L 5 V 438/70

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 438/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Hat das Sozialgericht über mehrere prozessual selbständige Ansprüche entschieden und legt der Berufungskläger hinsichtlich eines Anspruches keine Berufung ein, so ist eine insoweit eingelegte Anschlußberufung unzulässig.
2. Die Anerkennung einer erhöhten Hilflosigkeit setzt voraus, daß diese ursächlich auf Schädigungsfolgen zurückzuführen ist (Anschluß an BSG 8 RV 785/67 in SozR § 35 Nr. 20).
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 3. März 1970 abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Anschlußberufung des Klägers wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einer keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1895 geborene Kläger erhielt aufgrund des Umanerkennungsbescheides vom 13. April 1951 wegen der Schädigungsfolgen

"1) Verlust beider Augen,

2) Lungenspitzenkatarrh” eine Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. Als monatliche Pflegezulage gewährte dieser Bescheid 100,– DM. Sie wurde mit der Benachrichtigung vom 30. September 1953 ab 1. August 1953 auf monatlich 125,– DM festgesetzt.

Der Kläger beantragte im Januar 1956, ihm eine erhöhte Pflegezulage zu gewähren, da sich sein Gesamtzustand verschlechtert habe. Mit Bescheid vom 5. Januar 1956 ist der Antrag abgelehnt worden, da die Voraussetzungen für eine höhere Pflegezulage nicht erfüllt seien. Ein erhöhtes Pflegebedürfnis liege nicht vor. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23. März 1956).

In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Frankfurt (Main) Beweis erhoben und von dem Facharzt für Chirurgie Dr. B. das fachärztliche Gutachten vom 14. Juli 1958 und von dem Facharzt für innere Medizin Dr. V. das Gutachten vom 3. Januar 1959 eingeholt. Mit Urteil vom 3. Juni 1959 hat es die Klage abgewiesen. Die Berufung und die Revision des Klägers sind mit Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. März 1960 und mit Beschluss des Bundessozialgerichts vom 21. November 1960 als unzulässig verworfen worden.

Der am 17. Januar 1961 erlassene Bescheid erkannte in Ausführung des vom Landesversorgungsamt Hessen abgegebenen Anerkenntnisses vom 23. Juli 1958 als zusätzliche Schädigungsfolge "Hirnverletzung ohne Ausfallerscheinungen” an. Der Bescheid stellte weiterhin fest, die MdE betrage wie seither 100 v.H. Eine höhere Pflegezulage als bisher könne nicht gewährt werden, denn mit Bescheid vom 5. Januar 1956 sei bereits bindend festgestellt worden, daß ein erhöhtes Pflegebedürfnis nicht vorliege. Diese Feststellung beruhe auf den eingehenden fachärztlichen Untersuchungen, wobei insbesondere das Gutachten der Universitäts-Nervenklinik vom 20. Mai 1954 von erheblicher Bedeutung sei. Die Versetzung in den Ruhestand stelle auch keine wesentliche Änderung im Sinne des § 62 Bundesversorgungsgesetz (BVG) dar. Sie habe insbesondere nicht die Voraussetzungen für eine Pflegezulage einer höheren Stufe als der Stufe III geschaffen.

Der Widerspruchsbescheid vom 13. März 1961 führte noch aus, die anerkannten Schädigungsfolgen seien in ihrer Gesamtheit nicht geeignet, die Hilflosigkeit und damit das Pflegebedürfnis zu erhöhen. Weder der Lungenspitzenkatarrh noch die Hirnverletzung ohne Ausfallserscheinungen könnten zu einer erhöhten Hilflosigkeit führen. Die Persönlichkeitserscheinungen seien in der Pflegezulage für Blinde mitenthalten und abgegolten und seien nicht als Erscheinungen einer Hirnverletzung besonders zu bewerten. Schließlich erhöhten die Colitis, die Prostatabeschwerden und auch die cardialen Durchblutungsstörungen die Hilflosigkeit nicht. Der weiterhin ergangene Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 1961 verwies noch darauf, daß über die Pflegezulage rechtskräftige Entscheidungen durch das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. März 1960 und den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 21. November 1960 ergangen seien, so daß für den Kläger mit dem Bescheid vom 21. November 1960, der als Pflegezulage die der Stufe III aufgeführt habe, keine Beschwer und insoweit kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben sei.

