Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 572/69
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Zugehörigkeit zum Kreis der leitenden Angestellten mit Aussichts- und Dispositionsbefugnis setzt eine entsprechende höhere Schulbildung voraus.
2. Zur Frage der Voraussetzungen für die Erlangung eines Kapitänspatentes A 6
2. Zur Frage der Voraussetzungen für die Erlangung eines Kapitänspatentes A 6
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 30. April 1969 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1915 geborene Kläger hat die Volksschule in O. bis zum Jahre 1930 besucht. Danach durchlief er eine Lehre als Former und schloß sie mit der Gesellenprüfung ab. Am 1. April 1935 trat er als Berufssoldat in die damalige Reichsmarine ein. Er erhielt am 14. Dezember 1940 das Obersteuermannspatent und war zuletzt Stabsobersteuermann. Am 8. März 1943 kam er bei einem Fliegerangriff auf dem Turm eines U-Bootes zu Fall und zog sich Verletzungen zu, die einen längeren Lazarettaufenthalt bedingten. Am 18. Oktober 1943 wurde er g.v.H. zum 2. U-Bootstützpunkt G. entlassen.
Gemäß Neufeststellungsbescheid vom 2. Januar 1964 bezieht der Kläger Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vom 80 v.H., worin ein besonderes berufliches Betroffensein berücksichtigt ist. Als Schädigungsfolgen sind anerkannt:
1) "Hirnprellungsfolgen mit Anfällen.
2) Reizlose Narben am linken Oberschenkel und am linken Ellenbogengelenk sowie am linken Kleinfinger mit Bewegungseinschränkung im Grund- und Mittelgelenk.
3) Innenohrschwerhörigkeit links”.
Am 10. September 1964 beantragte der Kläger Berufsschadensausgleich. Er gab an, am 28. Juli 1945 das Patent zum Seesteuermann auf großer Fahrt erhalten zu haben. Dank dieses Patentes könnte er als 1. Offizier auf einem Schiff jeglicher Größe fahren. Auch habe er das Kapitänspatent (A 6) noch erwerben können.
Laut Auskunft der Wasser- und Schiffahrtsdirektion K. wurde das Befähigungszeugnis zum Seesteurmann auf großer Fahrt – A 5 – durch Bescheid der Landesverwaltung Schleswig-Holstein –Wasserstraßendirektion– am 22. Oktober 1946 für ungültig erklärt.
Mit Bescheid vom 28. Mai 1965 lehnte der Beklagte einen Berufsschadensausgleich ab, weil bei Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 8 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG), wie sie für Berufsunteroffiziere maßgeblich sei, eine Einkommensminderung nicht errechnet werden könne.
Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, daß sein angestrebter Beruf Seesteurmann auf großer Fahrt gewesen sei. Daraufhin stufte ihn der Beklagte bei Berechnung des Berufsschadensausgleichs nunmehr in die Gruppe der technischen Angestellten aller Wirtschaftsbereiche Leistungsgruppe II ein und berechnete mit Abhilfebescheid vom 2. August 1965 den Berufsschadensausgleich entsprechend.
Im weiteren Widerspruchsverfahren begehrte der Kläger Berechnung des Berufsschadensausgleichs nach Besoldungsgruppe A 14 des BBesG, da er zusätzlich des Kapitänspatent –A 6– erworben hätte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 1966 lehnte der Beklagte eine anderweitige Berechnung des Berufsschadensausgleichs ab. Zur Begründung führte er aus, es könne zwar angenommen werden, daß der Kläger das angestrebte Patent eines Seesteuermanns auf großer Fahrt – A 5 – erworben hätte. Eine andere Berechnung des Berufsschadensausgleichs sei aber dennoch nicht möglich, weil er bei Eintritt der Schädigung noch keine Stellung erreicht gehabt habe, die durch die Vorschrift des § 3 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 30 Abs. 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) keine ausreichende Berücksichtigung gebunden habe.
Gegen den am 23. Februar 1966 zur Post gegebenen Bescheid hat der Kläger fristgerecht am 16. März 1966 Klage vor dem Sozialgericht in Frankfurt/M. erhoben. Er begehrte Berechnung des Berufsschadensausgleichs nach Besoldungsgruppe A 14 des BBesG. Das Sozialgericht zog zwei Auskünfte der Wasser- und Schiffahrtsdirektion K. vom 26. September 1966 und 24. Juli 1968 bei und holte verschiedene Auskünfte von deutschen Reedereien ein, auf die verwiesen wird.
