L 3 U 220/77

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 4/75
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 220/77
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Beurteilung der Ursächlichkeit einer alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit für einen Unfall ist im Recht der Gesetzlichen Unfallversicherung nicht unbedingt die hypothetische Feststellung erforderlich, ob ein Nüchterner bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre. Wenn im naturwissenschaftlich philosophischen Sinne eine weitere Mitbedingung des Unfalls erwiesen ist, hat ohne diese hypothetische Feststellung eine wertende Abwägung beider Faktoren zu erfolgen, um über ihre Wesentlichkeit für den Unfall zu entscheiden (Anschluß an BSG E 18, 101 ff.).
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 13. Januar 1977 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Hinterbliebenenleistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die Kläger sind die Witwe bzw. die Waisen des im Jahre 1934 geborenen und am 26. August 1974 tödlich verunglückten K. P. (P.). P. war als Lastkraftwagenfahrer bei der Firma K. AG, Filiale M., zum Zwecke der Möbelauslieferung beschäftigt. Am Montag, dem 26. August 1974, beendete er nach der förmlichen Unfallanzeige des Unternehmers vom 29. August 1974 um 18.35 h seine Arbeit und fuhr von der Betriebsstätte in M. mit einem Fahrrad mit Hilfsmotor (Mofa) auf der Bundesstraße (B.) in Richtung seiner Familienwohnung in L ... Er wurde von dem 23-jährigen M. N. (N.) begleitet, der auf einem zweiten Mofa links neben ihm fuhr. Nachdem P. eine Wegstrecke von ungefähr 5 km zurückgelegt hatte, kam er zu Fall und wurde von einem überholenden Lastkraftwagen, der aus einer Zugmaschine und einem Aufleger bestand, (Lkw) überfahren. Durch die dabei erlittene Schädelzertrümmerung trat sofort der Tod ein.

Aus den vor ihr beigezogenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft gegen den Lkw-Fahrer und gegen N. ersah die Beklagte, daß das der Leiche des P. entnommene Blut um 20.45 h eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 2,68 ‰ aufwies. Außerdem war den Aussagen des Lkw-Fahrers und seines Beifahrers sowie einem Gutachten des Kraftfahrzeugsachverständigen K. vom 4. September 1974 zu entnehmen, daß P. und N. in Schlangenlinien nebeneinander gefahren waren, P. rechts und N. in der Straßenmitte. Als den Lkw zum Überholen angesetzt hatte, rief der rief der Beifahrer durchs offene Fenster des Führerhauses, sie sollten hintereinander fahren. N. ordnete sich darauf nach rechts von P. ein. Das Hinterrad des von N. gefahrenen Mofas und das Vorderrad des von P. gefahrenen kamen dabei in eine streifende Berührung. Anschließend stürzte nach links auf die Fahrbahn.

Aufgrund dessen lehnte es die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 4. Dezember 1974 ab, den Klägern Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Zur Begründung führte sie aus, der Zusammenhang mit dem Unternehmen und damit auch der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung sei durch die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des P. aufgehoben gewesen. Diese Fahruntüchtigkeit sei rechtlich die allein wesentliche Ursache des Unfalls. Ohne sie hätte sich P. auf das Überholmanöver des N. einstellen und einer Kollision ausweichen können.

Gegen diesen am 4. Dezember 1974 zur Post gegebenen Bescheid haben die Kläger am 3. Januar 1975 Klage beim Sozialgericht Darmstadt (SG) erhoben. Am 2. April 1976 hat das Amtsgericht Michelstadt das Strafverfahren gegen den Lastkraftwagenfahrer gem. § 153 a StPO vorläufig eingestellt und N. wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger alkoholbedingter Verkehrsgefährdung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monates, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt (Az.: 6 Ls 66/75). Auf die Berufung des N. hat das Landgericht Darmstadt am 4. November 1976 auch das Verfahren gegen N. gem. § 153 a StPO vorläufig eingestellt.

