Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 7/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Beruft sich der Beklagte gegenüber einem früheren ablehnenden Bescheid nicht auf die Bindung, ist er als sachlich nachprüfbarer Zweitbescheid zu behandeln.
2. Eine Kannleistung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG für eine MS kommt nach den Rundschreiben des BAM vom 25.4.68 u. 29.9.68 nur in Frage, wenn der dort festgelegte zeitliche Zusammenhang gewahrt und seine Streßsituation für die Zeit vorher nachgewiesen ist.
2. Eine Kannleistung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG für eine MS kommt nach den Rundschreiben des BAM vom 25.4.68 u. 29.9.68 nur in Frage, wenn der dort festgelegte zeitliche Zusammenhang gewahrt und seine Streßsituation für die Zeit vorher nachgewiesen ist.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 26. November 1969 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1902 geborene Kläger hatte im August 1957 beim Versorgungsamt Marburg/Lahn Antrag auf Versorgung wegen "Encephalitis disseminata” gestellt, die durch eine im April 1945 erfolgte Verschüttung auf dem italienischen Kriegsschauplatz verursacht worden sei. Dazu hatte er u.a. Entlassungsscheine aus der Kriegsgefangenschaft vom Januar 1947 und aus der U.klinik M./L. vom April 1951 und Juni 1957 vorgelegt.
Nach ergebnislosen Ermittlungen bei den Krankenbuchlagern, Beiziehung der Krankengeschichten aus der M. U.klinik und der Invalidenrentenakten sowie nach Untersuchungen des Klägers durch den Nervenfacharzt Dr. H. (Gutachten vom 12.3.1958), der eine nichtschädigungsbedingte erst um das Jahr 1950 aufgetretene Polysklerose diagnostiziert hatte, war der bindend gewordene Bescheid vom 9. Mai 1958 ergangen. Darin war der Antrag wegen Versäumnis der Frist und mangels ursächlichen Zusammenhangs zwischen angeblicher Schädigung und jetzigem Krankheitsbild abgelehnt worden. Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 3.7.1958).
Am 13. März 1963 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt Darmstadt erneut Versorgung, das wiederum die Rentenakten über den Kläger von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) beizog und eine innerfachärztliche Äußerung von dem Reg. Med. Rat Dr. W. einholte. Dieser hielt die Voraussetzungen für eine Versorgung wegen Polysklerose (Multiple Sklerose – MS–) sowohl als Rechtsanspruch als auch im Härteausgleich nicht für gegeben. Der zusätzlich gehörte Ob. Reg. Med. Rat Dr. von K. schlug Ermittlungen über Krankheitserscheinungen in den Jahren 1947 bis 1950 vor, worauf das Versorgungsamt Zeugen und ehemals behandelnde Ärzte des Klägers befragte, AOK-Unterlagen, Akten über den Kläger vom Gesundheitsamt M./L., erneut dessen Krankengeschichten aus der U.klinik M./L., die vertrauensärtzlichen Gutachten der Landesversicherungsanstalt (LVA) H. und die noch vorhandenen Arztbriefe aus der ehemaligen Praxis des Dr. D. vom Jahre 1951 beizog. Alsdann nahm Dr. von K. am 13. Oktober 1964 dahin Stellung, daß als Beginn für die Erkrankung an MS nach wie vor das Jahr 1950 festzulegen sei. Die von Dr. H. am 29. April 1964 gemachten Angaben, wonach er den Kläger bereits ab 1947 wegen eines Status nach Encephalomyelitis behandelt habe, seien nicht beweiskräftig. Nachdem dieser Arzt auf Antrage hin Arztbriefe über den Kläger von der U.klinik vom 3. Juli 1957 und von dem leitenden Arzt der Chirurgischen Abteilung des D.krankenhauses M./L. vom 8. Juni 1956 übersandt hatte, hielt Dr. von K. am 24. Juni 1965 wiederum keine Brückensymptome für eine Zeit vor 1950 für gegeben. Anschließend noch angestellte Ermittlungen nach Rezepturen und Krankenscheinen für den Kläger aus den Jahren 1947 bis 1950 blieben ergebnislos. Nach Sichtung aller vorhandenen Unterlagen kam Reg. Med. Direktor Dr. W. am 4. August 1965 zu dem Ergebnis daß ein zeitlicher Zusammenhang zwischen ersten Einsetzen einschlägiger Krankheitserscheinungen und Wehrdienst oder Ende der Kriegsgefangenschaft nicht bestehe. Solche seien erst etwa ab Mitte 1950, also über drei Jahre nach Heimkehr, zu belegen. Von Dystrophie und schweren Gefangenschaftsstrapazen könne überdies nicht die Rede sein.