Mit Urteil vom 30. April 1969 verurteilte das Sozialgericht den Beklagten, Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 14 des BBesG zu gewähren. In den Entscheidungsgründen führte es aus, der Kläger habe nach dem Besuch der Mittelschule und des Militärdienstes eine Stellung erreicht, die durch die vom Beklagten vorgenommene Einstufung in die Leistungsgruppe II der Angestellten nicht ausreichend bewertet worden sei. Es sei wahrscheinlich, dass der Kläger sein Berufsziel, Kapitän auf großer Fahrt zu werden, erreicht hätte. In einer solchen Tätigkeit habe er Aufsichts- und Dispositionsbefugnis gehabt. Infolgedessen gehe eine solche Stellung über die Befugnisse eines Angestellten der Leistungsgruppe II weit hinaus. Auf Grund seiner Schulbildung habe der Kläger die Möglichkeit gehabt, das Kapitänspatent A 6 noch zu erwerben. Dies ergebe sich auch aus den Auskünften, die von mehreren deutschen Reedereien eingeholt worden seien.
Gegen das am 14. Mai 1969 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 29. Mai 1969 fristgerecht Berufung eingelegt mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 30. April 1969 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er vor, die Auskünfte der Reedereien reichten keineswegs zur Annahme aus, daß der Kläger noch das Kapitänspatent erworben hätte. Die Frage, wieviel Obersteuerleute der Kriegsmarine Kapitäne geworden seien, sei nicht zu beantworten, weil hierüber keine Statistiken vorlägen. Im übrigen sei fraglich, ob der Kläger überhaupt die Mittlere Reife besitze. Wichtig sei auch, daß ihm das Steuermannspatent A 5 bereits im Jahre 1946 wieder entzogen worden sei. Danach sei er nach O. zurückgekehrt, so daß nicht angenommen werden könne, daß er noch die erforderlichen Prüfungen zur Erlangung eines neuen Patentes abgelegt habe. Die Leistungsgruppe II sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die höchste Leistungsgruppe für Nichtakademiker. Abgesehen davon habe der Kläger selbst bei der Antragstellung und im Verlaufe des Widerspruchsverfahrens dargelegt, daß der Seesteuermann auf großer Fahrt habe werden wollen. Demzufolge sei die ergangene Entscheidung nicht zu halten.
Der Kläger beantragt,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Auf das angefochtene Urteil, die Schriftsätze der Beteiligten und den Akteninhalt wird im übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und auch begründet.
Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolge gemindert ist (Einkommensverlust), erhalten nach Anwendung des Abs. 2 des § 30 BVG einen Berufsschadensausgleich in Höhe von vier Zehntel des auf volle deutsche Mark nach oben abgerundeten Verlustes, jedoch höchstens 500,– DM monatlich. Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe der der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte.
Von dieser Vorschrift ausgehend hat der Beklagte in dem Bescheid vom 28. Mai 1955 als Durchschnittseinkommen zunächst das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 8 des BBesG zugrundegelegt, weil der Kläger im Kriege Berufsunteroffizier gewesen war. Im Hinblick darauf, daß er im Widerspruchsverfahren als angestrebtes Berufsziel "Seesteuermann auf großer Fahrt” angegeben hatte, legte er in dem Ergänzungsbescheid vom 2. August 1965 als Durchschnittseinkommen den Bruttomonatsverdienst der technischen Angestellten aller Wirtschaftsbereiche Leistungsgruppe II zugrunde. Unter Berücksichtigung des vermeintlichen Berufsweges ging der Beklagte davon aus, daß dem Kläger das A 5-Steuermannspatent im Juli 1945 erteilt worden sei und daß er deshalb in die Leistungsgruppe II der technischen Angestellten aller Wirtschaftsbereiche eingruppiert werden müsse. Gegen eine solche Eingruppierung bestehen aber an sich schon Bedenken, weil das A 5-Patent auf Anordnung des Seeschiffahrtsamtes in H. vom 12. September 1946 bereits im Oktober des gleichen Jahres für ungültig erklärt worden war. Auf keinen Fall ist aber eine Berechnung des Durchschnittseinkommens nach Besoldungsgruppe A 14 des BBesG, wie sie das Sozialgericht unter Anwendung des § 3 Abs. 3 der VO zu § 30, 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964 (BGBl. S. 574) vorgenommen hat, gerechtfertigt. Hierbei ist das Sozialgericht, worauf die Berufung mit Recht hingewiesen hat, von zwei unrichtigen Voraussetzungen ausgegangen.
