L 3 U 9/79

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 4 U 349/68
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 9/79
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 BU 92/81
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 25. Oktober 1972 wird als unzulässig verworfen.

II. Der Bescheid vom 24. Juni 1974 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 1967 bis zum 31. Dezember 1968 die Verletztenrente monatlich in Höhe von 67,50 DM anstelle von 66,30 DM zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten im ersten Rechtszuge ganz und im Berufungsverfahren L 3/U – 9/79 zu 1/10 zu erstatten. Im übrigen haben sich die Beteiligten keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes – JAV – der von der Beklagten zu gewährenden Verletztenrente wegen eines Arbeitsunfalles, den der Kläger am 29. September 1966 im Obstbaubetrieb seiner Mutter erlitten hat. Bei der Apfelernte war er von einer Leiter rücklings hinabgestürzt. Als Folgen dieses Arbeitsunfalles bestehen noch heute:

1) Impotentia coeundi

2) Sthenisch-asthenisch abnorme Persönlichkeitsentwicklung als Ausdruck einer seelischen Fehlverarbeitung.

Kein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Unfallereignis.

3) Geringfügiges, persistierendes Schmerzsyndrom nach BWS-Schädigung.

Deswegen wird eine Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – um 25 v.H. hervorgerufen.

Der 1933 geborene Kläger war nach der mittleren Reife zunächst bei der Firma H. AG von 1958 bis 1959 als Biologie-Laborant tätig und besuchte sodann von 1959 bis 1961 das Hessen-Kolleg, wobei er in dieser Zeit ohne eigenes Arbeitseinkommen war. Danach begann er am 17. Oktober 1961 an der früheren Fakultät für Naturwissenschaften der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main ein Studium in den Fächern Biologie und Leibeserziehung, das er schließlich am 31. Oktober 1966 beendete.

Mit Bescheid vom 5. August 1968 stellte die Beklagte eine Verletztenrente ab dem 1. April 1967 nach einer MdE um 20 v.H. und ab dem 15. November 1967 die Dauerrente (negativ) nach einer MdE um 10 v.H. fest. Als JAV setzte sie das 300fache des Ortslohnes der Ortslohngruppe II für männliche Versicherte mit insgesamt 4.770,– DM fest.

In dem darauf angestrengten sozialgerichtlichen Verfahren änderte das Sozialgericht Frankfurt am Main – SG – den Bescheid am 25. Oktober 1972 (S-4/U – 349/68) ab und verurteilte die Beklagte, dem Kläger bis zum 30. September 1967 Verletztengeld und ab 1. Oktober 1967 Verletztenrente nach einer MdE um 25 v.H. zu gewähren. Im übrigen wies es die Klage ab. Im sich anschließenden Berufungsverfahren machte der Kläger vor dem Hessischen Landessozialgericht (L-3/U – 16/73) geltend, daß er bei dem Arbeitsunfall nicht als mithelfender Familienangehöriger tätig geworden sei und daher ein höherer JAV, nämlich nach dem eines Lehrers an Höheren Schulen, anzunehmen sei. Die Beklagte erließ in diesem Verfahren den Bescheid vom 24. Juni 1974, mit dem sie den ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 5. August 1968 aufhob und die Verletztenrente ab dem 1. Oktober 1967 bei einem JAV mit 4.770,– DM nach einer MdE um 25 v.H. feststellte. Nachdem der Kläger zuletzt nur noch diesen Bescheid angefochten hatte, änderte das Hessische Landessozialgericht (HLSG) diesen am 13. August 1975 ab und verurteilte die Beklagte, die Verletztenrente ab dem 1. Oktober 1967 noch einem gemäß § 573 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung – RVO – zu errechnenden JAV zu gewähren.

