Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 932/91
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 599/93
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 18. Mai 1993 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte eine Hüftgelenkserkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) oder wie eine BK zu entschädigen hat.
Der 1918 geborene Kläger war von 1938 bis Oktober 1982 mit Unterbrechungen durch Arbeits- und Wehrdienst als Landwirt berufstätig. Bis 1964 war der Landwirtschaft eine Mühle angeschlossen. Im Juni 1990 erstattete er bei der Beklagten Anzeige über das Vorliegen einer BK wegen einer bei ihm bestehenden schweren Coxarthrose rechts mit Schmerzen im gesamten rechten Bein. Er machte geltend, daß das Hüftgelenksleiden durch das jahrelange rechtsseitige Tragen und Heben zentnerschwerer Getreide- und Kartoffelsäcke im Zusammenhang mit dem Betrieb der Landwirtschaft und Mühle verursacht worden sei und Beschwerden erstmals 1966 aufgetreten seien.
Der behandelnde Arzt des Klägers Dr. B. verneinte auf Anfrage der Beklagten das Vorliegen einer BK. Der Landesgewerbearzt verwies in seiner Stellungnahme vom 11. Januar 1991 darauf, daß es sich bei der Erkrankung des Klägers nicht um eine BK nach der geltenden Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) handele und ihm auch keine Erkenntnisse vorlägen, die eine Entschädigung wie eine BK gemäß § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) erforderten. Da es nach dem Lehrbuch von Jäger/Wirth, "Praxis der Orthopädie”, 1986, Anhaltspunkte für ein vermehrtes Auftreten von Coxarthrosen bei Bauern, Bergarbeitern und Hafenarbeitern gebe, werde jedoch empfohlen, bei Prof. Dr. R., Orthopädische Universitätsklinik ein Gutachten einzuholen. In dem daraufhin erstatteten orthopädischen Gutachten vom 27. Februar 1991 vertrat Prof. Dr. R. die Auffassung, daß die beim Kläger bestehende schwere Coxarthrose rechts mit deutlicher Bewegungseinschränkung keine entschädigungspflichtige BK im Sinne des § 551 Abs. 2 RVO darstelle. Trotz des Lehrbuchzitates sei weder aus eigener Erfahrung noch aus Kenntnis der Literatur bei körperlich arbeitenden Personen oder gar bei "Bauern” mit einem erhöhten Risiko für einseitige Hüftgelenksarthrosen zu rechnen. Dem schlossen sich der beratende Arzt der Beklagten Prof. Dr. G. sowie der Landesgewerbearzt in Stellungnahmen vom 8. April 1991 und 1. Juli 1991 an. Durch Bescheid vom 8. August 1991 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung von Entschädigungsleistungen nach § 551 Abs. 1 RVO i.V.m. der Anlage 1 zur BKVO sowie nach § 551 Abs. 2 RVO ab. Die Verschleißerscheinungen am rechten Hüftgelenk des Klägers seien anlagebedingt entstanden und durch berufliche Einflüsse weder verursacht noch verschlimmert worden.
Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, daß sämtliche ihn behandelnden Ärzte mit Ausnahme des Dr. R. seine Krankheit als BK gewertet hätten. Während seiner Berufstätigkeit habe er ca. 180.000 Säcke getragen, so daß seine rechte Schulter nunmehr 4 cm höher stehe. Es sei daher anzunehmen, daß auch die rechte Hüfte durch diese enorme, extreme Belastung gelitten habe. Prof. Dr. G. konnte dem laut weiterer Stellungnahme vom 26. August 1991 keine neuen medizinischen Gesichtspunkte entnehmen. Er verwies darauf, daß einseitige Coxarthrosen einerseits sehr häufig auch ohne besondere berufliche Belastung aufträten, andererseits statistisch oder experimentell nicht gesichert sei, daß als besonders schwerwiegend angesehene Belastungen der geschilderten Art die Entwicklung einer Coxarthrose verursachten oder auch nur begünstigten. Gestützt darauf wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 12. September 1991 als unbegründet zurück.
