L 5 V 1154/70

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 1154/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Das Vorliegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Schlechterstellung ergibt keine wirksame Prozeßrüge im Sinne des § 150 Ziffer 2 SGG. Ein wesentlicher Verfahrensmangel liegt aber vor, wenn das Sozialgericht ohne entsprechenden Antrag zum Erlaß eines Zugunstenbescheides verurteilt, obwohl der Streitgegenstand eine Neufeststellung umfaßt. In einem solchen Falle sind beide Beteiligten durch das Urteil beschwert.
2) Tritt zu bindend anerkannten Schädigungsfolgen in rentenberechtigender MdE-Höhe eine weitere Schädigungsfolge hinzu, so darf sie nur dann voll integriert werden, wenn sie – auf die Funktionsfähigkeit des ganzen Körpers bezogen – keine weitere Erwerbsminderung des Beschädigten ergibt. Grundsätzlich ist von dem festgestellten Vomhundertsatz als Basis auszugehen.
Bemerkung
verbunden mit LSG-Az.: L 5 V 1169/70
Auf die Berufungen des Klägers und des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 2. November 1970 aufgehoben.

Auf die Berufung des Klägers wird der Beklagte verurteilt, in Abänderung des Bescheides vom 22. Oktober 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 1969 für die anerkannten Schädigungsfolgen ab 1. März 1968 Versorgungsbezüge nach einem Grade der MdE von 80 v.H. zu gewähren.

In diesem Umfang wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Tatbestand:

Bei dem 1907 geborenen Kläger waren durch Umanerkennungsbescheid nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 25. Juli 1951, der zugleich einen Verschlimmerungsantrag vom Dezember 1950 und die daraufhin ergangene versorgungsärztliche Beurteilung vom Februar 1951 berücksichtigte, "Verlust des rechten Unterschenkels, Versteifung von Mittel- und Endgelenk des re. Zeigefingers mit Fingerverkürzung nach verheiltem Schußbruch, Teilversteifung der Daumengelenke, Granatsplitter am Hinterkopf” als Schädigungsfolgen mit einem Grade der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v.H. ab 1. Oktober 1950 und von 70 v.H. ab 1. Dezember 1950 anerkannt. Am 3. Dezember 1954 erging nach ärztlicher Begutachtung ein ergänzender Bescheid, in dem die Bezeichnung des Schädigungsleidens in:

1) "Verlust des re. Unterschenkels,

2) Versteifung von Mittel- und Endgelenk des re. Zeigefingers mit Fingerverkürzung nach verheiltem Schußbruch, Versteifung des Daumenendgelenkes,

3) Granatstecksplitter am Hinterkopf” abgeändert wurde. Auch unter Berücksichtigung des Berufes blieb der MdE-Grad von 70 v.H. bestehen.

Am 22. März 1968 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt Darmstadt u.a. Neufeststellung wegen Verschlimmerung seines Zustandes. Hierauf wurde er am 26. Juni 1968 durch den Chirurgen Dr. M. begutachtet. Er fand keine wesentliche Änderung der anerkannten Schädigungsfolgen, stellte jedoch eine hals-nasen-ohren-ärztliche Zusatzbegutachtung anheim, nachdem der Kläger zur Vorgeschichte angegeben hatte, er habe seit zwei bis drei Jahren öfters Blutabsonderungen aus der Nase, was seiner Ansicht nach von einer Granatsplitterverletzung des Nasenbeins im Juli 1942 herrühre. Hierzu verwies Dr. M. darauf, das diese Verwundung schon seit der Untersuchung vom Februar 1951 bekannt sei. Seines Erachtens müsse eine eventuelle anzunehmende MdE von ca. 10 v.H. in der bisherigen Rentenhöhe enthalten sein, da sich die Beschwerden kaum leistungsmindernd auswirken dürften. Der als Zusatzgutachter gehörte HNO-Arzt Dr. W. bezeichnete am 7. September 1968 eine von ihm gefundene Nasenbeinimpression links mit hochgradiger Nasenscheidewandverbiegung und eingeschränkter Geruchsfähigkeit mit einer Erwerbsminderung von 10 v.H. als weitere Schädigungsfolge. Dr. A. vom Ärztlichen Dienst stellte hierzu fest, daß eine Änderung der Gesamt-MdE nicht eintrete.