Er stellte im April 1961 Antrag auf Gewährung einer Schwerstbeschädigtenzulage und im Juli 1961 auf Anerkennung einer "Gesichtsentstellung” als weiterer Schädigungsfolge. Nach Anhörung des ORMR Dr. H. ist mit Bescheid vom 11. September 1961 die Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe I zugesprochen worden. Der Bescheid stellte weiterhin fest, dem Antrag auf Anerkennung einer "Gesichtsentstellung” als Schädigungsfolge im Sinne des BVG könne nicht entsprochen werden. Eine abstoßend wirkende Gesichtsentstellung liege nicht vor, da beim Nichttragen der Augenprothesen eine dunkle Brille getragen werden könne. Die Schmerzen, die bei Reizung der Augenhöhlen aufträten, rechtfertigen ebenfalls nicht die Gewährung einer Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe II.

Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1962).

Mit Urteil vom 12. Juli 1962 hat das Sozialgericht Frankfurt (Main) unter Abänderung der Bescheide vom 11. September 1961 und 12. Februar 1962 den Beklagten verurteilt, Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe II ab 1. Juni 1960 zu gewähren. Auf die Berufung des Beklagten hat das Hessische Landessozialgericht mit Urteil vom 28. August 1963 dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen, da der Kläger bei 145 Punkten lediglich Anspruch auf die Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe I habe, die ihm gewährt werde. Die Revision gegen dieses Urteil ist mit Urteil des Bundessozialgerichts vom 9. November 1965 als unbegründet zurückgewiesen worden.

Im April 1964 stellte der Kläger Antrag auf Gewährung der Pflegezulage nach Stufe IV.

Nach Begutachtung durch RMR Dr. S. ist mit Bescheid vom 15. Februar 1965 dieser Antrag abgelehnt worden, da sich der Grad der bestehenden Hilflosigkeit durch die anerkannten Schädigungsfolgen nicht geändert habe.

Im November 1965 beantragte der Kläger die Feststellung der "seelischen Begleiterscheinungen, der Schlaflosigkeit, der Gesichtsentstellung durch Fehlen der Augäpfel und der Schmerzen im Bereich der leeren Augenhöhlen” als weitere Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz.

Nach Anhörung durch ORMR W. ist mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 1966 festgestellt worden, das Pflegebedürfnis habe sich nicht erhöht. Die Voraussetzungen zur Beurteilung der Hilflosigkeit seien jetzt die gleichen wie 1959. Soweit eine Hilflosigkeit durch Schädigungsfolgen bedingt werde, sei allein der Verlust beider Augen von Bedeutung. Der anerkannte Lungenspitzenkatarrh sei ohne wesentliche Auswirkungen auf die Ausführung der täglichen Notwendigkeiten ebenso wie die anerkannte Hirnverletzung ohne Ausfallserscheinungen nicht von wesentlicher Bedeutung sein könne.

Mit Urteil vom 5. Juli 1966 des Sozialgerichts Frankfurt (Main) ist der Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Februar 1965 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 1966 verurteilt worden, dem Kläger seit dem 1. Januar 1964 die Pflegezulage nach der Stufe IV zu zahlen.

Nach den im Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen der Dres. S., V. und Wi. erklärte sich der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 25. Oktober 1967 bereit, eine Prüfung darüber anzustellen, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne der Verschlimmerung bei dem Kläger eingetreten sei. Er erklärte daraufhin, daß er keine Rechte aus dem Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 5. Juli 1966 herleiten werde, so daß mit dieser Regelung der Rechtsstreit seine Erledigung fand.

