L 1 Ar 1261/78

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 16 Ar 727/77
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Ar 1261/78
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Sieht der Tarifvertrag – hier der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Transport- und Verkehrsgewerbes in Hessen vom 26.1.1970 i.d.F. v. 15.10.1975 – lediglich die Vereinigung einer längeren Arbeitszeit – hier „bis zu 60 Stunden” wöchentlich – vor, so kann hierdurch die maßgebliche tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit (§ 112 Abs. 2 AFG) – hier 43 Stunden – nicht verlängert werden.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil das Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. September 1978 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die maßgebliche tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers der als Kraftfahrer bei einer Nahverkehrsspedition tätig war (§ 112 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz – AFG –).

Der Kläger war von 1973 an bei der Spedition D. B. als Kraftfahrer beschäftigt gewesen. Sein Arbeitsverhältnis kündigte er am 3. August 1977, um an einer Umschulungsmaßnahme teilnehmen zu können. In der für die Berechnung des Unterhaltungsgeldes – Uhg – ausgestellten Arbeitsbescheinigung ist für die Monate Mai bis Juli 1977 folgendes angegeben:
Mai 1977 21 Arbeitstage 235 1/4 Stunden 1.811,43 DM brutto
Juni 1977 22 Arbeitstage 231 3/4 Stunden 1.784,48 DM brutto
Juli 1977 21 Arbeitstage 230 1/2 Stunden 1.774,85 DM brutto.
Ferner erhält die Arbeitsbescheinigung die Angaben, die im Betrieb übliche regelmäßige Arbeitszeit betrage ca. 55 Stunden.

Der Kläger beantragte am 1. August 1977 die Förderung seiner Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Bildung mit der Begründung, er wolle ab 1. September 1977 an einem Lehrgang für Bürokaufleute bei der Handelsschule S. teilnehmen. Mit Bescheid vom 7. Oktober 1977 bewilligte die Beklagte Uhg für die Zeit vom 1. September 1977 bis 28. Februar 1979 auf der Grundlage einer tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von 43 Stunden. Nach den von der Beklagten durchgeführten Ermittlungen ist diese auch für das zwischen der Firma B. und dem Kläger geschlossene Arbeitsverhältnis maßgeblich gewesen. Den gegen den Bewilligungsbescheid eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1977 unter Beweis auf die als maßgeblich festgestellte tarifliche wöchentliche Arbeitszeit zurück.

Gegen diesen dem Kläger am 5. November 1977 zugestellten Widerspruchsbescheid erhob dieser am 5. Dezember 1977 Klage. Er trug vor, er habe zuletzt etwa 228 Stunden monatlich gearbeitet; hierbei habe es sich bei den 43 Stunden wöchentlich übersteigenden Stunden nicht um Überstunden gehandelt, sondern um die normale Arbeitszeit, nach der das Uhg bemessen werden müsse.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 18. September 1978 ab; es ließ die Berufung zu. Zur Begründung führte es an, die Berechnung des Uhg im angefochtenen Bewilligungsbescheid sei gemäß §§ 111 Abs. 1, 112 Abs. 2 AFG nicht zu beanstanden. Zu Recht sei die Beklagte von einer maßgeblichen Arbeitszeit von 43 Stunden ausgegangen, auch wenn der Kläger tatsächlich länger gearbeitet habe. Maßgeblich sei der Manteltarifvertrag vom 26. Januar 1970 in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 15. Oktober 1975 für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Transport- und Verkehrsgewerbes in Hessen; darin werde u.a. festgelegt, daß die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit einschließlich der Arbeitsbereitschaft, jedoch ausschließlich der Pausen, 43 Stunden betrage. Entsprechend den betrieblichen Verhältnissen die Arbeitszeit in der Woche bis auf 60 Stunden ausgedehnt werden. Aus § 4 des Manteltarifvertrages folge, daß die von dem Kläger über die 43 Stundengrenze hinaus geleisteten Stunden Mehrarbeit gewesen seien, die zu Recht nicht einbezogen worden seien. Die von dem Kläger, auch über einen längeren Zeitraum erbrachte Mehrarbeit könne begrifflich keine Regelarbeit im Sinne des § 112 Abs. 2 AFG sein. Daß der Kläger im arbeitsgerichtlichen Verfahren Mehrarbeitszuschläge nicht erhalten habe, sei für den vorliegenden Rechtsstreit unerheblich.

Gegen dieses dem Kläger am 11. November 1978 zugestellte Urteil richtet sich seine mit Schriftsatz vom 13. November 1978, eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht am 15. November 1978, eingelegte Berufung. Er trägt vor, während seiner vierjährigen Beschäftigung bei der Firma B. habe seine regelmäßige Arbeitszeit mindestens 50 Stunden in der Woche umfaßt; für die über 43 Stunden hinausgehende Zeit seien Überstundenzuschläge nicht bezahlt worden. Unabhängig davon entsprechende die Einbeziehung von Überstunden in die Berechnungsgrundlage der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung; die dort zum Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe entwickelten Grundsätze seien auch auf die Berechnung des Uhg anzuwenden.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. September 1978 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 1977 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Unterhaltsgeld auf der Grundlage einer tariflichen regelmäßigen Arbeitszeit von monatlich Zweihundertdreißigeinhalb (230 1/2) Stunden zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Sie ist die Auffassung, der für das Arbeitsverhältnis maßgebliche Tarifvertrag ergebe eindeutig, daß die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 43 Stunden umfaßt habe. Darüber hinaus geleistete Arbeit sei nach dem Tarifvertrag als Mehrarbeit anzusehen; inwieweit diese tatsächlich als solche vergütet worden sei, könne hier nicht erheblich sein.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere auf den der beigezogenen Leistungsakte der Beklagten, Stamm-Nr. XXXXX, Arbeitsamt F., der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie durch Zulassung statthaft (§§ 150 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts, wie auch der Bewilligungsbescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.