Nachdem der Kläger über die Nasenverletzung eine eidesstattliche Versicherung abgegeben und darin u.a. gesagt hatte, sie bisher nicht geltend gemacht zu haben, weil sie sich erst in letzter Zeit unangenehm bemerkbar mache, erließ das Versorgungsamt den Bescheid vom 22. Oktober 1968. Darin lehnte es eine Neufeststellung der anerkannten Schädigungsfolgen mangels wesentlicher Änderung ab. Gleichzeitig fügte es der Bezeichnung des Versorgungsleidens aber zwei neue Ziffern an, in denen es

"4. reizlose Oberschenkelnarbe links,

5. Nasenbeinimpression links mit hochgradiger Nasenscheidewandverbiegung nach links und eingeschränkter Geruchsfähigkeit links” umschrieb.

Das Widerspruchsverfahren, in dessen Verlauf der Kläger eine Erhöhung der MdE wegen Ziff. 5) der Schädigungsfolgen begehrte, da Dr. W. die Nasenverletzungsfolgen mit 10 v.H. angesetzt habe und sie erhebliche Auswirkungen hätten, führte zu einer Stellungnahme des Oberregierungs-Medizinalrats W. vom 19. Februar 1969. Er hielt unter Berücksichtigung der Anhaltspunkte für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen eine Einzel-MdE für den Unterschenkelverlust von 50 v.H. und für die Verletzungsfolgen an der rechten Hand von 20 v.H. für angemessen. Die reizlosen Narben am Hinterkopf und linken Oberschenkel bedingten keine zusätzliche MdE. Bei integrierender Betrachtung komme trotz der mit einer Einzel-MdE von 10 v.H. eingeschätzten neu hinzugekommenen Nasenscheidewandverbiegung keine höhere Gesamt-MdE als 70 v.H. zustande.

Hierauf gestützt wurde der Widerspruch durch Bescheid vom 26. Februar 1969 zurückgewiesen.

Hiergegen hat sich der Kläger im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt mit der Begründung gewandt, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dürfe, wenn ein neues Schädigungsleiden hinzutrete, nicht mehr geprüft werden, ob die bisherige MdE etwa zu hoch sei, solange der alte Bescheid über die Feststellung der anerkannten Leiden nicht abgeändert werde. Die neue Gesamt-MdE sei mithin auf der Grundlage von 70 v.H. zu ermitteln, was in seinem Falle zu der begehrten Erhöhung führen müsse.

Demgegenüber hat sich der Beklagte auf ein Urteil des Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 9. November 1967 berufen, wonach bei mehreren Schädigungsfolgen eine einheitliche Rente festgesetzt werden müsse, für deren Höhe die Gesamteinwirkung der Gesundheitsstörungen auf die Erwerbsfähigkeit des Beschädigten maßgeblich sei. Hiernach seien 70 v.H. angemessen, da als Rechtsgrundlage § 62 BVG in Betracht komme.

Mit Urteil vom 2. November 1970 hat das Sozialgericht auf die auf Abänderung des Bescheides vom 22. Oktober 1968, Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 1969 und auf Zahlung einer Rente von 80 v.H. für die anerkannten Schädigungsfolgen gerichtete Klage beide Bescheide aufgehoben. Ferner hat es den Beklagten verurteilt, einen Bescheid gemäß § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VfG – KOV–) hinsichtlich der weiteren anerkannten Schädigungsfolgen zu erlassen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, durch Bescheid vom 22. Oktober 1968 sei der Bescheid vom 3. Dezember 1954 hinsichtlich der Schädigungsfolgen abgeändert worden. Das sei entweder nach § 62 BVG oder nach § 40 VfG (KOV) zulässig. Der Beklagte habe zu Unrecht erstere Vorschrift angewandt, weil die zusätzlich als Schädigungsfolgen anerkannten gesundheitlichen Störungen, nämlich reizlose Oberschenkelnarbe links und Nasenbeinimpression mit ihren Folgen, bereits bei der ersten Feststellung am 3. Dezember 1954 vorgelegen hätten. Deshalb sei ein Zugunstenbescheid zu erlassen.