Einmal hat es angenommen, daß der Kläger im Besitze eines Zeugnisses der Mittleren Reife gewesen sei. Eine solche Behauptung hatte er im Fragebogen vom 3. Februar 1965 zwar aufgestellt, sie ist aber, wie sich aus dem in dem Berufungsverfahren vorgelegten Zeugnis der G.schule in O., einer V.schule, ergibt, offensichtlich unrichtig. Denn nach dem Zeugnis der G.schule besaß der Kläger unzweifelhaft nur Volksschulbindung. Diese schließt aber eine Anwendung des § 3 Abs. 3 der VO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG aus, weil die Zugehörigkeit zum Kreis der leitenden Angestellten mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis im allgemeinen eine höhere Schulbildung voraussetzt (vgl. Urt. des erkennenden Senats vom 21.10.1970 – L 5 V 799/69). Schon aus diesem Grunde ist deshalb das angefochtene Urteil nicht zu halten.
Zweitens hat das Sozialgericht angenommen, daß der Kläger offenbar ein vollgültiges A 5-Patent als "Steuermann auf großer Fahrt” besessen habe. Dies ist jedoch ebenfalls unrichtig. Das dem Kläger am 28. Juli 1945 im Ausnahmeweg erteilte A 5-Patent Nr. wurde nämlich auf Anordnung des Seeschiffahrtsamtes H. vom 12. September 1946 für ungültig erklärt, weil es entgegen zwingender gesetzlicher Vorschriften der Schiffbesetzungsordnung vom 29. Juni 1931 (RGBl. S. 517) erteilt worden war. Somit war die Situation in 1946 so, daß der Kläger weder über ein gültiges Seemannspatent A 5, geschweigedenn über ein solches der Gruppe A 6 (Kapitänspatent) verfügte. Um das Patent als "Steuermann auf großer Fahrt” zu erwerben, hätte er nach Auskunft der Wasser- und Schiffahrtsdirektion K. noch mindestens zwölf Monate auf einem Kauffahrteischiff zur See fahren müssen. Anschließend hätte er einen 5-semestrigen Lehrgang mit anschließender Prüfung zu absolvieren gehabt. Somit hätte er frühestens im Jahre 1948 das A 5-Patent erhalten können. Zu diesem Zeitpunkt aber hätte er, wie sich aus der Auskunft der Wasser- und Schiffahrtsdirektion K. ergibt, das 29. Lebensjahr, in dem im allgemeinen die Prüfung für das A 6-Patent abgelegt wird, bei weitem überschritten gehabt und das Durchschnittsalter für die A 5-Prüfung somit erst recht. Bereits aus diesen Gründen kann nicht angenommen werden, daß der Kläger noch das A 6-Patent, das ihm die Befähigung zum "Kapitän auf großer Fahrt” gegeben hätte, erworben hätte. Nach Lage der Dinge erscheint es auch fraglich, daß er das A 5-Patent noch erworben hätte.
Hierbei muß ferner beachtet werden, daß die Deutsche Seeschiffahrt 1945/46 völlig darniederlag; andererseits standen genügend Inhaber von A 6 und A 5-Patenten zur Verfügung, nämlich alle diejenigen, die schon vor dem 1. September 1939 ihr Patent ordnungsgemäß erworben hatten. Aus dem Kreis dieser A 5-Patentinhaber konnte der Bedarf an Kapitänen im Zuge des Wiederaufbaus der Deutschen Seeschiffahrt zunächst gedeckt werden, zumal aus dem gleichen Personenkreis genügend Kapitäne mit A 6-Patenten vorhanden waren. Aus diesen Gründen besteht allenfalls eine vage Möglichkeit, daß der Kläger das A 6-Patent, selbst wenn er gesund aus dem Kriege zurückgekehrt wäre, noch erworben hätte, wahrscheinlich zu machen ist ein solcher Berufsweg aber nicht.