Mit Urteil vom 31. Oktober 1978 (2 RU 87/76 in E 47, 137) hat das Bundessozialgericht – BSG – das Urteil des HLSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. In den Entscheidungsgründen hat es im wesentlichen ausgeführt: Zunächst sei festzustellen, bis zu welchem Zeitpunkt der Kläger sich ohne den Arbeitsunfall voraussichtlich in Berufsausbildung befunden haben würde. Liege die voraussichtliche Beendigung der Berufsausbildung nach dem 1. Oktober 1967, so sei über die Berechnung des JAV nach den §§ 571 bis 578 RVO für die Zeit vor und nach der voraussichtlichen Beendigung der Berufsausbildung getrennt zu entscheiden. Eine neue Berechnung des JAV für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung gemäß § 573 Abs. 1 RVO i.V.m. § 576 Abs. 1 RVO erfordere ferner die Feststellung, daß diese Berechnung zu einem günstigeren JAV führe als für die Zeit bis zum voraussichtlichen Ende der Berufsausbildung. Als Berufsausbildung gelte auch der Vorbereitungsdienst eines Studienreferendars.

Es ist im erneuten Berufungsverfahren der Sachverhalt weiter aufgeklärt worden durch die Beiziehung der Auskünfte des Wissenschaftlichen Prüfungsamtes für die Lehrämter an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in F. vom 24. Oktober und 17. Dezember 1979, des Prof. Dr. R. (F.) vom 10. und 30. Dezember 1979, des Regierungspräsidenten in D. vom 3. März 1980 sowie der Firma H. AG vom 30. Oktober 1979. Letztere hat mitgeteilt, daß der Kläger in der Zeit seiner Tätigkeit als Biologie-Laborant vom 1. April 1958 bis zum 31. März 1959 insgesamt nach Tarifgruppe T II des Tarifvertrages der Chemischen Industrie Hessen 6.395,40 DM brutto verdient habe. Würde er diese Tätigkeit noch in der Zeit vom 29. September 1965 bis zum 28. September 1966 ausgeübt haben, so würden sich die Gesamtbruttobezüge in diesem Zeitraum auf rund 16.650,– DM belaufen haben. Das Wissenschaftliche Prüfungsamt und der Regierungspräsident haben angegeben, daß der Kläger nach der Meldung zur 1. Staatsprüfung am 18. April 1967 diese am 4. Dezember 1967 bestanden habe. Als Studienreferendar sei er vom 15. Februar 1968 bis zum 15. Juli 1969 in der weiteren Ausbildung tätig gewesen, wobei er einen Unterhaltszuschuß bekommen habe. Dieser habe sich für die Zeit vom 15. Februar bis 31. März 1969 auf 857,– DM (456,– DM Grundbetrag, 167,– DM Verheiratetenzuschlag, 184,– DM Alterszuschlag und 50,– DM Kinderzuschlag) sowie monatlich ab 1. April 1969 auf 998,– DM (Grundbetrag 597,– DM bei im übrigen gleichen Zuschlägen) belaufen. Nach Bestehen der 2. Staatsprüfung am 1. Juli 1969 sei der Kläger zunächst vom 15. Juli 1969 bis zum 31. Juli 1972 Studienassessor gewesen, um dann zum Studienrat ernannt worden zu sein. Nach dem Studiengang hätte er sich frühestens im November 1966 zur 1. Staatsprüfung melden und diese dann im Juni 1967 bestehen können. Er wäre dann bereits am 15. September 1967 in den Vorbereitungsdienst übernommen und voraussichtlich zum 15. Februar 1969 als Studienassessor eingestellt worden.

