S 15 SO 92/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Würzburg (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 SO 92/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
I. Der Beklagte wird verpflichtet, den Widerspruch des Klägers vom 17.11.2005 gegen den Bescheid vom 17.10.2005 unverzüglich der Regierung von U. vorzulegen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich vorliegend dagegen, dass bislang über seinen Widerspruch vom 17.11.2005 nicht entschieden worden ist.

I.

Mit Bescheid vom 17.10.2005 gewährte der Beklagte dem Kläger Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII.

Dagegen richtete sich der Widerspruch vom 17.11.2005, wobei vorgetragen wurde, dass Unterkunftskosten falsch berechnet worden seien, Heizkosten unzulässigerweise pauschaliert worden seien und der Bedarf für die kostenaufwendigere Diabeteskost nicht anerkannt worden sei.

Daraufhin teilte der Beklagte unter dem 09.03.2006 mit, dass hinsichtlich der Unterkunftskosten noch eine endgültige Entscheidung des Verwaltungsgerichts W. ausstehe, nachdem diesbezüglich nur ein vorläufiger Beschluss vom 27.07.2004, Az: W 3 E 04.885, existiere. Die Pauschalierung der Heizkosten sei auch bei Selbstzahlern von Brennstoffen zweckmäßig. Ein Mehrbedarf für Diabeteskost könne nicht anerkannt werden, da vorliegend nur der Typ II b attestiert worden sei. Insofern werde dem Widerspruch nicht abgeholfen und der Kläger solle mitteilen, ob er den Widerspruch zurücknehme oder aufrechterhalten wolle. Im letzteren Falle würde der Widerspruch der Regierung von U. zur Entscheidung vorgelegt.

Unter dem 27.04.2006 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass sein Widerspruch aufrechterhalten bleibe. Neben Ausführungen in der Sache wurde um eine Weiterleitung des Vorgangs an die Regierung von U. gebeten.

II.

Mit Schriftsatz vom 18.09.2006 erhob der Kläger Untätigkeitsklage und beantragt: Die Beklagte wird verpflichtet, über den Widerspruch vom 17.11.2005 sachgerecht zu entscheiden.

Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Sperrfrist von 3 Monaten spätestens am 27.07.2006 abgelaufen sei, nachdem das Schreiben mit der Entscheidungsaufforderung bei der Beklagten eingegangen sei. Ein sachlicher Grund für die Nichtbearbeitung sei nicht ersichtlich.

Unter dem 26.10.2006 teilte die Regierung von U. mit, dass in der Angelegenheit des Klägers bislang kein Widerspruch zur Entscheidung vorgelegt worden sei.

Der Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 23.10.2006, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine Weiterleitung des Widerspruchs an die Regierung von U. unterblieben sei. Kernstück des Widerspruchs sei die Nichtanerkennung von Mietausgaben als Bedarf des Klägers. Eine Hauptsacheentscheidung im Hinblick auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts W. vom 23.07.2004, Az: W 3 E 04.885, stehe bis heute aus. Die Verbescheidung sei deshalb abhängig von einer noch ausstehenden, endgültigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts W. Im Übrigen wurden Ausführungen zur Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheides gemacht.

Auf telefonische Anfrage teilte der Beklagte am 26.06.2007 mit, dass der hier gegenständliche Widerspruch bislang noch nicht vorgelegt worden sei. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts W. in der Hauptsache sei ebenfalls nicht bekannt. Das Verwaltungsgericht W. teilte auf Anfrage am 04.07.2007 mit, dass dort kein Verfahren des Klägers anhängig sei.

Die Beteiligten wurden zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 105 SGG durch Gerichtsbescheid gehört. Der Kläger und der Beklagte teilten daraufhin mit, dass Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe.

Abschließend wird auf den Inhalt der Beklagtenakte sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage, über die gemäß § 105 Abs. 1 SGG mit Gerichtsbescheid entschieden werden konnte, hat Erfolg, da sie auch begründet ist.

Der Klageantrag war dahingehend auszulegen, dass es dem Kläger darum geht, dass der Widerspruch vom 17.11.2005 der Regierung von U. zur Entscheidung vorgelegt wird. Eine Entscheidung des Beklagten über den Widerspruch im Sinne eines Widerspruchsbescheides kommt nicht in Betracht, da diesbezüglich die Regierung von U. nach §§ 83, 85 Abs. 2 Nr. 1 SGG i.V.m. Art. 80 Abs. 2 S. 2 AGSG zuständig ist, wie der Kläger selbst vorträgt. Auch eine Abhilfeentscheidung des Beklagten kann nicht mehr begehrt werden, da dieser in seinem Schreiben vom 09.03.2006 ausdrücklich klar gestellt hat, dass dem Widerspruch nicht abgeholfen wird. Allein die dort angekündigte Vorlage des Widerspruchs an die Widerspruchsbehörde hat nicht stattgefunden.

