Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 73/68
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Es liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor, wenn eine volljährig gewordene prozeßunfähige Klägerin am Tage des Urteilsspruches nicht gesetzlich vertreten ist.
2) Wird im Verlaufe des Klageverfahrens über einen Rechtsanspruch auf Versorgung ein Bescheid nach § 1 Abs. 2 Satz 3 BVG erlassen, so wird dieser nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens. Eine sachliche Entscheidung darüber ohne Vorliegen des – zwingend erforderlichen – Widerspruchsbescheides beinhaltet einen wesentlichen Verfahrensmangel.
3). Schockerlebnisse wegen Vergewaltigungen durch sowjetische Soldaten einer im 5. bis Beginn des 6. Monats schwangeren Frau sind in Wertung der bislang bekannten medizinischen Erfahrungen nicht geeignet, irreversible geistige Schaden des später geborenen Kindes zu verursachen.
2) Wird im Verlaufe des Klageverfahrens über einen Rechtsanspruch auf Versorgung ein Bescheid nach § 1 Abs. 2 Satz 3 BVG erlassen, so wird dieser nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens. Eine sachliche Entscheidung darüber ohne Vorliegen des – zwingend erforderlichen – Widerspruchsbescheides beinhaltet einen wesentlichen Verfahrensmangel.
3). Schockerlebnisse wegen Vergewaltigungen durch sowjetische Soldaten einer im 5. bis Beginn des 6. Monats schwangeren Frau sind in Wertung der bislang bekannten medizinischen Erfahrungen nicht geeignet, irreversible geistige Schaden des später geborenen Kindes zu verursachen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 23. November 1967 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die 1945 geborene Klägerin stellte am 12. Februar 1961 durch die sie gesetzlich vertretende Mutter beim Versorgungsamt Frankfurt/M. Antrag auf Anerkennung ihrer geistigen Gebrechen als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit der Begründung, ihre Mutter sei im April 1945 durch sowjetische Soldaten mehrmals vergewaltigt worden. Der dadurch hervorgerufene Schock und die Misshandlungen hätten sich auf sie, die Klägerin, im Embryonalzustand ausgewirkt. Es müsse durch nervenärztliche Begutachtung festgestellt werden, ob ihre geistigen Schäden durch eine auf Kosten der Versorgungsverwaltung durchzuführende Behandlung zu heilen seien. Anderenfalls stehe ihr Rente zu.
Mit Bescheid vom 25. Juni 1962 lehnte das Versorgungsamt den Antrag unter Hinweis darauf ab, daß der Versorgungsanspruch eine bereits existente natürliche Person voraussetze. Das Kind im Mutterleib sei nicht geschützt. Durch Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 1962 wurde dieser Bescheid bestätigt.
Im Verlauf des Klageverfahrens vor den Sozialgericht Frankfurt/M. hat der Beklagte von der Fachärztin für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe Dr. S. ein Gutachten über die Mutter der Klägerin erstellen lassen und eine nervenfachärztliche Stellungnahme von den Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch. eingeholt, nachdem das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 24. Oktober 1962 (Az.: 10 RV-583/59) die Auffassung vertreten hatte, daß auch vorgeburtliche Schädigungen von den Bestimmungen des Bundesversorgungsgesetzes erfasst seien. Frau Dr. S. hat am 14. Januar 1964 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen, daß kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Vergewaltigungen der Mutter der Klägerin und deren geistiger Entwicklungshemmung bestehe. Frau Dr. S. hat am selben Tage gutachterlich ausgeführt, die Auffassung, daß die bei der Klägerin vorliegende Debilität auf Schockerlebnisse ihrer Mutter wegen Vergewaltigungen zurückzuführen sei, entbehre der ärztlich-wissenschaftlichen Grundlage. Auf Gegenvorstellungen der Klägerin hin, welche weitere seelische Schocks ihrer Mutter wegen der Nachricht vom Tode ihres Ehemannes in Frühjahr 1945, Umstände der Flucht vor der einrückenden Sowjetarmee und das von russischen Soldaten erzwungene Zuschauen bei der Bestattung gefallener Kameraden zum Gegenstand hatten, hat der Beklagte Krankenunterlagen von der Universitätskinderklinik F. über eine stationäre Behandlung der Klägerin im Jahre 1951 beigezogen und eine zusätzliche aktenmäßige Äusserung von der Frauenfachärztin Dr. S. abgeben lassen, die nach Studium einschlägiger Fachliteratur am 30. November 1964 bei ihrer Auffassung verblieben ist. Ferner haben diese Ärztin und Frau Dr. Sch. am 3. Februar 1965 verneinend zu der Frage Stellung genommen, ob die Klägerin Versorgung im Wege der Kannleistung nach § 1 Abs. 3 S. 2 BVG beanspruchen könne. Nach Einschaltung des Hessischen Ministers für Arbeit, Volkswohlfahrt und Gesundheitswesen und des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung hat der Direktor des Instituts für H. und V. E. der Universität F., Prof. Dr. D., am 8. Dezember 1966 eine aktenmäßige erbbiologische Begutachtung durchgeführt. Darin hat er eine erneute stationäre Beobachtung der Klägerin in einer Fachklinik empfohlen, um einen genetisch bedingten Schwachsinn auszuschließen. Sollten sich dadurch keine Anhaltspunkte für ein erbbedingtes Herkommen des Schwachsinns ergeben, so seien nach den vorliegenden Erfahrungen äussere Einflüsse in der gesamten intrauterinen Entwicklungsphase, aber auch Schädigungen während oder nach der Geburt in Betracht zu ziehen. Die von der Mutter der Klägerin angegebene Zeit hinsichtlich der erlittenen schweren körperlichen und seelischen Bedrohungen sei außerhalb der kritischen Phase der Organentwicklung. Bisher seien keine Beweise erbracht worden, daß ein psychischer Stress in der Schwangerschaft eine teratogene Wirkung zur Folge haben könne. Im vorliegenden Falle sei es daher nicht zulässig, einen möglichen oder wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Vergewaltigungen und der bei der Klägerin vorliegenden Debilität in Betracht zu ziehen. Ob andere exogene Einflüsse von Bedeutung gewesen seien, bleibe offen. Hierzu hat die Fachärztin Dr. Sch. am 3. Januar 1967 ausgeführt, nach diesen Gutachten stehe zweifelsfrei fest, daß ein ursächlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen dem vorgebrachten schädigenden Ereignis und dem Schwachsinn nicht angenommen werden könne, weshalb sich eine nochmalige stationäre Untersuchung erübrige. Auch eine Versorgung nach § 1 Abs. 3 S. 2 BVG komme nicht in Betracht, da bezüglich des Schwachsinns keine wissenschaftliche Ungewissheit bestehe. Oberregierungsmedizinalrat Dr. von K. hat sich am 9. Februar 1967 dieser Auffassung angeschlossen.
Nachdem der Hessische Fachminister im Erlass vom 12. Juni 1967 mitgeteilt hatte, nach Auffassung des Bundesministers für Arbeit- und Sozialordnung sei der ursächliche Zusammenhang zwischen psychischem Stress der Mutter während der Schwangerschaft und Schwachsinn der Klägerin eindeutig unwahrscheinlich, deshalb eine Versorgung nicht in Betracht komme, hat das Versorgungsamt Frankfurt/M. den Bescheid vom 20. Juni 1967 erlassen, mit dem es in Ergänzung des Bescheides vom 25. Juni 1962 eine Kannversorgung abgelehnt hat. Zur Begründung hat es sich auf die Auffassung des Prof. Dr. D. gestützt und die Mitteilung angefügt, daß er gemäß § 96 SGG vom anhängigen Klageverfahren erfasst werde.