Gegen dieses Urteil, das beiden Beteiligten am 27. November 1970 zugestellt worden ist, richtet sich deren Berufung, wobei die des Beklagten am 10. Dezember und die des Klägers am 14. Dezember 1970 eingegangen ist.

Zur Begründung führt der Beklagte aus, die Berufung sei uneingeschränkt zulässig, weil sich das Überraschungsurteil des Sozialgerichts mit der MdE-Höhe überhaupt nicht befasse. Gleichzeitig sei es verfahrenswidrig im Sinne des § 150 Ziff. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil über den vom Kläger erhobenen Anspruch entgegen § 123 SGG nicht entschieden worden sei. Das Urteil verletze das Verbot der Schlechterstellung, indem es den angefochtenen Bescheid auch insoweit aufgehoben habe, als er eine Begünstigung des Klägers beinhalte. Ferner spreche der zweite Satz des Tenors von den anerkannten Schädigungsfolgen, nachdem er die Anerkennung im ersten Satz vollständig aufgehoben habe, und zwar, obwohl der Kläger gegen die Ablehnung der Anerkennung einer Leidensverschlimmerung keine Einwände erhoben habe. Hiernach hätte dieser Bescheid insoweit auf jeden Fall bestehen bleiben müssen. Die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen zur Erteilung eines Zugunstenbescheides lägen nicht vor, weil der Kläger selbst angegeben habe, in letzter Zeit erstmalig Beschwerden von seiten der Nase zu haben. Darin liege eine wesentliche Änderung der Verhältnisse. Vordem sei eine Nasenverletzung nicht geltend gemacht worden, so daß der Umanerkennungsbescheid vom 25. Juli 1951 (und nicht der Bescheid vom 3. Dezember 1954) nicht unrichtig sei, auch nicht im Sinne von unvollständig. Dazu hätte es der Verneinung des ursächlichen Zusammenhangs von Nasenbefund mit Kriegseinwirkung bedurft.

Der Beklagte beantragt,
1) das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 2. November 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen;

2) die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,
1) die Berufung des Beklagten als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise
zurückzuweisen;

2) das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 2. November 1970 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 22. Oktober 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 1969 zu verurteilen, für die anerkannten Schädigungsfolgen ab 1. März 1968 Versorgung nach einem Grad der MdE von 80 v.H. zu gewähren.

Zur Begründung wiederholt er in der Sache sein Vorbringen erster Instanz und schließt sich in bezug auf Verfahrensrügen dem Vorbringen des Beklagten mit der Maßgabe an, daß das Sozialgericht über seinen Klageantrag nicht entschieden habe. Hierdurch sei aber der Beklagte nicht beschwert.

Die Akten des Versorgungsamts Darmstadt mit der Grdl.Nr. XXXX haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen, welche von beiden Beteiligten selbständig eingelegt worden sind, entsprechen der Form und Frist des § 151 Abs. 1 SGG. Entgegen dem Vortrag des Beklagten ist dessen Berufung jedoch im übrigen nicht uneingeschränkt zulässig. Die Anwendung des in § 143 SGG verankerten allgemeinen Grundsatzes kommt nicht in Betracht, weil die Ausnahmevorschrift des § 148 Ziff. 3 SGG insoweit vorliegt, als der Grad der MdE im Streit steht, ohne daß die dort normierten Ausnahmetatbestände Platz greifen. Das gleiche gilt für die vom Kläger eingelegte Berufung. Auch deren Gegenstand umfaßt dieselbe Gradstreitigkeit. § 150 Ziff. 3 SGG ist dabei nicht gegenständlich.

