L 3 U 601/81

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 4 U 348/79
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 601/81
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wird der Halter eines Schweißhundes, der kein Teilnehmer der eigentlichen Jagd war, am Tage nach der Jagd aufgefordert, angeschossenes Wild aufzuspüren, so steht er als wie ein abhängig beschäftigt Tätiger unter Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO. Dies gilt jedenfalls dann, wenn keine Jagd am Tag der Nachsuche stattfindet und auch nicht beabsichtigt ist. Auf die Motive des Nachsuchenden kommt es nicht an.
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. März 1981 und der Bescheid der Beklagten vom 17. September 1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 1979 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger das Ereignis vom 22. Januar 1979 als Arbeitsunfall in gesetzlichem Umfange zu entschädigen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Entschädigung einer Verletzung des rechten Auges des Klägers als Arbeitsunfall.

Mit einer bei der Beklagten am 21. Februar 1979 eingegangenen förmlichen Unfallanzeige zeigte (L.) als Pächter im Jagdbezirk förmlich an, daß der Kläger bei der Suche eines krankgeschossenen Wildes am Montag, dem 22. Januar 1979, eine Hornhautverletzung am rechten Auge erlitten habe. Die Beklagte, die verschiedene Augenarztberichte der Dres. (U.) und (Zentrum der Augenheilkunde der Universität ) beizog, ließ den Unfall zunächst durch die Ortspolizeibehörde von U. am 10. April 1979 förmlich untersuchen. Dabei erklärte der Kläger, daß er am Unfalltag von dem Jagdpächter L. gebeten worden sei, mit seinem Schweißhund in dessen Jagdrevier die Nachsuche nach einem krankgeschossenen Schwarzwild abzuhalten. Bei der Suche mit seinem an der Leine geführten Hund in der Dickung sei ihm ein Ast eines Baumes gegen das rechte Auge geschlagen; er habe den Vorfall dem Jagdberechtigten L. mitgeteilt. Ferner erklärte der Kläger unter dem 25. Juli 1979 schriftlich, daß die Jagd, an der er nicht teilgenommen habe, bereits am Sonntag, dem 21. Januar 1979 stattgefunden habe. Schütze sei der Zeuge (T.) aus gewesen. Er sei, da nur er allein in der Umgebung einen Schweißhund habe, von dem Jagdpächter L. zur Nachsuche aufgefordert worden. Nach dem Unfall habe er Schmerzen, Brennen und Juckreiz im rechten Auge verspürt. Außerdem teilte er der Beklagten unter dem 9. September 1979 ergänzend mit, daß er von L. nur zur Nachsuche aufgefordert und abgeholt worden sei; er sei nicht sein persönlicher Freund. Mit Bescheid vom 17. September 1979 lehnte die Beklagte die Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, da kein landwirtschaftlicher Arbeitsunfall vorgelegen habe. Bei der im Unfallzeitpunkt ausgeübten Tätigkeit habe es sich um die Jagdausübung im Sinne des § 1 Abs. 4 des Bundesjagdgesetzes (BJG) gehandelt. Zur Jagdausübung gehöre auch das Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild. Personen, die aufgrund einer vom Jagdausübungsberechtigten unentgeltlich oder entgeltlich erteilten Erlaubnis die Jagd ausübten (Jagdgäste), seien nach § 542 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherungsfrei. Den gegen diesen Bescheid am 21. September 1979 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte am 19. November 1979 zurück. Zur Begründung gab sie an, daß es rechtlich ohne Bedeutung sei, daß der Kläger nicht an der eigentlichen Jagd teilgenommen habe und bei der Nachsuche auch nicht wie ein Jäger bzw. Jagdgast gekleidet und ausgerüstet gewesen sei. Entscheidend sei, daß es sich um einen der Jagdausübung zuzurechnenden Akt gehandelt habe, so daß sich daraus seine Versicherungsfreiheit ergeben habe.

Gegen diesen am gleichen Tage mit Einschreiben an ihn abgesandten Widerspruchsbescheid hat der Kläger bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) am 19. Dezember 1979 Klage erhoben und geltend gemacht: Die Beklagte würdige den tatsächlichen Sachverhalt unrichtig. Es sei unbestritten, daß neben der versicherungsfreien Jagdausübung bei der Jagd selbst wie auch im Anschluß daran von Nichtjagdberechtigten oder eigens dafür angestellten Personen Tätigkeiten in Versicherungspflichtiger Art und Weise verrichtet werden könnten, wie das z.B. bei Treibern der Fall sei. Die Beklagte habe hier, da der Kläger eigens zur gesonderten Nachsuche, ohne Teilnehmer der Jagd selbst gewesen zu sein, aufgefordert worden sei, nicht Versicherungsfreiheit annehmen dürfen. Vielmehr ergäbe sich der Versicherungsschutz aus § 539 Abs. 2 RVO in Verbindung mit § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 18. März 1981 aus den Gründen der angefochtenen Bescheide abgewiesen.

Gegen das ihm am 4. Mai 1981 zugestellte Urteil hat der Kläger bei dem Hessischen Landessozialgericht (HLSG) am 20. Mai 1981 schriftlich Berufung eingelegt.

