L 5 V 594/69

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 594/69
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
War ein Sparkassenbeamter schon vor der Schädigung bis zum stellvertretenden Leiter seines Instituts aufgerückt und ist der sogenannte „Dritte Mann” nach dem Kriege geschäftsführender Direktor in dieser Sparkasse geworden, dann ist es wahrscheinlich, daß er im Erlebensfalle stattdessen diesen Posten erreicht hätte. Hierfür sprechen sowohl konkrete Anhaltspunkte als auch die Maßstäbe des durchschnittlichen Berufserfolges.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 24. April 1969 aufgehoben. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Mai 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 1968 verurteilt, der Klägerin Witwenschadensausgleichs unter Eingruppierung ihres Ehemannes in die Besoldungsgruppe A 14 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) ab 1. Januar 1964 zu gewähren.

Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin ist die Witwe des 1901 geborenen und im Februar 1945 bei einem Fliegerangriff ums Leben gekommenen F. P., die Hinterbliebenenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und Witwengeld nach der Besoldungsgruppe A 10 der Landesbesoldungsordnung (LBO) von der Pfälzischen Pensionsanstalt in B. D. erhält.

Am 27. September 1964 beantragte sie beim Versorgungsamt Frankfurt/M. Witwenschadensausgleich. Zum beruflichen Werdegang ihres Ehemannes gab sie unter Überreichung einer Anzahl von Zeugnissen an, er sei nach erfolgreichem Besuch der Volks- und Realschule 1918 als Banklehrling in die P. Bank in N./W. eingetreten und habe ab Januar 1921 als Bankgehilfe dort weitergearbeitet. Nach zwischenzeitlichem Wechsel zu anderen Banken, bei denen er als Bankangestellter, Effektenrevisor und Tresorverwalter gearbeitet habe, sei er Beamter in der Kreissparkasse N./W. geworden, deren stellvertretender Verwalter er ab Februar 1943 gewesen sei.

Nach Beiziehung der Personalakten über den Ehemann der Klägerin von dieser Kreissparkasse erließ das Versorgungsamt den Bescheid vom 17. November 1966, mit dem es ihr Witwenschadensausgleich in gesetzlicher Höhe nach Anrechnung ihres Einkommens unter Eingruppierung ihres Ehemannes als Sparkassenbeamter des gehobenen Dienstes gemäß Besoldungsgruppe A 11 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) gewährte. Das Widerspruchsverfahren, in dessen Verlauf das Versorgungsamt zur Klärung der Behauptung der Klägerin, ihr Ehemann wäre im Erlebensfalle Sparkassenleiter geworden, eine Auskunft von der Kreissparkasse N./W. vom 12. Januar 1967 beizog, blieb erfolglos. Durch Widerspruchsbescheid 9. vom Februar 1967 wurde der angefochtene Bescheid bestätigt. Die hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Frankfurt/M. durch Urteil vom 12. Oktober 1967 ab. Vor dem erkennenden Senat des Hessischen Landessozialgerichts erklärte sich der Beklagte am 24. Januar 1968 bereit, auf Grund einer von Gerichts wegen eingeholten weiteren Auskunft der Kreissparkasse N./W. vom 16. Januar 1968 sowie einer noch zu erwartenden Zeugenmitteilung erneut zu überprüfen, ob der Witwenschadensausgleich dem Begehren der Klägerin gemäß nach Besoldungsgruppe A 14 BBesG errechnet werden könne. Damit sahen die Beteiligten das Verfahren als erledigt an.

Die Klägerin reichte ein Schreiben des Landesbankdirektors i.R. P. F. vom 27. Januar 1968 ein, der es nicht für ausgeschlossen halte, daß ihr Ehemann bei der späteren Neubesetzung große Aussichten auf Übertragung des leitenden Postens gehabt hätte. Demgegenüber stellte das Versorgungsamt in seinem Bescheid vom 10. Mai 1968 fest, es müsse auch nach erneuter Prüfung in Erfüllung der vom der Hessischen Landessozialgericht abgegebenen Erklärung bei der mit Bescheid vom 17. November 1966 getroffenen Regelung verbleiben, weil nicht wahrscheinlich sei, daß ihr Ehemann als Aufstiegsbeamter bis zur Erreichung seines 58. Lebensjahres noch in den höheren Dienst gekommen wäre. Die Kreissparkasse habe lediglich eine Möglichkeit angegeben, der Zeuge F. ebenfalls keine konkreten Angeben gemacht. Selbst wenn unterstellt würde, daß der Ehemann der Klägerin seine vor der Schädigung innegehabte Stellung als stellvertretender Leiter der Kreissparkasse gleich nach dem Kriege oder später nach seiner Entnazifizierung wieder hätte einnehmen können, wäre er nicht mehr in den höheren Dienst aufgerückt. Das sei aus den Bestimmungen der Laufbahnverordnung und der Auskunft der Kreissparkasse vom 16. Januar 1968 zu entnehmen.