Mit Urteil vom 23. November 1967 hat das Sozialgericht die auf Aufhebung des Bescheides vom 25. Juni 1962 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 1962, auf Aufhebung des Bescheides vom 20. Juni 1967 und auf Verurteilung gerichtete Klage, für die bestehende geistige Entwicklungshemmung und Sprachstörung als Schädigungsfolge Rente nach einer MdE um 100 v.H. zu gewähren, abgewiesen, nachdem es den Prozeßbevollmächtigten der Mutter der Klägerin daraufhingewiesen hatte, daß entweder ein Gebrechtlichkeitspfleger für die inzwischen volljährig gewordene Klägerin bestellt werden müsse oder von ihr eine Prozeßvollmacht nachzureichen sei, falls sie prozeßfähig sei. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die angefochtenen Bescheide, wovon der vom 20. Juni 1967 gemäss § 96 SGG von dem anhängigen Verfahren erfasst werde, seien an Recht ergangen. Da eine vorgeburtliche Schädigung der Klägerin nach zutreffender ärztlicher Auffassung nicht wahrscheinlich sei, könne eine Anerkennung von Schädigungsfolgen im Wege des Rechtsanspruchs nicht erfolgen. Bei der Versagung der Kannleistung habe der Beklagte keinen Ermessensfehler begangen.
Gegen dieses Urteil, das am 19. Dezember 1967 an den Prozeßbevollmächtigten der Mutter der Klägerin mittels eingeschriebenen Briefes abgesandt worden ist, richtet sich die von der Klägerin persönlich bei dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Frankfurt/M. am 19. Januar 1968 eingelegte Berufung, die ihr Stiefvater Mitunterschrieben hat. Zur Begründung läßt sie anwaltlich vortragen, das Urteil leide an einem Verfahrensmangel, weil sie nicht prozeßfähig sei. Hierauf sei der Vorsitzende des Sozialgerichts in der mündlichen Verhandlung vom 23. November 1967 hingewiesen worden. Aber auch in materieller Hinsicht halte das Urteil einer Überprüfung nicht stand. Ihre Mutter habe vor ihrer, der Klägerin, Geburt einen geistig gesunden Sohn und später eine gesunde Tochter geboren. Vererbter Schwachsinn sei hiernach auszuschließen. Der Auffassung der gehörten Ärzte sei nicht zu folgen, weil diese den gesamten Schockwirkungen, denen ihre Mutter ausgesetzt gewesen sei, nicht genügend nachgegangen seien. Ihre Mutter habe schon in den ersten Wochen nach dem Empfängnis unter schweren Belastungen gestanden, weil sich die Flucht vor den anrückenden Russen angebahnt habe. Auf dieser Flucht und nach dem Eintreffen in B. habe sie weitere Aufregungen gehabt. Bei dieser Sachlage sei eine stationäre Beobachtung und Untersuchung dringend notwendig.
Die Klägerin beantragt,
1) das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 23. November 1967 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Juni 1962 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 1962 zu verurteilen, wegen "geistiger Entwicklungshemmung und Sprachstörung” als Schädigungsfolgen Rente nach einer MdE um 100 v.H. ab Antragstellung zu gewähren,
2) das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 23. November 1967 hinsichtlich des Bescheides vom 20. Juni 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1970 aufzuheben und die Sache insoweit zurückzuverweisen,
hilfsweise,
den Bescheid des Beklagten vom 20. Juni 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1970 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat Beweis erhoben nach Maßgabe eines Beweisbeschlusses vom 19. Juli 1969 über die Frage der Prozeßfähigkeit der Klägerin sowie über Fragen des Vorliegens von Schädigungsfolgen und deren MdE durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Der Oberarzt der Psychiatrischen und Neurologischen Klinik der J.-W.-G.-Universität in F., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B., hat am 16. Januar 1969 vorab mitgeteilt, die Klägerin sei nicht prozeßfähig, worauf das Amtsgericht Frankfurt/M. den Stiefvater der Klägerin, S. B., zum gesetzlichen Vormund über diese bestellt hat.
In ihrem am 8. November 1969 erstellten Gutachten haben die Oberärzte Dr. B. und Privatdozent Dr. M. nach stationärer und ambulanter Untersuchung der Klägerin zusammenfassend ausgeführt, bei ihr bestehe ein mittelgradiger Schwachsinn. Ihre geistigen Schäden oder Gebrechen seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine vorgeburtliche Schädigung zurückzuführen. Das ergebe sich zunächst aus der Unmöglichkeit, einen uncharakteristischen Schwachsinnszustand wie den vorliegenden nach seiner Herkunft einzuordnen, ferner aus der in der Wissenschaft bestehenden Unsicherheit in der Frage, ob die als Ursache angeführten psychischen Belastungen der Mutter überhaupt irreversible Schäden verursachen könnten. Schließlich habe auch die Tatsache Bedeutung, daß die in den Vordergrund gestellten Vergewaltigungen außerhalb der kritischen Phase der Gehirnentwicklung der Klägerin gelegen hätten. Deren Schädigung bestehe von Geburt an. Der Grad der MdE sei mit 100 v.H. anzusetzen, falls eine Versorgung nach § 1 Abs. 3 S. 2 BVG erwogen werde.
Hierzu hat der Vormund der Klägerin ausführen lassen, die seelischen Belastungen ihrer Mutter hätten bereits im Zeitpunkt der Befruchtung vorgelegen. Nicht übersehen werden dürfe auch der Vorgang der Geburt selbst, bei der sie keinen Beistand gehabt habe. Die Klägerin habe eine halbe Stunde zwischen den Beinen ihrer Mutter im Bett gelegen. Die dann dazukommende Hebamme habe festgestellt, daß sie bereits blau angelaufen und es höchste Zeit für die Hilfe gewesen sei. Auch dieser Vorgang sei als schädigendes Ereignis zu werten. Im übrigen sei es sozial nicht gerechtfertigt, die Klägerin mit ihren Ansprüchen nur deshalb abzuweisen, weil der Stand der ärztlichen Wissenschaft über die Ursache ihres Leidens nach nicht weit genug fortgeschritten sei. Es werde um weitere medizinische Sachaufklärung gebeten.
Demgegenüber hat der Beklagte ausgeführt, auch das Gerichtsgutachten bestätige, daß zwischen den während der Schwangerschaft erlittenen Vergewaltigungen der Mutter und der geistigen Entwicklungshemmung der Klägerin der vom Gesetz geforderte ursächliche Zusammenhang nicht vorliege. Bei der Geburt selbst hätten schädigende Einwirkungen im Sinne des BVG nicht vorgelegen.