Im übrigen ist keinesfalls nachgewiesen, daß der Kläger wegen seiner Schädigungsfolgen den Seemannsberuf aufgab und deshalb nach O. verzogen ist, zumal ärztliche Befunde aus der Zeit seiner Tätigkeit als Lotse beim Hafenkapitän in K. nicht vorliegen. Nach seinen Angaben im Erstantrag stand er damals nicht in ärztlicher Behandlung. Bei der ersten ärztlichen Untersuchung am 24. Januar 1946 in K. hat er im übrigen eine fachärztliche Begutachtung dadurch unmöglich gemacht, da er zu ihr nicht erschienen ist. Auf Grund der Aktenunterlagen hat der damalige Arzt angenommen, daß die Neuro-Asthenie eine Schädigungsfolge sei. Auch der Facharzt für Neurologie Dr. H. sah im Jahre 1948 die nervösen Beschwerden nicht als Schädigungsfolgen an. Zu dem gleichen Ergebnis gelangte die Universitäts-Nervenklinik in G. im Jahre 1959, die zwar eine Neurose feststellte, sie aber nicht als schädigungsbedingt ansah. Bei diesem Sachverhalt muß offen bleiben, ob für die Aufgabe des Seemannsberufes und den Umzug des Klägers nach O. die Schädigungsfolgen überhaupt ursächlich waren oder ob nicht gerade dieser Umzug die Folge der schlechten Arbeitsbedingungen in K. im Jahre 1945/46 gewesen ist, zumal der Kläger damals auch noch für seine Familie zu sorgen hatte.
Nach alledem ergeben sich somit keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger im Jahre 1946 durch Schädigungsfolgen gehindert gewesen sei, den Seemannsberuf weiter auszuüben. Daraus folgt, dass das angefochtene Urteil im Hinblick auf die vorgenommene Eingruppierung des Klägers nicht gehalten werden konnte. Mit seiner Einstufung in die Gruppe aller technischen Angestellten der Leistungsgruppe II erscheint er nach Ansicht des Senats ausreichend und ausgesprochen günstig entschädigt. Infolgedessen war das angefochtene Urteil auf die Berufung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1915 geborene Kläger hat die Volksschule in O. bis zum Jahre 1930 besucht. Danach durchlief er eine Lehre als Former und schloß sie mit der Gesellenprüfung ab. Am 1. April 1935 trat er als Berufssoldat in die damalige Reichsmarine ein. Er erhielt am 14. Dezember 1940 das Obersteuermannspatent und war zuletzt Stabsobersteuermann. Am 8. März 1943 kam er bei einem Fliegerangriff auf dem Turm eines U-Bootes zu Fall und zog sich Verletzungen zu, die einen längeren Lazarettaufenthalt bedingten. Am 18. Oktober 1943 wurde er g.v.H. zum 2. U-Bootstützpunkt G. entlassen.
Gemäß Neufeststellungsbescheid vom 2. Januar 1964 bezieht der Kläger Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vom 80 v.H., worin ein besonderes berufliches Betroffensein berücksichtigt ist. Als Schädigungsfolgen sind anerkannt:
1) "Hirnprellungsfolgen mit Anfällen.
2) Reizlose Narben am linken Oberschenkel und am linken Ellenbogengelenk sowie am linken Kleinfinger mit Bewegungseinschränkung im Grund- und Mittelgelenk.
3) Innenohrschwerhörigkeit links”.
Am 10. September 1964 beantragte der Kläger Berufsschadensausgleich. Er gab an, am 28. Juli 1945 das Patent zum Seesteuermann auf großer Fahrt erhalten zu haben. Dank dieses Patentes könnte er als 1. Offizier auf einem Schiff jeglicher Größe fahren. Auch habe er das Kapitänspatent (A 6) noch erwerben können.
Laut Auskunft der Wasser- und Schiffahrtsdirektion K. wurde das Befähigungszeugnis zum Seesteurmann auf großer Fahrt – A 5 – durch Bescheid der Landesverwaltung Schleswig-Holstein –Wasserstraßendirektion– am 22. Oktober 1946 für ungültig erklärt.
