L 6 SB 315/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SB 3954/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 315/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 28. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als 30 festzustellen ist.

Der 1955 geborene Kläger italienischer Staatsangehörigkeit ist als Bürger der Europäischen Union Inhaber einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Mit seinem Erstantrag nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), welcher beim Versorgungsamt Heidelberg am 05.02.2004 einging, gab der Kläger an, unter chronischer Bronchitis, Schwindelattacken, einer ausgeprägten Wirbelsäulensymptomatik, Hypercholesterinämie, Gastritis, Hiatushernie und Zustand nach Hörsturz zu leiden. Das Versorgungsamt zog zahlreiche Arztbriefe, ein Tonaudiogramm und den Entlassbericht aus einer stationären Behandlung in der Abteilung Innere Medizin, Gastroentereologie und Diabetologie des T.krankenhauses in M. vom 26.03.2003 bei.

Mit Bescheid vom 16.08.2004 stellte der Beklagte den GdB mit 30 seit dem 05.02.2004 fest. Gleichzeitig lehnte er es ab, die Schwerbehinderteneigenschaft anzuerkennen. Als Funktionsbeeinträchtigungen legte der Beklagte eine chronische Bronchitis, essentiellen Tremor, chronische Magenschleimhautentzündung/Speiseröhrengleitbruch und Hochtonschwerhörigkeit/Schwindel mit jeweils einem Teil-GdB von 10 und einen Bandscheibenschaden/degenerative Veränderungen der Wirbelsäule/Wirbelgleiten mit einem Teil-GdB von 30 nach versorgungsärztlicher (vä) Stellungnahme der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr N.-M. zugrunde. Der Beklagte stellte in seinem Bescheid ergänzend klar, dass die geltend gemachte Gesundheitsstörung Hypercholesterinämie keine Funktionsbeeinträchtigung bedinge und daher keine Behinderung im Sinne des SGB IX darstelle. Der Kläger erhob Widerspruch. Er meinte, seine gesundheitlichen Behinderungen schränkten ihn wesentlich höher als 30 ein. Weitere Begründungen erfolgten nicht. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.12.2004 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.

Dagegen erhob der Kläger am 27.12.2004 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG). Zur Begründung führte er aus, seine Hochtonschwerhörigkeit habe sich mittlerweile verschlimmert. Wegen der Schwindelgefühle habe er sich in stationäre Behandlung begeben müssen, insgesamt sei der Teil-GdB für diesen Bereich zu niedrig bemessen. Darüber hinaus beträfen die ihn belastenden Gesundheitsstörungen unterschiedlichste Körperregionen und seien zahlreich, was bei der Bildung des Gesamt-GdB erhöhend habe berücksichtigt werden müssen.

Das SG befragte die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen.

