L 5 V 1170/70

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 1170/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Wird die Erreichung eines Berufszieles durch geänderte Ausbildungsvorschriften unmöglich, die keinen Einfluß auf die anerkannten Schädigungsfolgen haben, dann fehlt es an der Grundvoraussetzung (dem schädigenden Einkommensverlust) für die Gewährung von Berufsschadensausgleich.
2) Beharrt ein Beschädigter trotz erfolgreicher Umschulung auf dem angestrebten Berufsziel, dann hat er das allein selbst zu vertreten.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 26. November 1970 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Bei dem 1913 geborenen heimatvertriebenen Kläger sind

1) operierter Meniskusschaden des linken Kniegelenks,

2) Neigung zu Ekzemen an beiden Händen,

3) reizlose Narbe an der Stirn, und zwar zu 1) verschlimmert, zu 2) und 3) hervorgerufen als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit einem Grade der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 60 v.H. auch unter Berücksichtigung seines Berufes als Bäcker anerkannt (Bescheid vom 17. September 1954). Anträge auf Höherbemessung der MdE wegen Verschlimmerung des Schädigungsleidens und Anerkennung des besonderen beruflichen Betroffenseins nach erfolgter Umschulung zum kaufmännischen Angestellten und wegen späteren Verlusts einer Tätigkeit als Verwaltungsangestellter bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen waren sämtlich ergebnislos (Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Kassel, Az.: V-M-74/54 und vor dem Sozialgericht Frankfurt (Main), Az.: S-13/V-45/60). Ein im Dezember 1960 vom Kläger geltend gemachter Anspruch auf Berufsschadensausgleich führte wegen Fehlens von Erwerbsunfähigkeit zum bindend gewordenen Bescheid vom 1. März 1962.

Am 15. Dezember 1964 beantragte er beim Versorgungsamt Frankfurt (Main) erneut Berufsschadensausgleich nach dem 2. Neuordnungsgesetz (NOG) mit der Begründung, er wäre ohne die Schädigungsfolgen heute Gewerbestudienrat. Da ihm außerdem in T. eine Erbbäckerei zur Verfügung gestanden habe, sei er nebenher noch als selbständiger Handwerksmeister einzustufen. Zu seinem beruflichen Werdegang gab er an, 1929 den Besuch der Mittelschule wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten abgebrochen und von 1932 bis 1935 das Bäckerhandwerk erlernt zu haben, in welchen er im Juli 1939 die Meisterprüfung bestanden habe. Anschließend habe er bis zur Einberufung im April 1940 nach einem einjährigen Vorstudium in K. das Berufspädagogische Institut in B. als Werkstudent besucht. Nach dem Kriege habe er wegen der Schädigungsfolgen bis 1952 ohne Erfolg versucht, wieder ständig als Bäcker zu arbeiten. Auch seine Studien habe er aus schädigungsbedingten Gründen nicht weiterbetreiben können. Seine Tätigkeit als – umgeschulter Verwaltungsangestellter habe er ebenfalls wegen der kriegsbedingten Leiden verloren. Seit 1962 könne er keiner Beschäftigung mehr nachgehen. Zum Beweise seiner Angaben legte der Kläger Zeugenbestätigungen und eine Urkunde über die Ablegung der Meisterprüfung vor.

Das Versorgungsamt holte Auskünfte und Unterlagen von den Landeswohlfahrtsverband Hessen und einen Befundbericht des praktischen Arztes Dr. K. vom Oktober 1966 ein, zu dem sich der Facharzt für Hautkrankheiten Dr. S. unter bejahender Beantwortung der ihm gestellten Frage äußerte, ob der Kläger den Beruf als Handelskaufmann aufgrund seiner Hauterkrankung ausüben könne. Nachdem es ferner Einsicht in die über den Kläger bei der LVA Hessen und bei der Bundesdruckerei vorhandenen Personalakten genommen hatte, lehnte das Versorgungsamt den Antrag mit Bescheid vom 23. August 1967 ab. Die anerkannten Schädigungsfolgen hinderten den Kläger nicht, seinen erlernten oder den Beruf auszuüben, für den er umgeschult worden sei. Ein Antrag auf Umschulung in den Beruf als Gewerbelehrer sei vom Landeswohlfahrtsverband abgelehnt worden, weil die persönlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Ein schädigungsbedingter Einkommensverlust liegt somit nicht vor.

Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Durch Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 1968 wurde der angefochtene Bescheid mit der zusätzlichen Begründung bestätigt, die Vereitlung des angestrebten Berufsziels Gewerbelehrer beruhe auf der Vertreibung, fehlenden finanziellen Mitteln und geänderten Ausbildungsvoraussetzungen nach dem Kriege. Berufsschadensausgleich stehe deshalb insoweit nicht zu. Der vor der Schädigung ausgeübte Beruf des Bäckermeisters begründe diesen Anspruch ebenfalls nicht, da durch die berufsfördernden Maßnahmen eine gleichwertige Stellung erlangt worden wäre, wenn der Kläger nicht durch persönliche Gründe eine entsprechende Unterbringung verhindert hätte.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt (Main) hat der Kläger das bestritten und überdies beantragt, den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. als medizinischen Sachverständigen gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) über die als weitere Schädigungsfolge anzuerkennenden Kopfbeschwerden zu hören. Nachdem dieser sein Gutachten am 19. Dezember 1969 dahin erstattet hatte, es bestehe keine Begründung, das Bagatelltrauma vom September 1944 zu einer Rentenerhöhung zu benutzen und der Kläger dazu u.a. geäußert hatte, die Kopfschmerzen seien auch Anlaß und die Rechtfertigung für sein Begehren von Berufsschadensausgleich nach der Besoldungsgruppe A 11 das Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) in der Berufsgruppe eines Gewerbelehrers gewesen, hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 26. November 1970 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Kammer habe entgegen der Ansicht des Klägers nicht über die Voraussetzungen einer Neufeststellung zu befinden gehabt. Soweit er mit dem ärztlichen Gutachten den Nachweis habe erbringen wollen, seine Kopfbeschwerden hätten auf seinen beruflichen Werdegang Einfluß genommen, sei das durch die Beurteilung des Dr. H. ausgeräumt worden. Anspruch auf Berufsschadensausgleich habe er nicht, da kein schädigungsbedingter Einkommensverlust vorliege.

Gegen dieses Urteil, das dem Kläger am 9. Dezember 1970 zugestellt worden ist, richtet sich seine am 14. Dezember 1970 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Zur Begründung trägt er vor, er habe schon vor seiner Einberufung die feste Absicht gehabt, auf alle Fälle Gewerbelehrer zu werden und dieses Ziel auch nach Ende des 2. Weltkriegs weiterverfolgt. Wegen seines Ekzemleidens habe er als Bäcker nicht mehr arbeiten können. Daß ein weiteres Studium nicht möglich gewesen sei, habe an seiner Mittellosigkeit gelegen. Als alle dahingehenden Versuche gescheitert seien, habe er den Ausweg gesucht, als Fachlehrer vermittelt zu werden. Das sei bislang jedoch nicht gelungen, um Beweis seiner Behauptung beziehe er sich auf vorgelegte Korrespondenzen mit dem zuständigen Fachminister sowie mit Instituten zur Erlangung der Hochschulreife aus den Jahren 1957 und 1958.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 26. November 1970 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 23. August 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 1968 zu verurteilen, Berufsschadensausgleich unter Eingruppierung in die Besoldungsgruppe A 11 BBesG (Berufsgruppe Gewerbelehrer) zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. In der Berufungsbegründung sei nichts vorgetragen worden, was nicht schon Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen sei.

Die Akten des Versorgungsamtes Frankfurt (Main) mit der Grdl.Nr. XXXX sowie die Akten des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen über den Kläger haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 23. August 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 1968 ist nicht rechtswidrig.

Da der Kläger in zweiter Instanz lediglich begehrt hat, Berufsschadensausgleich unter Einstufung in die Besoldungsgruppe A 11 BBesG als Gewerbelehrer zugesprochen zu erhalten, war der Senat der Prüfung der Frage enthoben, ob im Verlaufe der ersten Instanz in Wertung der Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Sozialgerichts vom 10. April 1969 eine Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG stattgefunden hat. Eine solche könnte allein das Thema des Beweisbeschlusses vom 25. Juni 1969 sinnvoll erklären, da sich dieses ausschließlich auf die Vorschrift des § 62 Abs. 1 und nicht auf § 50 Abs. 3 und 4 BVG bezieht. Zu letzterer Bestimmung hat sich der Sachverständige denn auch noch nicht einmal sinngemäß geäußert. Wegen des prozeßrechtlich Klarheit bringenden Berufungsantrages des Klägers stellte sich die Frage nach dem Vorliegen eines wesentlichen Mangels des erstinstanzlichen Verfahrens ebenfalls nicht mehr.

Rechtsgrundlage ist vorliegend § 30 Abs. 3 und 4 BVG i.d.F. des 2. und 3. NOG, wonach Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen um monatlich mindestens 75,– DM oder überhaupt gemindert ist (Einkommensverlust), nach Anwendung des § 30 Abs. 2 BVG einen Berufsschadensausgleich in monatlicher Höhe von vier Zehntel des Verlustes oder nach einer bezifferten Höchstgrenze erhalten (§ 30 Abs. 3 BVG). Einkommensverlust ist dabei der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, welcher der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Zutreffend hat das Sozialgericht insoweit ausgesprochen, daß es an einem nachweisbaren schädigungsbedingten Einkommensverlust fehlt. Auf die vom Kläger früher angeschnittene Frage, daß er wegen seiner Schädigung nach dem Kriege auch als selbständiger Bäckermeister oder als Bäcker im Angestelltenverhältnis nicht mehr habe tätig sein können, kam es dabei nicht mehr an. Denn er hat nach seinen Angaben diesen Beruf nicht wieder angestrebt, sondern ihn nur aus finanziellen Gründen gezwungenermaßen noch einmal vorübergehend ausgeübt, um seinem Ziel, Gewerbelehrer zu werden, näher zu kommen. Sein auch aus den Versorgungsakten und den Akten des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen erkennbares Bestreben war nicht auf Wiedereingliederung in den erlernten Handwerksberuf gerichtet. Diese Tatsache hat der Kläger durch seinen Berufungsbegründungsschriftsatz und die diesem beigegebenen Unterlagen noch einmal bekräftigt.