Diese prozessuale Lage für beide Berufungen ändert sich nach Auffassung des Senats nicht dadurch, daß sich das Vordergericht bei seinem "Überraschungsurteil”, wie der Beklagte es nennt, mit der MdE-Höhe nicht befaßt, sondern eine Verurteilung zum Erlaß eines Zugunstenbescheides ausgesprochen und allein begründet hat. Denn für die Frage der Zulässigkeit der Berufung kommt es nicht auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung, sondern allein auf den mit ihr geltend gemachten Anspruch an (siehe Peters-Sautter-Wolff, Komm. zur Soz. Gerichtsbarkeit, Anm. 4 zu § 143 und Anm. 1 zu § 148 SGG). Dieser richtet sich bei dem Beklagten aber auch auf Abweisung der Klage gegen den Bescheid vom 22. Oktober 1968 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides, da beide von ihm für rechtmäßig gehalten werden, wohingegen der Kläger seinen Anspruch auf Abänderung derselben verficht und wegen der anerkannten Schädigungsfolge zu Ziff. 5), und nicht auch zu Ziff. 4), wie das Sozialgericht fälschlicherweise ausgeführt hat, eine höhere MdE festzusetzen begehrt. Hiernach ist § 148 Ziff. 3 SGG für beide Beteiligten angesprochen.

Unbeschadet dessen ist die Berufung jedoch nach § 150 Ziff. 2 SGG zulässig. Denn das angefochtene Urteil leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel, dessen Vorliegen sowohl der Beklagte als auch der Kläger gerügt haben.

Zwar ist das Vorbringen des Beklagten, die erstinstanzliche Entscheidung verstoße gegen das Verbot der Schlechterstellung – ein Einwand, der im übrigen nur aus der Sicht des Klägers bedeutsam ist – keine wirksame Prozeßrüge. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts in SozR SGG § 123 Bl. Da 1 Nr. 3 und § 162 Bl. Da 24 Nr. 91 hat ein solcher Verstoß keine Vorschriften zum Gegenstand, welche die Form einer Prozeßhandlung betreffen. Das Verbot der Schlechterstellung berührt vielmehr nur das sogenannte materielle Prozeßrecht.

Der Umstand, daß ein "Überraschungsurteil” verkündet worden ist beinhaltet als solcher ebenfalls keinen wesentlichen Verfahrensmangel. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Sinne des § 62 SGG, der damit angesprochen ist, schützt nämlich die Prozeßbeteiligten nur vor der Überrumpelung mit ihnen unbekannten Tatsachen und Beweisergebnissen, bewahrt sie aber nicht vor Überraschungsentscheidungen jeder Art (Bayerischer Verfassungsgerichtshof in NJW 1964 S. 2295). Allerdings soll es nach möglicherweise gegenteiliger Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (NJW 1959 S. 2227) schon einen Verfahrensmangel darstellen wenn die Parteien nicht auf eine neue rechtliche Überlegung hingewiesen worden sind – wie offenbar im vorliegenden Falle –, auf welche die Entscheidung dann abgestellt worden ist. Der Senat konnte indessen dahingestellt sein lassen, ob dieser ebenfalls § 62 SGG berührende Gedanke hier zum Tragen kommt oder nicht. Denn ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 123 i.V.m. § 128 SGG liegt jedenfalls darin, daß das Sozialgericht nicht über die erhobene Klage, d.h. die vom Kläger erhobenen Ansprüche, geurteilt hat. Er wollte nach dem letzten Klageantrag die Abänderung des angefochtenen Bescheides mit der Folge, daß er für die anerkannten Schädigungsleiden ab 1. März 1968 Rente nach einer MdE von 80 v.H. erhält. Stattdessen hat der Vorderrichter diesen Bescheid aufgehoben und den Beklagten verurteilt, "hinsichtlich der weiteren anerkannten Schädigungsfolgen” einen Zugunstenbescheid zu erlassen. Damit ist nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens heraus gerichtet worden. Denn über das, was tatsächlich Anspruchsgrundlage war und bleiben mußte, da ein Gericht nur über den geltend gemachten Streitgegenstand entscheiden darf, wenn er, wie hier, unverändert geblieben ist, obwohl es an die Fassung der Anträge nicht gebunden ist, ist in den Entscheidungsgründen nichts enthalten. Damit ist ein prozessualer Fundamentalsatz verletzt worden. Er macht sowohl die Berufung des Klägers als auch die des Beklagten nach § 150 Ziff. 2 SGG zulässig. Auch letzterer ist nämlich durch die fehlerhafte Behandlung der Streitsache nicht nur etwa reflexartig betroffen. Sein Klageabweisungsantrag bezieht sich auf den zuvor gestellten Sachantrag des Klägers. Er hatte deshalb Anspruch darauf, über seinen Antrag eine Entscheidung zu erhalten, die sich gleichermaßen aus dem Streitgegenstand ergab.