Die Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren(HNO)-Krankheiten Dr. F. teilte dem SG unter dem 07.03.2005 mit, sie behandle den Kläger seit September 1990. Der Kläger leide unter einer Innenohrschwerhörigkeit beidseits und Schwindel. Das Versorgungsamt habe die Innenohrschwerhörigkeit des Klägers mit einer MdE um 10 v.H. ausreichend und richtig bewertet. Ein Arztbrief und ein Tonaudiogramm wurden beigefügt. Der Orthopäde Dr. G. berichtete dem SG unter dem 07.03.2005, er behandle den Kläger seit 1990 und seitdem sporadisch bis Mai 2003. Als Diagnose von mehr als sechs Monaten Dauer sei ein rezidivierendes pseudoradikuläres Lumbal- und Cervicalsyndrom zu nennen. Der vom Versorgungsamt beschriebene Befund (Bandscheibenschaden/degenerative Veränderungen der Wirbelsäule/Wirbelgleiten) beschreibe die Beschwerden auf orthopädischem Fachgebiet vollständig, die Würdigung mit einem Teil-GdB von 30 erscheine ausreichend. Der Nervenfacharzt Dr. S. berichtete unter dem 08.03.2005, der Kläger leide unter einem chronisch rezidivierenden Schwindel, chronisch rezidivierenden Lumboischialgien und einem essentiellen Tremor. Aufgrund des Schwindels komme es immer wieder zu Unsicherheiten im Bewegungsablauf, die jedoch wiederholt nur für wenige Tage andauerten und dann wieder abklängen. Die chronisch rezidivierenden Lumboischialgien führten zu ausstrahlenden Schmerzen, welche einige Tage bis mehrere Wochen anhielten. Der essentielle Tremor habe eine Einschränkung der Feinmotorik insbesondere beim Heben und Bewegen von Sachen, etwa beim Essen, zum Gegenstand. Die vom Beklagten erhobenen Befunde und Diagnosen seien nicht vollständig, weil der essentielle Tremor fehle. Diese Störung könne als leichtgradig bewertet werden, der Gesamt-GdB solle unter Berücksichtigung dessen auf 50 angehoben werden. Der Facharzt für Orthopädie Dr. R. teilte dem SG unter dem 07.03.2005 mit, als Arzt für Orthopädie könne er nur zu orthopädischen Beschwerden des Klägers Stellung nehmen. Die von Seiten des Versorgungsamts vorgenommene Bemessung mit einem Teil-GdB von 30 halte er für ausreichend und richtig. Anzufügen sei, dass ein Kernspintomogramm der Lendenwirbelsäule vom 23.09.2004 unter zusätzlicher Berücksichtigung der bereits bekannten Spondylolisthesis L5/S1 mit Grad I im übrigen unauffällig gewesen sei. Der Pneumologe Dr. G. berichtete dem SG unter dem 12.03.2005, er habe den Kläger zuletzt im Januar 2002 und auch zuvor nur in größeren Abständen gesehen. Daher könne er zu den Beweisfragen nicht aktuell Stellung nehmen. Der damalige Zustand des Klägers sei aber eigentlich sehr gut gewesen. Der Internist Dr. B. berichtete unter dem 30.03.2005, er habe den Kläger meist wegen Atemwegsinfekten behandelt. Zwischenzeitlich geschilderte erhebliche Beschwerden hätten sich nach eingehender und umfangreicher Untersuchung meist als nicht schwerwiegende Erkrankungen herausgestellt. Aus internistischer Sicht sei die zum Zeitpunkt der Antragstellung getroffene Entscheidung des Versorgungsamtes ausreichend. Zwischenzeitlich sei der Kläger wegen akuter Oberbauchbeschwerden in stationärer Behandlung gewesen, insoweit sei gegebenenfalls aus internistischer Sicht eine Erhöhung der MdE in Erwägung zu ziehen. Diverse Arztbriefe wurden beigefügt. Dr. M. R., Facharzt für HNO, teilte dem SG unter dem 05.04.2005 mit, im Sommer 2003 sei beim Kläger eine Nasenscheidewandbegradigung und Eröffnung sämtlicher erkrankter Nasennebenhöhlen durchgeführt worden. Mittlerweile sei der Zustand insoweit regelrecht, auch habe der Kläger keine Kopfschmerzen mehr. Eine diesbezügliche Auswirkung mit mehr als sechs Monaten Dauer sei nicht gegeben, denn es bestehe nunmehr ein regelrechter Zustand nach Nasen- und Nasennebenhöhlenoperation. Diese Erkrankungen seien nicht als zusätzliche Behinderung anzusehen.

Das SG veranlasste eine Begutachtung des Klägers von Amts wegen bei dem Neurologen und Psychiater Dr. S ... In seinem unter dem 25.10.2005 erstellten Gutachten kommt der Sachverständige zu folgenden Diagnosen: Sensibilitätsstörungen im Bereich der unteren Extremitäten bei leichter distal betonter Polyneuropathie, leichtes diffuses Schwindelsyndrom bei Hypakusis, Tinnitus beidseits. Die Behinderungen des Klägers seien im Bescheid des Versorgungsamtes nicht vollständig festgestellt, weil der Kläger zudem an einem Tinnitus und einer leichten Polyneuropathie leide. Ein essentieller Tremor habe allerdings nicht festgestellt werden können. Seiner Auffassung nach bedinge die Polyneuropathie, der Tinnitus und der diffuse Schwindel jeweils einen Grad der Behinderung von 10, sodass sich ein Gesamtgrad der Behinderung von 30 bis 40 ergebe.

Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.12.2005 ab. Es entschied, im Mittelpunkt der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers stehe der orthopädische Bereich. Für einen GdB von 40 seien funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten notwendig, wofür aber keine Grundlage bestehe, sodass es beim festgestellten Teil-GdB von 30 verbleibe. Für den HNO-Bereich bestätige die sachverständige Zeugin Dr. F. eine Innenohrschwerhörigkeit beidseits, die mit einem Teil-GdB von 10 zutreffend bewertet sei. Die durchgeführte Nasen- und Nasennebenhöhlenoperation habe einen regelrechten Zustand herbeigeführt und bedinge daher keinen weiteren GdB. Auch auf internistischem Gebiet bestünden keine Behinderungen, die einen GdB von jeweils 10 überschritten. Der von Dr. S. genannte essentielle Tremor habe im Gutachten des Sachverständigen Dr. S. nicht bestätigt werden können. Wenn der Gutachter für die von ihm genannten einzelnen Befunde (Tinnitus, Polyneuropathie, Schwindel) einen Teil-GdB von jeweils 10 benenne, sei dies nicht zu beanstanden, der Gesamt-GdB bleibe aber bei 30.

Gegen den am 02.01.2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 20.01.2006 Berufung eingelegt. Er hat vorgetragen, bei ihm bestünden multiple Funktionsbeeinträchtigungen. Auch der Sachverständige Dr. S. gehe von einem höheren GdB als 30 aus. Unrichtig sei wiedergegeben, dass beim Kläger Funktionsbeeinträchtigungen nur in einem Wirbelsäulenabschnitt vorlägen. Tatsächlich sei sowohl der Lendenwirbelsäulen- als auch der Halswirbelsäulenbereich betroffen. Auch der Befundbericht des behandelnden Schmerztherapeuten müsse beachtet werden. Das Sozialgericht sei verpflichtet gewesen, bei der vielschichtig fachübergreifenden medizinischen Sachlage eine umfassende medizinische Begutachtung einzuholen. Stattdessen habe es ohne Darlegung eigener Sachkompetenz entschieden und damit die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten. Der Kläger hat den Arztbrief des Radiologiezentrums M. vom 14.06.2006 an den Chirurgen Dr. M. vorgelegt, aus dem sich ergebe, dass ein Bandscheibenvorfall im Bereich LWK 4/5 vorliege. Darin werden verstärkte Lumboischialgien rechts ausstrahlend, bei Ausschluss NPP beschrieben. Es bestünden im Vergleich zu einer früheren Untersuchung ein Prolaps LWK4/5 und ansatzweise Spondylarthrosen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Mannheim vom 28. Dezember 2005 und den Bescheid des Beklagten vom 16. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, beim Kläger einen höheren Grad der Behinderung als 30 seit dem 5. Februar 2004 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend. Der festgestellte Teil-GdB für den Wirbelsäulenbefund liege mit 30 bereits an der oberen Grenze des Vertretbaren. Die weiter festgestellten und vom Gerichtsgutachter bestätigten Beeinträchtigungen mit jeweils 10 wirkten sich unter Beachtung der maßgeblichen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB aus. Hieran ändere auch das Vorliegen mehrerer, jeweils mit einem Teil-GdB von 10 zu bewertender Funktionseinbußen, nichts. Dr. G. hat in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.12.2006 für den Beklagten eine Erhöhung des Gesamt-GdB über 30 hinaus abgelehnt. Er war der Auffassung, das orthopädische Gutachten von Dr. S.-F. bestätige die bisherige Bewertung des Wirbelsäulensyndroms bei degenerativen Veränderungen, Wirbelgleiten und Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelsäulenbereich. Ein GdB von 20 für eine Funktionseinschränkung der rechten Schulter sei nicht nachvollziehbar. Die aktive Armhebung werde von Dr. S.-F. rechts mit 100 Grad angegeben. Selbst bei einer passiven Armhebung bis 100 Grad wäre nach den Anhaltspunkten noch ein GdB von nur 10 zu vergeben. Hinsichtlich der beginnenden Kniegelenksarthrose beidseits könne bei bisheriger Sachlage kein messbarer GdB festgestellt werden. Anhaltende wesentliche Reizerscheinungen, wie sie nach den AHP erforderlich seien, könnten nach der bisherigen Aktenlage nicht belegt werden. Denn weder in der Auskunft von Dr. B. vom 13.04.2006 noch in jener vom 23.01.2006 seien wesentlich objektivierbare Reizerscheinungen der Kniegelenke dokumentiert. Der von Dr. S.-F. festgestellte Tremor in beiden Armen rechtfertige keine Gleichsetzung mit einem geringgradig ausgeprägten Parkinsonsyndrom. Außerdem sei ein essentieller Tremor üblicherweise medikamentös gut behandelbar, der bisherige Teil-GdB von 10 sei ausreichend bemessen.