Die Akten des Versorgungsamts Frankfurt/M. mit der Grundlisten-Nr. haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Streitgegenstand her gemäß § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige und nach § 151 Abs. 2 SGG fristgemäß eingelegte Berufung entspricht auch der Form. Zwar ist die Klägerin zu der von ihr am 19. Januar 1968 abgegebenen Erklärung, gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 23. November 1967 Berufung einzulegen, nicht befugt gewesen, da sie prozeßunfähig war. Deshalb konnte sie auch ihren Stiefvater S. B., der mitunterschrieben hat, nicht bevollmächtigen, für sie Berufung einzulegen, weil das Rechtsgeschäft der Vollmachtserteilung Prozeßfähigkeit voraussetzt. Dieser Formmangel ist indessen rückwirkend als geheilt anzusehen, nachdem ihr Stiefvater als gesetzlicher Vormund für sie bestellt worden ist und die Berufungseinlegung genehmigt hat. Die damit formgerecht gewordene Berufung ist aber nicht begründet.
Der Senat konnte selbst entscheiden, obwohl das angefochtene Urteil zunächst einmal insoweit an einem von Amts wegen zu beachtenden wesentlichen Verfahrensmangel leidet, als es am 23. November 1967 in der Sache ergangen ist, obwohl die prozeßunfähige Klägerin nicht mehr minderjährig und damit nicht mehr gesetzlich durch ihre Mutter vertreten war. Gemäß § 241 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO), der nach § 68 SGG auch im Sozialgerichtsverfahren entsprechend anzuwenden ist, war das Verfahren dadurch kraft Gesetzes unterbrochen, so daß eine Entscheidung an diesem Tage nicht hätte ergehen dürfen. Dieser Formmangel war aber durch die weitere Genehmigungserklärung des gesetzlichen Vormundes der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ebenfalls als – rückwirkend – geheilt anzusehen, so daß keine Veranlassung bestand, insoweit von der Vorschrift das § 159 Abs. 1 SGG Gebrauch zu machen.
Das war auch nicht erforderlich, soweit der Vorderrichter, wiederum unter Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften, über den Bescheid vom 20. Juni 1967 sachlich entschieden hat. Denn dieser Verwaltungsakt war entgegen seiner und des Beklagten Auffassung nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens geworden. Er hat den Bescheid vom 25. Juni 1962 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 1962 weder abgeändert noch ersetzt, sondern eine neue Regelung getroffen, die auch nicht in weiterem Umfang mit dem ursprünglich allein Streitgegenstand gewesenen Rechtsanspruch auf Versorgung identisch war oder in Sachzusammenhang stand. Die Kannversorgung nach § 1 Abs. 3 D. 2 BVG ist nämlich ein selbständiger Anspruch, dar nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, welcher der Senat stets gefolgt ist, eines vorgeschalteten Widerspruchsverfahrens bedarf, ehe er von einem Gericht der Sozialgerichtsbarkeit überprüft werden darf (vergl. § 79 Ziff. 1 SGG). Der erforderliche Widerspruchsbescheid auf den Widerspruch hin, der in dem Schriftsatz vom 7. Juli 1967 (vergl. Bl. 121 GA) enthalten ist, war aber bis zum Erlass des erstinstanzlichen Urteils noch nicht vorhanden. Er ist erst am 29. Juni 1970 ergangen, so daß am Tage der Urteilsfindung durch den Vorderrichter eine zwingende Sachurteilsvoraussetzung gefehlt hat, die von Amts wegen hätte beachtet werden müssen. Auch dieser wesentliche Verfahrensmangel ist indessen als geheilt anzusehen, nachdem der Beklagte in der zweiten Tatsacheninstanz tätig geworden und den Erlass eines unter keinem Formfehler leidenden Widerspruchsbescheides nachgeholt hat (vergl. BSGE 20 S. 199 ff.). Zu einer Zurückweisung im Sinne des § 159 Abs. 1 SGG bestand deshalb ebenfalls kein begründeter Anlass, zumal die Sache in Bezug auf die Kannversorgung gleichfalls als entscheidungsreif anzusehen war.
Was den Rechtsanspruch der Klägerin auf Versorgung angeht, so könnte nach dem ursprünglichen Vorbringen § 1 Abs. 2 Buchst. a i.S.m. § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG als Rechtsgrundlage in Betracht gezogen werden, da ihr Vormund behauptet hat, ihre geistigen Gebrechen seien infolge mehrfacher Vergewaltigungen ihrer Mutter durch Sowjetsoldaten nach dem am 21. April 1943 erfolgten Einmarsch der Roten Armee in B. bei B. entstanden. Wird von diesen Vergewaltigungen als schädigendem Vorgang i.S. der zitierten Vorschrift ausgegangen, dann ist zunächst von Bedeutung, daß die Schwangerschaft rein körperlich gesehen dadurch nicht gestört worden ist, wie sich aus den mehrfachen anamnestischer Angaben der Mutter der Klägerin ergibt und durch eine anschließende ärztliche Untersuchung auch in Bezug auf Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten – festgestellt worden ist. Sie verlief weiterhin unauffällig ohne Schmerzen und insbesondere ohne Blutungen bis zur zeitgerechten Geburt. Eine traumatische schädigende Einwirkung auf den Fötus ist zusammen mit den Fachärztinnen Dr. S. und Dr. Sch. hiernach auszuschließen, so daß die Vergewaltigungen als solche nicht als schädigender Vorgang gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. d gewertet werden können.
Die besondere Gefahr, die diese Bestimmung voraussetzt, kann allerdings auch psychisch eingewirkt haben (vergl. BSG in KOV 1960 Rechtsprechung Nr. 1091), indem sie spontan Schrecken oder Schock erzeugt und dadurch eine Gesundheitsstörung zur Folge hat.
