläger sich auf den Verbrauch erbrachter Leistungen bzw. im Zusammenhang damit auf Vertrauen, wie der Vergleich von § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X mit § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X zeigt, nicht berufen kann. Weitere ermessensrelevante Gesichtpunkte hat der Kläger nicht vorgebracht. Zu Recht führt die Beklagte als einen negativen Ermessensgesichtpunkt an, dass der Kläger selbst bei der Untersuchung durch Dr. J. im November 2000 durch sein Verhalten noch versucht hat, den Sachverständigen zu einer Leistungsbeurteilung zu veranlassen, die dem tatsächlichen gesundheitlichen Bild nicht entsprach. Bei dieser Sachlage ist die Annahme nicht verfehlt, dass das öffentliche Interesse an der Rücknahme des Bescheides überwiegt. Selbst wenn bei arglistiger Täuschung oder Bösgläubigkeit eine Ermessensschrumpfung des Ermessenspielraums auf Null nicht automatisch einträte, so bietet der vorliegende Fall keinen Anhalt, der Beklagten Ermessensfehlgebrauch oder Ermessensnichtgebrauch zu unterstellen.

Hat die Beklagte nach alledem den Rentenbescheid vom 10. Februar 1998 zu Recht zurückgenommen, so hat der Kläger die bereits erbrachten Leistungen zu erstatten (§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür fehlen.
Rechtskraft
Aus
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