Gewerbelehrer oder Fachlehrer hätte er aber trotz der anerkannten Schädigungsfolgen werden können. Das geht aus den in den Versorgungsakten befindlichen ärztlichen Gutachten eindeutig hervor, wobei insbesondere auf die Beurteilung des Facharztes für Hautkrankheiten Dr. S. vom Oktober 1966 und auf das Gutachten des Chirurgen Dr. B. vom 8. April 1965 hingewiesen wird. Die Umstände, daß der Kläger dieses von ihm gewünschte Berufsziel nicht erreichen konnte, sind dem Versorgungsrecht nicht anzulasten. Sie liegen vornehmlich in der Person selbst, in seiner schulischen Vorbildung und in den – auch altersbedingten – Schwierigkeiten nach 1945 zu einem für das Hochschulstudium erforderlichen Schulabschluß zu gelangen. Insoweit ergeben sich sämtliche Fakten aus den Akten des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen sowie aus der vom Kläger eingereichten Korrespondenz. Daraus ist insbesondere zu entnehmen, daß er eine Eignungsprüfung im Jahre 1953 nicht bestanden hat. Des weiteren mag die Vertreibung aus Ostpreußen mit ihren materiellen Auswirkungen ebenfalls von Bedeutung sein. Auch dieser von ihm erwähnte Gesichtspunkt ist indessen nicht versorgungsrechtlicher Natur.

Haben nach den Unterlagen die Schädigungsfolgen keine wesentliche Bedingung für das Nichterreichen des angestrebten Berufes gebildet, so kann der Kläger ferner nicht verlangen, daß auf seine Umschulung und die damit erreichte Berufsausbildung nicht abgestellt wird. Insoweit ist § 30 Abs. 6 BVG einschlägig, wonach Berufsschadensausgleich nur dann zuzubilligen ist, wenn arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen möglich und zumutbar waren, sie aber aus vom Beschädigten nicht zu vertretenden Gründen erfolglos geblieben sind oder nicht zum Ausgleich des beruflichen Schadens geführt haben. Hier hatte die berufsfördernde Maßnahme aber Erfolg und hätte auch zum Ausgleich des beruflichen Schadens – im Beruf des Bäckermeisters – geführt. Die Daueranstellung bei der LVA Hessen ist nämlich im Gegensatz zum wiederholten Vortrag des Klägers nicht an den Schädigungsfolgen gescheitert. Grund zur Auflösung des Probearbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberin war vielmehr allein seine mangelnde persönliche Eignung. Diese Tatsachen sind aktenkundig festgehalten, ohne daß der Kläger jetzt daran vorbeikommt. Er kann sich auch nicht auf die Schädigung berufen, soweit seine Tätigkeit bei der Bundesdruckerei in Rede steht. Denn dort hat er ausweislich seines Schreibens vom 26. Dezember 1961 wegen Schwierigkeiten mit der Personalverwaltung gekündigt. Von Seiten der Schädigungsfolgen hätten keine wesentlichen Einschränkungen bestanden, Büroarbeiten bei der LVA Hessen oder in der Bundesdruckerei zu leisten. Das hat auch der Hautfacharzt Dr. S. überzeugend bestätigt. Ebensogut hätte der Kläger seine durch die Teilnahme an den berufsfördernden Maßnahmen erworbenen Kenntnisse in anderen kaufmännischen Bürotätigkeiten im Sinne des § 30 Abs. 6 BVG verwerten können und wäre gegenwärtig noch dazu in der Lage, ohne wirtschaftlich oder sozial unter seinem erlernten Handwerksberuf zu stehen. Wenn er davon seit 1962 keinen Gebrauch macht, sondern ausweislich seines eigenen Vorbringens und der Akten des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen auf einer Tätigkeit als Fachlehrer beharrt, dann kann er auch nicht mit Erfolg behaupten, einen schädigungsbedingten Einkommensverlust im Sinne des § 30 Abs. 3 BVG zu besitzen.

Nach alledem war mit der Kostenfolge des § 193 SGG, wie geschehen, zu erkennen.
Rechtskraft
Aus
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