L 28 B 889/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 99 AS 8623/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 889/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. Mai 2007 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. Mai 2007 ist gemäß § 172 Abs. 1 und § 173 Sozialgerichtsgesetzt (SGG) zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat dem Antragsteller im Ergebnis zu Recht einstweiligen Rechtsschutz gewährt.

Das Rechtsschutzgesuch des Antragstellers, der in einer Bedarfgemeinschaft lebt, richtet sich nach § 86 b Abs. 1 SGG. Denn mit dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 4. Dezember 2006 ist u. a. ihm Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 311,00 EUR für den Bewilligungsabschnitt vom 1. Februar 2007 bis zum 30. Juni 2007 gewährt worden. Damit hat der Antragsgegner einen Rechtsgrund geschaffen, aus dem der Antragsteller für die jeweiligen Monate tatsächlich die Auszahlung der von ihm begehrten Leistungen verlangen kann. Wenn der Antragsgegner meint, diese Leistungsgewährung sei vom 1. April 2007 an insoweit rechtswidrig geworden, so bedarf der Bewilligungsbescheid der Aufhebung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Dieser Bescheid, der hier unter dem 28. März 2007 ergangen ist, und der mit dem Änderungsbescheid am 5. April 2007 über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. April 2007 bis zum 30. Juni 2007 eine Einheit bildet, stellt eine den Antragsteller belastende Regelung dar, weil mit ihr in die dem Antragsteller mit dem Bewilligungsbescheid vom 4. Dezember 2006 gewährte und ihn begünstigende Rechtsposition eingegriffen worden ist.

Der Senat kann offen lassen, ob die genannten Bescheide und der weitere Bescheid des Antragsgegners vom 26. April 2007, mit dem er über die Höhe der Kosten der Unterkunft der Bedarfsgemeinschaft nach deren Umzug zum 1. Juni 2007 entschieden hat, gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden sind, in dem sich der Antragsgegner gegen die mit Bescheid vom 19. Februar 2007 für den Bewilligungsabschnitt vom 1. April 2007 bis zum 30. Juni 2007 verfügte Sanktion wendet, oder ob der vorliegende Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes vom 11. April 2007 als Widerspruch gegen die in diesem Verfahren streitgegenständliche Sanktionsentscheidung auszulegen ist. Da jedenfalls ein Widerspruch nach § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung hat, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG.

Hiernach kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ob die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen ist oder nicht, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, bei der das private Interesse des Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Um eine Entscheidung zugunsten des Bescheidadressaten zu treffen, ist zumindest erforderlich, dass bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides bestehen (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, Rdnr. 197 ff.). Ist in diesem Sinne eine Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens zu bejahen, ist weiterhin Voraussetzung, dass dem Betroffenen das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann, also ein gewisses Maß an Eilbedürftigkeit besteht (Beschlüsse des Senats vom 6. März 2007 - L 28 B 290/07 AS ER - ,vom 2. Mai 2007 - L 28 B 517/07 AS ER – und vom 6. Juni 2007 – L 28 B 731/07 AS ER - sowie bereits Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 12. Mai 2006 - L 10 B 191/06 AS ER -, abrufbar unter: www.sozialgerichtsbarkeit.de).

An diesen Grundsätzen gemessen war die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die angefochtene Entscheidung des Antragstellers anzuordnen. Denn im vorliegenden Verfahren bestehen bereits ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von dem Antragsgegner getroffenen Entscheidung, ohne dass es auf die Rechtmäßigkeit der verhängten Sanktion in der Sache ankäme.

Mit dem Bescheid vom 28. März 2007 hat der Antragsgegner eine monatliche Absenkung des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 1. April 2007 bis zum 30. Juni 2007 "um 30 % der Regeleistung", höchstens jedoch in Höhe des dem Antragsteller zustehenden "Gesamtauszahlungsbetrages", "maximal" aber "in Höhe 93,00 EUR monatlich", verfügt.