Mit Bescheid vom 3. September 1965 lehnte das Versorgungsamt nunmehr den Antrag ab, nachdem der Hessische Minister für Arbeit, Volkswohlfahrt und Gesundheitswesen mit Erlaß vom 26. August 1965 seine Zustimmung zur Härteversorgung versagt hatte. Zur Begründung führte es aus, der Bescheid des Versorgungsamtes Marburg/Lahn vom 9. Mai 1958 habe festgestellt, daß die vorliegende Erkrankung an Polysklerose keine Schädigungsfolge sei. Die auf Grund des erneuten Antrags durchgeführten Ermittlungen hätten die Richtigkeit dieser Entscheidung bestätigt. Die zusätzlich angestellte Prüfung, ob ein Härteausgleich oder eine Kannversorgung in Betracht komme, habe negative Ergebnisse gehabt. Es fehle am zeitlichen Zusammenhang mit der als schädigendes Ereignis angegebenen Verschüttung. Nach Aktenlage besteht erst seit Ende des Jahres 1950 eine Schwäche in den Beinen mit Unsicherheit beim gehen. Nach Zeugenaussagen habe der Kläger von 1947 bis 1950 noch schwere Waldarbeiten verrichtet, was das damalige Bestehen einer MS unwahrscheinlich mache.
Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1967 wurde der angefochtene Bescheid bestätigt.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt hat der Kläger vorgetragen, der erste Schub seiner Krankheit sei gleich nach seiner Verschüttung, der zweite von 1948 an aufgetreten. Daß sein Entlassungsschein aus der Kriegsgefangenschaft darüber nicht enthalte, sei wegen der typischen Verlaufsform verständlich. Schwere Waldarbeiten habe er nach dem Kriege nicht verrichtet, sondern nur Holz für den eigenen Bedarf gesammelt. Zum Beweise seiner Behauptungen hat er sich auf eine Auskunft des Staatsanwalts Dr. Sch. und auf weitere Zeugen berufen.
Das Sozialgericht hat die Aufenthaltsdauer des Klägers im Flüchtlingslager D. Krs. M./L. ermittelt und den Pensionär E. S. als Zeugen vor dem ersuchten Richter des Bezirksgerichts B./Ö. vernehmen lassen. Dieser hat am 22. April 1969 ausgesagt, er habe den Kläger im Spätherbst 1945 im Gefangenenlager in N. kennengelernt.
Dieser habe ein schlechtes Auge gehabt und sei auf den Beinen schlecht beisammengewesen, so daß er ihn wegen Schmerzen drei- oder viermal zum Arzt geführt habe. Näher könne er dessen Beschwerden nicht beschreiben und wisse auch nichts über die ärtzliche Behandlung. Ferner hat das Sozialgericht eine Auskunft von dem praktischer Arzt Dr. H. eingeholt, der am 30. April 1969 die schon bekannten Arztbriefe über den Kläger aus den Jahren 1956 und 1957 übersandt und angegeben hat, er kenne ihn seit 1953. Auf Antrag des Klägers hat der Facharzt für Nervenkrankheiten Dr. G. gemäß § 109 des Sozialgerichtgesetzes (SGG) ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet, in dem er am 16. Juni 1969 ausgeführt hat, eine Anerkennung der MS als Schädigungsfolge sei wegen der unbekannten Ursache dieser Krankheit nicht möglich. Bei kritischer Würdigung der vorhandenen Unterlagen und Angaben des Klägers zur Vorgeschichte müsse man gestehen, daß sogenannte Brücken- oder Intervallsymptome seit der Gefangenschaft bis zu ersten klinischen Behandlung im Sinne des Rundschreibens des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 24. Oktober 1961 nicht wahrscheinlich gemacht werden könnten. Seine Verschüttung könne nach allgemeinen Erfahrungen nicht als Beginn der MS angesehen werden, ebensowenig lägen für die Zeit der Gefangenschaft insoweit faßbare Aussagen vor. Das gelte bei allem Wohlwollen auch in Bezug auf die Bekundungen des Zeugen S., zumal dieser von Schmerzzuständen des Klägers gesprochen habe, wohingegen die MS bekanntlich erst Schmerzen mache, wenn schon eine schwere Spastik vorhanden sei. Davon könne aber für die folgenden Jahre mit Sicherheit keine Rede sein da der Kläger sonst nach seiner Entlassung nicht als Arbeiter hätte tätig sein können. Zusammengefaßt könne der Beginn der bestehenden Erkrankung nicht einmal annäherungsweise festgelegt werden, so daß der zeitliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich zu machen sei.
Mit Urteil vom 26. November 1969 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der zweite Antrag des Klägers auf Versorgung wegen MS sei von dem Beklagten nach Wegfall der Fristvorschriften zutreffend als solcher auf Anerkennung von Schädigungsfolgen und Versorgung im Wege des Rechtsanspruchs bearbeitet worden. Der angefochtene Bescheid sei hiernach insoweit sachlich voll nachprüfbar, rechtlich aber nicht zu beanstanden zu gewesen. Denn nach dem Ergebnis der Ermittlungen und Beweisaufnahme bestehe keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, daß die MS durch den Kriegsdienst oder Gefangenschaft verschlimmert worden sei. Die Anerkennung im Sinne der Entstehung sei wegen der unbekannte Ätiologie ohnehin nicht möglich. Soweit der Beklagte zusätzlich Versorgung im Härteausgleich oder im Wege der Kannleistung versagt habe, sei kein Ermessensfehler ersichtlich.