Unter Auswertung der vom Kläger vorgelegten ärztlichen Gutachten der Dres. V. und Wi. führte der Facharzt für Augenkrankheiten Dr. O. in dem Gutachten vom 8. Februar 1968 aus, ein Anspruch auf eine höhere Bewertung der MdE als bisher sei durch den Befund nicht gerechtfertigt. In dem innerfachärztlichen Nebengutachten vom 22. Februar 1968 vertrat Dr. Wa. die Ansicht, es liege eine sehr ausgeprägte Kreislaufregulationsstörung vor, die nicht schädigungsbedingt sei. Die Gleichgewichtsstörungen mit Schwindelgefühl entsprächen einer Störung eines weiteren Sinnesorganes und verstärkten damit die Hilflosigkeit. Der schädigungsbedingte Anteil der Gesamthilflosigkeit stehe im Vordergrund. Die Lungenerweiterung könne nicht mit dem Lungenspitzenkatarrh vom 1. Weltkrieg in Zusammenhang gebracht werden. In dem nervenfachärztlichen Hauptgutachten vom 7. Februar 1968 meinte der Facharzt für Nervenkrankheiten Dr. M., bei dem Kläger sei eine Hirnverletzung anerkannt, wobei die jetzige Nachuntersuchung keine Beweise für eine Hirnsubstanzschädigung ergeben habe. Da die Gleichgewichtsstörungen mit dem Schwindelgefühl die Hilflosigkeit verstärkten, wobei der schädigungsbedingte Anteil der Gesamthilflosigkeit im Vordergrund stehe, sei die Pflegezulage mit Stufe IV festzusetzen.

Nachdem der RM-Direktor Dr. St. den Prüfungsvermerk vom 15. März 1968 erstellt hatte, führte der Bescheid vom 26. Juni 1968 aus, eine Verschlimmerung der Schädigungsfolgen sei weder auf neurologischem noch auf internem Gebiet festzustellen. Auch das Ergebnis des augenfachärztlichen Gutachtens rechtfertige keine Änderung der bisherigen Entscheidung. Der Lungenkatarrh habe keine Änderung gegenüber früheren Befunderhebungen erfahren. Ausfallserscheinungen nach der anerkannten Hirnverletzung seien auch heute nicht nachweisbar. Die Voraussetzungen für eine Erhöhung der Pflegezulage lägen nicht vor, da eine Änderung im Sinne des § 62 BVG in den Schädigungsfolgen nicht eingetreten sei. Die Erhöhung der Schwerstbeschädigtenzulage komme deshalb nicht in Betracht, da die Punktzahl von 160 nicht erreicht werde. Seelische Begleiterscheinungen könnten als selbständige Schädigungsfolge nicht anerkannt werden. Auch die Anerkennung von Schmerzen im Bereich der leeren Augenhöhlen als Schädigungsfolge könne deshalb nicht erfolgen, weil die zeitweise auftretenden Reizzustände der Augenhöhlen durch eine entsprechende Therapie zu beherrschen seien und eine meßbare MdE nicht festgestellt werden könne. Die geklagten Einschlaf- und durchschlafstörungen seien ursächlich nicht auf den Augenverlust zurückzuführen, zumal neurologisch und psychiatrisch ein krankhafter Befund nicht festzustellen sei. Der Verlust beider Augen für sich allein stelle keine Entstellung dar, da der Kläger gutsitzende Augenprothesen trage. Die Teildefekte des linken und rechten oberen Lidrandes seien derart geringfügig, daß sie sich nicht entstellend auswirkten. Die Kreislaufregulationsstörung, die degenerativen Veränderungen an der Hauptkörperschlagader, die Mangeldurchblutung der Herzgefäße seien altersbedingt. Das gelte auch von der Lungenerweiterung und der leichten Verbiegung der Brustwirbelsäule. Die multiplen Hautgeschwülste stünden in keinem ursächlichen Zusammenhang mit kriegseigentümlichen Einflüssen oder mit den anerkannten Schädigungsfolgen.