Am 30. September 1991 hat der Kläger beim Sozialgericht Kassel (SG) Klage erhoben. Dieses hat u.a. die im Verfahren des Klägers gegen das Versorgungsamt Kassel auf chirurgischem und orthopädischem Fachgebiet erstatteten Gutachten des Dr. K. Versorgungsärztliche Untersuchungsstelle Kassel, vom 14. Februar 1991 und des Dr. V. Orthopädische Klinik vom 26. Mai 1992 beigezogen, in denen u.a. eine Coxarthrose beiderseits, rechts deutlicher ausgeprägt als links, diagnostiziert und nicht als Folge eines Kriegsleidens, sondern als degenerativ bedingt gewertet wurde.
Durch Urteil vom 18. Mai 1993 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Da in der Anlage 1 zur BKVO i.d.F. vom 18. Februar 1992 Hüftgelenkserkrankungen durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten nicht als BK aufgeführt seien, komme eine Entschädigung der Coxarthrose des Klägers nur gemäß § 551 Abs. 2 RVO in Betracht, dessen Voraussetzungen jedoch ebenfalls nicht vorlägen. Dazu genüge es nicht, daß der ursächliche Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Krankheit im Einzelfall nachgewiesen oder wahrscheinlich sei. Erforderlich sei darüber hinaus, daß der Versicherte zu einer bestimmten Personengruppe gehöre, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sei, die Krankheiten solcher Art verursachten, sowie das Vorliegen neuer Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung der bestimmten Personengruppe in ihrer beruflichen – versicherten – Tätigkeit. Insofern müsse auch die generelle Geeignetheit der Einwirkung für die Verursachung der Krankheit in der medizinischen Wissenschaft allgemein anerkannt, d.h. durch die herrschende Auffassung der Fachwissenschaft hinreichend gefestigt sein. Das sei in bezug auf Hüftgelenksveränderungen/Coxarthrosen bei körperlich arbeitenden Personen z.B. bei Bauern aber nicht der Fall und auch nicht aus dem Lehrbuchzitat bei Jäger/Wirth herzuleiten. Auch der Umstand, daß Hüftgelenksveränderungen verursacht durch langjähriges Tragen schwerer Lasten vom Verordnungsgeber in die letzte Fassung der Anlage 1 zur BKVO nicht als BK aufgenommen worden seien, spreche dafür, daß dem Verordnungsgeber insoweit keine neueren Erkenntnisse vorgelegen hätten, die die Anerkennung dieser Erkrankung als BK rechtfertigen könnten.
Gegen das ihm am 4. Juni 1993 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28. Juni 1993 Berufung eingelegt. Er macht geltend, daß als Hauptursachen einer Hüftgelenkserkrankung der bei ihm bestehenden Art im allgemeinen Überbelastung, chronischer Bewegungsmangel und falsche Ernährung angesehen würden. Da bei ihm als Ursache der Erkrankung nur die jahrelange schwere berufliche Belastung in Betracht komme, sei sie von der Beklagten auch als BK zu entschädigen. Von den Ärzten, die sich in seiner Sache geäußert hätten, habe ihn nur einer untersucht. Wenn dieses Gutachten falsch sei, was häufig vorkomme, könnten auch die sich daran anschließenden anderen ärztlichen Beurteilungen nicht richtig sein.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 18. Mai 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. August 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 1991 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die bei ihm bestehende Hüftgelenkserkrankung (Coxarthrose) als BK oder wie eine BK zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat zur weiteren Sachaufklärung beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung angefragt, ob dem Verordnungsgeber medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse darüber vorlägen, daß a) das jahrelange Heben oder Tragen schwerer Lasten geeignet ist, Hüftgelenksveränderungen/Coxarthrosen zu verursachen, b) speziell die Berufsgruppe der Bauern und/oder Müller durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung der Gefahr ausgesetzt sei, an Hüftgelenksveränderungen/Coxarthrosen zu erkranken und gegebenenfalls aufgrund welcher beruflicher Einwirkungen. Unter dem 16. August 1993 ist mitgeteilt worden, daß der Verordnungsgeber sich bislang – u.a. im Zusammenhang mit der letzten