Gegen dieses Urteil, das dem Kläger am 6. Dezember 1969 zugestellt worden ist, richtet sich seine am 6. Januar 1970 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Eine schriftliche Begründung ist nicht erfolgt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 26. November 1969 aufzuheben und den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 3. September 1965 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1967 zu verurteilen, wegen "Multipler Sklerose” als Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung Rente nach einer entsprechenden MdE ab Antragstellung zu gewähren,
hilfsweise,
den Bescheid vom 3. September 1965 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1967 insoweit aufzuheben, als Versorgung im Wege des Härteausgleichs oder der Kannleistung versagt worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Akten des Versorgungsamts Darmstadt mit der Archiv Nr. haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG.). Sie ist jedoch nicht begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 3. September 1965 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1967 ist nicht rechtswidrig.
Mit dem Sozialgericht ist der Senat der Auffassung, daß der Antrag des Klägers vom 13. März 1963 nach Wegfall der Fristvorschriften als Neuantrag und nicht als solcher auf Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung – VfG (KOV) – zu werten ist. Dementsprechend hat ihn der Beklagte auch bearbeitet Zwar hat er in dem angefochtenen Bescheid auf den – bindend gewordenen – Bescheid vom 9. Mai 1958 hingewiesen. Er hat sich aber nicht auf die Bindungswirkung im Sinne des § 77 SGG berufen und darüber hinaus im Widerspruchsbescheid, der nach § 95 SGG zusammen mit dem ursprünglichen Verwaltungsakt Streitgegenstand geworden ist, zum Ausdruck gebracht, daß die MS mit schädigenden Einwirkungen des Wehrdienstes nicht in ursächlichem Zusammenhang stehe. Damit war der Bescheid vom 3. September 1965 insoweit als sachlich voll überprüfbaren Zweitbescheids anzusehen, als er den Rechtsanspruch auf Versorgung nach § 1 Abs. 3 BVG in der Fassung des Neuordnungsgesetzes (NOG) und nach § 1 Abs. 3 Satz 1 in der Fassung des 2. NOG verneint hat. Hinsichtlich oder zusätzlich von Amts wegen getroffenen Entscheidung über Versorgung im Wege des Härteausgleichs nach § 89 Abs. 2 BVG a.F. oder § 1 Abs. 3 Satz 2 n.F. waren die Überprüfungsmöglichkeiten des Senats dagegen auf den Rahmen des 54 Abs. 2 Satz 2 SGG beschränkt. Denn nachdem der Beklagte zutreffend davon ausgegangen ist, daß die bei dem Kläger festgestellte neurologische Erkrankung eine solche ist, über deren Ursache in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, durfte nur noch geprüft werden, ob in der Versagung der Härteversorgung hierfür ein Ermessensmißbrauch oder eine Ermessensüberschreitung liegt oder ob der Beklagte sein Ermessen überhaupt nicht ausgeübt hat.
Was nun die Ablehnung des Antrags auf Versorgung als Rechtsanspruch angeht, so war sie nach Lage des Falles nicht zu bestanden. Denn es ist nicht wahrscheinlich im Sinne der im Versorgungsrecht geltenden Kausaltheorie, daß die im MS durch den Wehrdienst oder die Kriegsgefangenenschaft entstanden oder verschlimmert worden ist. Das vom Kläger angeschuldigte Trauma in Form einer Verschüttung mit ihren aktenkundigen – relativ geringfügigen – Folgen kommt nach bisherigem Stand der medizinischen Forschung für ein schädigendes Ereignis nicht in Betracht. Hierauf hat der als Arzt des Vertrauens des Klägers gehörte Sachverständige Dr. G. zutreffend hingewiesen. Seiner auf Seite 11 des Gutachtens geäußerten Auffassung, eine Anerkennung als Schädigungsfolge sei (allein schon) wegen der bis heute unbekannten Ursache der MS-Erkrankung nicht möglich, vermochte sich der Senat in dieser Unbedingtheit allerdings nicht anzuschließen. Denn bei besonders augenfälligen Verlauf dieses Leidens im Anschluß an massive Streßfaktoren kann auch ein ursächlicher Zusammenhang im Sinne der Entstehung oder Verschlimmerung wahrscheinlich sein, worauf der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in seinem Rundschreiben vom 25. April 1968 zutreffend hingewiesen hat. Vorliegend sind solche Streßfaktoren aber mit Sicherheit nicht vorhanden gewesen. Denn der Kläger hat sich, wie er zu seinem Antrag am 20. Mai 1963 (Bl. 71 ff VA) ergänzend mitgeteilt hat, während seines erst im April 1943 beginnenden Kriegsdienstes zunächst im besetzten Frankreich aufgehalten und war ab Ende Oktober dieses Jahres bis 9. April 1945 in Italien beim Nachschub eingesetzt. Nach der an diesem Tage erfolgten Verschüttung befand er sich nur eine kurze Zeit in ärztlicher Behandlung, alsdann wenige Tage an der Front und wurde schon am 29. April 1945 gefangengenommen. Seine Angaben vor dem Nervenarzt Dr. H. der ihn am 12. März 1958 begutachtet hat, er sei etwa 14 Tage bis 3 Wochen im Lazarett gewesen, erscheinen wegen den geringen Zeitspanne zwischen Verschüttung und Gefangennahme übertrieben. Aus der weiteren von Dr. H. aufgenommenen Anamnese gehen aber dann ebenfalls keine massiven Streßsituation für die Zeit der Gefangennahme hervor. Denn er ist nach etwa sechswöchigem Aufenthalt im Freien, der im italienischen Frühling gesundheitlich nicht übermäßig strapaziös gewesen sein kann, in ein Barackenlager gekommen und bei der Lebensmittelausgabe beschäftigt worden. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß er nach seinen damaligen Angaben in der Gefangenschaft außer Hämorrhoiden keine Krankheiten gehabt haben will, wenn von einem sich verstärkenden Rheuma in der Rechten Seite abgesehen wurde. Hier kann die Erklärung für seine "Schmerzen” gefunden werden, welche der Zeuge S. bekundet hat und die nach zutreffender Auffassung des Dr. G. deshalb kein Symptom für eine MS bilden können, weil keine ausgeprägte Spastik bestand. Sind hiernach keine Streßfaktoren zu belegen, so muß eine Anerkennung der MS als Schädigungsfolge im Wege des Rechtsanspruchs aber entfallen, zumal auch der Krankheitsverlauf nach Heimkehr aus der Gefangenschaft keine Rückschlüsse auf deren Vorhandensein zuläßt.
Versorgung gemäß § 89 Abs. 2 BVG a.F. oder § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG n.F. kommt ebenfalls nicht in Betracht. Das hat der Beklagte nach Befragung des zuständigen Fachministers, der seine Zustimmung zur Gewährung einer solchen verweigert hat, ohne erkennbare Ermessensfehler festgestellt. Denn er hat sich zur Ablehnung erst nach besonders sorgfältigen Ermittlungen in Bezug auf Unterlagen aller Art entschlossen, die als Brückensymptome für die Zeit ab 1947 bis 1951 in Betracht kommen könnten. Mit der nach Sichtung des gesamten Materials und Befragung von Ärzten erfolgen Ablehnung ist er dann im Rahmen des im Zeitpunkt seiner Entscheidung noch geltenden Rundschreibens des Bundesministers vom 24. Oktober 1961 geblieben, das der Senat als mit der Rechtsordnung in Einklang stehend ansieht. Daß der Beklagte sich nicht entschließen konnte, auch hiernach den zeitlichen Zusammenhang zwischen Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft einerseits und erster Maniverstation der MS andererseits als gegeben anzusehen, war ermessensmäßig nicht zu beanstanden.
Zu demselben Ergebnis gelangt der Senat, wenn er noch zusätzlich den angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Ablehnung von Kannversorgung unter den Gesichtspunkten des Rundschreibens des Bundesarbeitsministers vom 25. April 1968 würdigt, welches durch Rundschreiben vom 29. August 1968 ergänzt worden ist und das einschlägige Rundschreiben vom 24. Oktober 1961 abgelöst hat. Denn dort wird der zeitliche Zusammenhang zu Recht nach wie vor gefordert, wenn die Grenzen auch etwas erweitert worden sind. Bei für den Kläger günstigster Betrachtungsweise hinsichtlich des zeitlichen Spielraumes zwischen Ende der Kriegsgefangenschaft und Beginn der MS bleibt immer bestehen, daß seine Gefangenschaft nicht unter extremen Lebensbedingungen verlaufen ist. Dazu kommt, daß er auch vorher körperlichen Belastungen oder Witterungseinflüssen, welche nach Art und Schwere geeignet wären, die Resistenz herabzusetzen oder Krankheiten, bei denen eine toxische Schädigung oder erhebliche Herabsetzung der Resistenz in Frage kommt, nicht ausgesetzt gewesen war. Das Trauma im Zusammenhang mit seiner Verschüttung muß auch hier als nicht geeignet außer Betrachtung bleiben.
Als letzter Gesichtspunkt bleibt zu erwähnen, daß die Versagung der Versorgung im Härteausgleich oder im Wege der Kannleistung auch unter Beachtung der Regeln über die objektive Beweislast nicht zu beanstanden ist. Da der Kläger, worauf insbesondere Dr. G. hingewiesen hat, nicht in der Lage ist, den zeitlichen Zusammenhang, auf dessen Vorhanden sein er sich beruft, zu belegen, muß er die Beweislosigkeit dieser anspruchsbegründenden Tatsache gegen sich gelten lassen. Dr. H. Angaben, die er dem Versorgungsamt am 29. April 1964 gemacht hat, sind nicht beweiskräftig. Denn er hat seine Mitteilung, den Kläger von 1947 an wegen Encephalomyelitis behandelt zu haben, dem Sozialgericht gegenüber in seiner Bescheinigung vom 30. April 1969 revidiert. Dort hat er das Jahr 1953 genannt, in welchem er diesen kennengelernt habe. Unterlagen besitzt er nur aus dem Jahre 1956 und 1957. Seine Befundangaben in der Bescheinigung vom 16. Juni 1964 können sich daher nur auf diese Krankenbericht beziehen und nicht auf eine frühere Zeit.