Es sind im Berufungsverfahren der Befundbericht des Dr. vom 7. Januar 1982 eingeholt und der Kläger persönlich sowie als Zeugen T. und der früher häufigere Jagdgast des L. (S.) gehört worden. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Befundbericht und die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 17. März 1982 verwiesen.

Der Kläger wiederholt sein Vorbringen aus dem verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren und macht geltend, daß bei ihm der Arbeitsunfall zu einer praktischen Blindheit des rechten Auges geführt habe.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. März 1981 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. September 1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 1979 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm das Ereignis vom 22. Januar 1979 als Arbeitsunfall in gesetzlichem Umfange zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Sie halt das angefochtene Urteil auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, frist- und formgerecht eingelegt und daher insgesamt zulässig (§§ 143 ff., 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –).

Sie ist auch begründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil mußte aufgehoben werden, da das SG diese zu Unrecht abgewiesen hat. Der angefochtene Bescheid vom 17. September 1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 1979 (§ 95 SGG) ist rechtswidrig. Der Kläger hat wegen der Folgen des Ereignisses vom 22. Januar 1979 Anspruch auf Gewährung der gesetzlichen Unfallentschädigung, da er einen Arbeitsunfall erlitten hat (§§ 548 Abs. 1, 539 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 1 RVO).

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere der Beweisaufnahme vor dem Senat und der Ermittlungen der Beklagten im Verwaltungsverfahren sieht das Gericht folgenden Sachverhalt als erwiesen an: Der Kläger, der L. nur als Geschäftsmann und nicht als Jäger kannte und auch niemals dessen Jagdgast war, war von diesem gebeten worden, am 22. Januar 1979 (Montag) mit einem Schweißhund ein am Vortag geschossenes Stück Schwarzwild im Jagdrevier nachzusuchen. Schütze war am Vorabend der Zeuge T. gewesen, der die Jagd allein ausgeübt hatte. L. versprach kein Entgelt und lud den Kläger auch nicht zu einer späteren Jagd in sein Revier ein. Er selbst nahm außerdem nicht an der Nachsuche teil. Es war vielmehr vereinbart, daß diese von dem Kläger zusammen mit den Zeugen T. und S. ausgeführt werden sollte. Eine anschließende Jagd war nicht vorgesehen. T. und S. holten den Kläger zur allein beabsichtigten Nachsuche ab. Nach Auffinden des Schwarzwildes wurde die Nachsuche beendet und der Rückweg angetreten. Zuvor, bei der Nachsuche, verletzte sich der Kläger am rechten Auge, als deren Folge nunmehr eine bullöse Keratopathie bei Herpes corneae mit sekundärer Augeninnendrucksteigerung (Glaucom) und zeitweiligem iritischem Reizzustand bei sehr wechselndem Krankheitsbild vorliegt. Diesen Sachverhalt sieht der Senat nach den wiederholten Angaben des L. im Verwaltungsverfahren, den Bekundungen der Zeugen T. und S. sowie den glaubhaften Darlegungen des persönlich gehörten Klägers und den Augenarztberichten der Dres. und als erwiesen an. Hierüber besteht unter den Beteiligten auch kein Streit. Sie ziehen aus diesem erwiesenen Sachverhalt lediglich rechtlich unterschiedliche Folgerungen.

Der Beklagten ist allerdings zunächst zuzugestehen, daß allein L. Unternehmer eines landwirtschaftlichen Betriebs, nämlich seines Jagdunternehmens gewesen ist (§§ 539 Abs. 1 Nr. 5, 776 Abs. 1 Nr. 3 RVO). Da der Kläger, wie er selbst angab, nicht Mitunternehmer des L. war, gehörte er auch nicht zum versicherten Personenkreis nach § 539 Abs. 1 Nr. 5 RVO.

Ferner scheidet der Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO aus, da der Kläger im Unternehmen des L. auch nicht auf Grund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses tätig geworden ist. Er war selbständiger Friseurmeister am Unfalltag und nicht in das Unternehmen des L. im Sinne solcher Beschäftigungsverhältnisse eingegliedert.