Wenn der Senat zugunsten der Klägerin unterstellt, ihre Mutter habe wegen der Vergewaltigungen unter einem starken Schockerlebnis gestanden, so könnte der schädigende Vorgang hierdurch als gegeben angesehen werden. Damit ist jedoch ein Rechtsanspruch auf Versorgung noch nicht begründet, weil nicht wahrscheinlich ist im Sinne der im Versorgungsrecht geltenden Kausaltheorie, daß ihre geistigen Gebrechen dadurch verursacht worden sind. Zutreffend haben nämlich Frau Dr. S. in ihrer Stellungnahme vom 30. November 1964 und Prof. Dr. D. in seinem Gutachten vom 8. Dezember 1966 in diesem Zusammenhang ausgeführt, daß exogene Einwirkungen auf eine Leibesfrucht mit der Folge einer irreversiblen intrauterinen Schädigung, soweit sie nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft überhaupt als relevant angesehen werden können, überbewertet werden. Dabei hat sich Frau Dr. Sch. mit der Fachliteratur auseinandergesetzt. Entscheidend kommt hinzu, daß selbst dann, wenn ein anderes Schockerlebnis auf die Leibesfruchtentwicklung Einfluss nehmen könnte, sich Mißbildungen des Gehirns mit bleibenden psychischen Auswirkungen nach der Gehurt nur bis auf 12. Schwangerschaftswoche vollziehen. Das hat Prof. Dr. D. schon im Jahre 1964 aufgrund von Experimenten als erwiesene Tatsache angesehen, wie aus der Zeitschrift "Ärztliche Mitteilungen” vom 5. Dezember 1964 zu entnehmen ist, die einen aus seiner Feder stammenden Artikel zur Frage der kritischen Phasen der Embryonalentwicklung enthält. Dort heißt es u.a., daß man durch sorgfältige klinische Beobachtungen heute in der Lage sei, auch für den Menschen Entstehungszeitspannen typischer Organmissbildungen anzugeben, die in Bezug auf das Gehirn von der zweiten bis zwölften Woche der Entwicklung reichen. In Wertung dieser klinischen und vergleichenden experimentellen Erfahrung gewinnt die Äußerung Prof. Dr. D. in seinem Gutachten vom 8. Dezember 1966, daß die von der Mutter der Klägerin angehende Zeit der erlittenen schweren körperlichen und seelischen Bedrohungen (Vergewaltigungen) außerhalb der kritischen intrauterinen Phase der Organentwicklung liege, da sie im 5. Monat mit einer Toleranz von zusätzlich 10 bis 18 Tagen erfolgt seien, prozeßentscheidende Bedeutung. Der Senat hat keine Bedenken, diesem Arzt zu folgen, zumal die Gerichtssachverständigen Dr. B. und Dr. M. in ihrem sorgfältig unter Beachtung der bekannten Lehrmeinungen erstellten Gutachten vom 8. November 1969 zur selben Auffassung gelangt sind. Auch sie haben ausgeführt, die Schäden bzw. Gebrechen der Klägerin seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine vorgeburtliche Schädigung zurückzuführen. Das ergebe sich zunächst aus der Unmöglichkeit uncharakteristische Schwachsinnszustände wie die vorliegenden ohne sonstige Begleitkrankheiten oder Anomalien rein von psychopathologischen Befund her nach ihrer Herkunft einzuordnen, ferner aus der in der Wissenschaft bestehenden Unsicherheit in der Frage, ob die als Ursache angeführten psychischen Belastungen der Mutter überhaupt irreversible Schäden verursachen können, schließlich aus der Tatsache, daß die in den Vordergrund gestellten Vergewaltigungen außerhalb der kritischen Phase der Gehirnentwicklung gelegen hätten.
Da sämtliche gehörten Ärzte den Fall der Klägerin übereinstimmend beurteilt haben, bestand für den Senat kein Anlass zu weiterer Beweiserhebung von Amtswegen, auch nicht in Bezug auf die im Klageverfahren nachgeschobene Begründung im Hinblick auf weitere seelische und körperliche Belastungen ihrer Mutter schon von der Empfängnis an bis zu den Vergewaltigungen. Denn insoweit fehlt es bereits an schädigenden Vorgängen infolge unmittelbarer Kriegseinwirkung, so daß sich die Frage eines seelischen Summationstraumas aus Gründen des Gesetzes nicht stellt.
Die Sorge, wegen der näherrückenden Front evakuiert zu werden, welche ihre Mutter bereits seit der Empfängnis bedrückt haben soll, ist nicht unter § 5 Abs. 1 Buchst. b oder c des Bundesversorgungsgesetzes zu subsummieren. Diese Bestimmungen setzen den tatsächlichen Beginn der Evakuierung oder Flucht vor einer aus kriegerischen Vorgängen unmittelbar drohenden Gefahr für Leib oder Leben bzw. behördliche Maßnahmen in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen oder ihrer Vorbereitung und gesundheitsschädigende Einwirkungen durch die besonderen Umstände der Flucht voraus. Begonnen wurde diese Flucht von der Mutter der Klägerin aber erst am 20. Januar 1945, mithin am Ende der elften Schwangerschaftswoche bei der auf Anfang November 1944 festzusetzenden Empfängnis. Zeitlich vorherliegende Dinge sind keine unmittelbare Kriegseinwirkung und müssen bei der Suche nach dem schädigenden Vorgang außer Betracht bleiben, ebenso wie die Sorge der Mutter der Klägerin um ihren wieder an die Front gegangenen Ehemann und – was hier vorweg einzuflechten ist – das Schreckerlebnis bei der im April 1945 empfangenen Nachricht von seinem Tode. Dieses fällt seinem Wesen nach ebenfalls nicht unter gesetzliche Tatbestände des BVG.
Für den Fluchtweg selbst bis zur Ankunft in B., wo dieser beendet war, da die Mutter der Klägerin ihre Absicht ausgeführt hatte, sich zunächst dort bei Verwandten niederzulassen, sind keine Tatsachen vorgetragen worden, die ein schädigendes Ereignis belegen könnten. Körperliche oder nervlich-seelische Schäden in Bezug auf die Schwangerschaft sind nicht dargetan. Nach ihren Angaben war die Mutter der Klägerin zwei Tage im Güterzug unterwegs, mußte sich mithin besonderen Anstrengungen körperlicher Art nicht unterziehen und war auch keinen größeren seelischen Strapazen ausgesetzt als ihre Mitflüchtlinge. Durch besondere Umstände der Flucht verursachte Einwirkungen sind deshalb nicht ersichtlich. Könnten sie zugunsten der Klägerin unterstellt werden, so würde die Anerkennung von Schädigungsfolgen wiederum an der überzeugenden Auffassung der medizinischen Gutachter scheitern.
In und bei B. war die Mutter der Klägerin Belastungen ausgesetzt, die damals jeder Einwohner zu erdulden hatte. Die allgemeine Gefährdung sämtlicher Bevölkerungskreise während des Krieges ist aber ebenfalls keine unmittelbare Kriegseinwirkung i.S. des Gesetzes. Sie hätte im konkreten Fall erheblich gesteigert sein müssen. Dafür ist indessen gleichfalls nichts vorgetragen worden oder ersichtlich. § 5 Abs. 1 Buchst. b ist mithin auch insoweit nicht anzuwenden, da insbesondere die Einwirkung auf den Fötus nicht belegt ist. Das gleiche gilt sinngemäss in Bezug auf § 5 Abs. 1 Buchst. d für die Darstellung des Schockerlebnisses wegen der Teilnahme an der Bestattung gefallener russischer Soldaten, abgesehen davon, daß es sich nach Abschluss der kritischen Phase der Gehirnentwicklung abgespielt hat.
Die Umstände der Geburt der Klägerin sind schließlich auch nicht unter Tatbestände des § 5 Abs. 1 BVG zu subsummieren. Denn es war keine nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge gewesen, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen hatten, daß keine Hebamme zugegen war (§ 5 Abs. 1 Buchst. c). Wie ihre Mutter Frau Dr. Sch. gegenüber am 14. Januar 1964 selbst angegeben hat, soll die Hebamme um ihr Honorar gefürchtet haben und deshalb zunächst nicht gekommen sein. Gleichviel, ob diese auf Hörensagen beruhende Tatsache in diesem Form richtig ist oder nicht, geburtshilfliche Fachkräfte waren jedenfalls im August 1945 in B. bei B. verfügbar. Die ohnehin sehr weit hergeholte Möglichkeit der Annahme eines kriegseigentümlichen Gefahrenbereiches muß damit von vornherein entfallen.