Der Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 1968 stellte nach Anhörung des ORMR Dr. G. noch fest, in den anerkannten Schädigungsfolgen sei keine Verschlimmerung eingetreten. Weitere Gesundheitsstörungen seien nicht als Schädigungsfolgen anzuerkennen. Weil durch die Nichtschädigungsfolgen eine größere Hilflosigkeit eingetreten sei, könne diese nicht zur Erhöhung der Pflegezulage führen. Die Mitberücksichtigung von Nichtschädigungsleiden sei nur bei der erstmaligen Gewährung der Pflegezulage möglich.

In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt (Main) hat der Kläger unter Hinweis auf das ärztliche Gutachten des Dr. V. vom 3. Dezember 1968 vorgetragen, Blinden müsse mit weiteren Schädigungsfolgen, die das Pflegebedürfnis erhöhten, eine höhere Pflegezulage als der Mindestsatz zustehen. Im übrigen seien Verschlimmerungen eingetreten, die das Pflegebedürfnis vergrößerten. Ihm stehe die Pflegezulage der Stufe IV und eine Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe III zu.

Mit Urteil vom 3. März 1970 hat das Sozialgericht unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Februar 1965 und 22. März 1966 sowie unter Abänderung der Bescheide vom 26. Juni 1968 und 24. Oktober 1968 den Beklagten verurteilt, dem Kläger mit Wirkung ab 1. April 1964 Pflegezulage nach Stufe IV und Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe II zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Berufung ist zugelassen worden. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, soweit die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen in Frage stehen, sei keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten. Weitere Gesundheitsstörungen seien nicht als Schädigungsfolgen anzuerkennen. Hinsichtlich der Gewährung der Pflegezulage sei das Gericht nicht der Auffassung, daß durch die mit dem 2. Neuordnungsgesetz gegebene Neufassung des § 35 BVG eine wesentliche Änderung im Sinne des § 62 BVG zu verzeichnen sei. Diese Neufassung bewillige für diese Beschädigten nicht mehr, als sie ohnehin bereits erhalten hätten. Zu einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 62 BVG sei es jedoch durch das Auftreten einer Kreislaufregulationsstörung mit Schwindelzuständen und Gleichgewichtsstörungen gekommen, die weder auf die Blindheit des Klägers noch auf die anerkannte Hirnverletzung zurückgeführt werden könnten. Diese Leiden, die der Störung eines weiteren Sinnesorgans entsprächen, hätten aber die bereits durch die Blindheit des Klägers bedingte Hilflosigkeit noch verstärkt. Der eingetretene Zustand der erhöhten Pflegebedürftigkeit sei wesentlich durch die anerkannten Schädigungsfolgen mitbedingt. § 62 BVG verlange nicht, daß die Änderung durch die Schädigungsfolgen ausgelöst sein müsse. Wegen der weitreichenden Folgen für die Betroffenen hätte das andernfalls im Gesetz eindeutig zum Ausdruck gebracht werden müssen. Es wäre im übrigen auch nicht recht verständlich, wenn es zu ungleichen Ergebnissen nur darum käme, weil in einem Fall nichtschädigungsbedingte, die Hilflosigkeit erhöhende Gesundheitsstörungen vor der Erstbewilligung einer Pflegezulage in Erscheinung träten, im anderen aber erst danach. Der abweichenden Meinung des 8. Senats des Bundessozialgerichts habe sich das Gericht nicht anzuschließen vermocht. Die Hilfsbedürftigkeit habe bereits seit April 1964 bestanden. Da dem Kläger die Pflegezulage nach Stufe IV zustehe, sei ihm kraft Gesetzes die Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe II zugewähren. Einen Anspruch auf eine Schwerstbeschädigtenzulage höherer Stufe habe er nicht.

Gegen das dem Beklagten am 11. Mai 1970 zugestellte Urteil ist die Berufung am 19. Mai 1970 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen, zu deren Begründung er ausführt, die Voraussetzung für die Gewährung einer höheren Pflegezulage sei nicht erfüllt. Schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen könnten nicht zu einer Neufeststellung der Pflegezulage führen. Nachschäden seien bei dieser Feststellung nicht zu berücksichtigen.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 3. März 1970 abzuändern und die Klage abzuweisen sowie die Anschlußberufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
sie zurückzuweisen.