Nach alledem war der Berufung auch bezüglich des Hilfsantrags der Erfolgs zu versagen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1902 geborene Kläger hatte im August 1957 beim Versorgungsamt Marburg/Lahn Antrag auf Versorgung wegen "Encephalitis disseminata” gestellt, die durch eine im April 1945 erfolgte Verschüttung auf dem italienischen Kriegsschauplatz verursacht worden sei. Dazu hatte er u.a. Entlassungsscheine aus der Kriegsgefangenschaft vom Januar 1947 und aus der U.klinik M./L. vom April 1951 und Juni 1957 vorgelegt.
Nach ergebnislosen Ermittlungen bei den Krankenbuchlagern, Beiziehung der Krankengeschichten aus der M. U.klinik und der Invalidenrentenakten sowie nach Untersuchungen des Klägers durch den Nervenfacharzt Dr. H. (Gutachten vom 12.3.1958), der eine nichtschädigungsbedingte erst um das Jahr 1950 aufgetretene Polysklerose diagnostiziert hatte, war der bindend gewordene Bescheid vom 9. Mai 1958 ergangen. Darin war der Antrag wegen Versäumnis der Frist und mangels ursächlichen Zusammenhangs zwischen angeblicher Schädigung und jetzigem Krankheitsbild abgelehnt worden. Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 3.7.1958).
Am 13. März 1963 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt Darmstadt erneut Versorgung, das wiederum die Rentenakten über den Kläger von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) beizog und eine innerfachärztliche Äußerung von dem Reg. Med. Rat Dr. W. einholte. Dieser hielt die Voraussetzungen für eine Versorgung wegen Polysklerose (Multiple Sklerose – MS–) sowohl als Rechtsanspruch als auch im Härteausgleich nicht für gegeben. Der zusätzlich gehörte Ob. Reg. Med. Rat Dr. von K. schlug Ermittlungen über Krankheitserscheinungen in den Jahren 1947 bis 1950 vor, worauf das Versorgungsamt Zeugen und ehemals behandelnde Ärzte des Klägers befragte, AOK-Unterlagen, Akten über den Kläger vom Gesundheitsamt M./L., erneut dessen Krankengeschichten aus der U.klinik M./L., die vertrauensärtzlichen Gutachten der Landesversicherungsanstalt (LVA) H. und die noch vorhandenen Arztbriefe aus der ehemaligen Praxis des Dr. D. vom Jahre 1951 beizog. Alsdann nahm Dr. von K. am 13. Oktober 1964 dahin Stellung, daß als Beginn für die Erkrankung an MS nach wie vor das Jahr 1950 festzulegen sei. Die von Dr. H. am 29. April 1964 gemachten Angaben, wonach er den Kläger bereits ab 1947 wegen eines Status nach Encephalomyelitis behandelt habe, seien nicht beweiskräftig. Nachdem dieser Arzt auf Antrage hin Arztbriefe über den Kläger von der U.klinik vom 3. Juli 1957 und von dem leitenden Arzt der Chirurgischen Abteilung des D.krankenhauses M./L. vom 8. Juni 1956 übersandt hatte, hielt Dr. von K. am 24. Juni 1965 wiederum keine Brückensymptome für eine Zeit vor 1950 für gegeben. Anschließend noch angestellte Ermittlungen nach Rezepturen und Krankenscheinen für den Kläger aus den Jahren 1947 bis 1950 blieben ergebnislos. Nach Sichtung aller vorhandenen Unterlagen kam Reg. Med. Direktor Dr. W. am 4. August 1965 zu dem Ergebnis daß ein zeitlicher Zusammenhang zwischen ersten Einsetzen einschlägiger Krankheitserscheinungen und Wehrdienst oder Ende der Kriegsgefangenschaft nicht bestehe. Solche seien erst etwa ab Mitte 1950, also über drei Jahre nach Heimkehr, zu belegen. Von Dystrophie und schweren Gefangenschaftsstrapazen könne überdies nicht die Rede sein.
Mit Bescheid vom 3. September 1965 lehnte das Versorgungsamt nunmehr den Antrag ab, nachdem der Hessische Minister für Arbeit, Volkswohlfahrt und Gesundheitswesen mit Erlaß vom 26. August 1965 seine Zustimmung zur Härteversorgung versagt hatte. Zur Begründung führte es aus, der Bescheid des Versorgungsamtes Marburg/Lahn vom 9. Mai 1958 habe festgestellt, daß die vorliegende Erkrankung an Polysklerose keine Schädigungsfolge sei. Die auf Grund des erneuten Antrags durchgeführten Ermittlungen hätten die Richtigkeit dieser Entscheidung bestätigt. Die zusätzlich angestellte Prüfung, ob ein Härteausgleich oder eine Kannversorgung in Betracht komme, habe negative Ergebnisse gehabt. Es fehle am zeitlichen Zusammenhang mit der als schädigendes Ereignis angegebenen Verschüttung. Nach Aktenlage besteht erst seit Ende des Jahres 1950 eine Schwäche in den Beinen mit Unsicherheit beim gehen. Nach Zeugenaussagen habe der Kläger von 1947 bis 1950 noch schwere Waldarbeiten verrichtet, was das damalige Bestehen einer MS unwahrscheinlich mache.
Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1967 wurde der angefochtene Bescheid bestätigt.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt hat der Kläger vorgetragen, der erste Schub seiner Krankheit sei gleich nach seiner Verschüttung, der zweite von 1948 an aufgetreten. Daß sein Entlassungsschein aus der Kriegsgefangenschaft darüber nicht enthalte, sei wegen der typischen Verlaufsform verständlich. Schwere Waldarbeiten habe er nach dem Kriege nicht verrichtet, sondern nur Holz für den eigenen Bedarf gesammelt. Zum Beweise seiner Behauptungen hat er sich auf eine Auskunft des Staatsanwalts Dr. Sch. und auf weitere Zeugen berufen.
Das Sozialgericht hat die Aufenthaltsdauer des Klägers im Flüchtlingslager D. Krs. M./L. ermittelt und den Pensionär E. S. als Zeugen vor dem ersuchten Richter des Bezirksgerichts B./Ö. vernehmen lassen. Dieser hat am 22. April 1969 ausgesagt, er habe den Kläger im Spätherbst 1945 im Gefangenenlager in N. kennengelernt.
Dieser habe ein schlechtes Auge gehabt und sei auf den Beinen schlecht beisammengewesen, so daß er ihn wegen Schmerzen drei- oder viermal zum Arzt geführt habe. Näher könne er dessen Beschwerden nicht beschreiben und wisse auch nichts über die ärtzliche Behandlung. Ferner hat das Sozialgericht eine Auskunft von dem praktischer Arzt Dr. H. eingeholt, der am 30. April 1969 die schon bekannten Arztbriefe über den Kläger aus den Jahren 1956 und 1957 übersandt und angegeben hat, er kenne ihn seit 1953. Auf Antrag des Klägers hat der Facharzt für Nervenkrankheiten Dr. G. gemäß § 109 des Sozialgerichtgesetzes (SGG) ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet, in dem er am 16. Juni 1969 ausgeführt hat, eine Anerkennung der MS als Schädigungsfolge sei wegen der unbekannten Ursache dieser Krankheit nicht möglich. Bei kritischer Würdigung der vorhandenen Unterlagen und Angaben des Klägers zur Vorgeschichte müsse man gestehen, daß sogenannte Brücken- oder Intervallsymptome seit der Gefangenschaft bis zu ersten klinischen Behandlung im Sinne des Rundschreibens des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 24. Oktober 1961 nicht wahrscheinlich gemacht werden könnten. Seine Verschüttung könne nach allgemeinen Erfahrungen nicht als Beginn der MS angesehen werden, ebensowenig lägen für die Zeit der Gefangenschaft insoweit faßbare Aussagen vor. Das gelte bei allem Wohlwollen auch in Bezug auf die Bekundungen des Zeugen S., zumal dieser von Schmerzzuständen des Klägers gesprochen habe, wohingegen die MS bekanntlich erst Schmerzen mache, wenn schon eine schwere Spastik vorhanden sei. Davon könne aber für die folgenden Jahre mit Sicherheit keine Rede sein da der Kläger sonst nach seiner Entlassung nicht als Arbeiter hätte tätig sein können. Zusammengefaßt könne der Beginn der bestehenden Erkrankung nicht einmal annäherungsweise festgelegt werden, so daß der zeitliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich zu machen sei.
Mit Urteil vom 26. November 1969 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der zweite Antrag des Klägers auf Versorgung wegen MS sei von dem Beklagten nach Wegfall der Fristvorschriften zutreffend als solcher auf Anerkennung von Schädigungsfolgen und Versorgung im Wege des Rechtsanspruchs bearbeitet worden. Der angefochtene Bescheid sei hiernach insoweit sachlich voll nachprüfbar, rechtlich aber nicht zu beanstanden zu gewesen. Denn nach dem Ergebnis der Ermittlungen und Beweisaufnahme bestehe keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, daß die MS durch den Kriegsdienst oder Gefangenschaft verschlimmert worden sei. Die Anerkennung im Sinne der Entstehung sei wegen der unbekannte Ätiologie ohnehin nicht möglich. Soweit der Beklagte zusätzlich Versorgung im Härteausgleich oder im Wege der Kannleistung versagt habe, sei kein Ermessensfehler ersichtlich.