Durch Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 1968 wurde dieser Bescheid bestätigt und die dagegen gerichtete Klage mit Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 24. April 1969 zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist das Sozialgericht der Auffassung des Beklagten gefolgt.

Gegen dieses Urteil, das der Klägerin am 7. Mai 1969 zugestellt worden ist, richtet sich ihre am 3. Juni 1969 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Zur Begründung trägt sie vor, es sei nicht entscheidend, daß ihr Ehemann nach der Laufbahnverordnung nur bis zum 58. Lebensjahr in den höheren Dienst hätte aufrücken können. Denn er sei bereits zum Zeitpunkt seines Todes stellvertretender Sparkassenleiter gewesen und wäre bei gesunder Heimkehr mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit schon in den ersten Jahren nach dem Kriege zum Sparkassenleiter befördert worden. Als solcher wäre er seit 1958 in die Besoldungsgruppe A 13, ab 1966 sogar in die Besoldungsgruppe A 15 eingestuft worden.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 24. April 1969 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Mai 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 1968 zu verurteilen, bei der Festsetzung des Witwenschadensausgleichs die Besoldungsgruppe A 14 BBesG zugrundezulegen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend, da es wegen des Alters des Ehemannes der Klägerin und seiner Zugehörigkeit zur NSDAP nicht wahrscheinlich sei, daß er noch Sparkassendirektor geworden wäre.

In der mündlichen Verhandlung am 13. Mai 1970 hat der Senat die Klägerin persönlich angehört. Wegen ihrer Angaben im einzelnen wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen.

Die Akten des Versorgungsamtes Frankfurt/M. mit der Grundlisten – Nr. haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG–). Sie ist auch begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 10. Mai 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 1968 entspricht nicht dem geltenden Recht.

Witwen, deren Einkommen um mindestens 50,– DM geringer ist als die Hälfte des Einkommens, das der Ehemann ohne die Schädigung erzielt hätte, erhalten gemäß § 40 a Abs. 1 BVG in der Fassung des 2. Neuordnungsgesetzes (NOG) einen Schadensausgleich in Höhe von vier Zehntel des festgestellten Unterschiedsbetrages, höchstens jedoch 200,– DM monatlich. Nach dem 3. NOG ist der Höchstbetrag auf 250,– DM monatlich festgesetzt worden. Überdies ist Schadensausgleich schon dann zu gewähren, wenn das Einkommen der Witwe geringer ist als die Hälfte des mutmaßlichen Einkommens ihres Ehemannes. Zur Feststellung des Schadensausgleichs ist gemäß § 40 a Abs. 2 das von der Witwe erzielte Bruttoeinkommen zuzüglich der Grundrente (§ 40 BVG), deren Ausgleichsrente (§ 41 oder §§ 32, 33 BVG) sowie des Zuschlags nach § 41 Abs. 2 mit dem Einkommen des Ehemannes zu vergleichen. Als Einkommen des Ehemannes gilt dabei das Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, der er zu Lebzeiten angehört hat oder ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, seinen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten wahrscheinlich angehört hätte. Als Vergleichsgrundlage zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die amtlichen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes für das Bundesgebiet und die jeweils geltenden beamten- oder tarifrechtlichen Besoldungs- oder Vergütungsgruppen des Bundes maßgebend. Durch § 30 Abs. 7 BVG, der gemäß § 40 a Abs. 4 für die Ermittlung des Schadensausgleichs entsprechend anzuwenden ist, ist die Bundesregelung ermächtigt worden, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung zu bestimmen, welche Vergleichsgrundlage gilt und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens heranzuziehen ist. § 11 der Durchführungsverordnungen (DVO) zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964 und vom 28. Februar 1968 regelt, daß für die Ermittlung des in § 40 a Abs. 2 Satz 2 BVG bezeichneten Durchschnittseinkommens die §§ 2 bis 7 DVO entsprechend anzuwenden sind. Nach § 4 Abs. 1 DVO ist das Durchschnittseinkommen bei Beamten nach dem Endgrundgehalt bestimmter Besoldungsgruppe des BBesG zu errechnen.

Von diesen Vorschriften ausgehend mußte der Senat feststellen, daß der Beklagte den Witwenschadensausgleich der Klägerin in nicht zutreffender Weise berechnet hat, indem er von dem Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 11 BBesG ausgegangen ist. Denn es kommt eine Eingruppierung nach der Besoldungsgruppe A 14 in Betracht, wie sie die Klägerin begehrt hat, weil sich genügend konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben haben, daß ihr Ehemann Leiter der Kreissparkasse N./W. geworden wäre.