Teilnehmern am Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung mit ganztägigen Unterricht wird Unterhaltsgeld gewährt (§ 44 Abs. 1 AFG), das – wie im Falle des Klägers – 80 v.H. des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnliche anfallen, verminderten Arbeitsentgelts im Sinne des § 112 AFG beträgt, wann die weiteren Voraussetzungen nach § 44 Abs. 2 AFG erfüllt sind. Arbeitsentgelt ist danach da in Bemessungszeitraum in der Arbeitsstunde durchschnittlich erzielte Arbeitsentgelt, vervielfacht mit der Zahl der Arbeitsstunden, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt (§ 111 Abs. 1, § 112 Abs. 2 AFG). Maßgeblicher Bemessungszeitraum sind die letzten, am Tage des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten, insgesamt 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassenden Lohnabrechnungszeiträume der letzten, die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs (§ 112 Abs. 3 AFG). Als tariflich kann allein die Arbeitszeit angesehen werden, die durch einen Tarifvertrag vereinbart worden ist, ferner auch die Arbeitszeit, die durch Betriebsvereinbarungen oder Einzelarbeitsvertrag festgelegt worden ist, wenn ein Tarifvertrag den Abschluß von Betriebsvereinbarungen oder Einzelarbeitsverträgen ausdrücklich vorsieht und sich die Betriebsvereinbarung oder der Einzelarbeitsvertrag in dem vom Tarifvertrag bestimmten Rahmen hält (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 1977, Az.: 7 Rar 105/75, in SozR 4100 § 112 Nr. 2 AFG, BSG, Urteil vom 30. September 1975, Az.: 7 Rar 94/73, in SozR 4100 § 69 Nr. 2 – zu § 69 AFG bezüglich der Bemessung des Schlechtwettergeldes); verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Einschränkung bestehen nicht (vgl. BVerfG Beschluss vom 3. April 1979 – 1 BvL 30/76 in NJW 1979, S. 1703).

Unter Heranziehung dieser Grundsätze ist die maßgebliche regelmäßige, mit der tarifvertraglichen Regelung übereinstimmenden Arbeitszeit 43 Stunden wöchentlich. Daran ändert nichts, daß Mehrarbeit bis zu 60 Stunden darüber hinaus gemäß § 2 Ziff. 2 MTV zulässig ist. Selbst wenn durch Einzelvertrag – eine betriebliche Vereinbarung bestand ausweislich der Auskunft der Firma B. vom 7. September 1979 nicht – eine wöchentliche Arbeitszeit von bis zu Stunden im Falle des Klägers wirksam festgelegt sein sollte, stellt diese Vereinbarung keine "tarifliche” Regelung dar, da der Tarifvertrag lediglich abweichende Verträge gestattet, jedoch zeitlich nicht begrenzt. Die Grenze der 60 Stunden stellt auch lediglich eine Bezugnahme auf die Arbeitszeitordnung dar. Die Arbeitszeitordnung stellt auch für die Bemessung des Unterhaltsgeldes eine Obergrenze dar, die nicht überschritten werden darf (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 1978, Az.: 7 Rar 95/76, in SozR 4100 § 112 Nr. 7 AFG).

Selbst wenn die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit allgemein im Transport- und Verkehrsgewerbe mehr oder weniger überschritten werden sollte, kann dies zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung Anlaß geben, vielmehr allein die Tarifvertragspartner veranlassen, eine entsprechende Regelung zu treffen. Darauf, ob "Überstundenzuschläge” oder "Mehrarbeitszuschläge” zu gewähren sind, ist nicht maßgeblich abzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 30. September 1975, a.a.O.). Entscheidend ist vielmehr darauf abzustellen, daß der Tarifvertrag eine ausdrückliche Erweiterung der regelmäßige wöchentlichen Arbeitszeit erlaubt, jedoch nicht die Vereinbarung einer anderen "regelmäßigen Arbeitszeit” zuläßt, wie dies beispielsweise für Maschinen- und Kraftwagenpersonal in § 3 Nr. 1, 2 des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe in der Fassung ab 1. Januar 1975 der Fall ist. Hier wird die regelmäßige Arbeitszeit für bestimmte Berufsgruppen erweitert, während der für das Transport- und Verkehrsgewerbe maßgebliche Manteltarifvertrag lediglich Mehrarbeit zuläßt. Damit kann die 43 Stunden überschreitende wöchentliche Arbeitszeit bei der Berechnung des Uhg nicht berücksichtigt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG; höchstrichterlich ist bisher nicht entschieden, ob die vereinbarte Arbeitszeit als "tariflich” angesehen werden kann, wenn der Tarifvertrag lediglich solche abweichende Verträge gestattet, sie aber zeitlich nicht begrenzt).
Rechtskraft
Aus
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