Der Kläger, der in der mündlichen Verhandlung vom 24. November 1971 Anschlußberufung eingelegt hat, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und "seelische Begleiterscheinungen, Schmerzen im Bereich der leeren Augenhöhlen, Schlaflosigkeit” als weitere Schädigungsfolgen festzustellen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, die Regulationsstörungen und ihre Begleiterscheinungen seien schädigungsbedingt. Diese Ansicht habe bereits Prof. Dr. E. im Jahre 1954 vertreten, wobei er damals darauf hinwies, daß die Beschwerden erst mit zunehmendem Fortschreiten des Vernarbungsprozesses einträten.

Die Versorgungsakten mit der Grdl. Nr. und die Akten des Sozialgerichts Frankfurt (Main) V-I-1153/56, S 11-V 46/66 und S 13-V 110/62 haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakte beider Rechtszüge, der auszugsweise vorgetragen worden ist, wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig (§ 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG–); sie ist frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151, Abs. 1 SGG) und auch begründet. Dagegen ist die Anschlußberufung des Klägers unzulässig. Die Anschließung stellt nämlich lediglich eine Auswirkung des Rechts des Berufungsbeklagten dar, durch Anträge die Grenzen einer neuen Verhandlung zu bestimmen. Sie ist ein angriffsweise wirkender Antrag des Berufungsbeklagten innerhalb der Berufung des Gegners, wobei aber Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Anschlußberufung ist, daß vom Gegner eine Hauptberufung eingelegt worden ist. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Beklagte hat zwar gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 3. März 1970, das über mehrere prozessuale selbständige Ansprüche entschieden hat, Berufung eingelegt, jedoch nicht soweit es die Feststellung der "seelischen Begleiterscheinungen, der Schmerzen im Bereich im Bereich der leeren Augenhöhlen und der Gesichtsentstellung durch fehlende Augäpfel” als weiterer Schädigungsfolgen nach dem BVG betrifft. Gegen diesen Feststellungsanspruch richtet sich allein die Anschlußberufung des Klägers. Hinsichtlich dieses Anspruchs ist jedoch kein Berufungsverfahren anhängig gewesen, was zur Folge hat, daß insoweit die Entscheidung des Vordergerichts rechtskräftig geworden ist (vgl. BSG-Urteil vom 8. Juli 1969 – Az.: 9 R V 256/66 in SozR Nr. 12 zu § 512 ZPO). Die erst nach Ablauf der Berufungsfrist eingelegte und deshalb unselbständige Anschlußberufung des Klägers war deshalb als unzulässig zu verwerfen.

Der Bescheid vom 26. Juni 1968, der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 1968 Gegenstand der Klage geworden ist (§ 95 SGG), ist zu Recht ergangen, wobei in der Berufungsinstanz nur noch die Gewährung der Pflegezulage nach Stufe IV und die damit zu gewährende Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe II streitig war.

Der Senat ist mit dem Vordergericht der Ansicht, daß durch die mit dem 2. NOG erfolgte Neufassung des § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG, nach der Blinde mindestens die Pflegezulage nach Stufe III erhalten, keine gesetzliche Änderung eingetreten ist, die als eine solche im Sinne des § 62 BVG anzusehen ist. Es handelt sich dabei nur um eine redaktionelle Änderung.