Läßt sich nach alledem ein Rechtsanspruch der Klägerin auf Versorgung nach dem BVG nicht begründen, so steht ihr nach dem Akteninhalt und dem Vorbringen der Beteiligten auch keine Kannversorgung nach § 1 Abs. 3 S. 2 BVG zu. Selbst wenn der Senat zu ihrem Gunsten unterstellt, daß ihr Schwachsinn unter den Katalog der Krankheiten fällt, über deren Ursache in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, was allerdings nach von Frau Dr. Sch. am 3. Februar 1965 geäußerter Auffassung nicht der Fall ist, würde eine Anerkennung mangels ursächlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen schädigendem Vorgang und Gebrechen der Klägerin entfallen. Die dahingehende Auffassung des Beklagten, die vor ihm der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und der Hessische Fachminister vertreten haben, ist angesichts der vorliegenden Gutachten nicht zu beanstanden. Ein Ermessensfehler i.S. des § 54 Abs. 2 S. 2 SGG ist nicht ersichtlich, weshalb sich weitere Ermittlungen auch insoweit erübrigten. Hier gelten die zu § 1 Abs. 2 Buchst. a i.V.m. § 5 Abs. 1 BVG gemachten Ausführungen sinngemäss.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 195 SGG.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die 1945 geborene Klägerin stellte am 12. Februar 1961 durch die sie gesetzlich vertretende Mutter beim Versorgungsamt Frankfurt/M. Antrag auf Anerkennung ihrer geistigen Gebrechen als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit der Begründung, ihre Mutter sei im April 1945 durch sowjetische Soldaten mehrmals vergewaltigt worden. Der dadurch hervorgerufene Schock und die Misshandlungen hätten sich auf sie, die Klägerin, im Embryonalzustand ausgewirkt. Es müsse durch nervenärztliche Begutachtung festgestellt werden, ob ihre geistigen Schäden durch eine auf Kosten der Versorgungsverwaltung durchzuführende Behandlung zu heilen seien. Anderenfalls stehe ihr Rente zu.
Mit Bescheid vom 25. Juni 1962 lehnte das Versorgungsamt den Antrag unter Hinweis darauf ab, daß der Versorgungsanspruch eine bereits existente natürliche Person voraussetze. Das Kind im Mutterleib sei nicht geschützt. Durch Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 1962 wurde dieser Bescheid bestätigt.
Im Verlauf des Klageverfahrens vor den Sozialgericht Frankfurt/M. hat der Beklagte von der Fachärztin für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe Dr. S. ein Gutachten über die Mutter der Klägerin erstellen lassen und eine nervenfachärztliche Stellungnahme von den Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch. eingeholt, nachdem das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 24. Oktober 1962 (Az.: 10 RV-583/59) die Auffassung vertreten hatte, daß auch vorgeburtliche Schädigungen von den Bestimmungen des Bundesversorgungsgesetzes erfasst seien. Frau Dr. S. hat am 14. Januar 1964 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen, daß kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Vergewaltigungen der Mutter der Klägerin und deren geistiger Entwicklungshemmung bestehe. Frau Dr. S. hat am selben Tage gutachterlich ausgeführt, die Auffassung, daß die bei der Klägerin vorliegende Debilität auf Schockerlebnisse ihrer Mutter wegen Vergewaltigungen zurückzuführen sei, entbehre der ärztlich-wissenschaftlichen Grundlage. Auf Gegenvorstellungen der Klägerin hin, welche weitere seelische Schocks ihrer Mutter wegen der Nachricht vom Tode ihres Ehemannes in Frühjahr 1945, Umstände der Flucht vor der einrückenden Sowjetarmee und das von russischen Soldaten erzwungene Zuschauen bei der Bestattung gefallener Kameraden zum Gegenstand hatten, hat der Beklagte Krankenunterlagen von der Universitätskinderklinik F. über eine stationäre Behandlung der Klägerin im Jahre 1951 beigezogen und eine zusätzliche aktenmäßige Äusserung von der Frauenfachärztin Dr. S. abgeben lassen, die nach Studium einschlägiger Fachliteratur am 30. November 1964 bei ihrer Auffassung verblieben ist. Ferner haben diese Ärztin und Frau Dr. Sch. am 3. Februar 1965 verneinend zu der Frage Stellung genommen, ob die Klägerin Versorgung im Wege der Kannleistung nach § 1 Abs. 3 S. 2 BVG beanspruchen könne. Nach Einschaltung des Hessischen Ministers für Arbeit, Volkswohlfahrt und Gesundheitswesen und des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung hat der Direktor des Instituts für H. und V. E. der Universität F., Prof. Dr. D., am 8. Dezember 1966 eine aktenmäßige erbbiologische Begutachtung durchgeführt. Darin hat er eine erneute stationäre Beobachtung der Klägerin in einer Fachklinik empfohlen, um einen genetisch bedingten Schwachsinn auszuschließen. Sollten sich dadurch keine Anhaltspunkte für ein erbbedingtes Herkommen des Schwachsinns ergeben, so seien nach den vorliegenden Erfahrungen äussere Einflüsse in der gesamten intrauterinen Entwicklungsphase, aber auch Schädigungen während oder nach der Geburt in Betracht zu ziehen. Die von der Mutter der Klägerin angegebene Zeit hinsichtlich der erlittenen schweren körperlichen und seelischen Bedrohungen sei außerhalb der kritischen Phase der Organentwicklung. Bisher seien keine Beweise erbracht worden, daß ein psychischer Stress in der Schwangerschaft eine teratogene Wirkung zur Folge haben könne. Im vorliegenden Falle sei es daher nicht zulässig, einen möglichen oder wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Vergewaltigungen und der bei der Klägerin vorliegenden Debilität in Betracht zu ziehen. Ob andere exogene Einflüsse von Bedeutung gewesen seien, bleibe offen. Hierzu hat die Fachärztin Dr. Sch. am 3. Januar 1967 ausgeführt, nach diesen Gutachten stehe zweifelsfrei fest, daß ein ursächlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen dem vorgebrachten schädigenden Ereignis und dem Schwachsinn nicht angenommen werden könne, weshalb sich eine nochmalige stationäre Untersuchung erübrige. Auch eine Versorgung nach § 1 Abs. 3 S. 2 BVG komme nicht in Betracht, da bezüglich des Schwachsinns keine wissenschaftliche Ungewissheit bestehe. Oberregierungsmedizinalrat Dr. von K. hat sich am 9. Februar 1967 dieser Auffassung angeschlossen.
Nachdem der Hessische Fachminister im Erlass vom 12. Juni 1967 mitgeteilt hatte, nach Auffassung des Bundesministers für Arbeit- und Sozialordnung sei der ursächliche Zusammenhang zwischen psychischem Stress der Mutter während der Schwangerschaft und Schwachsinn der Klägerin eindeutig unwahrscheinlich, deshalb eine Versorgung nicht in Betracht komme, hat das Versorgungsamt Frankfurt/M. den Bescheid vom 20. Juni 1967 erlassen, mit dem es in Ergänzung des Bescheides vom 25. Juni 1962 eine Kannversorgung abgelehnt hat. Zur Begründung hat es sich auf die Auffassung des Prof. Dr. D. gestützt und die Mitteilung angefügt, daß er gemäß § 96 SGG vom anhängigen Klageverfahren erfasst werde.