Nach Beiziehung der Strafakten des Landgerichts Darmstadt gegen N. hat das SG die Beklagte mit Urteil vom 13. Januar 1977 unter Abänderung des Bescheides vom 4. Dezember 1974 verurteilt, aus Anlaß des Unfalls des Ehemannes der Klägerin zu 1) vom 26. August 1976 die gesetzlichen Leistungen zu erbringen. Es ist davon ausgegangen, die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des P. sei nicht die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen. Auch die Fahrweise des Sattelzuges und die des N. seien als wesentliche Mitbedingungen dieses Unfalls anzusehen.

Gegen dieses ihr am 28. Januar 1977 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25. Februar 1977 die zugelassene Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Im Berufungsverfahren sind die Strafakten des Landgerichts Darmstadt gegen N. beigezogen, beglaubigte Fotokopien von den wesentlichen Teilen angefertigt und zur Gerichtsakte genommen (Bl. 63–102) sowie schriftliche Sachverständigengutachten des Nervenarztes Dr. med. D. K. vom 30. Oktober 1977 (Bl. 114–135 GA) und des Sachverständigen für Kraftfahrzeugunfallursachen Prof. Dr. Ing. F., D., vom 16. Mai 1978 (Bl. 160 bis 167 GA) eingeholt worden. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt dieser Gutachten Bezug genommen.

Die Beklagte führt aus, das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätige, daß die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des P. rechtlich die allein wesentliche Ursache des tödlichen Unfalls gewesen sei. Nach der Erfahrung des täglichen Lebens sei davon auszugehen, daß ein nicht unter Alkoholeinfluß stehender Verkehrsteilnehmer bei gleicher Sachlage nicht verunglückt wäre. Nach Dr. D. wäre es ohne die starke Alkoholisierung des P. nicht zu einem solchen Unfall gekommen und Prof. F. habe bekräftigt, daß ein nüchterner, reaktionsfähiger Zweiradfahrer wahrscheinlich dem Mofa des N. durch Lenken nach rechts ausgewichen wäre und so die sturzbringende Streifkollision vermieden hätte.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 13. Januar 1977 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie tragen vor, N. habe sein Mofa verkehrswidrig und höchst gefährlich so in die von P. vorschriftsmäßig eingehaltene Fahrspur gelenkt, daß es zur Streifkollision gekommen sei, die allein den Sturz verursacht habe. Das sei durch das Gutachten von Prof. F. erwiesen. Dr. D. habe dementsprechend das Verhalten des N. zutreffend als wesentliche Mitbedingung für den Unfall neben der Fahruntüchtigkeit des P. gewertet. Daraus folge, daß der Versicherungsschutz für P. nicht aufgehoben gewesen sei. Wenn Prof. F. darüber hinaus die Meinung vertrete, ein nüchterner reaktionsfähiger Mofafahrer wäre wahrscheinlich dem Mofa des N. rechtzeitig ausgewichen und hätte somit die sturzbringende Streifkollision vermeiden, dann bringe er damit nicht mehr als eine Möglichkeit zum Ausdruck.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die im Hinblick auf die Zulassung durch das SG uneingeschränkt statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und somit zulässig.

Sie ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das SG den zulässigen Klagen stattgegeben. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig. Der klagenden Witwe und den klagenden Waisen, von denen die letzteren zum Zeitpunkt des Todes von P. noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatten, stehen dem Grunde nach Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu (§§ 589 Abs. 1, 590, 591, 595 RVO), weil P., ein bei der Beklagten Versicherter, den Tod durch einen Arbeitsunfall erlitten hat (§ 589 Abs. 1 RVO). Zum Unfallzeitpunkt am 26. August 1974 gegen 19.00 h stand er unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 550 Abs. 1 RVO).