Der Auffassung des Vordergerichts war jedoch nicht zu folgen, soweit es die Voraussetzungen des § 62 BVG bejaht hat. Es hat dabei verkannt, daß es für die Neufeststellung der Leistung nach § 62 BVG auf die gesamte Kausalkette ankommt und der Anspruch auf Pflegezulage gemäß dieser Vorschrift nur dann neu festgestellt werden kann, wenn sich die Schädigungsfolgen wesentlich ändern und eine Änderung der Hilflosigkeit herbeiführen (so BSG in 13,40 ff., Urteil vom 7. August 1969, Az.: 8 RV 785/67 in SozR Nr. 20 zu § 35 BVG). Die Hilflosigkeit stellt in der Kausalkette nur ein weiteres Glied dar und ist nicht eine unabhängige Anspruchsvoraussetzung. Sie bleibt vielmehr kausal auf die Schädigung und ihre Folgen bezogen, so daß die bindend gewordene Feststellung der Pflegezulage nur dann unrichtig wird, wenn sich die schädigungsbedingten Tatbestandsmerkmale ändern, welche für die Beurteilung der Kausalität maßgebend gewesen sind. Für die Anwendung des § 62 BVG ist es damit erforderlich, daß sich die Schädigungsfolgen geändert und sich dadurch auch die Hilflosigkeit verändert hat, um die Pflegezulage neu feststellen zu können. Das bedingt im Falle des Klägers, daß sich die anerkannten Schädigungsfolgen geändert haben müssen und sich dadurch das Pflegebedürfnis erhöht haben muß. Soweit das hier der Fall ist, geht die Veränderung auf die Kreislaufregulationsstörungen zurück, und nicht auf die anerkannten Schädigungsfolgen, die sich nach den von den medizinischen Gutachtern Dres. O., M. und Wa. getroffenen Feststellungen nicht geändert haben. So hat der Facharzt für innere Krankheiten Dr. Wa. festgestellt, daß bei dem Kläger eine sehr ausgeprägte Kreislaufregulationsstörung vorliegt, die zu Gleichgewichtsstörungen mit Schwindelgefühl führt und als solche einer Störung eines weiteren Sinnesorganes entspricht, die die Hilflosigkeit verstärkt. Dabei handele es sich um eine altersbedingte Krankheit, für die die anerkannten Schädigungsfolgen nicht ursächlich sind. Dieser erforderliche Ursachenzusammenhang wird auch nicht durch das ärztliche Attest des Dr. Sch. wahrscheinlich gemacht, der darin lediglich eine Vermutung des Prof. Dr. E. aus dem Jahre 1954 wiederholt hat, die sich jedoch nicht eingestellt hat. Vielmehr haben Dres. Wa. und M. aufgrund der Befunde aus dem Jahre 1968 nachgewiesen, daß die Gleichgewichtsstörungen mit dem Schwindelgefühl nicht im Zusammenhang mit den Schädigungsfolgen stehen, wobei Dr. M. sogar die anerkannte Hirnverletzung wegen Fehlens der Beweise für eine Hirnsubstanzschädigung in Zweifel gezogen hat.

Damit steht fest, daß die Schädigungsfolgen unverändert sind. Bleiben aber die Schädigungsfolgen unverändert, so kann eine Änderung der Hilflosigkeit – hier durch eine Vermehrung von Nichtschädigungsleiden – durch wehrdienstunabhängige Umstände nicht zu einer Neufeststellung führen. Es bleibt vielmehr bei der einmal festgestellten Pflegezulage, die der Kläger als Blinder nach der Stufe III erhält. Das hat das Vordergericht verkannt, wenn es gemeint hat, daß allein auf die Hilflosigkeit als kausal von der Schädigung unabhängige Voraussetzung für die Neufeststellung dieser Versorgungsleistung abzustellen ist. Dem Kläger steht daher nur die Pflegezulage gemäß § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG nach Stufe III zu, da sich die Schädigungsfolgen nicht wesentlich geändert und damit auch zu keiner Änderung der Hilflosigkeit geführt haben. Das gestattet es auch nicht, dem Kläger die Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe II zuzusprechen, die ihm kraft Gesetzes nach § 5 Abs. 2 DVO zu § 31 Abs. 5 BVG als Empfänger der Pflegezulage nach Stufe IV zugestanden hätte. Um eine Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe II zu erreichen, hätte es nach § 5 Abs. 1 DVO zu § 31 Abs. 5 BVG einer Punktzahl von mindestens 160 Punkten bedurft, die aufgrund der anerkannten Schädigungsfolgen nicht erreicht wird. Diese ergeben lediglich 145 Punkte, was der Stufe I entspricht.

Der Berufung war daher stattzugeben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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