Mit Urteil vom 23. November 1967 hat das Sozialgericht die auf Aufhebung des Bescheides vom 25. Juni 1962 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 1962, auf Aufhebung des Bescheides vom 20. Juni 1967 und auf Verurteilung gerichtete Klage, für die bestehende geistige Entwicklungshemmung und Sprachstörung als Schädigungsfolge Rente nach einer MdE um 100 v.H. zu gewähren, abgewiesen, nachdem es den Prozeßbevollmächtigten der Mutter der Klägerin daraufhingewiesen hatte, daß entweder ein Gebrechtlichkeitspfleger für die inzwischen volljährig gewordene Klägerin bestellt werden müsse oder von ihr eine Prozeßvollmacht nachzureichen sei, falls sie prozeßfähig sei. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die angefochtenen Bescheide, wovon der vom 20. Juni 1967 gemäss § 96 SGG von dem anhängigen Verfahren erfasst werde, seien an Recht ergangen. Da eine vorgeburtliche Schädigung der Klägerin nach zutreffender ärztlicher Auffassung nicht wahrscheinlich sei, könne eine Anerkennung von Schädigungsfolgen im Wege des Rechtsanspruchs nicht erfolgen. Bei der Versagung der Kannleistung habe der Beklagte keinen Ermessensfehler begangen.
Gegen dieses Urteil, das am 19. Dezember 1967 an den Prozeßbevollmächtigten der Mutter der Klägerin mittels eingeschriebenen Briefes abgesandt worden ist, richtet sich die von der Klägerin persönlich bei dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Frankfurt/M. am 19. Januar 1968 eingelegte Berufung, die ihr Stiefvater Mitunterschrieben hat. Zur Begründung läßt sie anwaltlich vortragen, das Urteil leide an einem Verfahrensmangel, weil sie nicht prozeßfähig sei. Hierauf sei der Vorsitzende des Sozialgerichts in der mündlichen Verhandlung vom 23. November 1967 hingewiesen worden. Aber auch in materieller Hinsicht halte das Urteil einer Überprüfung nicht stand. Ihre Mutter habe vor ihrer, der Klägerin, Geburt einen geistig gesunden Sohn und später eine gesunde Tochter geboren. Vererbter Schwachsinn sei hiernach auszuschließen. Der Auffassung der gehörten Ärzte sei nicht zu folgen, weil diese den gesamten Schockwirkungen, denen ihre Mutter ausgesetzt gewesen sei, nicht genügend nachgegangen seien. Ihre Mutter habe schon in den ersten Wochen nach dem Empfängnis unter schweren Belastungen gestanden, weil sich die Flucht vor den anrückenden Russen angebahnt habe. Auf dieser Flucht und nach dem Eintreffen in B. habe sie weitere Aufregungen gehabt. Bei dieser Sachlage sei eine stationäre Beobachtung und Untersuchung dringend notwendig.
Die Klägerin beantragt,
1) das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 23. November 1967 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Juni 1962 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 1962 zu verurteilen, wegen "geistiger Entwicklungshemmung und Sprachstörung” als Schädigungsfolgen Rente nach einer MdE um 100 v.H. ab Antragstellung zu gewähren,
2) das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 23. November 1967 hinsichtlich des Bescheides vom 20. Juni 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1970 aufzuheben und die Sache insoweit zurückzuverweisen,
hilfsweise,
den Bescheid des Beklagten vom 20. Juni 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1970 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat Beweis erhoben nach Maßgabe eines Beweisbeschlusses vom 19. Juli 1969 über die Frage der Prozeßfähigkeit der Klägerin sowie über Fragen des Vorliegens von Schädigungsfolgen und deren MdE durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Der Oberarzt der Psychiatrischen und Neurologischen Klinik der J.-W.-G.-Universität in F., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B., hat am 16. Januar 1969 vorab mitgeteilt, die Klägerin sei nicht prozeßfähig, worauf das Amtsgericht Frankfurt/M. den Stiefvater der Klägerin, S. B., zum gesetzlichen Vormund über diese bestellt hat.
In ihrem am 8. November 1969 erstellten Gutachten haben die Oberärzte Dr. B. und Privatdozent Dr. M. nach stationärer und ambulanter Untersuchung der Klägerin zusammenfassend ausgeführt, bei ihr bestehe ein mittelgradiger Schwachsinn. Ihre geistigen Schäden oder Gebrechen seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine vorgeburtliche Schädigung zurückzuführen. Das ergebe sich zunächst aus der Unmöglichkeit, einen uncharakteristischen Schwachsinnszustand wie den vorliegenden nach seiner Herkunft einzuordnen, ferner aus der in der Wissenschaft bestehenden Unsicherheit in der Frage, ob die als Ursache angeführten psychischen Belastungen der Mutter überhaupt irreversible Schäden verursachen könnten. Schließlich habe auch die Tatsache Bedeutung, daß die in den Vordergrund gestellten Vergewaltigungen außerhalb der kritischen Phase der Gehirnentwicklung der Klägerin gelegen hätten. Deren Schädigung bestehe von Geburt an. Der Grad der MdE sei mit 100 v.H. anzusetzen, falls eine Versorgung nach § 1 Abs. 3 S. 2 BVG erwogen werde.
Hierzu hat der Vormund der Klägerin ausführen lassen, die seelischen Belastungen ihrer Mutter hätten bereits im Zeitpunkt der Befruchtung vorgelegen. Nicht übersehen werden dürfe auch der Vorgang der Geburt selbst, bei der sie keinen Beistand gehabt habe. Die Klägerin habe eine halbe Stunde zwischen den Beinen ihrer Mutter im Bett gelegen. Die dann dazukommende Hebamme habe festgestellt, daß sie bereits blau angelaufen und es höchste Zeit für die Hilfe gewesen sei. Auch dieser Vorgang sei als schädigendes Ereignis zu werten. Im übrigen sei es sozial nicht gerechtfertigt, die Klägerin mit ihren Ansprüchen nur deshalb abzuweisen, weil der Stand der ärztlichen Wissenschaft über die Ursache ihres Leidens nach nicht weit genug fortgeschritten sei. Es werde um weitere medizinische Sachaufklärung gebeten.
Demgegenüber hat der Beklagte ausgeführt, auch das Gerichtsgutachten bestätige, daß zwischen den während der Schwangerschaft erlittenen Vergewaltigungen der Mutter und der geistigen Entwicklungshemmung der Klägerin der vom Gesetz geforderte ursächliche Zusammenhang nicht vorliege. Bei der Geburt selbst hätten schädigende Einwirkungen im Sinne des BVG nicht vorgelegen.
Die Akten des Versorgungsamts Frankfurt/M. mit der Grundlisten-Nr. haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Streitgegenstand her gemäß § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige und nach § 151 Abs. 2 SGG fristgemäß eingelegte Berufung entspricht auch der Form. Zwar ist die Klägerin zu der von ihr am 19. Januar 1968 abgegebenen Erklärung, gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 23. November 1967 Berufung einzulegen, nicht befugt gewesen, da sie prozeßunfähig war. Deshalb konnte sie auch ihren Stiefvater S. B., der mitunterschrieben hat, nicht bevollmächtigen, für sie Berufung einzulegen, weil das Rechtsgeschäft der Vollmachtserteilung Prozeßfähigkeit voraussetzt. Dieser Formmangel ist indessen rückwirkend als geheilt anzusehen, nachdem ihr Stiefvater als gesetzlicher Vormund für sie bestellt worden ist und die Berufungseinlegung genehmigt hat. Die damit formgerecht gewordene Berufung ist aber nicht begründet.