Hierzu stellt der Senat zunächst fest, daß P. vor Antritt der Unglücksfahrt von M. in Richtung L. ersichtlich alkoholtypische Ausfallerscheinungen zeigte. Nach dem Verlassen des Möbelwagens bei der Rückkehr von der Wohnung des N. schwenkte er erheblich und auch auf dem Mofa fuhr er anfangs im Stadtgebiet von M. auffällige Schlangenlinien, so daß N. sich dadurch veranlaßt sah, zu seinem Begleitschutz mit dem Mofa neben ihm herzufahren. Diese Feststellungen beruhen auf den insoweit glaubhaften Einlassungen beruhen auf den insoweit glaubhaften Einlassungen des N. als Angeklagter vor dem Amtsgericht Michelstadt am 2. April 1976 und auf den Feststellungen dieses Gerichts im Urteil vom selben Tage (Az.: 6 Ls 66/75). Die Beteiligten haben übereinstimmend zu erkennen gegeben, daß sie die im strafgerichtlichen Verfahren getroffenen Feststellungen auch im Verfahren vor dem Senat gelten lassen wollen, soweit diese mit den Beweiserhebungen im sozialgerichtlichen Verfahren vereinbar sind. Insofern ersetzen sie eine eigene Beweisaufnahme durch den Senat (vgl. BSG., Urteil vom 20. Mai 1976, 8 RU 98/75). Das vom Gleichgewichtsschwankungen geprägte Verhalten des P. und die bei ihm um 20.45 Uhr gemessene BAK von 2,68 ‰ rechtfertigen die Feststellung, daß er im Zeitpunkt des Unfalls gegen 19.00 Uhr alkoholbedingt fahruntüchtig gewesen ist. Der Senat stützt sich dafür auch auf das überzeugende Gutachten des Dr. D ... Obwohl es für Mofa-Fahrer keinen allgemeinen BAK-Grenzwert der alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit gibt, hierin stimmt der Senat dem BSG (vgl. Urteil vom 29. Mai 1973 – 2 RU 117/71) zu, lassen die übrigen genannten Beweisanzeichen diesen Schluß im vorliegenden Falle zu.