Gegen dieses Urteil, das dem Kläger am 6. Dezember 1969 zugestellt worden ist, richtet sich seine am 6. Januar 1970 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Eine schriftliche Begründung ist nicht erfolgt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 26. November 1969 aufzuheben und den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 3. September 1965 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1967 zu verurteilen, wegen "Multipler Sklerose” als Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung Rente nach einer entsprechenden MdE ab Antragstellung zu gewähren,
hilfsweise,
den Bescheid vom 3. September 1965 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1967 insoweit aufzuheben, als Versorgung im Wege des Härteausgleichs oder der Kannleistung versagt worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Akten des Versorgungsamts Darmstadt mit der Archiv Nr. haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG.). Sie ist jedoch nicht begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 3. September 1965 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1967 ist nicht rechtswidrig.
Mit dem Sozialgericht ist der Senat der Auffassung, daß der Antrag des Klägers vom 13. März 1963 nach Wegfall der Fristvorschriften als Neuantrag und nicht als solcher auf Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung – VfG (KOV) – zu werten ist. Dementsprechend hat ihn der Beklagte auch bearbeitet Zwar hat er in dem angefochtenen Bescheid auf den – bindend gewordenen – Bescheid vom 9. Mai 1958 hingewiesen. Er hat sich aber nicht auf die Bindungswirkung im Sinne des § 77 SGG berufen und darüber hinaus im Widerspruchsbescheid, der nach § 95 SGG zusammen mit dem ursprünglichen Verwaltungsakt Streitgegenstand geworden ist, zum Ausdruck gebracht, daß die MS mit schädigenden Einwirkungen des Wehrdienstes nicht in ursächlichem Zusammenhang stehe. Damit war der Bescheid vom 3. September 1965 insoweit als sachlich voll überprüfbaren Zweitbescheids anzusehen, als er den Rechtsanspruch auf Versorgung nach § 1 Abs. 3 BVG in der Fassung des Neuordnungsgesetzes (NOG) und nach § 1 Abs. 3 Satz 1 in der Fassung des 2. NOG verneint hat. Hinsichtlich oder zusätzlich von Amts wegen getroffenen Entscheidung über Versorgung im Wege des Härteausgleichs nach § 89 Abs. 2 BVG a.F. oder § 1 Abs. 3 Satz 2 n.F. waren die Überprüfungsmöglichkeiten des Senats dagegen auf den Rahmen des 54 Abs. 2 Satz 2 SGG beschränkt. Denn nachdem der Beklagte zutreffend davon ausgegangen ist, daß die bei dem Kläger festgestellte neurologische Erkrankung eine solche ist, über deren Ursache in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, durfte nur noch geprüft werden, ob in der Versagung der Härteversorgung hierfür ein Ermessensmißbrauch oder eine Ermessensüberschreitung liegt oder ob der Beklagte sein Ermessen überhaupt nicht ausgeübt hat.
Was nun die Ablehnung des Antrags auf Versorgung als Rechtsanspruch angeht, so war sie nach Lage des Falles nicht zu bestanden. Denn es ist nicht wahrscheinlich im Sinne der im Versorgungsrecht geltenden Kausaltheorie, daß die im MS durch den Wehrdienst oder die Kriegsgefangenenschaft entstanden oder verschlimmert worden ist. Das vom Kläger angeschuldigte Trauma in Form einer Verschüttung mit ihren aktenkundigen – relativ geringfügigen – Folgen kommt nach bisherigem Stand der medizinischen Forschung für ein schädigendes Ereignis nicht in Betracht. Hierauf hat der als Arzt des Vertrauens des Klägers gehörte Sachverständige Dr. G. zutreffend hingewiesen. Seiner auf Seite 11 des Gutachtens geäußerten Auffassung, eine Anerkennung als Schädigungsfolge sei (allein schon) wegen der bis heute unbekannten Ursache der MS-Erkrankung nicht möglich, vermochte sich der Senat in dieser Unbedingtheit allerdings nicht anzuschließen. Denn bei besonders augenfälligen Verlauf dieses Leidens im Anschluß an massive Streßfaktoren kann auch ein ursächlicher Zusammenhang im Sinne der Entstehung oder Verschlimmerung wahrscheinlich sein, worauf der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in seinem Rundschreiben vom 25. April 1968 zutreffend hingewiesen hat. Vorliegend sind solche Streßfaktoren aber mit Sicherheit nicht vorhanden gewesen. Denn der Kläger hat sich, wie er zu seinem Antrag am 20. Mai 1963 (Bl. 71 ff VA) ergänzend mitgeteilt hat, während seines erst im April 1943 beginnenden Kriegsdienstes zunächst im besetzten Frankreich aufgehalten und war ab Ende Oktober dieses Jahres bis 9. April 1945 in Italien beim Nachschub eingesetzt. Nach der an diesem Tage erfolgten Verschüttung befand er sich nur eine kurze Zeit in ärztlicher Behandlung, alsdann wenige Tage an der Front und wurde schon am 29. April 1945 gefangengenommen. Seine Angaben vor dem Nervenarzt Dr. H. der ihn am 12. März 1958 begutachtet hat, er sei etwa 14 Tage bis 3 Wochen im Lazarett gewesen, erscheinen wegen den geringen Zeitspanne zwischen Verschüttung und Gefangennahme übertrieben. Aus der weiteren von Dr. H. aufgenommenen Anamnese gehen aber dann ebenfalls keine massiven Streßsituation für die Zeit der Gefangennahme hervor. Denn er ist nach etwa sechswöchigem Aufenthalt im Freien, der im italienischen Frühling gesundheitlich nicht übermäßig strapaziös gewesen sein kann, in ein Barackenlager gekommen und bei der Lebensmittelausgabe beschäftigt worden. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß er nach seinen damaligen Angaben in der Gefangenschaft außer Hämorrhoiden keine Krankheiten gehabt haben will, wenn von einem sich verstärkenden Rheuma in der Rechten Seite abgesehen wurde. Hier kann die Erklärung für seine "Schmerzen” gefunden werden, welche der Zeuge S. bekundet hat und die nach zutreffender Auffassung des Dr. G. deshalb kein Symptom für eine MS bilden können, weil keine ausgeprägte Spastik bestand. Sind hiernach keine Streßfaktoren zu belegen, so muß eine Anerkennung der MS als Schädigungsfolge im Wege des Rechtsanspruchs aber entfallen, zumal auch der Krankheitsverlauf nach Heimkehr aus der Gefangenschaft keine Rückschlüsse auf deren Vorhandensein zuläßt.