Der Kläger legt u.a. seine Studienbücher, diverse Leistungs- und Studienbescheinigungen sowie die Zeugnisse über die abgelegten Staatsprüfungen vor. Er macht geltend: Der JAV müsse nach § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO berechnet werden, wobei als Berechnungsgrundlage das bei der Firma H. AG zuletzt erzielte Arbeitseinkommen heranzuziehen sei. Nach der Auskunft dieses Unternehmens belaufe sich der JAV mindestens auf 16.650,– DM. Er habe bis zu seinem Arbeitsunfall eine berufliche Betätigung in der Chemischen Industrie angestrebt, wie sich auch aus der Fächerwahl mit Biologie und zusätzlich Chemie ergebe. Erst der Arbeitsunfall habe diese Pläne durchkreuzt. Aus den Auskünften des Prof. Dr. R. ergebe sich im übrigen, daß die Unfallfolgen Grund für eine verzögerte Beendigung der Berufsausbildung von mindestens einem Jahr seien. Es sei daher gerechtfertigt, den JAV gem. § 573 RVO unter Berücksichtigung der Besoldungsgruppe A 13 für Beamte des Landes Hessen zu berechnen.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 25. Oktober 1972 sowie die Bescheide vom 5. August 1968 und 24. Juni 1974 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm höheres Verletztengeld sowie eine höhere Verletztenrente nach einem gem. § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO zu berechnenden JAV zu gewähren,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 25. Oktober 1972 zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 24. Juni 1974 abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Sie trägt vor: Weder sei das Verletztengeld streitig noch gehe es um den Bescheid vom 5. August 1968. Im Streit stehe nur noch der Bescheid vom 24. Juni 1974 bezüglich der Höhe des JAV für die ab dem 1. Oktober 1967 zu gewährende Verletztenrente. Für einen durch die Unfallfolgen verzögerten Abschluß der Berufsausbildung ergaben sich jedoch keine Anhaltspunkte. Im übrigen liege zwischen der Tätigkeit als Biologie-Laborant 1959 und dem Arbeitsunfall ein zu großer Zeitabschnitt, als daß das Arbeitseinkommen bei der Firma H. AG für die Berechnung des JAV herangezogen werden könne. In Betracht komme eine Feststellung nach § 571 Abs. 1 Satz 3 RVO. Nach den maßgeblichen Lohntarifverträgen für 1965/66 errechne sich ein JAV in Höhe von 4.855,76 DM. Nach wie vor sei sie aber der Auffassung, daß der nach § 575 Abs. 1 RVO wegen mangelnden eigenen Einkommens festgestellte JAV mit 4.770,– DM zutreffend sei. Unter Berücksichtigung der Rentenanpassungsgesetze –RAG– ergeben sich bei diesen JAVen ab dem 1. Januar 1969 monatliche Rentenbeträge von 238,90 DM, 69,70 DM und 68,50 DM. Nach der Auskunft des Regierungspräsidenten in D. berechne sich der JAV nach §§ 573 Abs. 1, 576 Abs. 1 RVO für den Kläger mit 19.434,– DM, so daß sich ein monatlicher Betrag von 270,– DM ergebe. Diese Rente übersteige aber nicht den Unterhaltszuschuß in der Zeit vom 15. Februar bis 31. Juli 1969, so daß lediglich ein Unfallausgleich in Höhe von monatlich 53,– DM zustehe. Ab dem 1. August 1969 sei allein Unfallausgleich nach § 576 RVO zu zahlen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Nach der Aufhebung des Urteils des HLSG vom 13. August 1975 (L-3/U – 16/73) und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung durch das BSG ist der Senat an dessen Rechtsauffassung, wie sie sich aus dem zurückverweisenden Urteil vom 31. Oktober 1978 (2 RU 87/76) ergibt, gebunden (§ 170 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz –SGG–). Dazu gehört zunächst die rechtliche Beurteilung des BSG, daß nach § 96 SGG allein Gegenstand des Berufungsverfahrens nur noch der Bescheid vom 24. Juni 1974 ist. Die Beklagte habe den ursprünglich mit der Klage vor dem SG angefochtenen und von diesem abgeänderten Bescheid vom 5. August 1968 aufgehoben und den Rentenanspruch neu geregelt. Damit erweist sich, daß der Kläger für seinen Berufungsantrag auf Abänderung des sozialgerichtlichen Urteils und den aufgehobenen Bescheid des vom 5. August 1968 einschließlich der Feststellung höheren Verletztengeldes kein Rechtsschutzbedürfnis mehr hat. Mangels Beschwer war daher die Berufung nunmehr als unzulässig zu verwerfen (vgl. BSG, Urteil vom 3. November 1959 – 9 RV 826/56 – in E 11, 26, 29). Über die rechnerische Höhe des Verletztengeldes ist von der Beklagten ggf. in einem neuen Verwaltungsverfahren zu entscheiden (§ 44 SGB, 10. Buch – Verwaltungsverfahren; früher: § 627 RVO).

Der Senat hatte vielmehr nur noch über die Höhe des JAV im Rentenbescheid vom 24. Juni 1974 zu befinden, der als mit der Klage angefochten gilt (§§ 153 Abs. 1, 96 SGG). Über diesen Bescheid war von dem Senat als Gericht 1. Instanz zu entscheiden (vgl. BSG Urteil vom 30. Januar 1963 – 2 RU 35/66 – in L 18, 231, 234). Insoweit hat das BSG dargelegt, daß die Höhe des JAV nach den Bestimmungen der §§ 571 – 578 RVO in der hier noch geltenden Fassung bis zum Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches – 4. Buch, Gemeinsame Vorschriften (BGBl. I 1967 S. 3845), am 1. Juli 1977 festzustellen sei. Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger ohne den Arbeitsunfall voraussichtlich in der Berufsausbildung als Studienreferendar gewesen wäre, richte sich die Bemessung des JAV nach § 571 Abs. 1 RVO. Danach sei § 573 Abs. 1 RVO i.V.m. § 576 Abs. 1 RVO anzuwenden, sofern die Beendigung der voraussichtlichen Berufsausbildung nach dem 1. Oktober 1967 gelegen haben würde. Eine solche neue Berechnung erfordere ferner die Feststellung, daß sie zu einem günstigeren JAV führe als für die Zeit bis zum voraussichtlichen Ende der Berufsausbildung. Im übrigen gehöre der Vorbereitungsdienst von Studienreferendaren zur Berufsausbildung.

Unter Beachtung dieser rechtlichen Beurteilung des BSG (§ 170 Abs. 5 SGG) ist im neuerlichen Verfahren vor dem HLSG zunächst der Sachverhalt weiter aufgeklärt worden. Aufgrund dieser Sachaufklärung sowie der Ermittlungen in den bisherigen gerichtlichen und im Verwaltungsverfahren sieht der Senat es als erwiesen an, daß der Kläger ohne den Arbeitsunfall voraussichtlich im Juni 1967 seine erste Staatsprüfung abgelegt und sich im Anschluß daran ab dem 15. September 1967 als Studienreferendar weiter ausgebildet haben würde. Der Vorbereitungsdienst wäre mit dem Bestehen der 2. Staatsprüfung 1969 abgeschlossen worden, so daß er ab dem 15. Februar 1969 in den Schuldienst des Landes Hessen als Assessor übernommen worden wäre. Das folgt aus den erteilten Auskünften des Wissenschaftlichen Prüfungsamtes und des Regierungspräsidenten, auf die im einzelnen verwiesen wird. Ferner muß nach den Ermittlungen des Senats davon ausgegangen werden, daß der Kläger zielstrebig seine Ausbildung für die Befähigung zum Höheren Lehramt betrieb. Das ergibt sich aus den von ihm vorgelegten Studienbescheinigungen und Studienbüchern im Zusammenhang mit den o.g. Auskünften, worauf wegen der Einzelheiten ebenfalls Bezug genommen wird. Entgegen der Auffassung der Beklagten bejaht der Senat auch den ursächlichen Zusammenhang zwischen der verzögerten Beendigung der Berufsausbildung um rd. fünf Monate und der Folgen des Arbeitsunfalles. Das Vorbringen des Klägers, er habe wegen der durch den Arbeitsunfall hervorgerufenen gesundheitlichen Störungen und Beschwerden erst im April 1967 seine Meldung zur 1. Staatsprüfung abgeben können, ist glaubhaft. Es wird gestützt durch die Auskünfte des Prof. Dr. R., der als Mitglied der Prüfungskommission das Thema für die wissenschaftliche Hausarbeit gestellt hatte. Auf die Auskünfte wird verwiesen. Ferner darf nicht unbeachtet bleiben, daß selbst die Beklagte davon ausgeht, daß bei dem Kläger wegen der Unfallfolgen bis zum 30. September 1967 Arbeitsunfähigkeit bestanden habe.

Damit kann der Senat die von dem BSG für notwendig erachtete Feststellung treffen, daß der Kläger sich ohne den Arbeitsunfall voraussichtlich bis zum 14. Februar 1969, also über den 1. Oktober 1967 hinaus in Berufsausbildung befunden haben würde. Daher ist der JAV bis zu diesem Zeitpunkt nach § 571 Abs. 1 RVO festzustellen.

Nach § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO gilt als JAV das Arbeitseinkommen des Verletzten im Jahre vor dem Arbeitsunfall. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens hat der Kläger im letzten Jahr vor dem Arbeitsunfall am 29. September 1966 als Student kein eigenes Arbeitseinkommen gehabt. Das wird von ihm auch eingeräumt. Der JAV ist daher nach den Ersatztatbeständen der Sätze 2 und 3 des § 571 Abs. 1 RVO zu ermitteln.

Entgegen der Auffassung des Klägers kann § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO nicht angewendet werden. Danach wird für Zeiten, in denen der Verletzte im Jahr vor dem Arbeitsunfall kein Arbeitseinkommen bezog, das Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das durch eine Tätigkeit erzielt wird, die der letzten Tätigkeit des Verletzten vor diesen Zeiten entspricht.

Der Kläger will hier seine frühere Tätigkeit als Biologie-Laborant bei der Firma H. AG vom 1. April 1958 bis zum 31. März 1959 mit dem für die Zeit vom 29. September 1965 bis zum 28. September 1966 hochgerechneten Mindest-JAV von 16.650,– DM, wie er von seinem früheren Arbeitgeber am 30. Oktober 1979 mitgeteilt worden ist, zugrunde legen. Das ist nicht möglich, da, wie die Beklagte zutreffend geltend macht, wegen zu langen Zeitablaufs zwischen dieser Tätigkeit und der Arbeitseinkommenslosigkeit bis zum Unfalltag von über 6 Jahren kein durch das Arbeitsleben geprägter Zusammenhang gegeben ist (vgl. BSG Urteil vom 31. Oktober 1968 – 2 RU 139/67 – in E 28, 272; 24. Februar 1974 – 8 RU 54/76 – in SozR 2200 § 571 RVO Nr. 8; 24. April 1975 – 8 RU 36/74 – in Lauterbach – Kartei Nr. 9686 zu § 571 RVO 28. April 1977 – 2 RU 39/75 – in SozR 2200 § 571 RVO Nr. 10; 14. Dezember 1978 – 2 RU 51/78 – in SozR 1979, 88; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 4 a zu § 571 RVO; Brackmann, Hand buch der Sozialversicherung, 9. Aufl., S. 574 g). Hieran ändert nichts, daß der Kläger nach den im Termin zur mündlichen Verhandlung überreichten Gehaltsabrechnungsstreifen bei der Firma H. AG auch in einigen Monaten der Jahre 1962 bis 1964 tätig war. Bei diesen vorübergehenden Tätigkeiten, die überwiegend in der vorlesungsfreien Zeit ausgeübt wurden, handelt es sich um solche, wie sie typischerweise von Werkstudenten verrichtet werden. Gegenteilige Anhaltspunkte ergeben sich nicht. Ferner ist bedeutsam, daß der Kläger 1959 die Tätigkeit bei der Firma H. AG aufgab, um am Hessen Kolleg die Hochschulreife zu erwerben. Diese erlangte er am 27. September 1961. Im Oktober 1961 nahm er sodann das Studium in den Fächern Biologie und Leibeserziehung auf mit dem Ziele, die Befähigung für das Höhere Lehramt an Gymnasien zu erwerben. Auch hieraus wird ersichtlich, daß sich der Kläger von der früheren Tätigkeit bei der Firma H. AG abgewandt hatte, als er sie aufgab. Mit seinem jetzigen Vorbringen, er habe nur wegen der Folgen des Arbeitsunfalle sein eigentliches Berufsziel einer Tätigkeit in chemischen Industrie aufgeben müssen, kann er keinen Erfolg haben. Er ist vielmehr im Hinblick auf sein eigenes früheres Vorbringen widerlegt. Bereits im Verwaltungsverfahren hat er als Ausbildungsziel den Beruf eines Lehrers an Höheren Schulen angegeben, z.B. mit dem Schreiben vom 16. Januar 1967. Das ergibt sich aber auch aus seinen Angaben bei der Ortspolizeibehörde in K. am 20. Oktober 1966. Bei diesem Vortrag ist er auch bis zum jetzigen Berufungsverfahren geblieben, so daß sein nunmehriges geändertes Vorbringen der Glaubhaftigkeit entbehrt. Der Senat hat wiederholt entschieden, daß in aller Regel den Erstangaben eines Verletzten der größere Beweiswert gegenüber später davon abweichenden Äußerungen zukommt, sofern sich nicht rechtfertigende zusätzliche Anhaltspunkte ergeben (vgl. HLSG, Urteil vom 29. Juni 1977 – L-3/U – 275/77 – unter Hinweis auf die Entscheidungen des BSG vom 14. März 1958 – 2 RU 226/56 – und vom 22. Mai 1959 – 5 RKn 51/58 –). Daran fehlt es hier aber offenkundig. Im übrigen ist auch das BSG in seinem Urteil vom 31. Oktober 1978 davon ausgegangen, daß das Berufsziel des Klägers die Erlangung der Befähigung für das Höhere Lehramt war.

Da nach alledem, wie der Senat bereits im Urteil vom 13. August 1977 und das BSG am 31. Oktober 1978 festgestellt haben, davon auszugehen ist, daß der Kläger vor dem Arbeitsunfall nicht tätig war, ist für die Ermittlung des JAV die Tätigkeit maßgebend, die er zur Zeit des Arbeitsunfalles ausübte (§ 571 Abs. 1 Satz 3 RVO).

Der Kläger hat zwar ausdrücklich nur die Neuberechnung des JAV nach § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO beantragt. Indessen ist der Senat an diesen Antrag nicht gebunden; er hat vielmehr ohne eine solche Bindung über den vom Kläger erhobenen Anspruch zu entscheiden (§ 123 SGG). Sein Begehren geht ersichtlich auf die Feststellung eines höheren JAV, als den von der Beklagten nach § 575 Abs. 1 RVO festgesetzten mit 4.770,– DM als dem 300fachen des Ortslohnes für männliche Verheiratete über 21 Jahre (vgl. den Erlaß des Regierungspräsidenten in Wiesbaden vom 13. März 1964 im Staatsanzeiger für das Land Hessen 1964, 447).

Die Beklagte vertritt die Auffassung, daß § 575 Abs. 1 RVO anzuwenden sei, da der Kläger für die unfallbedingte Tätigkeit kein Entgelt erhalten habe (siehe auch: Lauterbach a.a.O., Anm. 5 a und b zu § 571 RVO bei Podzun. Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl., Kennzahl 440 S. 15; uneinheitlich Brackmann a.a.O. S. 574 g; a.A.: Schewe in BArBl. 1976, 258; Haase-Koch, Die Unfallversicherung, Anm. 4 b zu § 571 RVO). Dem tritt der Senat nicht bei. Wie das BSG entschieden hat, ist der JAV immer dann, wenn Satz 1 und 2 des Abs. 1 von § 571 RVO nicht anwendbar sind, nach Satz 3 dieser Vorschrift zu berechnen. Das bedeutet, die Zeit, für welche der Verletzte kein Arbeitseinkommen bezogen hat, muß mit einem Arbeitsverdienst aufgefüllt werden, für den die z.Zt. des Arbeitsunfalls ausgeübte Tätigkeit maßgebend ist (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 1968 – 2 RU 139/67 – in E 28, 274). Dem steht das Urteil des 2. Senats des BSG vom 28. April 1977 (2 RU 39/75 in SozR 2200 § 571 RVO Nr. 10) nicht entgegen, weil in dem dort zur Entscheidung anstehenden Fall der JAV eines ehrenamtlichen Richters, der ansonsten nicht mehr gegen Entgelt tätig war, im Streit stand. Die dem dortigen Kläger als ehrenamtlichen Verwaltungsrichter gewährte Entschädigung für Zeitverlust, Fahrtkosten und Aufwand nach dem Gesetz über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter vom 21. September 1963 (BGBl. I 754) ist kein Arbeitseinkommen (BSG a.a.O.; Brackmann a.a.O. S. 474 l), so daß deswegen keine Berechnung des JAV nach § 571 Abs. 1 Satz 3 RVO erfolgen konnte. Hier liegen die Verhältnisse aber anders. Der Kläger verrichtete im Unfallzeitpunkt eine Tätigkeit, die, wie sich aus den entsprechenden Lohntarifverträgen ergibt, üblicherweise mit einem Arbeitsentgelt entlohnt wird. Daher war als Berechnungsmaßstab für die Zeit vom 1. Oktober 1967 bis zum 14. Februar 1969 das tarifliche Entgelt eines in der Landwirtschaft tätigen Obstpflückers unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Klägers im letzten Jahr vor dem Arbeitsunfall heranzuziehen. Bei § 575 Abs. 1 RVO handelt es sich hingegen um eine § 571 Abs. 1 RVO ergänzende Berechnungsvorschrift. Danach soll der JAV wenigstens das 300fache des Ortslohnes, der z.Zt. des Arbeitsunfalles für den Beschäftigungsort oder, wenn ein solcher fehlt, für den Wohnort des verletzten festgesetzt ist, betragen. Auch diese Rechtsauffassung läßt sich aus den Entscheidungsgründen (S. 10 und 11) des Urteils des BSG vom 31. Oktober 1978 entnehmen. An diese rechtliche Beurteilung ist der Senat ebenfalls gebunden (§ 170 Abs. 5 SGG).

Danach ergibt sich aufgrund der zwischen dem land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverband für Hessen und der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft des Landesbezirkes Hessen abgeschlossenen Landarbeiter-Lohntarifverträge zum Landarbeitermanteltarif 1965 und 1966 (Bl. 410–424 der Streitakte) ein JAV in Höhe von 4.855,76 DM. Das ist von der Beklagten in zutreffender Anwendung der vorgelegten Lohntarifverträge berechnet worden, wie die von dem Senat vorgenommene eigene Überprüfung ergeben hat. Wegen der Einzelheiten wird auf die Tarifverträge und den Schriftsatz der Beklagten vom 4. September 1980 verwiesen.

Daher war dem Kläger die Verletztenrente ab dem 1. Oktober 1967 nach einem JAV von 4.855,76 DM zu berechnen. Das ergibt für die Zeit bis zum 31. Dezember 1968 eine monatliche Verletztenrente in Höhe von 67,50 DM anstelle von 66,30 DM. Insoweit war der angefochtene Bescheid abzuändern. Für die Zeit vom 1. Januar bis 14. Februar 1969 errechnet sich unter Beachtung der Dynamisierung nach dem 11. RAG vom 19. November 1968 (BGBl. I 1189) ein JAV in Höhe von 5.016,– DM und damit eine monatliche Verletztenrente in Höhe von 69,70 DM. Da die Beklagte ausweislich des angefochtenen Bescheides vom 24. Juni 1974 die monatliche Rentenzahlung ab dem 1. Januar 1969 mit 82,50 DM festgesetzt hat, ist der Kläger insoweit nicht beschwert, so daß die Klage abzuweisen war. Die Beklagte macht allerdings geltend, daß dem Kläger seit dem 15. Februar 1968 keine Verletztenrente, sondern allenfalls Unfallausgleich in Höhe von monatlich 53,– DM zustehe, weil er seitdem als Beamter auf Widerruf (Studienreferendar) einen Unterhaltszuschuß erhalten habe, der die monatliche Verletztenrente weit überschritten habe. Dem stellt die den Senat bindende rechtliche Beurteilung des BSG, wie sie sich aus dem Urteil vom 31. Oktober 1978 ergibt, entgegen (§ 170 Abs. 5 SGG). Danach ist der Senat daran gebunden, für die Zeit bis zur voraussichtlichen Beendigung der Berufsausbildung als Studienreferendar bis zum 14. Februar 1969 einschließlich den JAV nach § 571 RVO unabhängig davon festzustellen, ob der Kläger in diesem Zeitraum Dienstbezüge nach beamtenrechtlichen Vorschriften erhielt.

Für die Zeit nach dem 14. Februar 1969, dem voraussichtlichen Zeitpunkt der Beendigung der Berufsausbildung, ergibt sich nach der den Senat ebenfalls bindenden rechtlichen Beurteilung des BSG (§ 170 Abs. 5 SGG) ein erhöhter JAV, der sich nach den §§ 573 Abs. 1, 576 Abs. 1 RVO auf der Basis der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge eines vergleichbaren Beamten der Besoldungsgruppe A 13 mit 19.434 – DM errechnet. Das folgt aus der Auskunft des Regierungspräsidenten in D. vom 31. Juli 1980, die die Beklagte ebenfalls mit dem Schriftsatz vom 4. September 1980 vorgelegt hat. Insoweit macht die Beklagte zutreffend geltend, daß dem Kläger ab dem 15. Februar 1969 jedenfalls keine höhere Verletztenrente, als die in dem angefochtenen Bescheid angegebene zusteht. Der JAV nach den ruhegehaltsfähigen Dienstbezügen zum 15. Februar 1969 ergebe eine monatliche Verletztenrente in Höhe von 270,– DM. Dieser Betrag übersteigt nicht die in der Zeit bis zum 14. Juli 1969 als Studienreferendar bezogenen Dienstbezüge in der Form eines Unterhaltszuschusses. Nach der Auskunft des Regierungspräsidenten in D. vom 28. November 1980 bezog der Kläger in diesem Zeitraum monatlich 998,– DM. Er hatte daher nach §§ 573 Abs. 1, 576 Abs. 1 RVO i.V.m. § 152 Abs. 1 des Hessischen Beamtengesetzes vom 21. März 1962 (GVBl. I S. 173) und § 35 Bundesversorgungsgesetz allenfalls Ansprüche auf Unfallausgleich in Höhe von monatlich 53,– DM (vgl. die Tabelle I/3 zum BVG für die hessische Versorgungsverwaltung, herausgegeben von dem Landesversorungsamt Hessen). Da die Beklagte nach dem angefochtenen Bescheid ihm aber bereits seit dem 1. Januar 1969 eine Verletztenrente in Höhe von monatlich 82,50 DM zuerkannt hat, ist der Kläger insoweit nicht beschwert. Ähnlich verhält es sich für die Zeit ab dem 15. Juli 1969, als der Kläger als Studienassessor Bezüge nach Besoldungsgruppe A 13 des hess. Besoldungsgesetzes erhielt. Seitdem liegen die Dienstbezüge des Klägers als Lehrer eines Gymnasiums im höheren Dienst ständig über den monatlichen Rentenbeträgen, wie sie sich nach der von dem Regierungspräsidenten in D. vorgenommen fiktiven Berechnung der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge zum 15. Februar 1969 ergeben; das ist offen- und allgemeinkundig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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