Trotzdem ist dieser alkoholbedingte Zustand der Fahruntüchtigkeit rechtlich gesehen nicht die allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen. Das ebenfalls alkoholbeeinflußte Verhalten des N. als Fahrer des zweiten Mofas stellte eine weitere wesentliche Mitbedingung des Unfalls dar. Das hat zur Folge, daß der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung für P. nicht entfallen ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des zweiten Senats des BSG (vgl. BSGE 12, 242 ff.; 35, 216, 217), der sich der erkennende Senat und auch der 8. Senat des Bundessozialgerichts angeschlossen haben (vgl. BSGE 38, 127, 128), läßt der Alkoholeinfluß der Versicherten den Unfallversicherungsschutz nur dann entfallen, wenn dessen alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit die unternehmensbedingten Umstände derart in der Hintergrund drängt, daß sie die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls ist. Dabei reicht es für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich aus daß die entscheidenden Umstände und ihre (Mit-)Ursächlichkeit wahrscheinlich sind (vgl. BSG, Urteil vom 20. Januar 1977, 8 RU 52/76). Grundlage dieser Rechtsprechung ist das Urteil des BSG vom 30. Juni 1960 (2 RU 86/56 in BSGE 12, 242 ff.), in dem der 2. Senat des BSG seine frühere Auffassung, der durch Alkoholeinfluß fahruntüchtige Kraftfahrer habe ohne Rücksicht auf sein Verhalten im Einzelnen den ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit verloren, aufgegeben hat. In tatsächlicher Hinsicht war dafür folgende Überlegung ausschlaggebend: Ein Kraftfahrer, der infolge Alkoholbeeinflussung sein Fahrzeug nicht mehr verkehrssicher führen, aber immerhin noch fahren kann, ist einem im Zustand des Vollrausches befindlichen und deshalb arbeitsunfähigen Versicherten rechtlich nicht gleichzustellen; denn bei jenem ist – im Unterschied zum Volltrunkenen – die Durchführung einer vernünftigen und zweckgerichteten Arbeit nach der Erfahrung des täglichen Lebens nicht ausgeschlossen. Rechtlich knüpft das BSG an dem Grunderfordernis des ursächlichen Zusammenhangs als Voraussetzung für die Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung an. Dieser Ursachenzusammenhang fehlt nach dem hier geltenden Begriff der wesentlichen Mitverursachung erst dann, wenn die Fahruntüchtigkeit infolge betriebsfremder Alkoholbeeinflussung für den Eintritt des Unfalls die einzige rechtlich wesentliche Ursache gewesen ist. Dazu hat das BSG vorangestellt, daß der Begriff der rechtlich wesentlichen Ursache ein Wertbegriff ist; die Frage, ob eine Mitursache für den Erfolg wesentlich ist, beurteilt sich nach dem Wert, den ihr die Auffassung des täglichen Lebens gibt (vgl. BSG, Urt. v. 30.6.1960, a.a.O.). Diese Bewertung kann auf verschiedene Arten erfolgen, je nach dem, ob anteilige Mitursachen in Einzelfall mit Wahrscheinlichkeit erweisen oder nur als möglich in Betracht zu ziehen sind. Zum ersteren hat das BSG in seinem Urteil vom 30. Oktober 1962 (2 RU 205/61 in BSGE 18, 101 ff.) klargestellt, daß er unter diesen Voraussetzungen nur der reinen Abwägung bedarf, ob die alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit gegenüber einer anderen festgestellten Mitursache (z.B. der Fahrweise eines zweiten Verkehrsteilnehmers) als die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls zu werten ist. Sind dagegen die Unfallursachen noch nicht hinreichend aufgeklärt, dann hat es das BSG sowohl zur Ermittlung der Unfallursachen als auch zur Bewertung der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit in seiner Beziehung zum Unfall neben den betriebsbedingten Umständen die Erwägungen für dienlich gehalten, ob nach der Erfahrung des täglichen Lebens davon auszugehen ist, daß ein nicht unter Alkoholeinfluß stehender Verkehrsteilnehmer bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre (vgl. Urt. v. 30.10.1962, a.a.O.). Zu dieser Erkenntnis ist das BSG im Falle eines Fahrradfahrers gekommen, der mit einer BAK von 2,34 ‰ sein Fahrrad über eine 9 m breite Straße geschoben hatte und auf deren Mitte von einem mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h von rechts her kommender Pkw angefahren worden. Zwar hatte das BSG in demselben Fall mit seinem zurückverweisenden ersten Urteil vom 21. September 1960 (2 RU 33/58 in SozR Nr. 31 zu § 542 RVO a.F.) den LSG aufgegeben zu prüfen, ob die alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit des Versicherten die allein rechtlich wesentliche Ursache für das Zustandekommen des Unfalls gewesen sei: Das werde in der Regel der Fall sein, wann der Erfahrung des täglichen Lebens davon auszusehen sei, daß der Verkehrsteilnehmer ohne Alkoholbeeinflussung bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre. In seinem zweiten Urteil in dieser Sache vom 30. Oktober 1962 (2 RU 205/61, a.a.O.) hat das BSG aber die auch ohne diese Prüfung erfolgte Bejahung des wesentlichen ursächlichen Zusammenhangs mit dem Betrieb durch das LSG als rechtlich zutreffend bestätigt. Ausdrücklich hat es unter Hinweis auf sein Urteil in BSGE 12, 242 ff., mit der oben wiedergegeben Begründung erklärt, nach Lage des Falles habe kein Anlaß bestanden zu prüfen, ob der Versicherte auch verunglückt wäre, wenn er nicht unter Alkohol gestanden hätte. Das BSG nimmt auch noch in seinen jüngeren Urteilen auf diese Entscheidung Bezug (vgl. Urteile vom 29.5.1973 – 2 RU 17/71 – und vom 20.9.1977 – 8 RU 18/77 –).

