L 3 U 320/76

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 3b U 132/74
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 320/76
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Landwirt, der nebenberuflich andere Landwirte bei der Buchführung betreut, gehört insoweit nicht der landwirtschaftlichen Unfallversicherung an.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 29. Januar 1976 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger ist selbständiger Landwirt mit einem 24 ha großen Betrieb. In der Zeit vom 28. April 1970 bis 31. März 1972 betreute er nebenberuflich etwa 30 bis 40 Landwirte in Nordhessen bei ihrer Buchführung als selbständiger Mitarbeiter der Deutschen Buch- und Betriebs-GmbH, Steuerberatungsgesellschaft, B ... Am 14. Juni 1971 fragte er bei der Beklagten an, ob er mit dieser Tätigkeit bei ihr unfallversichert sei. Nachdem sich zunächst die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft auf eine Antrage der Beklagten dieser gegenüber für zuständig erklärt hatte, erhob erstere – wenn auch unter Aufrechterhaltung ihres bisherigen Standpunktes – keine Einwendungen mehr gegen die Absicht der Beklagten, die freiberufliche Tätigkeit des Klägers als landwirtschaftliches Lohn- oder Ergänzungsunternehmen bei ihr zu versichern. Mit Schreiben vom 11. Oktober 1972 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sie seine nebenberufliche Betreuungstätigkeit von Landwirten mitversichern werde. Mit Bescheid vom 18. Dezember 1973 nahm sie diese Tätigkeit als Nebenbetrieb in das Unternehmerverzeichnis auf und forderte von dem Kläger Beiträge in Höhe von 247,40 DM für die Jahre 1970 bis 1972. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch. Die Beklagte ermäßigte daraufhin als Beiträge auf 143,10 DM. Dem Widerspruch wurde mit Bescheid vom 28. Oktober 1974 nicht abgeholfen.

Gegen diesen als Einschreiben am gleichen Tag aufgelieferten Bescheid hat der Kläger am 14. November 1974 bei dem Sozialgericht Fulda (SG) Klage erhoben. Während des Klageverfahrens ermäßigte die Beklagte die Beitragsforderung durch Schriftsatz vom 21. Juli 1975 auf 60,– DM.

Das SG hat durch Urteil vom 29. Januar 1976 die Bescheide der Beklagten vom 18. Dezember 1973 und vom 28. Oktober 1974 in der Fassung des Schriftsatzes vom 21. Juli 1975 aufgehoben. Die buchhalterische Tätigkeit des Klägers in den Jahren 1970 und 1972 sei keine spezifisch landwirtschaftliche gewesen; Buchhaltungsarbeiten seien in jedem Betrieb, unabhängig vom Wirtschaftszweig, notwendig.

Gegen das ihr durch Empfangsbekenntnis am 29. März 1976 zugestellte Urteil hat die Beklagte an 15. April 1976 Berufung eingelegt. Das erstinstanzliche Urteil enge den Kreis der versicherten Unternehmen zu sehr ein, indem es als Voraussetzung eine spezifisch, landwirtschaftliche Tätigkeit fordere. Es könne keinem Zweifel unterliegen daß landwirtschaftliche Buchführungsarbeiten zum landwirtschaftlichen Unternehmen gehörten, da sie ohne das Unternehmen nicht verrichtet würden und auch für dieses von Bedeutung seien. Sie gehörten dem kaufmännisch-verwaltenden Teil an und unterlägen somit dem Schutz der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Eine Dienstleistungseinrichtung sei dann dem Wirtschaftsbereich "Landwirtschaft” zuzurechnen, wenn sie ausschließlich oder überwiegend im oder für den landwirtschaftlichen Produktionsbereich tätig sei. Die Beschränkung auf eine spezifisch landwirtschaftliche Tätigkeit werde dem heutigen Charakter der Landwirtschaft nicht gerecht.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Fulda vom 29. Januar 1976 aufzuheben und die Klage gegen die Bescheide vom 18. Dezember 1973 und vom 28. Oktober 1974 in der Fassung des Schriftsatzes vom 21. Juli 1975 abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig.