Der Senat hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen gehört.

Der behandelnde Lungenfacharzt, Allergologe und Umweltmediziner Dr. B. hat dem Senat unter dem 24.03.2006 mitgeteilt, er habe den Kläger mehrfach wegen Bronchitis behandelt. Eine allergologische Testung sei negativ verlaufen. Die Bronchitis sei aufgrund langjähriger Beobachtung nicht nur als vorübergehend zu bezeichnen, aber leichtgradig, weil funktionelle Einschränkungen bisher nicht hätten registriert werden müssen. Die Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes sei für das pneumologische Fachgebiet zutreffend, eine dauernde Einschränkung der Lungenfunktion sei nicht gegeben. Der Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Naturheilverfahren, Chirotherapie und Akupunktur Dr. B. hat dem Senat unter dem 13.04.2006 berichtet, er behandle den Kläger seit November 2004. Als Diagnosen benannte er Spannungskopfschmerzen, Schwindel, ein chronisches HWS- und LWS-Syndrom, Impingementsyndrom der rechten Schulter, Supraspinatussyndrom der Schultern beidseits sowie Fibromyalgie. Die bereits vom Beklagten berücksichtigten Gesundheitsstörungen (Bandscheibenschaden/degenerative Veränderung der Wirbelsäule/Wirbelgleiten mit Teil-GdB von 30) bestünden weiter mit wechselnder Intensität. Darüber hinaus leide der Kläger unter einem fibromyalgischen Syndrom mit zunehmender Verschlimmerung, sodass der geschätzte GdB im orthopädischen Fachgebiet 40 betrage. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Wirbelsäulenerkrankung mittelgradig und sämtliche Wirbelsäulenabschnitte (HWS, BWS und LWS) betroffen seien. Der HNO-Arzt Dr. R. hat dem Senat unter dem 06.04.2006 mitgeteilt, der Kläger habe gelegentlich bei Auftreten von Infekten der Nasennebenhöhlen Kopfschmerzen. Die Nebenhöhlen seien jedoch endoskopisch und computertomographisch frei, relativ gut belüftet und dürften allenfalls geringfügig infektanfälliger sein als bei einem gesunden Patienten. Denkbar sei, dass der Kläger nach der Nasennebenhöhlenoperation leicht erhöht infektanfällig sei, ob dieses eintreten werde, könne im Augenblick jedoch noch nicht vorausgesagt werden. Momentan bestehe kein Anhalt für spätere Gesundheitsstörungen. Der Orthopäde Dr. R. hat dem Senat unter dem 19.04.2006 mitgeteilt, er habe den Kläger im Jahr 2005 nur einmal wegen wiederkehrender Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule gesehen. Eine kernspintomographische Abklärung der Halswirbelsäule habe eine Fehlhaltung der HWS bestätigt, erfreulicherweise aber ansonsten keine weitergehenden schwereren degenerativen Veränderungen oder Umbaustörungen. Auch habe eine rheumatische Grunderkrankung ausgeschlossen werden können. Stattdessen werde ein chronisches Schmerzsyndrom mit Übergang zu einem Fibromyalgiesyndrom vermutet. Die Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule und die entsprechend sehr schmerzhaft empfundene subjektive Symptomatik mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt seien mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten. Unter Berücksichtigung der Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule sei ein Gesamt-GdB von 30 vertretbar. Zu dem Fibromyalgiesyndrom könne er keine weiteren Angaben machen, in Bezug auf orthopädische Erkrankungen sei bei ihm nur ein Wirbelsäulenabschnitt (im Bereich der Halswirbelsäule) durch den Kläger benannt worden. Der Internist Dr. B. hat den Senat unter dem 24.04.2006 mitgeteilt, er habe bereits dem SG gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass der Kläger zum Teil erhebliche Beschwerden benannt habe, welche langwieriger Abklärungen bedurft hätten, sich jedoch nicht als schwerwiegend herausgestellt hätten. Aus den beigefügten Befunden ersichtlich sei in der Zwischenzeit noch eine Osteoporose und eine Struma multinodosa festgestellt worden, so dass möglicherweise eine Berichtigung des GdB um weitere 10 v.H. vorzunehmen wäre. Zahlreiche Arztbriefe wurden beigefügt.