Die Beklagte und das SG zählen den Kläger aber zu Unrecht zu den nach § 542 RVO versicherungsfreien Personen. Nach dieser Vorschrift sind versicherungsfrei Personen, die aufgrund einer vom Fischerei- oder Jagdausübungsberechtigten unentgeltlich oder entgeltlich erteilten Fischerei- oder Jagderlaubnis die Fischerei oder Jagd ausüben (Fischerei- oder Jagdgäste). Auf eine kurze Formel gebracht: War der Kläger Jagdgast des L., dann scheidet der Versicherungsschutz wegen seiner Versicherungsfreiheit aus. In diesen Fällen kommt auch nicht ein Versicherungsschutz über § 539 Abs. 2 RVO in Verbindung mit § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO in Betracht. Der Versicherungsschutz greift also immer dann nicht ein, wenn der Verletzte selbst Jäger gewesen ist, sich also wie ein typischer Jäger verhalten hat, eben ein Jagdgast gewesen ist, wobei es keine Rolle spielt, daß von einem solchen Jagdgast auch Tätigkeiten während der Jagd verrichtet werden bzw. worden sind, die nicht in allen Phasen üblicherweise dem Jagdpächter bzw. dem Jagdgast als Jagdhandlung zugerechnet werden können. Dort, wo es sich um Dienstleistungen handelt (z.B. den Bau eines Hochsitzes, oder die Anlage eines Wildgatters oder das Sprengen eines Fuchsbaues oder die reine Tätigkeit als Treiber), kann Versicherungsschutz über § 539 Abs. 2 RVO in Verbindung mit § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO gegeben sein (vgl. HLSG, Urteil vom 16. Mai 1961 – L-3/U-255/60 – in Breithaupt 1961, 898; LSG Niedersachsen, Urteil vom 16. Juli 1964 – L-3/U – 288/61; HLSG 25. November 1964 – L-3/U – 804/64 – in Breithaupt 1965, 550; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27. November 1970 – L-1/U – 72/68 – in Breithaupt 1971, 367; LSG Niedersachsen 16. Mai 1979 – L-6/U – 504/79 – in Breithaupt 1980, 99; BSG, Urteil vom 27. Juni 1969 – 2 RU 80/68 – in SozR Nr. 1 zu § 542 RVO;

Urteile vom 30. April 1971 – 7/2 RU 268/68 – in SozR Nr. 3 zu § 542 RVO und 7 RU 63/70 – in SozR Nr. 19 zu § 539 RVO; Schindera in SozR 1968, S. 235 ff., 239 f.). Danach ergeben sich aus dem Erfordernis der Jagdgasteigenschaft zwei wesentliche Einschränkungen des Tatbestandes nach § 542 Nr. 3 RVO. Einmal darf die Jagdausübung nicht im Rahmen eines durch persönliche Abhängigkeit zum Jagdunternehmer gekennzeichneten Arbeits- oder Dienstverhältnisses geschehen; zum anderen muß es sich im Rahmen einer jagdgastüblichen Tätigkeit halten, d.h., einer Tätigkeit, wie sie üblicherweise nicht von angestellten Arbeitskräften gegen Entgelt, sondern aus Freude an der Jagd ausgeübt wird. Zu diesen jagdgastüblichen Tätigkeiten gehört die Jagdausübung als Schütze auf einer Treibjagd und auch die Nachsuche angeschossenen Wildes, wie § 1 Abs. 4 Bundesjagdgesetz vorschreibt. Von wesentlicher Bedeutung ist ferner, daß es sich um die Ausübung der Jagd selbst handelt. Das war hier nach den getroffenen Feststellungen nicht der Fall. Der Kläger hat weder am 21. noch am 22. Januar 1979, dem Unfalltag, an einer Jagd teilgenommen. Es hat auch am Unfalltag keine Jagd stattgefunden, wie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erwiesen ist. Vielmehr hat der Kläger im Auftrage des L. lediglich krankgeschossenes Wild gesucht. Daher handelte es sich nicht um eine Jagdausübung, auch wenn die Nachsuche im allgemeinen dazu gehört. Es fehlt insoweit an einem unmittelbaren, zeitlichen Zusammenhang mit der Jagdausübung durch T ... Der Kläger stand auch sonst nicht in irgendeiner engen Beziehung zur Jagd des Zeugen T. am Vorabend. Damit erweist sich aber, daß er eine Tätigkeit verrichtete, die am 22. Januar 1979 nicht mehr zur typischen Jagdausübung durch Jagdgäste gehörte, sondern sonst von abhängig beschäftigten Personen verrichtet werden kann, wie sie auch durch speziell angestellte Jagdaufseher erfolgt bzw. erfolgen kann.

Zu Unrecht hebt die Beklagte u.a. auch darauf ab, daß der Kläger selbst Spaß und Freude an der Nachsuche gehabt und dem L. aus Gefälligkeit geholfen habe. Entscheidend ist, daß er dem Unternehmen des L. eine ernstliche und dienliche Tätigkeit verrichtete, ohne daß es auf die Motivation seines Handelns und das Erwarten eines Entgeltes ankommt. Auch Freundschafts- oder Gefälligkeitsdienste sind versichert, sofern sie im Zusammenhang mit konkreten betrieblichen Belangen stehen, und zwar sogar auch dann, wenn sie nur mittelbar der Förderung des Unternehmens dienen (vgl. Lauterbach-Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 102 zu § 539 RVO mit weiteren Nachweisen).

Da der Kläger wegen der durch den Arbeitsunfall erlittenen Augenverletzung wiederholt arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist und daher zumindestens Anspruch auf die Gewährung auf Heilbehandlung und Übergangsgeld für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Beklagten besitzt, stehen ihm Mindestleistungen zu. Der Senat konnte es daher bei dem Ausspruch eines Grundurteils belassen (vgl. BSG, Urteil vom 1. Dezember 1960 – 5 RKn 69/59 – in SozR Nr. 3 zu § 130 SGG; Urteil vom 28. Februar 1961 – 2 RU 155/60 – in SozR Nr. 4 zu § 130 SGG).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 193, 160 SGG.
Rechtskraft
Aus
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