Änderungsverordnung vom Dezember 1992 – mit der angesprochenen Problematik nicht befaßt habe und insoweit derzeit keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu vorlägen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz –SGG– in der ab 1. März 1993 geltenden Fassung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 – BGBl. I S. 50), jedoch unbegründet. Das SG und die Beklagte haben zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Entschädigung der bei ihm bestehenden Hüftgelenkserkrankung/Coxarthrose verneint. Eine Entschädigung nach § 551 Abs. 1 RVO i.V.m. der BKVO scheidet aus, weil in der Anlage 1 zur BKVO das Leiden des Klägers nicht als BK aufgeführt ist. Nach den Nrn. 2108 und 2109 der am 1. Januar 1993 in Kraft getretenen 2. Verordnung zur Änderung der BKVO vom 18. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2343) können Erkrankungen durch mechanische Einwirkungen der vom Kläger geltend gemachten Art, nämlich durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten bzw. durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen zwar BKen sein. Dies jedoch nur dann, wenn es sich um "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule” oder "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule” handelt. Abgesehen davon findet diese Neuregelung auch nur auf nach dem 31. März 1988 eingetretene Versicherungsfälle Anwendung (s. Artikel 2 Abs. 2 der Änderungsverordnung vom 18. Dezember 1992).
Eine Entschädigung der Coxarthrose gemäß § 551 Abs. 2 RVO "wie” eine BK kommt entgegen der Ansicht des Klägers ebenfalls nicht in Betracht. Die Voraussetzungen dafür hat das SG in seinem Urteil, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, bereits im einzelnen und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dargelegt (u.a. BSG SozR 2200 § 551 Nr. 27; BSG, Urteile vom 30. Juli 1987 – 2 RU 30/86 und 12. Juni 1990 – 2 RU 21/89). Mit dem SG kann bereits nicht festgestellt werden, daß der Kläger zu einer bestimmten Personengruppe/Berufsgruppe gehörte, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung Einwirkungen ausgesetzt ist, welche nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet sind, Hüftgelenkserkrankungen bzw. Coxarthrosen zu verursachen. Bei dieser Erkrankung handelt es sich bekanntermaßen um eine allgemeine Verschleißerkrankung aufgrund verschiedener Ursachen (u.a. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 4. Aufl., S. 90 f). Ausreichend gesicherte Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft darüber, daß Personen, die im Rahmen der versicherten Tätigkeit langjährig mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten befaßt sind, zahlenmäßig noch wesentlich häufiger als die übrige Bevölkerung an Coxarthrose erkranken oder speziell Landwirte und/oder Müller durch ihre berufliche Tätigkeit der Gefahr einer derartigen Erkrankung in vergleichsweise erheblich höherem Grade ausgesetzt sind, gibt es nicht. Das auch für § 551 Abs. 2 RVO entschädigungserhebliche Kriterium einer gruppentypischen besonderen Gefährdung hinsichtlich des allgemeinen Auftretens der Erkrankung durch die Arbeitsbedingungen erfordert den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen bei gleichartig oder ähnlich gefährdeten berufstätigen Personen sowie eine langfristige zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder, um mit Sicherheit daraus schließen zu können, daß die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt (u.a. BSG SozR 2100 § 551 Nr. 27; BSG, Urteile vom 24. Januar 1990 – 2 RU 20/89, 11. Juni 1990 – 2 RU 53/89 und 12. Juni 1990 – 2 RU 21/89; HLSG, Urteil vom 28. Oktober 1992 – L-3/U-47/87). Auf derartige umfassende, langfristige, vergleichende Studien und statistische Untersuchungen und daraus gewonnenen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen hinsichtlich der bei dem Kläger vorliegenden Hüftgelenkserkrankung/Coxarthrose haben weder Prof. Dr. R., der Landesgewerbearzt und Prof. Dr. G. verweisen können noch sind solche laut Auskunft des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 16. August 1993 