Als Sachverständiger gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Orthopäde Dr. S.-F. ein fachorthopädisches Gutachten über den Kläger erstattet. Die Beschwerdeschilderung des Klägers wird in dem Gutachten vom 15.09.2006 wie folgt zusammengefasst: Der Kläger habe angegeben, er leide an heftigsten Schmerzen im Nacken- und Lendenwirbelsäulenbereich und könne dadurch nur unterbrochen schlafen, habe häufig Kopfschmerzen mit Gleichgewichtsstörungen und Schwindel. Darüber hinaus bestünden Schmerzen im Bereich der rechten Schulter mit Einschränkung der Schulterbeweglichkeit, Schmerzen in beiden Kniegelenken sowie Ergussbildung. Der Kläger habe vorgetragen, er könne etwa 20 Minuten am Stück gehen und müsse dann eine kurze Pause einlegen, insbesondere wegen zunehmender Schmerzen im rechten Bein. Darüber hinaus habe der Kläger erklärt, er leide an einem Tremor der Hände, was ihn sowohl körperlich als auch psychisch beeinträchtige. Er gehe regelmäßig ins Fitnessstudio, bekomme hierdurch aber keine dauerhafte Entlastung. Dr. S.-F. hat diagnostiziert: Chronisches Wirbelsäulensyndrom bei beginnender Spondylose und Osteochondrose C4 bis C6, teilfixierte Kyphose der oberen Brustwirbelsäule mit deutlicher Bewegungseinschränkung, chronisches Lumbalsyndrom mit beginnender Spondylose und Osteochondrose mit Spondylarthrose L4/5 bei kernspintomographischem Nachweis eines Bandscheibenvorfalls L4/5 und einer Pseudospondylolisthese L4/S1 mit insgesamt deutlicher Funktionseinschränkung und rezidivierender, langdauernder Schmerzsymptomatik (Teil-GdB 30), deutliche Bewegungseinschränkung der rechten Schulter bei höhergradiger Degeneration der Supraspinatussehne mit Ausprägung eines sekundären Schulterengpasssyndroms (Impingementsyndrom) der rechten Schulter (Teil-GdB 20), beginnende mediale und retropatellare Gonarthrose beidseits mit rezidivierenden Reizergüssen, aktuell des rechten Kniegelenkes (Teil-GdB 20). Als Diagnosen auf nichtorthopädischem Fachgebiet wurden benannt: Chronische Magenschleimhautentzündung, Speiseröhrengleitbruch, Osteoporose, Struma multinodosa (Teil-GdB 20), essentieller Tremor (Teil-GdB 30) und chronische Bronchitis (Teil-GdB 10). In Bezug auf die Wirbelsäule decke sich seine Einschätzung mit der Auffassung des behandelnden Orthopäden Dr. R., neu aufgenommen in den Beschwerdekatalog seien allerdings Schulterbeschwerden rechts sowie Kniebeschwerden beidseits mit entsprechend neu bewerteten Teil-GdB-Sätzen. Weil der Kläger sichtlich und glaubhaft unter dem vorliegenden Tremor leide, sei der bisher zuerkannte Teil-GdB von 10 durch das Versorgungsamt zu gering bewertet. Die AHP sähen insoweit einen Teil-GdB von 30 vor. Dieses entspreche auch der Einschätzung des behandelnden Neurologen Dr. S ... Bezüglich der internistischen Beschwerden sei der Teil-GdB zu erhöhen, was auch der behandelnde Internist Dr. B. empfohlen habe.

Der Kläger musste sich in den Jahren 2006/2007 einem HNO-ärztlichen Eingriff und einer Schilddrüsenoperation unterziehen. Entsprechende Entlassberichte wurden dem Senat vorgelegt.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf die beigezogene Akte des Beklagten und die sozialgerichtlichen Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG) ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden und statthaft (§ 151 Abs. 1 und §§ 143, 144 SGG). Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren Grads der Behinderung als 30 und insbesondere der Schwerbehinderteneigenschaft.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des GdB sind seit dem 1. Juli 2001 die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63 und 68 SGB IX vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046).

Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie weitere gesundheitliche Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).

Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.

Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB oder eines Nachteilsausgleichs ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)", Ausgabe 2004 (AHP) niedergelegt sind (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AHP haben zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken. Sie haben deshalb normähnliche Auswirkungen und sind im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AHP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB oder eines Nachteilsausgleichs. Die AHP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).

Hiervon ausgehend gelangt der Senat nach eigener Überprüfung mit dem SG zur Überzeugung, dass der Kläger keinen GdB von mehr als 30 aufweist und damit auch nicht schwerbehindert ist.