Mit Bescheid vom 28. Mai 1965 lehnte der Beklagte einen Berufsschadensausgleich ab, weil bei Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 8 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG), wie sie für Berufsunteroffiziere maßgeblich sei, eine Einkommensminderung nicht errechnet werden könne.
Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, daß sein angestrebter Beruf Seesteurmann auf großer Fahrt gewesen sei. Daraufhin stufte ihn der Beklagte bei Berechnung des Berufsschadensausgleichs nunmehr in die Gruppe der technischen Angestellten aller Wirtschaftsbereiche Leistungsgruppe II ein und berechnete mit Abhilfebescheid vom 2. August 1965 den Berufsschadensausgleich entsprechend.
Im weiteren Widerspruchsverfahren begehrte der Kläger Berechnung des Berufsschadensausgleichs nach Besoldungsgruppe A 14 des BBesG, da er zusätzlich des Kapitänspatent –A 6– erworben hätte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 1966 lehnte der Beklagte eine anderweitige Berechnung des Berufsschadensausgleichs ab. Zur Begründung führte er aus, es könne zwar angenommen werden, daß der Kläger das angestrebte Patent eines Seesteuermanns auf großer Fahrt – A 5 – erworben hätte. Eine andere Berechnung des Berufsschadensausgleichs sei aber dennoch nicht möglich, weil er bei Eintritt der Schädigung noch keine Stellung erreicht gehabt habe, die durch die Vorschrift des § 3 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 30 Abs. 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) keine ausreichende Berücksichtigung gebunden habe.
Gegen den am 23. Februar 1966 zur Post gegebenen Bescheid hat der Kläger fristgerecht am 16. März 1966 Klage vor dem Sozialgericht in Frankfurt/M. erhoben. Er begehrte Berechnung des Berufsschadensausgleichs nach Besoldungsgruppe A 14 des BBesG. Das Sozialgericht zog zwei Auskünfte der Wasser- und Schiffahrtsdirektion K. vom 26. September 1966 und 24. Juli 1968 bei und holte verschiedene Auskünfte von deutschen Reedereien ein, auf die verwiesen wird.
Mit Urteil vom 30. April 1969 verurteilte das Sozialgericht den Beklagten, Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 14 des BBesG zu gewähren. In den Entscheidungsgründen führte es aus, der Kläger habe nach dem Besuch der Mittelschule und des Militärdienstes eine Stellung erreicht, die durch die vom Beklagten vorgenommene Einstufung in die Leistungsgruppe II der Angestellten nicht ausreichend bewertet worden sei. Es sei wahrscheinlich, dass der Kläger sein Berufsziel, Kapitän auf großer Fahrt zu werden, erreicht hätte. In einer solchen Tätigkeit habe er Aufsichts- und Dispositionsbefugnis gehabt. Infolgedessen gehe eine solche Stellung über die Befugnisse eines Angestellten der Leistungsgruppe II weit hinaus. Auf Grund seiner Schulbildung habe der Kläger die Möglichkeit gehabt, das Kapitänspatent A 6 noch zu erwerben. Dies ergebe sich auch aus den Auskünften, die von mehreren deutschen Reedereien eingeholt worden seien.
Gegen das am 14. Mai 1969 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 29. Mai 1969 fristgerecht Berufung eingelegt mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 30. April 1969 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er vor, die Auskünfte der Reedereien reichten keineswegs zur Annahme aus, daß der Kläger noch das Kapitänspatent erworben hätte. Die Frage, wieviel Obersteuerleute der Kriegsmarine Kapitäne geworden seien, sei nicht zu beantworten, weil hierüber keine Statistiken vorlägen. Im übrigen sei fraglich, ob der Kläger überhaupt die Mittlere Reife besitze. Wichtig sei auch, daß ihm das Steuermannspatent A 5 bereits im Jahre 1946 wieder entzogen worden sei. Danach sei er nach O. zurückgekehrt, so daß nicht angenommen werden könne, daß er noch die erforderlichen Prüfungen zur Erlangung eines neuen Patentes abgelegt habe. Die Leistungsgruppe II sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die höchste Leistungsgruppe für Nichtakademiker. Abgesehen davon habe der Kläger selbst bei der Antragstellung und im Verlaufe des Widerspruchsverfahrens dargelegt, daß der Seesteuermann auf großer Fahrt habe werden wollen. Demzufolge sei die ergangene Entscheidung nicht zu halten.