Gemäß § 88 Abs. 2 SGG ist eine Untätigkeitsklage zulässig, wenn über einen Widerspruch nicht in angemessener Frist sachlich entschieden worden ist, wobei als angemessene Frist eine solche von 3 Monaten gilt. Da § 88 SGG gewährleisten soll, dass die Verwaltung den Betroffenen nicht durch Untätigkeit in seinen Rechten beeinträchtigen kann, kann er diese Untätigkeitsklage nur in Form einer sog. Bescheidungsklage geltend machen, also die Verbescheidung seines Widerspruchs beantragen (vgl. dazu Bayr. LSG, Beschluss vom 18.07.2006, Az: L 11 B 727/05 SO mit Verweis auf Leitherer in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 88 Rdnr. 2). Voraussetzung nach § 88 Abs. 2 SGG ist insoweit allein, dass der Kläger Widerspruch erhoben hat. Ob der Widerspruch zulässig ist oder in der Sache Erfolgsaussicht hat, ist dabei unerheblich (vgl. Bayr. LSG, a.a.O.). Der Kläger hat vorliegend diese Voraussetzungen beachtet, denn er hat nach der Widerspruchseinlegung am 17.11.2005 bis zum 18.09.2006 gewartet, um dann seine Untätigkeitsklage zu erheben. Mithin ist die 3monatige Sperrfrist in jedem Fall beachtet worden.

Die vorliegende Fallgestaltung unterscheidet sich insofern von § 88 Abs. 2 SGG, als hier der Widerspruch bislang noch nicht der zuständigen Widerspruchsbehörde vorgelegt worden ist. Wie sich aus § 85 Abs. 2 Satz 1 SGG ergibt, tritt der Devulutiveffekt erst dann ein, wenn die Ausgangsbehörde dem Widerspruch nicht abgeholfen hat und ihn zur Entscheidung der Widerspruchsbehörde vorgelegt hat. Devulutiveffekt in diesem Sinne bedeutet, dass die Entscheidungskompetenz auf die nächsthöhere Behörde übergeht. Dies ist beim Widerspruchsverfahren nicht schon mit der Einlegung des Widerspruchs bei der Ausgangsbehörde der Fall, sondern erst mit der Weiterleitung des Widerspruchs an die Widerspruchsbehörde (nach negativem) Abschluss des Abhilfeverfahrens (vgl. Bayr. LSG, a.a.O., mit weiteren Nachweisen). Vorliegend ist aber gerade die letztere Voraussetzung nicht erfolgt, da sich der Beklagte bislang geweigert hat, den Widerspruch an die Regierung von U. weiterzuleiten. Eine Nichtabhilfeentscheidung dagegen kann jedenfalls im Schreiben vom 09.03.2006 gesehen werden. In einer solchen Fallgestaltung hält es das Gericht für notwendig, die Vorschrift des § 88 Abs. 2 SGG dahingehend anzuwenden, dass mit der Untätigkeitsklage auch gegen die Ausgangsbehörde vorgegangen werden kann, wenn diese sich weigert, den Widerspruch an die zuständige Widerspruchsbehörde weiterzuleiten. Das auf die Verbescheidung seines Widerspruchs gerichtete Klagebegehren des Klägers umfasst deshalb die notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen, deren Erfüllen den Erlass eines Widerspruchsbescheides erst ermöglichen (vgl. dazu ausführlich Bayr. LSG, a.a.O.). Daraus folgt zugleich, dass auch der richtige Beklagte gewählt worden ist.

Schließlich sind auch keinerlei Gründe ersichtlich, die ein weiteres Zuwarten mit der Vorlage des Widerspruchs an die Widerspruchsbehörde rechtfertigen könnte. Soweit der Beklagte vorträgt, dass noch auf eine endgültige Entscheidung des Verwaltungsgerichts W. hinsichtlich der Anerkennung der Unterkunftskosten gewartet werde, hat sich auf Nachfrage des Gerichts herausgestellt, dass kein entsprechendes Verfahren beim Verwaltungsgericht W. anhängig ist. Vielmehr hat es offensichtlich neben dem besagten Eilverfahren, Az: W 3 E 04.885, welches mit Beschluss vom 27.07.2004 entschieden worden ist, kein entsprechendes Hauptsacheverfahren gegeben. Daneben ist anzuführen, dass in der Regel auch das Abwarten des Ausgangs eines anderen Verfahrens kein zureichender Grund für das Nichtweiterbetreiben des Widerspruchsverfahrens wäre (vgl. Leitherer in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 88 Rdnr. 7 b). Schließlich dürften auch weitere Einwände fehlgehen, da der Beklagte im Schreiben vom 09.03.2006 ausdrücklich klargestellt hat, dass er dem Widerspruch vom 17.11.2005 nicht abhilft und bereits eine Vorlage an die Regierung von U. in Aussicht gestellt hat. Allein letztere wurde nicht vorgenommen, so dass es dafür auch keine weiteren Überprüfungen oder Ermittlungen des Sachverhalts bedarf.

Der Klage war damit Erfolg beschieden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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