Im Hinblick auf diese Rechtsauffassung stellt der Senat fest: Der 40-jährige P. war als Möbelauslieferungsfahrer beschäftigt. Seine Tätigkeit bestand außer im Fahren des Lkw darin mitzuhelfen, schwere und leichte Möbel auf den Lkw zu heben und wieder abzuladen, sie in die Wohnung der Kunden zu tragen und dort aufzustellen. Am Montag, dem 26. August 1974, begann er an der Betriebsstätte um 9.00 Uhr seine Tätigkeit. Dementsprechend früher hatte er von seiner Familienwohnung in L. mit dem Mofa losfahren müssen, um über die B. den Betrieb seines Arbeitgebers in dem ungefähr 10 km entfernten M. zu erreichen. Gegen 16.00 Uhr lieferte P. zusammen mit einem Mitarbeiter einen 3,50 m breiten Wohnzimmerschrank in die Wohnung des N. in E ... Der Mitarbeiter fuhr den Lkw und P. war Beifahrer. Der Schrank wurde in das 6. Stockwerk getragen und dort in der Wohnung des N. aufgestellt. N. spendierte hauptsächlich Bier, das vornehmlich von P. und N. schon während des Möbelaufstellens getrunken wurde. P. und sein Mitarbeiter arbeiteten dort bis kurz nach 18.00 Uhr. Dann wurde der Lkw, gesteuert vom Mitarbeiter des P., zur Betriebsstätte in M. gefahren. Diese Feststellung beruhen auf den Ermittlungen der Beklagten beim Unternehmer und den auch insoweit glaubhaften Einlassungen des N. als Angeklagter vor dem Amtsgericht Michelstadt am 2. April 1976 (Az.: 6 Ls 66/75).

Gegen 18.35 Uhr trat P. von dort aus einem Mofa den Heimweg über die B 47 an. N., der ebenfalls mit einem Mofa nach Michelstadt gefahren war, sah in Michelstadt-Steinbach den P. mit dem Mofa auf der B. fahren. Da dieser Schlangenlinien fuhr und offensichtlich unter Alkoholeinfluß stand, holte N. ihn mit seinem Mofa ein und fuhr links neben ihm als Begleitschutz, um ihn auf Gefahren aufmerksam zu machen und ihn davor zu bewahren. N. hatte zu dieser Zeit eine BAK von 1,07 bis 1,2 %o. In dieser Formation, P. rechts fahrend und N. links davon fast in die Mitte, nahmen beide Mofas fast die ganze rechte Fahrbahnhälfte der 6 m breiten B. ein. Da sie außerdem in leichten Schlangenlinien fuhren, behinderten sie über längere Zeit hinweg den nachfolgenden Verkehr, der ihretwegen mit erheblich verminderter Geschwindigkeit fahren mußte. Nachdem es einem Omnibus und einem Pkw gelungen war, P. und N. zu überholen, schickte sich auch der folgende 2,50 m breite und 15 m lange Lkw an, die beiden ungefähr 60 m vor ihm fahrenden Mofas zu überholen. Kurz vor R. P. war etwa 5 km gefahren, scherte der Lkw auf die linke Fahrbahn aus, beschleunigte auf über 50 km/h und näherte sich P. und N., die eine Geschwindigkeit zwischen 20 km/h und 27 km/h einhielten. Der Fahrer des Lkw empörte sich über das verkehrswidrige Nebeneinanderfahren der beiden, hupte und bat seinen Beifahrer, er möge sie auffordern, hintereinander zu fahren. Dieser öffnete das Fenster und rief den noch nicht eingeholten Mofa-Fahrern zu, sie sollten hintereinander fahren. Daraufhin wollte N. den P. überholen und sein Mofa vor das des P. setzen. Dabei scherte er zu früh nach rechts ein, das Hinterrad seines Mofas geriet mit dem Vorderrad des von P. gefahrenen in eine Streifberührung, P. stürzte dadurch nach links auf der Fahrbahn und sein Kopf wurde von der hinteren rechten Zwillingsreifen des inzwischen gerade mit einer Geschwindigkeit von ca. 56 km/h vorbeifahrenden Lkw überfahren. Durch Schädelzertrümmerung trat sofort Tod um 19.00 Uhr ein. Diese Feststellungen beruhen auf dem Inhalt der beigezogenen Strafakten, insbesondere den Feststellungen des Polizeikommissariats E., den Aussagen des Lkw-Beifahrers K., den Einlassungen der Angeklagten B. (Lkw-Fahrer) und N. vor dem Amtsgericht Michelstadt und den Feststellungen des Kraftfahrzeugsachverständigen Ing. K., D., sowie dem in diesem Verfahren eingeholten Gutachten des Gerichtssachverständigen Prof. F. und der Straßenkarte D. und Umgebung, Maßstab 1:100.000, Mairs-Geographischer-Verlag.