Der Kläger beantragt,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Auf das angefochtene Urteil, die Schriftsätze der Beteiligten und den Akteninhalt wird im übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und auch begründet.
Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolge gemindert ist (Einkommensverlust), erhalten nach Anwendung des Abs. 2 des § 30 BVG einen Berufsschadensausgleich in Höhe von vier Zehntel des auf volle deutsche Mark nach oben abgerundeten Verlustes, jedoch höchstens 500,– DM monatlich. Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe der der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte.
Von dieser Vorschrift ausgehend hat der Beklagte in dem Bescheid vom 28. Mai 1955 als Durchschnittseinkommen zunächst das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 8 des BBesG zugrundegelegt, weil der Kläger im Kriege Berufsunteroffizier gewesen war. Im Hinblick darauf, daß er im Widerspruchsverfahren als angestrebtes Berufsziel "Seesteuermann auf großer Fahrt” angegeben hatte, legte er in dem Ergänzungsbescheid vom 2. August 1965 als Durchschnittseinkommen den Bruttomonatsverdienst der technischen Angestellten aller Wirtschaftsbereiche Leistungsgruppe II zugrunde. Unter Berücksichtigung des vermeintlichen Berufsweges ging der Beklagte davon aus, daß dem Kläger das A 5-Steuermannspatent im Juli 1945 erteilt worden sei und daß er deshalb in die Leistungsgruppe II der technischen Angestellten aller Wirtschaftsbereiche eingruppiert werden müsse. Gegen eine solche Eingruppierung bestehen aber an sich schon Bedenken, weil das A 5-Patent auf Anordnung des Seeschiffahrtsamtes in H. vom 12. September 1946 bereits im Oktober des gleichen Jahres für ungültig erklärt worden war. Auf keinen Fall ist aber eine Berechnung des Durchschnittseinkommens nach Besoldungsgruppe A 14 des BBesG, wie sie das Sozialgericht unter Anwendung des § 3 Abs. 3 der VO zu § 30, 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964 (BGBl. S. 574) vorgenommen hat, gerechtfertigt. Hierbei ist das Sozialgericht, worauf die Berufung mit Recht hingewiesen hat, von zwei unrichtigen Voraussetzungen ausgegangen.
Einmal hat es angenommen, daß der Kläger im Besitze eines Zeugnisses der Mittleren Reife gewesen sei. Eine solche Behauptung hatte er im Fragebogen vom 3. Februar 1965 zwar aufgestellt, sie ist aber, wie sich aus dem in dem Berufungsverfahren vorgelegten Zeugnis der G.schule in O., einer V.schule, ergibt, offensichtlich unrichtig. Denn nach dem Zeugnis der G.schule besaß der Kläger unzweifelhaft nur Volksschulbindung. Diese schließt aber eine Anwendung des § 3 Abs. 3 der VO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG aus, weil die Zugehörigkeit zum Kreis der leitenden Angestellten mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis im allgemeinen eine höhere Schulbildung voraussetzt (vgl. Urt. des erkennenden Senats vom 21.10.1970 – L 5 V 799/69). Schon aus diesem Grunde ist deshalb das angefochtene Urteil nicht zu halten.