Versorgung gemäß § 89 Abs. 2 BVG a.F. oder § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG n.F. kommt ebenfalls nicht in Betracht. Das hat der Beklagte nach Befragung des zuständigen Fachministers, der seine Zustimmung zur Gewährung einer solchen verweigert hat, ohne erkennbare Ermessensfehler festgestellt. Denn er hat sich zur Ablehnung erst nach besonders sorgfältigen Ermittlungen in Bezug auf Unterlagen aller Art entschlossen, die als Brückensymptome für die Zeit ab 1947 bis 1951 in Betracht kommen könnten. Mit der nach Sichtung des gesamten Materials und Befragung von Ärzten erfolgen Ablehnung ist er dann im Rahmen des im Zeitpunkt seiner Entscheidung noch geltenden Rundschreibens des Bundesministers vom 24. Oktober 1961 geblieben, das der Senat als mit der Rechtsordnung in Einklang stehend ansieht. Daß der Beklagte sich nicht entschließen konnte, auch hiernach den zeitlichen Zusammenhang zwischen Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft einerseits und erster Maniverstation der MS andererseits als gegeben anzusehen, war ermessensmäßig nicht zu beanstanden.
Zu demselben Ergebnis gelangt der Senat, wenn er noch zusätzlich den angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Ablehnung von Kannversorgung unter den Gesichtspunkten des Rundschreibens des Bundesarbeitsministers vom 25. April 1968 würdigt, welches durch Rundschreiben vom 29. August 1968 ergänzt worden ist und das einschlägige Rundschreiben vom 24. Oktober 1961 abgelöst hat. Denn dort wird der zeitliche Zusammenhang zu Recht nach wie vor gefordert, wenn die Grenzen auch etwas erweitert worden sind. Bei für den Kläger günstigster Betrachtungsweise hinsichtlich des zeitlichen Spielraumes zwischen Ende der Kriegsgefangenschaft und Beginn der MS bleibt immer bestehen, daß seine Gefangenschaft nicht unter extremen Lebensbedingungen verlaufen ist. Dazu kommt, daß er auch vorher körperlichen Belastungen oder Witterungseinflüssen, welche nach Art und Schwere geeignet wären, die Resistenz herabzusetzen oder Krankheiten, bei denen eine toxische Schädigung oder erhebliche Herabsetzung der Resistenz in Frage kommt, nicht ausgesetzt gewesen war. Das Trauma im Zusammenhang mit seiner Verschüttung muß auch hier als nicht geeignet außer Betrachtung bleiben.
Als letzter Gesichtspunkt bleibt zu erwähnen, daß die Versagung der Versorgung im Härteausgleich oder im Wege der Kannleistung auch unter Beachtung der Regeln über die objektive Beweislast nicht zu beanstanden ist. Da der Kläger, worauf insbesondere Dr. G. hingewiesen hat, nicht in der Lage ist, den zeitlichen Zusammenhang, auf dessen Vorhanden sein er sich beruft, zu belegen, muß er die Beweislosigkeit dieser anspruchsbegründenden Tatsache gegen sich gelten lassen. Dr. H. Angaben, die er dem Versorgungsamt am 29. April 1964 gemacht hat, sind nicht beweiskräftig. Denn er hat seine Mitteilung, den Kläger von 1947 an wegen Encephalomyelitis behandelt zu haben, dem Sozialgericht gegenüber in seiner Bescheinigung vom 30. April 1969 revidiert. Dort hat er das Jahr 1953 genannt, in welchem er diesen kennengelernt habe. Unterlagen besitzt er nur aus dem Jahre 1956 und 1957. Seine Befundangaben in der Bescheinigung vom 16. Juni 1964 können sich daher nur auf diese Krankenbericht beziehen und nicht auf eine frühere Zeit.
Nach alledem war der Berufung auch bezüglich des Hilfsantrags der Erfolgs zu versagen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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