Daraus und aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens folgt, daß unmittelbare Bedingung des Sturzes die Streifberührung der beiden Mofas war. Ihr Eintritt hatte zwangsläufig den Sturz des P. zufolge. Das ist durch das überzeugende Gutachten von Prof. F. erwiesen. Diese Streifberührung wurde unmittelbar durch zwei nebeneinander wirkende Umstände herbeigeführt: Einerseits durch das Verhalten des fahruntüchtigen P ... Er führte im Unfallzeitpunkt zwar sein Fahrzeug ohne wesentliche Seitenabweichungen geradeaus 0,75 m vom rechten Straßenrad, war aber nach den überzeugenden Ausführungen des Dr. D. wegen des Alkoholeinflusses in seiner Fähigkeit wahrzunehmen, die Wahrnehmung zu verarbeiten und schnell zu reagieren, erheblich herabgesetzt. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, daß er wahrscheinlich dasjenige Ausweichmanöver unterlassen hat, das nach dem Gutachten des Prof. F. technisch möglich gewesen wäre, um die Streifberührung zu vermeiden. Zum anderen wirkte das Verhalten des ebenfalls alkoholisierten N. mit das durch das Herannahen des Lkw, das Hupen und den Zuruf des Beifahrers beeinflußt wurde. Prof. F. hat überzeugend die Wahrscheinlichkeit dargelegt, daß N. als er nach dem Zuruf des Lkw-Beifahrers P. überholte, zu früh nach rechts einscherte und ebenfalls zu früh die Geschwindigkeit seines Mofas zurücknahm, weil er glaubte, er fahre bereits in sicherem Abstand vor P. Daraus erklärt sich zwanglos die von Landeskriminalamt Wiesbaden ermittelte geringere Geschwindigkeit des Mofas von N. im Zeitpunkt der Streifkollision. Soweit N. und die Lkw-Fahrer eine davon etwas abweichende Situation geschildert haben, sind sie wahrscheinlich Täuschungen der Optik und der Erinnerung unterlegen. Den Feststellungen der Polizei und den darauf aufbauenden Berechnungen von Prof. F. ist insoweit der Vorzug zu geben.

Beide dargestellten Mitbedingungen haben im Rechtssinne die Streifkollision verursacht, in dem sie wesentlich dazu beigetragen haben. Dies folgt aus einer Abwägung beider Faktoren in ihrer Bedeutung für den Unfall. Da die ursächliche Wirkung beider zumindestens im naturwissenschftlich-philosophischen Sinne festgestellt ist, diejenige der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit des P. aufgrund des Gutachtens von Dr. D. und diejenige des Verhaltens von N. durch des Gutachten des Prof. F. ist es nicht zusätzlich erforderlich, eine hypothetische Betrachtung über das Verhalten Nüchterner bei gleicher Sachlage anzustellen (vgl. BSG, Urt. v. 30.10.1962, a.a.O.). Die anspruchsbegründende Wirkung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall darf nach einer positiven Feststellung der ursächlichen Wirkung betriebsbedingter Umstände nicht entgegen den festgestellten Tatsachen dadurch ausgeschaltet werden, daß man allein eine hypothetische Betrachtungsweise gelten läßt, um danach die Wesentlichkeit der festgestellten Mitbedingungen für den Erfolg zu ermessen.