dem Verordnungsgeber bis heute bekannt geworden. Bereits das schließt die Anwendbarkeit des § 551 Abs. 2 RVO aus. Soweit es in dem Lehrbuch von Jäger/Wirth, "Praxis der Orthopädie”, 1986, S. 932, ohne statistische Angaben und weitere Quellennachweise allgemein heißt, daß es zwar mehr Coxarthrosen bei Bauern, Bergarbeitern und Hafenarbeitern als bei Beamten gebe, diese aber offenbar nicht Ausdruck eines "Überlastungsschadens”, sondern Folgen einmaliger Traumen oder wiederholter Mikrotraumen seien, reicht dies keinesfalls aus, das Auftreten einer erhöhten Anzahl von Coxarthrosen bei Landwirten gegenüber der übrigen Bevölkerung überhaupt oder gar für den Bereich zu belegen, der im Recht der BKen in Abgrenzungen zu den Arbeitsunfällen im Sinne von § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO (s. dazu BSG, Urteil vom 11. Juni 1990 – 2 RU 53/89) berücksichtigungsfähig ist.
Unter diesen Umständen bedurfte es nach zutreffender Ansicht des SG keiner Entscheidung, ob die Coxarthrose im Falle des Klägers entsprechend seiner Ansicht mit Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden ist. Da die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO nicht erfüllt sind, kommt es darauf nicht an. Denn durch § 551 Abs. 2 RVO soll nicht erreicht werden, daß jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder hinreichend wahrscheinlich ist, "wie” eine BK entschädigt wird (so ständige Rechtsprechung des BSG u.a. Urteil vom 11. Juni 1990 – 2 RU 53/89 m.w.N.).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte eine Hüftgelenkserkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) oder wie eine BK zu entschädigen hat.
Der 1918 geborene Kläger war von 1938 bis Oktober 1982 mit Unterbrechungen durch Arbeits- und Wehrdienst als Landwirt berufstätig. Bis 1964 war der Landwirtschaft eine Mühle angeschlossen. Im Juni 1990 erstattete er bei der Beklagten Anzeige über das Vorliegen einer BK wegen einer bei ihm bestehenden schweren Coxarthrose rechts mit Schmerzen im gesamten rechten Bein. Er machte geltend, daß das Hüftgelenksleiden durch das jahrelange rechtsseitige Tragen und Heben zentnerschwerer Getreide- und Kartoffelsäcke im Zusammenhang mit dem Betrieb der Landwirtschaft und Mühle verursacht worden sei und Beschwerden erstmals 1966 aufgetreten seien.
Der behandelnde Arzt des Klägers Dr. B. verneinte auf Anfrage der Beklagten das Vorliegen einer BK. Der Landesgewerbearzt verwies in seiner Stellungnahme vom 11. Januar 1991 darauf, daß es sich bei der Erkrankung des Klägers nicht um eine BK nach der geltenden Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) handele und ihm auch keine Erkenntnisse vorlägen, die eine Entschädigung wie eine BK gemäß § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) erforderten. Da es nach dem Lehrbuch von Jäger/Wirth, "Praxis der Orthopädie”, 1986, Anhaltspunkte für ein vermehrtes Auftreten von Coxarthrosen bei Bauern, Bergarbeitern und Hafenarbeitern gebe, werde jedoch empfohlen, bei Prof. Dr. R., Orthopädische Universitätsklinik ein Gutachten einzuholen. In dem daraufhin erstatteten orthopädischen Gutachten vom 27. Februar 1991 vertrat Prof. Dr. R. die Auffassung, daß die beim Kläger bestehende schwere Coxarthrose rechts mit deutlicher Bewegungseinschränkung keine entschädigungspflichtige BK im Sinne des § 551 Abs. 2 RVO darstelle. Trotz des Lehrbuchzitates sei weder aus eigener Erfahrung noch aus Kenntnis der Literatur bei körperlich arbeitenden Personen oder gar bei "Bauern” mit einem erhöhten Risiko für einseitige Hüftgelenksarthrosen zu rechnen. Dem schlossen sich der beratende Arzt der Beklagten Prof. Dr. G. sowie der Landesgewerbearzt in Stellungnahmen vom 8. April 1991 und 1. Juli 1991 an. Durch Bescheid vom 8. August 1991 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung von Entschädigungsleistungen nach § 551 Abs. 1 RVO i.V.m. der Anlage 1 zur BKVO sowie nach § 551 Abs. 2 RVO ab. Die Verschleißerscheinungen am rechten Hüftgelenk des Klägers seien anlagebedingt entstanden und durch berufliche Einflüsse weder verursacht noch verschlimmert worden.
Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, daß sämtliche ihn behandelnden Ärzte mit Ausnahme des Dr. R. seine Krankheit als BK gewertet hätten. Während seiner Berufstätigkeit habe er ca. 180.000 Säcke getragen, so daß seine rechte Schulter nunmehr 4 cm höher stehe. Es sei daher anzunehmen, daß auch die rechte Hüfte durch diese enorme, extreme Belastung gelitten habe. Prof. Dr. G. konnte dem laut weiterer Stellungnahme vom 26. August 1991 keine neuen medizinischen Gesichtspunkte entnehmen. Er verwies darauf, daß einseitige Coxarthrosen einerseits sehr häufig auch ohne besondere berufliche Belastung aufträten, andererseits statistisch oder experimentell nicht gesichert sei, daß als besonders schwerwiegend angesehene Belastungen der geschilderten Art die Entwicklung einer Coxarthrose verursachten oder auch nur begünstigten. Gestützt darauf wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 12. September 1991 als unbegründet zurück.
Am 30. September 1991 hat der Kläger beim Sozialgericht Kassel (SG) Klage erhoben. Dieses hat u.a. die im Verfahren des Klägers gegen das Versorgungsamt Kassel auf chirurgischem und orthopädischem Fachgebiet erstatteten Gutachten des Dr. K. Versorgungsärztliche Untersuchungsstelle Kassel, vom 14. Februar 1991 und des Dr. V. Orthopädische Klinik vom 26. Mai 1992 beigezogen, in denen u.a. eine Coxarthrose beiderseits, rechts deutlicher ausgeprägt als links, diagnostiziert und nicht als Folge eines Kriegsleidens, sondern als degenerativ bedingt gewertet wurde.
Durch Urteil vom 18. Mai 1993 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Da in der Anlage 1 zur BKVO i.d.F. vom 18. Februar 1992 Hüftgelenkserkrankungen durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten nicht als BK aufgeführt seien, komme eine Entschädigung der Coxarthrose des Klägers nur gemäß § 551 Abs. 2 RVO in Betracht, dessen Voraussetzungen jedoch ebenfalls nicht vorlägen. Dazu genüge es nicht, daß der ursächliche Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Krankheit im Einzelfall nachgewiesen oder wahrscheinlich sei. Erforderlich sei darüber hinaus, daß der Versicherte zu einer bestimmten Personengruppe gehöre, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sei, die Krankheiten solcher Art verursachten, sowie das Vorliegen neuer Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung der bestimmten Personengruppe in ihrer beruflichen – versicherten – Tätigkeit. Insofern müsse auch die generelle Geeignetheit der Einwirkung für die Verursachung der Krankheit in der medizinischen Wissenschaft allgemein anerkannt, d.h. durch die herrschende Auffassung der Fachwissenschaft hinreichend gefestigt sein. Das sei in bezug auf Hüftgelenksveränderungen/Coxarthrosen bei körperlich arbeitenden Personen z.B. bei Bauern aber nicht der Fall und auch nicht aus dem Lehrbuchzitat bei Jäger/Wirth herzuleiten. Auch der Umstand, daß Hüftgelenksveränderungen verursacht durch langjähriges Tragen schwerer Lasten vom Verordnungsgeber in die letzte Fassung der Anlage 1 zur BKVO nicht als BK aufgenommen worden seien, spreche dafür, daß dem Verordnungsgeber insoweit keine neueren Erkenntnisse vorgelegen hätten, die die Anerkennung dieser Erkrankung als BK rechtfertigen könnten.