Der Kläger hat erstmals im Berufungsverfahren geltend gemacht, der orthopädische Teil-GdB sei zu niedrig bemessen; im Widerspruchsverfahren hat er seinen Widerspruch dagegen gar nicht und im sozialgerichtlichen Verfahren erster Instanz ausschließlich mit nicht-orthopädischen Beschwerden begründet. Davon konnte sich der Senat nach weiterer Aufklärung des Sachverhalts nicht überzeugen. Der GdB für angeborene und erworbene Schäden an der Wirbelsäule wird nach Nr. 26.18 der AHP entscheidend durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen wie Bewegungsbehinderung und Minderbelastung und ggf. die Mitbeteiligung anderer Organsysteme bestimmt. Bewegungseinschränkung, Wirbelsäulenverformung und Wirbelsäuleninstabilität sowie die Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte sind zu berücksichtigen. Die üblicherweise dabei auftretenden Beschwerden wie Schmerzen sind dabei in die GdB-Werte einberechnet. Wirbelsäulenbeschwerden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität werden nach den AHP mit 0 bemessen. Geringe funktionelle Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) schlagen mit einem GdB von 10 zu Buche. Erst mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage anhaltende Wirbelsäulensyndrome) rechtfertigen dabei einem GdB von 20. Ein GdB von 30 erfordert schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome). Mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten sind nach den AHP mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten und erst besonders schwere Auswirkungen (etwa die Versteifung großer Teil der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst oder eine schwere Skoliose ab circa 70 Grad nach Cobb) bemisst sich mit einem GdB von 50-70.

Gegen schwerwiegende funktionelle Einschränkungen der Wirbelsäule des Klägers spricht zunächst, dass dieser zwar eine "ausgeprägte Wirbelsäulensymptomatik" in seinem Antrag an die Verwaltung genannt hat, dazu aber weder im Widerspruchs- noch im sozialgerichtlichen Verfahren erster Instanz konkret vorgetragen hat, was bei auch subjektiv im Vordergrund stehenden Beeinträchtigungen der Gesundheit auf orthopädischem Gebiet zu erwarten gewesen wäre. Dann wäre auch das vom Kläger benannte Hobby "Fitnessstudio" kaum zu erwarten. Der Sachverständige Dr. S.-F. hat Wirbelsäulenschäden des Klägers mit mittelgradigen Beschwerden und funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten wegen eines chronischen Wirbelsäulensyndroms und einen Teil-GdB von 30 in Übereinstimmung mit den AHP und der Einschätzung des Beklagten bestätigt. Damit stimmen die Einschätzungen der im Verfahren beteiligten Orthopäden diesbezüglich überein: Denn auch der bis 2003 behandelnde Orthopäde Dr. G. und der seitdem behandelnde Orthopäde Dr. R. haben die Feststellungen des Beklagten als vollständig und ausreichend bezeichnet. Sie haben sich der Auffassung des Beklagten, ein Teil-GdB von 30 für den Bandscheibenschaden, die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und das Wirbelgleiten sei zutreffend, angeschlossen. Das wird von dem Naturheilpraktiker und Chirotherapeuten Dr. B. bestätigt. Der mittlerweile vorgelegte Befundbericht des Radiologen schließt im Gegensatz zu den Angaben des Klägers einen NPP gerade aus; er geht nur von einer Vorwölbung der Bandscheibe im Bereich LWK 4/5 aus, was verstärkte Lumboischialgien erklärt, die aber bereits berücksichtigt sind.

Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass weitere mit einem GdB zu versehende Funktionseinbußen des Klägers auf orthopädischem Gebiet vorliegen. Das von dem Naturheilpraktiker und Chirotherapeuten Dr. B. diagnostizierte "fibromyalgische Syndrom" deckt sich zwar mit der Einschätzung des Orthopäden Dr. R., der Kläger leide unter einem chronischen Schmerzsyndrom bei Übergang zu einem Fibromyalgiesyndrom. Der hausärztlich tätige Internist Dr. B. beschreibt gleichfalls erhebliche Beschwerdeschilderungen des Klägers (er nennt eine fragliche somatoforme Schmerzstörung), wie sie im Rahmen einer chronischen Schmerzkrankheit wie der Fibromyalgie zu erwarten sei. Eine Krankheit des rheumatischen Formenkreises, zu der die, durch Triggerpunkte belegte Fibromyalgie als sog. "Weichteilrheumatismus" gezählt wird, konnte von Dr. R. jedoch ausgeschlossen werden. Die Diagnose einer Fibromyalgie oder wie hier des fibromyalgischen Syndroms ist häufig ein Synonym für subjektiv übersteigerte Schmerzschilderungen, für die sich kein hinreichendes organisches Korrelat findet. So auch hier, denn der behandelnde Internist Dr. B. weist unmissverständlich auf eine Diskrepanz der vom Kläger benannten Schmerzzustände und der nach Abklärung wenig aussagekräftigen Befunde und Diagnosen hin, die keine schwerwiegenden Erkrankungen gezeigt hätten, wohingegen es der Naturheilpraktiker und Chirotherapeut Dr. B. unterlässt, die Angaben des Klägers kritisch zu hinterfragen. Da eine Fibromyalgie ausgeschlossen werden konnte und der Sachverständige Dr. S.-F. auch keine chronische Schmerzerkrankung diagnostiziert hat, bleibt unklar, weshalb der Kläger massive Schmerzzustände schildert. In Betracht kommen dabei anstelle der von den behandelnden Ärzten und den Sachverständigen ausgeschlossenen körperlichen Ursachen auch eine mehr oder minder bewußtseinsnahe Aggravation, mentalitätsbedingt ausgeschmückt-blumige Darstellungen oder eine aus psychischen Gründen subjektiv übersteigerte Reaktion. Der Senat kann dies im einzelnen dahingestellt lassen, denn jedenfalls halten die behandelnden Ärzte Dres. S., R., G., B. und die Sachverständigen Dres. S. und S.-F. den vom Beklagten vergebenen Teil-GdB von 30 insoweit für ausreichend und angemessen. Sie messen den Schmerzäußerungen des Klägers keinen eigenen Krankheitswert zu, was in Übereinstimmung mit den AHP steht, denn nach Nr. 18 (8) haben seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen bei der GdB-Beurteilung bereits Berücksichtigung gefunden.

Die vom Sachverständigen Dr. S.-F. diagnostizierte Bewegungseinschränkung der rechten Schulter, welche er mit einem Teil-GdB von 20 bewertet, ist nach Auffassung des Senats nur mit einem GdB von 10 zu berücksichtigen, denn eine stärkere Funktionseinbuße ist beim Kläger nicht nachgewiesen. Der Senat hält die Diagnose eines Impingementsyndroms bei Degeneration der Supraspinatussehne der rechten Schulter, welche vom Sachverständigen Dr. S.-F. gestellt wurde, für nachvollziehbar. Zwar haben weder der Nervenfacharzt Dr. S. noch der behandelnde Orthopäde Dr. R. noch der Hausarzt Dr. B. oder der Sachverständige Dr. S.h noch der Kläger selbst in seinem Antrag an den Beklagten Schulterbeschwerden aufgezählt. Allerdings hat Dr. B. rezidivierende Beschwerden der rechten Schulter bestätigt. Bewegungseinschränkungen im Schultergelenk werden aber erst dann mit einem GdB von 10 bemessen, wenn der Arm mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit nur um 120 Grad zu erheben ist. Ein GdB von 20 setzt voraus, dass dieses Bewegungsausmaß nur noch 90 Grad erreicht. Ausweislich des vom Sachverständigen Dr. S.-F. beigefügten Messblatts für die oberen Gliedmaßen konnte der Kläger im rechten Schultergelenk noch Werte bis 100 Grad erreichen, so dass der Senat in Übereinstimmung mit Dr. G. insoweit nur einen GdB von 10 für angemessen hält. Die vom Sachverständigen Dr. S.-F. benannte Kniegelenksarthrose rechtfertigt keinen Einzel-GdB. Denn die Messwerte für die Kniegelenke zeigen mit Werten von 0-0-130 auf beiden Seiten keine Funktionseinbuße. Eine beginnende mediale und retropatellare Gonarthrose beidseits würde nach den AHP erst einen GdB bedingen, wenn nicht nur rezidivierende, sondern anhaltende Reizerscheinungen des Knies aufträten. Dafür geben die Aussagen der behandelnden Ärzte und die vorliegenden Befundberichte bzw. Arztbriefe aber nichts her. Das Gegenteil ist der Fall: Weder der Chiropraktiker Dr. B. noch die behandelnden Orthopäden Dres. R. und G. oder der Internist Dr. B. als Hausarzt des Klägers benennen auch nur rezidivierende und erst recht keine anhaltenden Kniegelenksbeschwerden des Klägers, der solche auch in seinem Antrag an den Beklagten nicht aufgeführt hat.