Entscheidend für die wertende Abwägung beider Faktoren gegeneinander ist im vorliegenden Falle die straßenverkehrsrechtliche Einordnung des Verhaltens von P. und N. als Teilnehmer am Straßenverkehr. Abgesehen davon, daß P. sein Mofa strafbarerweise in einem alkoholbedingt fahruntüchtigen Zustand fuhr (§ 315 c Abs. 1 a und Abs. 3 Nr. 2 StGB), verhielt er sich im Unfallzeitpunkt im wesentlichen Maße verkehrsgerecht, wie oben dargelegt ist. Daß er – alkoholbedingt – durch Unterlassen eines objektiv geeigneten Ausweichmanövers gegen die Generalvorschrift des § 1 StVO verstieß, ist demgegenüber und gemessen an dem verkehrswidrigen Handeln des N. von untergeordneter Bedeutung und darf hier vernachlässigt werden. N. dagegen, der ebenfalls strafbar unter Alkoholeinfluß fuhr (§ 315 c Abs. 1 a und Abs. 3 Nr. 2 StGB), verhielt sich in erheblich höherem Maße verkehrswidrig, als er P. überholte und sich zu früh in dessen Fahrspur einordnete, so daß er zur sturzbringenden Streifkollision kam. Er verstieß sowohl gegen § 5 Abs. 4 StVO als auch gegen § 1 StVO, indem er beim Überholen den P. behinderte. Dieses verkehrswidrige Verhalten des N., das ursächlich für den Sturz des P. war, hatte neben dem Verhalten des fahruntüchtigen P. eine annähernd gleichwertige Bedeutung für dem Unfall. Auch der medizinische Sachverständige Dr. D. hat diese Meinung vertreten. P. hat über 5 km hinweg unter Beweis gestellt, daß er trotz seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit doch noch in der Lage gewesen ist, eine vernünftige und zweckgerichtete Tätigkeit auszuüben. Da er zum Zeitpunkt des Unfalls außer gegen § 1 StVO gegen keine weitere Verkehrsvorschrift verstoßen hat, ist seinem Verhalten nicht eine derartige Bedeutung bei zumessen, daß dadurch das verkehrswidrige mitursächliche Verhalten des N. entscheidend in den Hintergrund gedrängt würde. Der Senat verweist hierzu auf die vergleichbaren vom BSG entschiedenen Fälle in dessen Urteilen von 30. Oktober 1962 (a.a.O.) und vom 20. September 1977 (8 RU 18/77). Das gilt besonders für den am 30. Oktober 1962 entschiedenen Fall und die dort vorgenommene Ursachenabwägung. Aber auch zu dem am 20. September 1977 entschiedenen Fall ist in der Pressemitteilung des BSG Nr. 62/77 ausgeführt: "je weiter er (der Versicherte) sich alkoholbedingt zur Fahrbahnmitte hin aufgehalten hat, desto gefährlicher wurde – gerade im Hinblick auf den herrschenden starken Nebel – die Situation für ihn und desto geringer kann ggf. das Fehlverhalten des Pkw-Fahrers gewertet werden, wenn dieser sich im übrigen verkehrsgerecht verhalten hat”. Hier sind diejenigen Überlegungen aufgezeigt worden, von denen sich auch der Senat hat leiten lassen.

Dem steht auch nicht entgegen, daß der alkoholisierte Zustand des P. für N. das Motiv war, P. zu begleiten und es sonst nicht zu der Streifkollision und um Unfall gekommen wäre. Es sind nicht alle, auch mittelbaren Faktoren im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne gegeneinander abzuwägen, sondern nur diejenigen Mitbedingungen des Unfalls, die aufgrund ihrer engen Beziehung zum Unfall im Vordergrund stehen und deshalb als wesentlich in Betracht kommen. Das sind hier nur die beiden genannten Mitbedingungen.

Hilfsweise ist festzustellen: Es ist nicht wahrscheinlich, daß P. in nüchternem Zustand nach der Erfahrung des täglichen Lebens den Mofa des N. ausgewichen und deshalb nicht gestürzt wäre. Mehr als eine rechtlich unbedeutende Möglichkeit in diesem Sinne ist durch die konkret erwiesenen Umstände nicht begründet. Mit dem Gerichtssachverständigen Prof. Dr. F. hält es der Senat zwar für grundsätzlich möglich, daß P. im Vollbesitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte in der Lage gewesen wäre, dem N. auszuweichen und dadurch eine Streifkollision zu vermeiden. Andererseits kann die Bedeutung der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit des P. für die erfolgte Streifkollision nur unter Berücksichtigung aller Umstände gerecht beurteilt werden. P. war vierzig Jahre alt und stand am Ende eines 10-stündigen Arbeitstages. Die Verkehrslage war von dem Überholmanöver des großen Lkw beherrscht, der sich durch vermehrten Motorlärm, Hupen und den Zuruf des Beifahrers, vorschriftsmäßig hintereinander zu fahren, auch für nichtalkoholisierte Mopedfahrer deutlich bemerkbar machte. Es ist allgemein bekannt, daß es im Hinblick auf die ungleichen Größenverhältnisse für jeden Zweiradfahrer eine geistige Anspannung bedeutet, von einem großen Lkw überholt zu werden. Hupen und Zurufe, verkehrswidriges Fahren zu unterlassen, sind geeignet, die Anspannung zu verstärken. In diese die Aufmerksamkeit eines jeden Zweiradfahrers in Anspruch nehmende Verkehrslage schob sich aus der Sicht des P. ein Verkehrshindernis, das neben dem Einstellen auf das Überholen des Sattelzuges ein gesondertes Anpassungsmanöver verlangte. Es war das von N. gefahrene Mofa, welche vorschriftswidrig seine Fahrspur, die 75 cm neben dem äußersten rechten Straßenrand verlief, schnitt. Diese Umstände sprechen dafür, daß P. auch in nüchternem Zustand die von N. ausgehende Gefahr möglicherweise nicht rechtzeitig bemerkt und nicht durch eine besondere Reaktion die Streifkollision vermieden hätte. Selbst wenn er sie rechtzeitig bemerkt hätte, ist zu berücksichtigen, daß gerade dem alkoholbeeinflußten Fahrverhalten des N. eine Unberechenbarkeit innewohnte. Möglicherweise hätte er auch ohne Alkoholeinfluß so sehr auf das Überholen des Lkw und die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes zu diesem konzentriert gewesen sein können, daß er mangels rechtzeitiger Wahrnehmung oder Reaktion außerstande gewesen wäre, dem sich plötzlich vor ihn schiebenden Mofa des N. auszuweichen. Diese für die Unvermeidbarkeit der Streifkollision auch im Falle des fehlenden Alkoholeinflusses bei P. sprechenden Umstände sind so gewichtig, daß sie gleichbedeutend sind mit der im nüchternem Zustand vorhandenen allgemein technischen Beherrschbarkeit der unmittelbar vor dem Unfall bestehenden Gefahrensituation, wodurch ein Unfall vermieden worden wäre. Nach alledem ist es lediglich möglich, nicht aber wahrscheinlich, daß P. ohne seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit die Streifkollision vermieden hätte.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG, diejenige über die Zulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 SGG. Das BSG hat damit auch Gelegenheit, seine Entscheidung vom 30. Oktober 1962 (2 RU 205/61, a.a.O.), zu überprüfen.
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Aus
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