Der Senat konnte selbst entscheiden, obwohl das angefochtene Urteil zunächst einmal insoweit an einem von Amts wegen zu beachtenden wesentlichen Verfahrensmangel leidet, als es am 23. November 1967 in der Sache ergangen ist, obwohl die prozeßunfähige Klägerin nicht mehr minderjährig und damit nicht mehr gesetzlich durch ihre Mutter vertreten war. Gemäß § 241 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO), der nach § 68 SGG auch im Sozialgerichtsverfahren entsprechend anzuwenden ist, war das Verfahren dadurch kraft Gesetzes unterbrochen, so daß eine Entscheidung an diesem Tage nicht hätte ergehen dürfen. Dieser Formmangel war aber durch die weitere Genehmigungserklärung des gesetzlichen Vormundes der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ebenfalls als – rückwirkend – geheilt anzusehen, so daß keine Veranlassung bestand, insoweit von der Vorschrift das § 159 Abs. 1 SGG Gebrauch zu machen.
Das war auch nicht erforderlich, soweit der Vorderrichter, wiederum unter Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften, über den Bescheid vom 20. Juni 1967 sachlich entschieden hat. Denn dieser Verwaltungsakt war entgegen seiner und des Beklagten Auffassung nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens geworden. Er hat den Bescheid vom 25. Juni 1962 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 1962 weder abgeändert noch ersetzt, sondern eine neue Regelung getroffen, die auch nicht in weiterem Umfang mit dem ursprünglich allein Streitgegenstand gewesenen Rechtsanspruch auf Versorgung identisch war oder in Sachzusammenhang stand. Die Kannversorgung nach § 1 Abs. 3 D. 2 BVG ist nämlich ein selbständiger Anspruch, dar nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, welcher der Senat stets gefolgt ist, eines vorgeschalteten Widerspruchsverfahrens bedarf, ehe er von einem Gericht der Sozialgerichtsbarkeit überprüft werden darf (vergl. § 79 Ziff. 1 SGG). Der erforderliche Widerspruchsbescheid auf den Widerspruch hin, der in dem Schriftsatz vom 7. Juli 1967 (vergl. Bl. 121 GA) enthalten ist, war aber bis zum Erlass des erstinstanzlichen Urteils noch nicht vorhanden. Er ist erst am 29. Juni 1970 ergangen, so daß am Tage der Urteilsfindung durch den Vorderrichter eine zwingende Sachurteilsvoraussetzung gefehlt hat, die von Amts wegen hätte beachtet werden müssen. Auch dieser wesentliche Verfahrensmangel ist indessen als geheilt anzusehen, nachdem der Beklagte in der zweiten Tatsacheninstanz tätig geworden und den Erlass eines unter keinem Formfehler leidenden Widerspruchsbescheides nachgeholt hat (vergl. BSGE 20 S. 199 ff.). Zu einer Zurückweisung im Sinne des § 159 Abs. 1 SGG bestand deshalb ebenfalls kein begründeter Anlass, zumal die Sache in Bezug auf die Kannversorgung gleichfalls als entscheidungsreif anzusehen war.
Was den Rechtsanspruch der Klägerin auf Versorgung angeht, so könnte nach dem ursprünglichen Vorbringen § 1 Abs. 2 Buchst. a i.S.m. § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG als Rechtsgrundlage in Betracht gezogen werden, da ihr Vormund behauptet hat, ihre geistigen Gebrechen seien infolge mehrfacher Vergewaltigungen ihrer Mutter durch Sowjetsoldaten nach dem am 21. April 1943 erfolgten Einmarsch der Roten Armee in B. bei B. entstanden. Wird von diesen Vergewaltigungen als schädigendem Vorgang i.S. der zitierten Vorschrift ausgegangen, dann ist zunächst von Bedeutung, daß die Schwangerschaft rein körperlich gesehen dadurch nicht gestört worden ist, wie sich aus den mehrfachen anamnestischer Angaben der Mutter der Klägerin ergibt und durch eine anschließende ärztliche Untersuchung auch in Bezug auf Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten – festgestellt worden ist. Sie verlief weiterhin unauffällig ohne Schmerzen und insbesondere ohne Blutungen bis zur zeitgerechten Geburt. Eine traumatische schädigende Einwirkung auf den Fötus ist zusammen mit den Fachärztinnen Dr. S. und Dr. Sch. hiernach auszuschließen, so daß die Vergewaltigungen als solche nicht als schädigender Vorgang gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. d gewertet werden können.
Die besondere Gefahr, die diese Bestimmung voraussetzt, kann allerdings auch psychisch eingewirkt haben (vergl. BSG in KOV 1960 Rechtsprechung Nr. 1091), indem sie spontan Schrecken oder Schock erzeugt und dadurch eine Gesundheitsstörung zur Folge hat.
Wenn der Senat zugunsten der Klägerin unterstellt, ihre Mutter habe wegen der Vergewaltigungen unter einem starken Schockerlebnis gestanden, so könnte der schädigende Vorgang hierdurch als gegeben angesehen werden. Damit ist jedoch ein Rechtsanspruch auf Versorgung noch nicht begründet, weil nicht wahrscheinlich ist im Sinne der im Versorgungsrecht geltenden Kausaltheorie, daß ihre geistigen Gebrechen dadurch verursacht worden sind. Zutreffend haben nämlich Frau Dr. S. in ihrer Stellungnahme vom 30. November 1964 und Prof. Dr. D. in seinem Gutachten vom 8. Dezember 1966 in diesem Zusammenhang ausgeführt, daß exogene Einwirkungen auf eine Leibesfrucht mit der Folge einer irreversiblen intrauterinen Schädigung, soweit sie nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft überhaupt als relevant angesehen werden können, überbewertet werden. Dabei hat sich Frau Dr. Sch. mit der Fachliteratur auseinandergesetzt. Entscheidend kommt hinzu, daß selbst dann, wenn ein anderes Schockerlebnis auf die Leibesfruchtentwicklung Einfluss nehmen könnte, sich Mißbildungen des Gehirns mit bleibenden psychischen Auswirkungen nach der Gehurt nur bis auf 12. Schwangerschaftswoche vollziehen. Das hat Prof. Dr. D. schon im Jahre 1964 aufgrund von Experimenten als erwiesene Tatsache angesehen, wie aus der Zeitschrift "Ärztliche Mitteilungen” vom 5. Dezember 1964 zu entnehmen ist, die einen aus seiner Feder stammenden Artikel zur Frage der kritischen Phasen der Embryonalentwicklung enthält. Dort heißt es u.a., daß man durch sorgfältige klinische Beobachtungen heute in der Lage sei, auch für den Menschen Entstehungszeitspannen typischer Organmissbildungen anzugeben, die in Bezug auf das Gehirn von der zweiten bis zwölften Woche der Entwicklung reichen. In Wertung dieser klinischen und vergleichenden experimentellen Erfahrung gewinnt die Äußerung Prof. Dr. D. in seinem Gutachten vom 8. Dezember 1966, daß die von der Mutter der Klägerin angehende Zeit der erlittenen schweren körperlichen und seelischen Bedrohungen (Vergewaltigungen) außerhalb der kritischen intrauterinen Phase der Organentwicklung liege, da sie im 5. Monat mit einer Toleranz von zusätzlich 10 bis 18 Tagen erfolgt seien, prozeßentscheidende Bedeutung. Der Senat hat keine Bedenken, diesem Arzt zu folgen, zumal die Gerichtssachverständigen Dr. B. und Dr. M. in ihrem sorgfältig unter Beachtung der bekannten Lehrmeinungen erstellten Gutachten vom 8. November 1969 zur selben Auffassung gelangt sind. Auch sie haben ausgeführt, die Schäden bzw. Gebrechen der Klägerin seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine vorgeburtliche Schädigung zurückzuführen. Das ergebe sich zunächst aus der Unmöglichkeit uncharakteristische Schwachsinnszustände wie die vorliegenden ohne sonstige Begleitkrankheiten oder Anomalien rein von psychopathologischen Befund her nach ihrer Herkunft einzuordnen, ferner aus der in der Wissenschaft bestehenden Unsicherheit in der Frage, ob die als Ursache angeführten psychischen Belastungen der Mutter überhaupt irreversible Schäden verursachen können, schließlich aus der Tatsache, daß die in den Vordergrund gestellten Vergewaltigungen außerhalb der kritischen Phase der Gehirnentwicklung gelegen hätten.
Da sämtliche gehörten Ärzte den Fall der Klägerin übereinstimmend beurteilt haben, bestand für den Senat kein Anlass zu weiterer Beweiserhebung von Amtswegen, auch nicht in Bezug auf die im Klageverfahren nachgeschobene Begründung im Hinblick auf weitere seelische und körperliche Belastungen ihrer Mutter schon von der Empfängnis an bis zu den Vergewaltigungen. Denn insoweit fehlt es bereits an schädigenden Vorgängen infolge unmittelbarer Kriegseinwirkung, so daß sich die Frage eines seelischen Summationstraumas aus Gründen des Gesetzes nicht stellt.
Die Sorge, wegen der näherrückenden Front evakuiert zu werden, welche ihre Mutter bereits seit der Empfängnis bedrückt haben soll, ist nicht unter § 5 Abs. 1 Buchst. b oder c des Bundesversorgungsgesetzes zu subsummieren. Diese Bestimmungen setzen den tatsächlichen Beginn der Evakuierung oder Flucht vor einer aus kriegerischen Vorgängen unmittelbar drohenden Gefahr für Leib oder Leben bzw. behördliche Maßnahmen in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen oder ihrer Vorbereitung und gesundheitsschädigende Einwirkungen durch die besonderen Umstände der Flucht voraus. Begonnen wurde diese Flucht von der Mutter der Klägerin aber erst am 20. Januar 1945, mithin am Ende der elften Schwangerschaftswoche bei der auf Anfang November 1944 festzusetzenden Empfängnis. Zeitlich vorherliegende Dinge sind keine unmittelbare Kriegseinwirkung und müssen bei der Suche nach dem schädigenden Vorgang außer Betracht bleiben, ebenso wie die Sorge der Mutter der Klägerin um ihren wieder an die Front gegangenen Ehemann und – was hier vorweg einzuflechten ist – das Schreckerlebnis bei der im April 1945 empfangenen Nachricht von seinem Tode. Dieses fällt seinem Wesen nach ebenfalls nicht unter gesetzliche Tatbestände des BVG.
Für den Fluchtweg selbst bis zur Ankunft in B., wo dieser beendet war, da die Mutter der Klägerin ihre Absicht ausgeführt hatte, sich zunächst dort bei Verwandten niederzulassen, sind keine Tatsachen vorgetragen worden, die ein schädigendes Ereignis belegen könnten. Körperliche oder nervlich-seelische Schäden in Bezug auf die Schwangerschaft sind nicht dargetan. Nach ihren Angaben war die Mutter der Klägerin zwei Tage im Güterzug unterwegs, mußte sich mithin besonderen Anstrengungen körperlicher Art nicht unterziehen und war auch keinen größeren seelischen Strapazen ausgesetzt als ihre Mitflüchtlinge. Durch besondere Umstände der Flucht verursachte Einwirkungen sind deshalb nicht ersichtlich. Könnten sie zugunsten der Klägerin unterstellt werden, so würde die Anerkennung von Schädigungsfolgen wiederum an der überzeugenden Auffassung der medizinischen Gutachter scheitern.
In und bei B. war die Mutter der Klägerin Belastungen ausgesetzt, die damals jeder Einwohner zu erdulden hatte. Die allgemeine Gefährdung sämtlicher Bevölkerungskreise während des Krieges ist aber ebenfalls keine unmittelbare Kriegseinwirkung i.S. des Gesetzes. Sie hätte im konkreten Fall erheblich gesteigert sein müssen. Dafür ist indessen gleichfalls nichts vorgetragen worden oder ersichtlich. § 5 Abs. 1 Buchst. b ist mithin auch insoweit nicht anzuwenden, da insbesondere die Einwirkung auf den Fötus nicht belegt ist. Das gleiche gilt sinngemäss in Bezug auf § 5 Abs. 1 Buchst. d für die Darstellung des Schockerlebnisses wegen der Teilnahme an der Bestattung gefallener russischer Soldaten, abgesehen davon, daß es sich nach Abschluss der kritischen Phase der Gehirnentwicklung abgespielt hat.
Die Umstände der Geburt der Klägerin sind schließlich auch nicht unter Tatbestände des § 5 Abs. 1 BVG zu subsummieren. Denn es war keine nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge gewesen, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen hatten, daß keine Hebamme zugegen war (§ 5 Abs. 1 Buchst. c). Wie ihre Mutter Frau Dr. Sch. gegenüber am 14. Januar 1964 selbst angegeben hat, soll die Hebamme um ihr Honorar gefürchtet haben und deshalb zunächst nicht gekommen sein. Gleichviel, ob diese auf Hörensagen beruhende Tatsache in diesem Form richtig ist oder nicht, geburtshilfliche Fachkräfte waren jedenfalls im August 1945 in B. bei B. verfügbar. Die ohnehin sehr weit hergeholte Möglichkeit der Annahme eines kriegseigentümlichen Gefahrenbereiches muß damit von vornherein entfallen.
Läßt sich nach alledem ein Rechtsanspruch der Klägerin auf Versorgung nach dem BVG nicht begründen, so steht ihr nach dem Akteninhalt und dem Vorbringen der Beteiligten auch keine Kannversorgung nach § 1 Abs. 3 S. 2 BVG zu. Selbst wenn der Senat zu ihrem Gunsten unterstellt, daß ihr Schwachsinn unter den Katalog der Krankheiten fällt, über deren Ursache in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, was allerdings nach von Frau Dr. Sch. am 3. Februar 1965 geäußerter Auffassung nicht der Fall ist, würde eine Anerkennung mangels ursächlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen schädigendem Vorgang und Gebrechen der Klägerin entfallen. Die dahingehende Auffassung des Beklagten, die vor ihm der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und der Hessische Fachminister vertreten haben, ist angesichts der vorliegenden Gutachten nicht zu beanstanden. Ein Ermessensfehler i.S. des § 54 Abs. 2 S. 2 SGG ist nicht ersichtlich, weshalb sich weitere Ermittlungen auch insoweit erübrigten. Hier gelten die zu § 1 Abs. 2 Buchst. a i.V.m. § 5 Abs. 1 BVG gemachten Ausführungen sinngemäss.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 195 SGG.
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