Bedenken gegen diese Verfahrensweise des Antragsgegners bestehen im vorliegenden Fall im Hinblick darauf, ob ein solcher Verfügungssatz, dem der Hilfebedürftige nicht die tatsächliche Höhe der ihm für den Sanktionzeitraum zustehenden Leistung entnehmen kann, den Anforderungen genügt, die an die Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes zu stellen sind (vgl. § 33 SGB X). Denn nach § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB II treten Absenkung und Wegfall mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt, folgt. Sinn und Zweck dieses Ausschlusses der Festsetzung einer Sanktion für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum ist es, dem Betroffenen zu ermöglichen, sich darauf einzustellen, dass er in der Folgezeit (für den Sanktionszeitraum) nur noch mit niedrigeren Leistungen zur laufenden Sicherung des Lebensunterhalts rechnen kann. Da mit den Leistungen der laufende Bedarf für das soziokulturelle Existenzminimum gedeckt werden soll, muss es ihm möglich sein, auf eine Absenkung zu reagieren und im Vorhinein zu entscheiden, auf welche Weise er ggf. den fehlenden Betrag decken kann. Dazu muss ihm insbesondere von vornherein klar sein, in welcher Höhe er eine Absenkung hinzunehmen hat. Der Unfang der Kürzung muss deshalb konkret und unmissverständlich (Berlit in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 31 RdNr. 146) dem Bescheid zu entnehmen sein. Mangelt es an einer Bestimmtheit in diesem Sinne, kann dies nicht nach Ablauf des Sanktionszeitraumes nachträglich geheilt werden; dem steht der Gesetzeszweck des § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB II entgegen (Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 14. Juni 2007 – L 26 B 907/07 AS ER -). Die mangelnde Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes kann (anders als seine fehlende Begründung) nicht nach § 41 SGB X geheilt werden, da es sich nicht um einen Formfehler handelt. Der ursprüngliche Verwaltungsakt leidet bei fehlender Bestimmtheit an einem besonders schweren Fehler (Recht in: Hauck/Noftz, K § 33 SGB X RdNr. 3; Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 5. Auflage 2005 § 33 RdNr. 6).

Im vorliegenden Fall bestehen insoweit erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides. Seinem Verfügungssatz ist ein konkreter Absenkungsbetrag nicht zu entnehmen. Er benennt lediglich einen Rahmen (mindestens 30 %/maximal 93,00 EUR), um den die Regeleistung für den Sanktionzeitraum abgesenkt werden soll. Soweit der Antragsgegner mit Bescheid vom 5. April 2007 die Leistungsansprüche des Antragstellers und die der Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft für den Sanktionszeitraum neu festgesetzt hat, dürfte dies an der mangelnden Bestimmtheit der Sanktionsentscheidung nichts ändern. Abgesehen davon, dass dem Ausspruch dieses Bescheides lediglich die Höhe der der Bedarfgemeinschaft insgesamt zustehenden Ansprüche nach dem SGB II zu entnehmen ist, der Antragsteller also diesem Verfügungssatz nicht entnehmen kann, um welchen Betrag seine Regelleistung gekürzt wird, findet sich lediglich am Ende dieses Bescheides der Hinweis, dass die "Leistungen wegen Absenkung des Arbeitslosengeldes II/Sozialgeldes (Sanktion) um 186,00 EUR gemindert werden". Dieser Betrag stimmt allerdings nicht mit der im Bescheid vom 28. März 2007 verhängten Sanktion überein, nach der sich für den Sanktionzeitraum "eine Absenkung von maximal 93,00 EUR" ergeben soll.

Es liegt der Schluss nahe, dass der Antragsgegner, nachdem er bereits mit Bescheid vom 19. Februar 2007 gegen den Antragsteller eine Sanktion wegen eines Pflichtenverstoßes nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c SGB II für den Zeitraum vom 1. April 2007 bis zum 30. Juni 2007 festgesetzt hatte, mit Bescheid vom 28. März 2007 und dem Bescheid vom 5. April 2007 gegen den Antragsteller für denselben Sanktionzeitraum eine weitere Sanktion in Höhe einer Absenkung des Regelsatzes um nochmals 30 %, also um insgesamt 60 % wegen einer weiteren Pflichtverletzung festsetzen wollte. Der Senat kann offen lassen, ob das Gesetz eine derartige Addition von Sanktionen für Pflichtverletzungen im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c SGB II zulässt oder nicht vielmehr § 31 Abs. 3 SGB II den Sachverhalt einer wiederholten Pflichtverletzung abschließend regelt. Jedenfalls hat der Antragsgegner in dem Verfügungssatz des Bescheides vom 28. März 2007 bestimmt, dass die Regelleistung für den Zeitraum vom 1. April 2007 bis zum 30. Juni 2007 um 30 %, maximal in Höhe von 93,00 EUR und nicht um 60 % oder aber um 186,00 EUR gemindert würde. Auch vor diesem Hintergrund kann ein Hilfebedürftiger der Entscheidung des Antragsgegners daher nicht mit der notwendigen unmissverständlichen Eindeutigkeit entnehmen, in welcher Höhe eine Absenkung seiner Leistungsansprüche erfolgt und welche Leistungen ihm letztendlich für den Sanktionszeitraum zustehen.

Die Eilbedürftigkeit ergibt sich aus der existenzsichernden Funktion der Leistungen nach dem SGB II.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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