Die Berufung ist nicht bereits deshalb begründet, weil die Beklagte die Unternehmereigenschaft des Klägers als Buchführungshelfer rechtsverbindlich festgestellt hat. Mit Schreiben vom 11. Oktober 1972, das keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, teilte sie ihm zwar mit, daß sie die von ihm nebenberuflich ausgeübte Betreuung der Landwirte bei ihrer Buchführung in Mitversicherung nehmen werde und der Kläger legte hiergegen innerhalb eines Jahres (§ 66 Abs. 2 SGG) keinen Rechtsbehelf ein. Dieses Schreiben stellt jedoch keinen Verwaltungsakt dar. Sein Wortlaut ist nämlich im Futurum abgefaßt und in seinem Inhalt nicht bestimmt genug, so daß er keine abschließende Regelung dieses Falles enthält, zumal auch noch nach dem Beginn der Betreuung der Landwirte gefragt worden war. Vielmehr sollte dieses Schreiben erkennbar nur der Ankündigung und Vorbereitung einer durch einen späteren Verwaltungsakt zu treffenden Regelung dienen und stellte diese damit nur in Aussicht. Dafür spricht auch, daß die Beklagte erst mit Bescheid vom 18. Dezember 1973 den Kläger in bezug auf seine Nebentätigkeit in das Unternehmerverzeichnis aufgenommen und seine Beitragspflicht nach Zeit und Höhe festgestellt hat.

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet, weil die landwirtschaftliche Unfallversicherung die vom Kläger in der Zeit vom 28. April 1970 bis 31. März 1972 ausgeübte Nebentätigkeit als Buchführungsberater bei Landwirten nicht umfaßte. Das SG hat daher zutreffend die angefochtenen Bescheide als rechtswidrig aufgehoben.