Die Berufung des Beklagten ist in der Sache indessen nur insoweit begründet, als auf seinen Antrag hin das angefochtene Urteil aufzuheben war. Zutreffend hat er ausgeführt, daß die Voraussetzungen zum Erlaß eines Zugunstenbescheides nicht vorliegen. Denn der Umanerkennungsbescheid vom 25. Juli 1971, der die bindend gewordene Sachentscheidung beinhaltet – nicht der vom Vorderrichter zu Grunde gelegte Ergänzungsbescheid vom 3. Dezember 1954 –, ist nicht zweifellos unrichtig. Zwar hatte die ärztliche Begutachtung des Klägers vom Februar 1951 schon die Nasenverletzung aufgeführt. Das aber nur am Rande und zur Abrundung ohne sie als Schädigungsfolge zu bewerten. Hierzu bestand nach der Anamnese des Klägers und der entsprechenden Befunderhebung auch kein Anlaß. Ein solcher ergab sich erst auf Grund des Verschlimmerungsantrags vom 22. März 1968 und insbesondere nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung des Klägers über das Nasentrauma und seine Folgen. Da er darin selbst angegeben hat, er habe die Verletzung der Nase bislang nicht als Schädigungsfolge geltend gemacht, weil sie sich erst in letzter Zeit unangenehm bemerkbar mache, kommt als Rechtsgrundlage allein § 62 Abs. 1 BVG und nicht § 40 Abs. 1 VfG (KOV) in Betracht. Die Verurteilung des Beklagten zum Erlaß eines Zugunstenbescheides entbehrt jeglicher tatsächlicher und rechtlicher Grundlage.

Soweit der Beklagte weiter beantragt hat, die Klage gegen den Bescheid vom 22. Oktober 1968 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides abzuweisen, könnte er nicht durchdringen. Denn diese Klage war begründet, so daß der Berufung des Klägers in der Sache auch insoweit – und damit voll – zu entsprechen war.

Schon der Chirurg Dr. M. hatte in seinem Gutachten vom 26. Juni 1968 die Nasenbefunde ihrer Natur nach offenbar für erheblich gehalten. Anderenfalls hätte er sie nicht mit einer MdE von ca. 10 v.H. bewertet. Der Facharzt für HNO-Krankheiten Dr. W. hat seinerseits nach Spezialuntersuchungen auf seinen Fachgebiet die Schädigungsfolge genau umschrieben und alsdann eine MdE von 10 v.H. angesetzt. Da er auf Seite IV seines Gutachtens ausgeführt hat, die Nasenatmung links sei praktisch aufgehoben, auch bestehe hier eine deutliche Minderung des Geruchsvermögens, ist den Anhaltspunkten für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen insoweit Rechnung getragen worden. Der geschätzte Vomhundertsatz ist als Einzel-MdE keinesfalls zu beanstanden. Daß er den medizinisch-anatomischen Gegebenheiten entspricht, hat denn auch der Beklagte nicht bestritten.