Zweitens hat das Sozialgericht angenommen, daß der Kläger offenbar ein vollgültiges A 5-Patent als "Steuermann auf großer Fahrt” besessen habe. Dies ist jedoch ebenfalls unrichtig. Das dem Kläger am 28. Juli 1945 im Ausnahmeweg erteilte A 5-Patent Nr. wurde nämlich auf Anordnung des Seeschiffahrtsamtes H. vom 12. September 1946 für ungültig erklärt, weil es entgegen zwingender gesetzlicher Vorschriften der Schiffbesetzungsordnung vom 29. Juni 1931 (RGBl. S. 517) erteilt worden war. Somit war die Situation in 1946 so, daß der Kläger weder über ein gültiges Seemannspatent A 5, geschweigedenn über ein solches der Gruppe A 6 (Kapitänspatent) verfügte. Um das Patent als "Steuermann auf großer Fahrt” zu erwerben, hätte er nach Auskunft der Wasser- und Schiffahrtsdirektion K. noch mindestens zwölf Monate auf einem Kauffahrteischiff zur See fahren müssen. Anschließend hätte er einen 5-semestrigen Lehrgang mit anschließender Prüfung zu absolvieren gehabt. Somit hätte er frühestens im Jahre 1948 das A 5-Patent erhalten können. Zu diesem Zeitpunkt aber hätte er, wie sich aus der Auskunft der Wasser- und Schiffahrtsdirektion K. ergibt, das 29. Lebensjahr, in dem im allgemeinen die Prüfung für das A 6-Patent abgelegt wird, bei weitem überschritten gehabt und das Durchschnittsalter für die A 5-Prüfung somit erst recht. Bereits aus diesen Gründen kann nicht angenommen werden, daß der Kläger noch das A 6-Patent, das ihm die Befähigung zum "Kapitän auf großer Fahrt” gegeben hätte, erworben hätte. Nach Lage der Dinge erscheint es auch fraglich, daß er das A 5-Patent noch erworben hätte.
Hierbei muß ferner beachtet werden, daß die Deutsche Seeschiffahrt 1945/46 völlig darniederlag; andererseits standen genügend Inhaber von A 6 und A 5-Patenten zur Verfügung, nämlich alle diejenigen, die schon vor dem 1. September 1939 ihr Patent ordnungsgemäß erworben hatten. Aus dem Kreis dieser A 5-Patentinhaber konnte der Bedarf an Kapitänen im Zuge des Wiederaufbaus der Deutschen Seeschiffahrt zunächst gedeckt werden, zumal aus dem gleichen Personenkreis genügend Kapitäne mit A 6-Patenten vorhanden waren. Aus diesen Gründen besteht allenfalls eine vage Möglichkeit, daß der Kläger das A 6-Patent, selbst wenn er gesund aus dem Kriege zurückgekehrt wäre, noch erworben hätte, wahrscheinlich zu machen ist ein solcher Berufsweg aber nicht.
Im übrigen ist keinesfalls nachgewiesen, daß der Kläger wegen seiner Schädigungsfolgen den Seemannsberuf aufgab und deshalb nach O. verzogen ist, zumal ärztliche Befunde aus der Zeit seiner Tätigkeit als Lotse beim Hafenkapitän in K. nicht vorliegen. Nach seinen Angaben im Erstantrag stand er damals nicht in ärztlicher Behandlung. Bei der ersten ärztlichen Untersuchung am 24. Januar 1946 in K. hat er im übrigen eine fachärztliche Begutachtung dadurch unmöglich gemacht, da er zu ihr nicht erschienen ist. Auf Grund der Aktenunterlagen hat der damalige Arzt angenommen, daß die Neuro-Asthenie eine Schädigungsfolge sei. Auch der Facharzt für Neurologie Dr. H. sah im Jahre 1948 die nervösen Beschwerden nicht als Schädigungsfolgen an. Zu dem gleichen Ergebnis gelangte die Universitäts-Nervenklinik in G. im Jahre 1959, die zwar eine Neurose feststellte, sie aber nicht als schädigungsbedingt ansah. Bei diesem Sachverhalt muß offen bleiben, ob für die Aufgabe des Seemannsberufes und den Umzug des Klägers nach O. die Schädigungsfolgen überhaupt ursächlich waren oder ob nicht gerade dieser Umzug die Folge der schlechten Arbeitsbedingungen in K. im Jahre 1945/46 gewesen ist, zumal der Kläger damals auch noch für seine Familie zu sorgen hatte.
Nach alledem ergeben sich somit keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger im Jahre 1946 durch Schädigungsfolgen gehindert gewesen sei, den Seemannsberuf weiter auszuüben. Daraus folgt, dass das angefochtene Urteil im Hinblick auf die vorgenommene Eingruppierung des Klägers nicht gehalten werden konnte. Mit seiner Einstufung in die Gruppe aller technischen Angestellten der Leistungsgruppe II erscheint er nach Ansicht des Senats ausreichend und ausgesprochen günstig entschädigt. Infolgedessen war das angefochtene Urteil auf die Berufung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
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