Zunächst betrieb der Kläger mit dieser Nebentätigkeit kein Unternehmen der Landwirtschaft im Sinne des § 776 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Zwar ist der Begriff des landwirtschaftlichen Unternehmens im Gesetz nicht umschrieben. Jedoch rechnen nach allgemeiner Auffassung hierzu nur solche wirtschaftlichen Tätigkeiten von gewisser Dauer und einigem Umfang, die der Besitzer von Grundstücken auf eigene Rechnung aufwendet, um den Boden zu bewirtschaften oder Vieh zu halten (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, Anm. 5 zu § 776; Bereiter-Hahn, Unfallversicherung, 1963, § 776 Anm. 3 S. 230). Da auch die Nummern 3 bis 6 a.a.O. hier nicht in Betracht kommen, waren nur noch die Voraussetzungen der Nr. 2 a.a.O. zu prüfen. Nach dieser Bestimmung werden auch land- und forstwirtschaftliche Lohnunternehmen erfaßt. Hierzu gehören alle selbständigen Unternehmen in denen gegen Vergütung Tätigkeiten im land- oder forstwirtschaftlichen Bereich ausgeübt werden. Es handelt sich dabei nicht nur um landtechnische Lohnunternehmen, die unter Verwendung der Landtechnik, d.h. mit landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten gegen Vergütung im landwirtschaftlichen Unternehmen tätig werden, sondern auch um alle sonstigen Unternehmen, die gegen Vergütung Tätigkeiten in land- und forstwirtschaftlichen Unternehmen verrichten, die sonst von den land- und forstwirtschaftlichen Unternehmen selbst oder mit eigenen Arbeitskräften ausgeführt werden, z.B. Bestellungsarbeiten, Erntearbeiten, Schädlingsbekämpfung (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, § 776 Anm. 12 b unter Berufung auf AN 1937, 299; Noell-Breitbach, Landwirtschaftliche Unfallversicherung, S. 212). Nicht dazu gehören solche Unternehmen, die sich z.B. mit Drainagearbeiten, Vorflutausbau, Grabenreinigung oder Wegebau befassen, weil das nicht unbedingt spezifisch landwirtschaftliche Arbeiten sind (vgl. Boller in SozVers. 1971, 40 ff.). Von § 776 Abs. 1 Nr. 2 KVC werden nur Dienstleistungseinrichtungen erfaßt, die ausschließlich oder überwiegend unmittelbar dem landwirtschaftlichen Produktionsbereich zugute kommen, also nicht solche, deren Tätigkeiten außerhalb des eigentlichen land- oder forstwirtschaftlichen Arbeitsgebietes, wenn auch in einem mittelbaren Zusammenhang damit, verrichtet werden. Die Grenzen mögen im einzelnen fließend sein, zumal die Landwirtschaft einem Strukturwandel unterliegt. Es können daher z.B. im Rahmen der Arbeitsteilung Lohnunternehmen der landwirtschaftlichen Unfallversicherung angehören, die früher bei einem anderen Unfallversicherungsträger versichert waren, auch wann es sich dabei nicht um rein "technische” Lohnunternehmen handelt (vgl. hierzu BT-Drucks. IV/1938 –neu– S. 27). Die Buchführungstätigkeit des Klägers für Landwirte stand jedoch eindeutig außerhalb des landwirtschaftlichen Produktionsbereiches. Es genügt nicht, daß sie für Landwirte verrichtet wurde. Es würden sonst alle Unternehmen, die für Landwirte tätig werden, der landwirtschaftlichen Unfallversicherung angehören, z.B. Reparaturwerkstätten, andere handwerkliche Betriebe und Steuerberater. Damit würde aber in die Rechtsnatur des Systems der Berufsgenossenschaften eingegriffen, die Pflichtvereinigungen der Unternehmer gleichartiger fachlich gegliederter Gewerbezweige darstellen (§ 646 RVO), welches auch die Grundlage für eine spezialisierte, erfolgversprechende Unfallverhütung ist (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, Anm. 12 zu § 646 und Anm. 1 zu § 647 RVO unter Hinweis auf die BT-Drucks, IV/938 –neu–). Im übrigen müßte bei den oben genannten Unternehmen auch von Jahr zu Jahr geprüft werden, ob sie ausschließlich bzw. überwiegend für Landwirte oder andere Personen und Betriebe tätig waren. Die Zugehörigkeit zu einer Berufsgenossenschaft könnte somit stets erst nachträglich ermittelt werden und von Jahr zu Jahr wechseln. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Regelung auch nicht praktikabel wäre. Daß die von dem Kläger ausgeübt. Tätigkeit der Beratung von Landwirten bei der Buchführung nicht ihrem Wesen nach zur Landwirtschaft gehört, zeigt auch die Tatsache, daß eine große Zahl landwirtschaftlicher Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland nicht buchführungspflichtig ist. Die Buchführung ist somit kein immanenter Teil der Landwirtschaft.

Die Beklagte hatte gegenüber der Verwaltungsberufsgenossenschaft in ihrem Schreiben vom 1. September 1971 auch selbst zutreffend die Auffassung vertreten, daß deren Zuständigkeit für den Kläger begründet sei, weil es sich um reine Verwaltungsarbeiten handele. Erst am 11. Oktober 1972 und damit in einem Zeitpunkt, in dem der Kläger seine Buchhaltungstätigkeit bereits wieder eingestellt hatte, teilte sie ihm mit, daß er in der Vergangenheit bei ihr versichert gewesen sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte – die Richtigkeit ihrer jetzigen Rechtsauffassung unterstelle – angesichts dieses Verhaltens nach dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben überhaupt berechtigt ist, vom Kläger rückwirkend für die Zeit bis zum 31. März 1972 Beiträge nachzufordern, denn sie hat hierauf bereits deshalb keinen Rechtsanspruch, weil der Kläger nicht bei ihr gegen Arbeitsunfall versichert war.

Die Tätigkeit des Klägers ist auch nicht im Rahmen eines landwirtschaftlichen Nebenbetriebes geleistet worden. Ein solcher erfaßt Unternehmen, die mit der Landwirtschaft nicht in einem inneren Zusammenhang stehen, sofern nur die Voraussetzungen des § 779 RVO gegeben sind, d.h., daß neben der Personalgleichheit des Unternehmers der Betrieb in wirtschaftlicher Abhängigkeit von der Landwirtschaft unterhalten wird, was hier nicht der Fall war.

Die Berufung der Beklagten war nach alledem zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Zulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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