Gegen das ihm am 4. Juni 1993 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28. Juni 1993 Berufung eingelegt. Er macht geltend, daß als Hauptursachen einer Hüftgelenkserkrankung der bei ihm bestehenden Art im allgemeinen Überbelastung, chronischer Bewegungsmangel und falsche Ernährung angesehen würden. Da bei ihm als Ursache der Erkrankung nur die jahrelange schwere berufliche Belastung in Betracht komme, sei sie von der Beklagten auch als BK zu entschädigen. Von den Ärzten, die sich in seiner Sache geäußert hätten, habe ihn nur einer untersucht. Wenn dieses Gutachten falsch sei, was häufig vorkomme, könnten auch die sich daran anschließenden anderen ärztlichen Beurteilungen nicht richtig sein.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 18. Mai 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. August 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 1991 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die bei ihm bestehende Hüftgelenkserkrankung (Coxarthrose) als BK oder wie eine BK zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat zur weiteren Sachaufklärung beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung angefragt, ob dem Verordnungsgeber medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse darüber vorlägen, daß a) das jahrelange Heben oder Tragen schwerer Lasten geeignet ist, Hüftgelenksveränderungen/Coxarthrosen zu verursachen, b) speziell die Berufsgruppe der Bauern und/oder Müller durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung der Gefahr ausgesetzt sei, an Hüftgelenksveränderungen/Coxarthrosen zu erkranken und gegebenenfalls aufgrund welcher beruflicher Einwirkungen. Unter dem 16. August 1993 ist mitgeteilt worden, daß der Verordnungsgeber sich bislang – u.a. im Zusammenhang mit der letzten Änderungsverordnung vom Dezember 1992 – mit der angesprochenen Problematik nicht befaßt habe und insoweit derzeit keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu vorlägen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz –SGG– in der ab 1. März 1993 geltenden Fassung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 – BGBl. I S. 50), jedoch unbegründet. Das SG und die Beklagte haben zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Entschädigung der bei ihm bestehenden Hüftgelenkserkrankung/Coxarthrose verneint. Eine Entschädigung nach § 551 Abs. 1 RVO i.V.m. der BKVO scheidet aus, weil in der Anlage 1 zur BKVO das Leiden des Klägers nicht als BK aufgeführt ist. Nach den Nrn. 2108 und 2109 der am 1. Januar 1993 in Kraft getretenen 2. Verordnung zur Änderung der BKVO vom 18. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2343) können Erkrankungen durch mechanische Einwirkungen der vom Kläger geltend gemachten Art, nämlich durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten bzw. durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen zwar BKen sein. Dies jedoch nur dann, wenn es sich um "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule” oder "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule” handelt. Abgesehen davon findet diese Neuregelung auch nur auf nach dem 31. März 1988 eingetretene Versicherungsfälle Anwendung (s. Artikel 2 Abs. 2 der Änderungsverordnung vom 18. Dezember 1992).