Wenn er darüberhinaus meint, diese Einzel-MdE sei voll zu integrieren, so daß es bei dem bisherigen Vomhundertsatz für sämtliche anerkannten Schädigungsfolgen zusammen verbleiben müsse, kann ihm jedoch nicht gefolgt werden. Soweit er sich für diese Auffassung auf Dr. M. bezieht, muß er sich entgegenhalten lassen, daß die Beurteilung dieses Arztes in bezug auf die MdE nicht abschließend und im übrigen nicht überzeugend ist. Einmal widerspricht sich Dr. M. insofern, als er ca. 10 v.H. ansetzt, was die Erheblichkeit nun einmal dokumentiert, zum anderen jedoch ohne nähere Begründung meint, diese MdE müßte in der bisherigen Rentenhöhe enthalten sein, da sich die Beschwerden von seiten der Nase kaum leistungsmindernd auswirken dürften. Wäre tatsächlich keine Leistungsminderung vorhanden, dann ist seine, wenn auch vorsichtige, Bewertung aber einfach unverständlich. Da sich der chirurgische Gutachter überdies auf sein Urteil selbst nicht verlassen, sondern eine einschlägige HNO-Zusatzbegutachtung anheim gestellt hat, kommt seiner Auffassung in bezug auf die Integrierung schon deshalb keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Dasselbe gilt im Ergebnis für den Prüfvermerk des Dr. A. Er läßt nicht erkennen, aus welchen Gründen die von Dr. W. festgesetzte Einzel-MdE von 10 v.H. voll in den bestehenden Vomhundertsatz einbezogen werden soll. Mit den Ausführungen des Facharztes für HNO-Krankheiten hat er sich mit keinem Wort befaßt oder sie gar widerlegt. Seine Beurteilung ist daher nicht entscheidend. Das umsoweniger, als die Berechnung der einzelnen Vomhundertsätze bei Vorliegen mehrerer Schädigungsfolgen und die Bildung einer Gesamt-MdE für alle zusammen nicht ausschließlich in das ärztliche Fachgebiet fällt, sondern als Tat- und Rechtsfrage vielmehr die Versorgungsverwaltung angeht. Sie entscheidet letztendlich auf Grund der medizinischen Befunde und ihrer Beurteilung, ebenso die Sozialgerichtsbarkeit in einer einschlägigen Rechtssache wie der vorliegenden.

Indem der Senat diese von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestätigte Entscheidungsbefugnis wahrnimmt, kann er indessen nach dem ebenausgeführten und ferner in Übereinstimmung mit den vom Kläger in seinem Klagebegründungsschriftsatz zutreffend zitierten Urteilen des 8. Senats des Bundessozialgerichts nicht umhin festzustellen, daß die Gesamt-MdE nach Anerkennung der Nasenverletzungsfolgen im Bescheid vom 22. Oktober 1968 höher als mit 70 v.H. anzusetzen ist. Denn von diesem Vomhundertsatz ist bereits als Grundlage auszugehen. Soweit die vom Beklagten zitierte Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9.11.1967 (Breithaupt 1968 S. 693) in sehr verklausulierter Form eine abweichende Meinung zu vertreten scheint, war ihr nicht zu folgen. Einer Vollintegrierung der Einzel-MdE von 10 v.H. für die Schädigungsfolge zu Ziff. 5) des streitigen Bescheides stehen vorliegend die von Dr. Weber erhobenen und begutachteten Befunde entgegen, die, wenn sie auf die Funktionstüchtigkeit des ganzen Körpers bezogen und die übrigen anerkannten Schädigungsfolgen in die Betrachtung eingeschlossen werden, die Erwerbsfähigkeit des Klägers mindern. Diese Minderung nimmt der Senat integrierend mit 5 v.H. an, wobei er die Auskunft der Barmer Ersatzkasse vom 20. Juli 1972 wertet. Danach war der Kläger aus Anlaß der Nasenverletzungsfolgen in der Zeit ab März 1968 nicht arbeitsunfähig erkrankt.

Die neue Gesamt-MdE war hiernach ab Beginn des Antragsmonats (§ 60 BVG) mit 75 v.H. festzustellen. Damit liegen die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 BVG vor. In Anwendung des § 31 Abs. 2 BVG kam ein Vomhundertsatz von 80 v.H. in Betracht, der im Tenor der Entscheidung seinen Ausdruck gefunden hat.

Nach alledem war, wie geschehen, zu entscheiden.

Von einer nach § 193 SGG möglichen Kostenquotierung hat der Staat abgesehen, da dem Berufungsanspruch des Beklagten, der ein positives Ergebnis haben konnte, im Vergleich zu dem entsprechenden Anspruch des Klägers eine sachlich-rechtlich sowie wirtschaftlich untergeordnete Bedeutung zukam. Auch wäre das angefochtene Urteil aufgehoben worden, falls der Beklagte keine Berufung eingelegt hätte.
Rechtskraft
Aus
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