Der Beklagte ist in seinem Bescheid vom 10. Mai 1968 zwar zutreffend davon ausgegangen, daß dieser im Erlebensfalle auch nach dem Kriege wieder stellvertretender Leiter der Kreissparkasse N./W. geworden wäre, welchen Posten er vor seiner Einberufung zum Wehrdienst bereits seit Februar 1943 innegehabt hatte. Hierbei hätte er aber nicht stehenbleiben müssen. Denn nach den konkreten Sachumständen des vorliegenden Falles ist es darüber hinaus nicht nur möglich, sondern hinreichend wahrscheinlich, daß er auch unter Beachtung der Vorschriften der Laufbahnverordnung für Landesbeamte des Bundeslandes R./P. noch in den höheren Dienst aufgestiegen wäre. Dafür sprach einmal seine schulische und berufliche Ausbildung, die über der des Durchschnittsparkassenbeamten lag und zum anderen die aktenkundig nachgewiesene fachliche Tüchtigkeit, die schon 1936 zu seiner Beförderung zum Sparkasseninspektor führte. Seine berufliche Laufbahn ging auch in den folgenden Jahren konsequent weiter, wie aus der Tatsache der Aufnahme des Postens eines stellvertretenden Leiters der Kreissparkasse N./W. bereits im Alter von 42 Jahren erhellt in Wertung dieser Fakten und angesichts der schriftlichen Angaben des Landesbankdirektors i.R. F. sowie der glaubhaften mündlichen Angaben der Klägerin in der Verhandlung vor dem erkennenden Senat waren genügend Anhaltspunkte für die den Tenor des Urteils tragende richterliche Meinungsbildung vorhanden.

Der Senat hat dabei nicht verkannt, daß der Ehemann der Klägerin wegen seiner Zugehörigkeit zur ehemaligen NSDAP nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 Schwierigkeiten in seiner Tätigkeit oder sogar eine Unterbrechung hätte hinnehmen müssen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wäre er jedoch in den Jahren 1947/1948 entnazifiziert und dabei auch im Erlebensfalle als sogenannter "Mitläufer” eingestuft worden, wie es posthum wegen der Hinterbliebenenversorgung der Klägerin tatsächlich geschehen ist. Als sogenannter nur nominelles Mitglied der Staatspartei des Hitlerreiches wäre er dann mit ebensolcher Wahrscheinlichkeit schon unter dem Sparkassenleiter H. die "Zweite Hand” gewesen, die er bereits im Jahre 1943 unter Direktor G. gewesen war. Diese Annahme des Senats birgt entgegen der Meinung des Beklagten deshalb mehr in sich als nur eine Möglichkeit, weil der Sparkassenbeamte M., der sogenannte Dritte Mann hinter dem Ehemann der Klägerin, spätestens ab 1948 zum stellvertretenden Leiter und 1951 zum geschäftsführenden Direktor aufgerückt ist. Im Erlebensfalle würde der Ehemann der Klägerin wahrscheinlich dessen Position eingenommen haben, wie dieser nach den glaubhaften Angaben der Klägerin selbst in einem Gespräche mit ihr zugestanden hatte. Da die leitende Stelle in der Kreissparkasse N./W. 1951 ganz offenbar mit einem altgedienten, versierten und mit den Verhältnissen am Ort vertrauter Beamten dieses Instituts besetzt werden sollte und dementsprechend in der Person des H. M. auch besetzt worden ist, hätte in Wertung aller Umstände nichts im Wege gestanden, den Ehemann der Klägerin als den zwei Jahre älteren und mit umfassenderer Schuldbildung ausgestatteten Bankangehörigen mit dieser Aufgabe zu betrauen, zumal er politisch nicht stärker belastet gewesen war als M ... Für den Ehemann der Klägerin hätte entscheidend gesprochen, daß er schon ab 1943 stellvertretender Leiter gewesen war, während dieser hinter ihm rangiert hatte. Bei dieser Konstellation fällt das erreichen der Stellung eines geschäftsführenden Vorstandsmitglieds der Kreissparkasse N./W. in den Rahmen des Wahrscheinlichen und gleichzeitig des durchschnittlichen Berufserfolges der Berufsgruppe, welcher der Ehemann der Klägerin angehört hatte. Denn die Berufung des H. M. einerseits und die Angaben des Landesbankdirektors i.R. F. andererseits machen deutlich, daß das entsprechende Aufrücken für einen überdurchschnittlich qualifizierten und langgedienten Sparkassenbeamten durchaus einzukalkulieren war und keine fernliegende Möglichkeit darstellt.

Der Umstand, daß nach dem Tode des Direktor M. ein nicht demselben Institut angehörender Beamter zu dessen Leiter bestellt worden ist, spricht dabei nicht gegen die Auffassung des Senats. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang einmal die Verhältnisse während der Aufbauphase im Jahre 1951, welche die Leitung durch einen mit den örtlichen Gegebenheiten vertrauten Fachmann verlangte und zum anderen die Tatsache, daß nach dem verhältnismäßig frühen Tode von M. in der Kreissparkasse N./W. offenbar gerader keine geeigneten Bewerber zur Weiterbeförderung bis in die oberste Spitze vorhanden waren.

Nach alledem war der Berufung der Erfolg nicht zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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