Eine Entschädigung der Coxarthrose gemäß § 551 Abs. 2 RVO "wie” eine BK kommt entgegen der Ansicht des Klägers ebenfalls nicht in Betracht. Die Voraussetzungen dafür hat das SG in seinem Urteil, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, bereits im einzelnen und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dargelegt (u.a. BSG SozR 2200 § 551 Nr. 27; BSG, Urteile vom 30. Juli 1987 – 2 RU 30/86 und 12. Juni 1990 – 2 RU 21/89). Mit dem SG kann bereits nicht festgestellt werden, daß der Kläger zu einer bestimmten Personengruppe/Berufsgruppe gehörte, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung Einwirkungen ausgesetzt ist, welche nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet sind, Hüftgelenkserkrankungen bzw. Coxarthrosen zu verursachen. Bei dieser Erkrankung handelt es sich bekanntermaßen um eine allgemeine Verschleißerkrankung aufgrund verschiedener Ursachen (u.a. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 4. Aufl., S. 90 f). Ausreichend gesicherte Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft darüber, daß Personen, die im Rahmen der versicherten Tätigkeit langjährig mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten befaßt sind, zahlenmäßig noch wesentlich häufiger als die übrige Bevölkerung an Coxarthrose erkranken oder speziell Landwirte und/oder Müller durch ihre berufliche Tätigkeit der Gefahr einer derartigen Erkrankung in vergleichsweise erheblich höherem Grade ausgesetzt sind, gibt es nicht. Das auch für § 551 Abs. 2 RVO entschädigungserhebliche Kriterium einer gruppentypischen besonderen Gefährdung hinsichtlich des allgemeinen Auftretens der Erkrankung durch die Arbeitsbedingungen erfordert den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen bei gleichartig oder ähnlich gefährdeten berufstätigen Personen sowie eine langfristige zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder, um mit Sicherheit daraus schließen zu können, daß die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt (u.a. BSG SozR 2100 § 551 Nr. 27; BSG, Urteile vom 24. Januar 1990 – 2 RU 20/89, 11. Juni 1990 – 2 RU 53/89 und 12. Juni 1990 – 2 RU 21/89; HLSG, Urteil vom 28. Oktober 1992 – L-3/U-47/87). Auf derartige umfassende, langfristige, vergleichende Studien und statistische Untersuchungen und daraus gewonnenen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen hinsichtlich der bei dem Kläger vorliegenden Hüftgelenkserkrankung/Coxarthrose haben weder Prof. Dr. R., der Landesgewerbearzt und Prof. Dr. G. verweisen können noch sind solche laut Auskunft des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 16. August 1993 dem Verordnungsgeber bis heute bekannt geworden. Bereits das schließt die Anwendbarkeit des § 551 Abs. 2 RVO aus. Soweit es in dem Lehrbuch von Jäger/Wirth, "Praxis der Orthopädie”, 1986, S. 932, ohne statistische Angaben und weitere Quellennachweise allgemein heißt, daß es zwar mehr Coxarthrosen bei Bauern, Bergarbeitern und Hafenarbeitern als bei Beamten gebe, diese aber offenbar nicht Ausdruck eines "Überlastungsschadens”, sondern Folgen einmaliger Traumen oder wiederholter Mikrotraumen seien, reicht dies keinesfalls aus, das Auftreten einer erhöhten Anzahl von Coxarthrosen bei Landwirten gegenüber der übrigen Bevölkerung überhaupt oder gar für den Bereich zu belegen, der im Recht der BKen in Abgrenzungen zu den Arbeitsunfällen im Sinne von § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO (s. dazu BSG, Urteil vom 11. Juni 1990 – 2 RU 53/89) berücksichtigungsfähig ist.
Unter diesen Umständen bedurfte es nach zutreffender Ansicht des SG keiner Entscheidung, ob die Coxarthrose im Falle des Klägers entsprechend seiner Ansicht mit Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden ist. Da die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO nicht erfüllt sind, kommt es darauf nicht an. Denn durch § 551 Abs. 2 RVO soll nicht erreicht werden, daß jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder hinreichend wahrscheinlich ist, "wie” eine BK entschädigt wird (so ständige Rechtsprechung des BSG u.a. Urteil vom 11. Juni 1990 – 2 RU 53/89 m.w.N.).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved