L 9 R 1206/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 990/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1206/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1960 geborene Klägerin hat von August 1975 bis Juli 1978 Friseurin gelernt und arbeitete bis zu ihrer Arbeitsunfähigkeit im September 2001 als Friseurin. Anschließend bezog sie Krankengeld bzw. Übergangsgeld. Das Beschäftigungsverhältnis endete am 14.6.2003. Nach kurzer Arbeitslosigkeit war sie erneut von Juli 2003 bis Februar 2005 in einem Friseursalon beschäftigt. Danach bezog sie Arbeitslosengeld (Alg) bzw. Alg II.

Bei der Klägerin, die an einem Turner-Syndrom leidet, entwickelte sich eine hochgradige Aortenstenose, die am 18.10.2001 durch Aortenklappenersatz operativ behandelt wurde. Vom 31.10. bis 5.12.2001 befand sich die Klägerin zu einem Anschlussheilverfahren in Gesundheitszentrum B. W ... Die dortigen Ärzte führten im Entlassungsbericht vom 13.12.2001 aus, nach weiterer Rekonvaleszenz könne die Klägerin mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr verrichten. Die Klägerin glaube, sie könne nach ihrer Genesung wieder als Friseurin tätig sein. Bei möglicher Erschöpfung bei vollschichtiger Tätigkeit als Friseurin könne die Klägerin nach Absprache mit ihrem Arbeitgebern ein bis zwei Stunden weniger arbeiten.

Am 1.6.2004 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ sie von dem Internist/Arzt für Sozialmedizin Dr. L. untersuchen. Dieser stellte bei der Klägerin im Gutachten vom 28.7.2004 folgende Diagnosen: 1. Zustand nach Aortenklappenersatz (Bioprothese) bei congenitaler zugenommener Aortenklappeninsuffizienz 2. Kongenitales Turner-Syndrom, das sui generis keine Einschränkung des Leistungsvermögen zur Folge habe. Die Klägerin sei in der Lage als Friseurin vollschichtig zu arbeiten bzw. leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten.

Mit Bescheid vom 19.8.2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab, weil weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.3.2005 zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 12.4.2005 Klage zum Sozialgericht (SG) Ulm, mit der sie Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung weiterverfolgte. Das SG hörte die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen und holte ein Sachverständigengutachten ein.

Der Internist Dr. B.s-H. führte unter dem 14.6.2005 aus, die Atemnot beeinträchtige des berufliche Leistungsvermögen der Klägerin. Für eine Quantifizierung sei eine kardio-pulmologische Untersuchung erforderlich. Eine vollschichtige Tätigkeit halte er nicht für möglich. Die Frauenärztin Dr. L. hielt in der Auskunft vom 28.7.2005 eine Teilzeittätigkeit mit Pausen für möglich. Die Klägerin legte ein Attest von Dr. B.-H. vom 16.11.2005 vor, der darin ausführte, die Klägerin dürfe keine schweren Lasten heben und tragen und müsse den Kontakt zu reizenden Gasen und Dämpfen, zu ungünstigen Witterungseinflüssen und erhöhter Infektionsgefahr meiden.

Dr. H., Internist und Radiologe, stellte im Gutachten vom 19.4.2006 bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen fest: 1. Zustand nach Aortenklappenersatz 2001 2. Arterielle Hypertonie 3. Hyperreagibles Bronchialsystem mit leichter Einschränkung der Lungenfunktion 4. Turner-Syndrom. Schwere und mittelschwere Tätigkeiten könne die Klägerin nicht mehr verrichten, weswegen die mittelschwere Tätigkeit als Friseurin nur noch unter drei Stunden täglich ausgeübt werden könne. Körperlich leichte Tätigkeiten ohne Zeitdruck, ohne Akkord, ohne Nachtschicht, ohne Exposition gegen Hitze und Gase, nicht im Freien seien sechs Stunden täglich zumutbar.

Die Beklagte vertrat daraufhin unter Vorlage einer Stellungnahme von Dr. H. vom 22.6.2006 die Auffassung, die Klägerin sei auf die Tätigkeit einer Registratorin, einer Telefonisten und einer Mitarbeiterin in einer Poststelle verweisbar. Die Klägerin legte einen Arztbrief der Internistin und Ärztin für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. K. vom 15.6.2006 vor.

Mit Urteil vom 19.1.2007 wies das SG die Klage ab. Begründung führte es aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, da sie noch in der Lage sei mindestens sechs Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dies ergebe sich aus den Gutachten von Dr. L. und Dr. H. sowie dem Befundbericht von Dr. K ... Sie habe auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da sie auf die Tätigkeiten einer Mitarbeiterin in der Poststelle sowie einer Registratorin im öffentlichen Dienst verwiesen werden könne. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 22.2.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7.3.2007 Berufung eingelegt und vorgetragen, sie sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, die Tätigkeiten einer Mitarbeiterin in der Poststelle bzw. Registratorin zu verrichten. Bei der Tätigkeit einer Registratorin sei das Besteigen von Leitern erforderlich. Dies sei ihr auf Grund der geringen Körpergröße (156 cm) nicht zumutbar. Auch sei die bei ihr vorliegende Hörbehinderung mit Schwindel verbunden, so dass bei Besteigen von Leitern Sturzgefahr bestehe. Auf eine Tätigkeit als Poststellenmitarbeiterin könne sie nicht verwiesen werden, da - angesichts der Einsparungen in der öffentlichen Verwaltung - von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auszugehen sei. Die Klägerin hat ein ärztliches Attest von Dr. B.-H. vom 18.7.2007 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. Januar 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. August 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 17. März 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. Juli 2004 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, die Klägerin sei aus gesundheitlichen Gründen nicht gehindert, Tätigkeiten in einer Poststelle oder in einer Registratur auszuüben. Hier handele es sich um leichte Arbeiten. Überkopfarbeiten und Arbeiten auf Leitern könnten in einer Registratur vorkommen, seien aber nicht generell und in allen Fällen mit dieser Tätigkeit verbunden.

Mit Schreiben vom 19.6.2007 hat der Senat der Klägerin mitgeteilt, dass als weitere Verweisungstätigkeit eine Tätigkeit als Rezeptionistin in Betracht komme und hat ihr das Urteil des Senats vom 20.6.2006 - L 9 R 2166/06 - übersandt. Ferner hat er die Beteiligten mit Verfügung vom 19.6. und 12.7.2007 auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 19.6. und 12.7.2007 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Das SG hat den rechtserheblichen Sachverhalt umfassend dargestellt, die an eine Rentengewährung geknüpften Voraussetzungen zutreffend benannt und das Beweisergebnis frei von Rechtsfehlern gewürdigt. Hierbei ist es ausführlich auf die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen eingegangen; auch hat es überzeugend begründet, weshalb es den Beurteilungen des Dr. L. und Dr. H. gefolgt ist. Der Senat schließt sich der Beweiswürdigung des SG uneingeschränkt an und sieht deshalb von einer Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG weitgehend ab. Ergänzend ist auszuführen, dass auch der Senat zum Ergebnis gelangt ist, dass der Klägerin keine Rente wegen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zusteht. Dabei lässt er dahingestellt, ob die Klägerin auf die Tätigkeit einer Mitarbeiterin in der Poststelle bzw. in einer Registratur verweisbar ist. Entgegen der klägerischen Ansicht hält der Senat diese Tätigkeiten der Klägerin allerdings für gesundheitlich zumutbar und den Arbeitsmarkt insofern auch nicht für verschlossen, da es nicht auf die freien Stellen, sondern darauf ankommt, dass im gesamten Bundesgebiet mehr als 300 Arbeitsplätze - frei oder besetzt - vorhanden sind (BSGE 78, 207 = SozR 3-2600 § 43 Nr. 13). Der Senat vermag auch nicht festzustellen, dass die Klägerin auf Grund von Schwindel gehindert wäre, Leitern zu besteigen. Über Schwindel hat sie weder während des vom 31.10. bis 5.12.2001 dauernden Heilverfahrens, noch bei den gutachterlichen Untersuchungen durch Dr. L. (Gutachten vom 17.8.2004) und Dr. H. (Gutachten vom 19.4.2006) geklagt. Auch die behandelnden Ärzte Dr. B.-H., Dr. L. und K. haben Schwindelbeschwerden bei der Klägerin nicht genannt. Die Größe der Klägerin von 156 cm steht einem Besteigen von Leitern nicht entgegen. Aus den im Attest von Dr. B.-H. vom 18.7.2007 genannten Diagnosen lassen sich keine weitergehenden Leistungseinschränkungen ableiten.

Der Senat hält die Klägerin insbesondere auf die Tätigkeit einer Rezeptionistin für verweisbar. Diese Tätigkeit ist der Klägerin gesundheitlich und sozial zumutbar; auch ist ihr der Arbeits¬markt insoweit nicht verschlossen. Die Tätigkeit einer Rezeptionistin ist körperlich leicht, da sie überwiegend im Empfang, Verkauf/Kassenführung, Service/Kundenbetreuung, Führung der Karteikarten/EDV und Telefonanmeldung (siehe Entgelt- und Auszubildenden Ta¬rifvertrag für das Friseurhandwerk und das handwerksähnliche Kosmetikgewerbe in Baden-Württemberg, gültig ab 1.8.2004) besteht. Derartige Tätigkeiten kann die Klägerin mit dem bei ihr bestehenden Leistungsvermögen (siehe Entlassungsbericht des Gesundheitszentrums B. W., Gutachten Dr. L. und Dr. H.) verrichten. Die Erfassung dieser Tätigkeit im Tarifvertrag begründet die Vermutung, dass es hierfür einen ausreichenden Arbeitsmarkt gibt (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 19, 22, 30, 78, 101). Besondere Gründe, die diese Vermutung widerlegen würden, sind nicht ersichtlich. Vielmehr haben die Ermittlungen des Senats in Rechtsstreit L 9 R 2166/04, dessen Urteil der Klägerin übersandt wurde, ergeben, dass - trotz Rückgang des Berufsbildes in den letzten 10 bis 15 Jahren - die Zahl der Rezeptionistinnen/Rezeptionisten allein in Baden-Würt¬temberg geschätzt unter 1000 liegt. Dies spricht dafür, dass im gesamten Bundesgebiet weit über 300 Arbeitsplätze für Rezeptionisten (frei oder besetzt) vorhanden sind.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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