Ein über 10 hinausgehender GdB für ein Zittern der Hände konnte vom Senat nicht zuerkannt werden. Der Senat hat bereits Mühe, sich davon zu überzeugen, dass der Kläger überhaupt an einem essentiellen Tremor leidet und konnte erst recht keinen Einzel-GdB von mehr als 10 dafür erkennen. Der Kläger hat zwar beim Gutachter Dr. S.-F. angegeben, ein Tremor der Hände belaste und beeinträchtige ihn. Einen solchen die Feinmotorik störenden Tremor hat auch der behandelnde Nervenfacharzt Dr. S. diagnostiziert. Aber weder der Hausarzt Dr. B. noch der vom SG beauftragte Neurologe und Psychiater Dr. S., der als Fachmann für Nervenheilkunde besonders geeignet ist, Schäden des Nervensystems zu erkennen und zu bewerten, konnten beim Kläger einen essentiellen Tremor diagnostizieren. Der Kläger selbst hat dazu in seinem Antrag an den Beklagten auch keine Angaben gemacht, was zu erwarten gewesen wäre, wenn er sich durch zittrige Bewegungsstörungen der Hände beeinträchtigt fühlte. Der Senat hält es allerdings auch für möglich, dass die von Dr. S. eingeleitete medikamentöse Behandlung mit Betablockern so erfolgreich ist, dass Dr. S. keine Symptome mehr feststellen konnte. Infolgedessen erscheint die Schlussfolgerung des insoweit fachfremd urteilenden Orthopäden Dr. S.-F., dem Kläger müsse wegen essentiellen Tremors wie ein Parkinson-Kranker einen Teil-GdB von 30 erhalten, nicht zutreffend. Richtig ist zwar, dass die AHP für das ein- oder beidseitige Parkinson-Syndrom bei geringer Störung der Bewegungsabläufe einen GdB von 30 bis 40 ausweisen. Eine solche Funktionsstörung ist beim Kläger aber nicht nachgewiesen, da bereits die Diagnose des essentiellen Tremors als solche nicht gesichert ist bzw. ein solcher so erfolgreich medikamentös behandelt ist, dass er nicht mehr funktionsmindernd in Erscheinung tritt.

Der vom Kläger benannte Schwindel und Zustand nach Hörsturz wurde vom Beklagten mit einem GdB von 10 bewertet. Eine Erhöhung erscheint dem Senat nicht gerechtfertigt. Denn die behandelnde HNO-Ärztin Dr. F. hat dem SG gegenüber die Auffassung vertreten, dass das Versorgungsamt die Schwerhörigkeit mit einem Teil-GdB von 10 richtig bewertet habe. Einen Zustand nach Hörsturz bestätigt sie nicht. Nach einer Nasenwandbegradigung hält der HNO-Arzt Dr. R. diesen Zustand mittlerweile sogar für regelrecht und verweist im übrigen auf die Beurteilung von Dr. F ... Der Senat konnte sich daher nicht davon überzeugen, dass insoweit weitergehende Funktionseinbußen beim Kläger vorliegen; keiner der im Verfahren beteiligten Ärzte hat sich dazu geäußert, dass eine Verständigung mit dem Kläger nicht möglich oder erschwert gewesen sei, so dass die Schwerhörigkeit leichtgradig erscheint. Die von Dr. B. benannten Oberbauchbeschwerden haben keine weitere Behandlung nach sich gezogen; da sie weniger als sechs Monate andauerten und nicht zu konkreten Diagnosen und Funktionseinbußen führten, konnte der Senat ihnen keinen gesonderten GdB zuweisen.

Soweit der Kläger meint, allein die Vielzahl seiner Beschwerden rechtfertige eine Erhöhung des GdB, irrt er. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AHP, 19 Abs. 1, S. 24). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie sich die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AHP, 19 Abs. 3, S. 25). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AHP, 19 Abs. 4, S. 26). Ob daher eine Vielzahl von Beeinträchtigungen vorliegt oder wenige, ist für die Bemessung des Gesamt-GdB nicht von Belang. Einen Zuschlag für Multimorbidität hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen und auch die AHP rechtfertigen einen solchen nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved