L 9 U 4281/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 403/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 4281/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 8. September 2005 sowie der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2003 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 2. Dezember 1999 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger am 2.12.1999 einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Der 1938 geborene Kläger war seit September 1999 bei der Kriegsblinden-Handwerkerfürsorge im Außendienst - Kundenbetreuung - beschäftigt.

In der ärztlichen Unfallmeldung vom 2.12.1999 führte Dr. L., Arzt für Innere Medizin und Sportmedizin in L., aus, der Kläger sei um 16:00 Uhr bei ihm eingetroffen. Bei einem Überholmanöver auf der Autobahn A 5 zwischen B. N. und F. am 2.12.1999 gegen 8:00 Uhr (Beginn der Arbeitszeit 6:00 Uhr) sei ein Autofahrer vor einem LKW nach links ausgeschert, weshalb der Kläger eine Vollbremsung habe machen müssen. Dabei habe er sich den Kopf gegen die Stütze geschlagen. Dr. L. habe beim Kläger folgenden Befund erhoben: Druckschmerz an der Halswirbelsäule (HWS), das Drehen sei schmerzhaft gehemmt gewesen. Das Röntgen der HWS in vier Ebenen habe keine Fraktur gezeigt. Er habe die Diagnose: HWS-Distorsion gestellt.

Nach weiteren Behandlungen durch Dr. L. am 23.12, 30.12.1999 und 7.1.2000 stellt sich der Kläger am 12.1.2000 bei dem Arzt für Chirurgie Dr. W. vor. Dieser hielt im D-Arzt-Bericht vom 13.1.2000 zum Unfallhergang fest, beim Überholen einer LKW-Kolonne auf der Autobahn A 5 R. um 8:00 Uhr (Beginn der Arbeitszeit 8:30 Uhr) sei plötzlich ein Porsche zwischen den LKWs ausgeschert. Dieser habe plötzlich bremsen müssen, was den Kläger ebenfalls zur Vollbremsung veranlasst habe. Dabei sei der Kopf nach vorn und hinten geschleudert worden. Gleich nach dem Unfall habe der Kläger Hals- und Kopfschmerzen mit Bewegungseinschränkung des Kopfes und Taubheitsgefühl in beiden Händen bemerkt. Nach einer halbstündigen Pause sei er weitergefahren. Er leide jetzt noch unter Kopfschmerzen und könne den Kopf nicht bewegen. Dr. W. diagnostizierte eine Zerrung der HWS 3. Grades und veranlasste ein MRT der HWS und eine neurologische Untersuchung (Bericht von Dr. J., Neurologe und Psychiater, vom 17.1.2000).

In der Unfallanzeige vom 11.2.2000 führte die Kriegsblinden-Handwerkerfürsorge aus, der Unfall des Klägers habe sich am 2.12.1999 zwischen 8 und 9:00 Uhr auf der Autobahn A 5 zwischen B. N. und F. ereignet. Der Hergang sei ihr nicht bekannt; insoweit werde auf den Kläger verwiesen. Die Arbeitszeit des Klägers sei flexibel gewesen. Im Unfallfragebogen vom 25.2.2000 gab der Kläger an, der Unfall habe sich am Donnerstag, den 2.12.1999 zwischen 9 und 10:00 Uhr auf der A 5 zwischen G. und B. N. ereignet. Er habe nicht weitergearbeitet, sondern die Warnleuchte eingeschaltet und sei zwischen den LKWs auf die Standspur und anschließend nach Hause zum Hausarzt Dr. L. gefahren. Unter dem 10.4.2000 teilte er auf Anfrage der Beklagten weiter mit, er sei mit seinem Wohnmobil mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h von G. nach B. N. unterwegs gewesen.

Am 26.1.2000 stellte sich der Kläger in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. vor, in der er vom 31.1. bis 23.2.2000 stationär behandelt wurde (Berichte vom 9.2. und 1.3.2000 sowie ein Konsiliarbericht der HNO-Klinik L. vom 8.2.2000). Die Beklagte zog Unterlagen der DAK über Vorerkrankungen des Klägers bei.

Die Kriegsblinden-Handwerkerfürsorge teilte unter dem 4.4.2000 mit, sie könne keine Angaben darüber machen, an welchen Tagen der Kläger welche Kunden besucht habe, da eine feste Arbeitszeitregelung mit dem Kläger nicht vereinbart worden sei. Er habe die Kunden nach seiner eigenen Zeiteinteilung besucht, um Aufträge für ihre Einrichtung einzuholen. Der Kläger habe ein monatliches Fixum sowie eine Provision erhalten, die sich nach dem erzielten Umsatz gerichtet habe.

Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme bei dem Orthopäden Dr. T. ein, der die Auffassung vertrat, der Kläger habe sich bei dem Ereignis vom 2.12.1999 eine Beschleunigungsverletzung der HWS geringen Grades zugezogen, die eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit von maximal drei Wochen verursacht habe.

Mit Bescheid vom 23.5.2000 teilte die Beklagte dem Kläger mit, bei dem Ereignis vom 2.12.1999 habe er sich eine Zerrung der HWS zugezogen. Es sei noch nicht geklärt, ob die Fahrt mit dem Beschäftigungsverhältnis des Klägers in einem wesentlichen Zusammenhang stehe und somit ihre Leistungspflicht gegeben sei. Unabhängig davon habe Arbeitsunfähigkeit von maximal drei Wochen vorgelegen. Für diese Zeit habe er Anspruch auf Entgeltfortzahlung gehabt.

Hiergegen legte der Kläger am 21.6.2000 Widerspruch ein.

In der am 11.7.2000 bei der Beklagten eingegangenen Antwort gab der Kläger an, vor dem Unfall am 2.12.1999 habe er die Firma S. Fliesenfachgeschäft in L. (bei G.) besucht. Er habe keinen festen Besuchsplan. Er besuche die Kundschaft einmal im Quartal und sei im Raum F. unterwegs gewesen. Ergänzend trug er unter dem 10.1.2001 vor. nach dem Besuch der Firma S. sei er auf dem Weg zum Bürgermeisteramt in N. (Kunde) gewesen, zwischen R. und G.-G., Bauhof an der Bahn. Er benutze sein Wohnmobil auf seinen Fahrten von Kunde zu Kunde zum Übernachten.

Die Beklagte ließ den Kläger in der Chirurgischen Universitätsklinik F. gutachterlich untersuchen. Die dortigen Ärzte hielten im Gutachten vom 25.1.2001 zur abschließenden Kausalitätsbeurteilung ein MRT und ein neurologisches Gutachten für erforderlich.

Die Firma S. teilte am 8.2.2002 mit, sie könne nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob der Kläger am 2.12.1999 bei ihr gewesen sei. Der Kläger besuche sie immer im Frühjahr und am Jahresende.

Die Gemeinde N. erklärte unter dem 13.2.2002, nach Rücksprache mit den zuständigen Stellen ihres Hauses (einschließlich des Bauhofes) könne bestätigt werden, dass der Kläger als Beschäftigter der Kriegsblinden-Handwerkerfürsorge bekannt sei. Der Vorfall könne allerdings nicht nachvollzogen werden, Aufzeichnungen herüber seien nicht vorhanden; möglicherweise handle es sich um einen Unfall außerhalb des gemeindlichen Gebiets.

Der Kläger legte der Beklagten am 3.7.2000 Kopien der letzten beiden Abrechnungen für die Zeiträume vom 20.10. bis 16.11.1999 und 17.11. bis 20.12.1999 sowie ein Schreiben vom 27.10.1999 vor und erklärte, im Hinblick auf die Ausführungen im Schreiben vom 27.10.1999 habe er durch Rücknahme der Pinsel verhindern müssen, die Gemeinde N. als Kunden zu verlieren. Er habe am 2.12.1999 von der Firma S. aus bei Herrn S. angerufen. Dieser erinnere sich jedoch weder daran noch an seine Erklärung vom 27.10.1999. Von der Gemeinde N. habe er den Bauhof H., Herrn H., angerufen. Dieser erinnere sich, dass er ihn am 1.12.1999 angerufen und gefragt habe, ob er am 2.12.1999 vorbeikommen könne. Bei der Firma S. habe er am 2.12.1999 einen Auftrag erhalten, der telefonisch storniert worden sei, weil Herr S. nachträglich noch ein ungeöffnetes Paket der Firma gefunden habe.

In dem neurologischen Zusatzgutachten vom 25.6.2002 führten Dr. R. und Dr. A., Neurologische Universitätsklinik F., aus, auf neurologischem Gebiets sei eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um ca. 20 vH über einen Zeitraum von sechs Monaten nach dem Unfall vertretbar. Im Gutachten vom 18.10.2002 gelangten PD Dr. B. und Dr. B. von der Chirurgischen Universitätsklinik F. unter Berücksichtigung des neurologischen Zusatzgutachtens zum Ergebnis, beim Kläger liege eine Gesamt-MdE um 20 vH vor.

Auf eine erneute Nachfrage der Beklagten erklärte der Kläger in dem am 4.12.2002 bei der Beklagten eingegangenen Fragebogen, der Unfall habe sich zwischen G. und F. auf der A 5 ereignet; Ziel sei N. gewesen. Im Bauhof N. habe er einen Auftrag klären wollen. Er sei von der Firma S. gekommen und habe sich auf direktem Weg zwischen zwei Kunden befunden. Das Wohnmobil benutzte er zum Fahren von Kunde zu Kunde und zum Übernachten.

Mit Bescheid vom 11.12.2002 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus Anlass des Unfalls vom 2.12.1999 ab. Zur Begründung führte sie aus, es lasse sich nicht mit Gewissheit feststellen, dass der Kläger am Unfalltag eine versicherte Tätigkeit verrichtet habe, da nicht zweifelsfrei erwiesen sei, welchen Weg und welche Absicht er am Unfalltag verfolgt habe.

Hiergegen legte der Kläger am 19.12.2002 Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.1.2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen die Bescheide vom 23.5.2000 und 11.12.2002 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 19.2.2003 Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg, mit der er die Anerkennung des Ereignisses vom 2.12.1999 als Arbeitsunfall, die Feststellung einer erheblichen schmerzhaften Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule mit Kopfschmerzneigung als Unfallfolge und die Entschädigung nach einer MdE um 20 vH begehrte.

Das SG hörte den Kläger am 12.3.2004 persönlich an, der (laut Protokoll) erklärte, nach dem Besuch eines Kunden sei er auf der A 5 von Richtung F. unterwegs gewesen und habe in B. N. die Autobahn verlassen wollen. In Höhe der Tankstelle B. N. sei es zu dem geschilderten Unfallereignis gekommen. Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragte das SG Prof. Dr. B. mit der Begutachtung des Klägers. Dieser stellte beim Kläger im Gutachten vom 10.7.2004 als Unfallfolge eine erhebliche schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule mit Kopfschmerzenneigung fest, nahm eine Arbeitsunfähigkeit von drei Monaten an und schätzte die MdE für die Zeit danach auf 20 vH auf Dauer.

Dieser Beurteilung trat die Beklagte unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. H. vom 2.9.2005 ihr entgegen. Professor Dr. F., Direktor der Radiologischen Klinik des Klinikums B.-M., schlug in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 16.3.2005 weitere Untersuchungen vor.

Das SG holte eine telefonische Auskunft bei Frau S. von der Firma S. ein. Diese erklärte unter dem 7.9.2005, die Firma sei täglich von 9 bis 12:00 Uhr und von 15 bis 18:00 Uhr - außer Mittwochnachmittag - geöffnet. In seltenen Ausnahmefällen könne mit dem Chef auch ein früherer Termin vereinbart werden.

Mit Urteil vom 8.9.2005 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, es sei nicht erwiesen, dass der Kläger am 2.12.1999 einen Unfall während einer versicherten Tätigkeit erlitten habe. Es könne nicht festgestellt werden, dass sich der Kläger auf der Fahrt zwischen zwei Kunden befunden habe. Dazu seien die Angaben zu Ort und Zeit des fraglichen Unfallereignisses sowie zum Ziel der Fahrt zu widersprüchlich. Bei seiner Anhörung vor dem SG habe der Kläger angegeben, er habe sich auf dem Weg "von Richtung Frankfurt" befunden und habe die Autobahn in B. N. verlassen wollen, also auf dem Weg vom Süden nach Norden. Dagegen habe er im Verwaltungsverfahren angegeben, von Norden nach Süden unterwegs gewesen zu sein. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 5.10.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.10.2005 Berufung eingelegt, mit der er die Anerkennung des Ereignisses vom 2.12.1999 als Arbeitsunfall weiter verfolgt.

Der Senat hat den Unfallfragebogen der DAK beigezogen, den der Kläger am 19.12.1999 ausgefüllt und in dem er angegeben hat, er habe am 2.12.1999 zwischen 8 und 9:00 Uhr auf der Autobahn A 5 in der Höhe B. N. eine Vollbremsung durchgeführt. Auf Nachfrage des Senats hat der Kläger am 20.1.2007 mitgeteilt, er habe am Tag vor dem Unfall auch Kunden besucht, nähere Angaben könne er nun nicht mehr machen. Er habe alles der Beklagten mitgeteilt und ihr auch Auftragsdurchschläge zukommen lassen. Er habe die Nacht vom 1. zum 2.12.1999 bei der Feuerwehr in Gr. verbracht. Die Raststätte R. sei gut zum Duschen und Übernachten. Er habe die Firma S. zwischen 6 und 7:00 Uhr morgens aufgesucht, da Herr S. danach erst abends wieder erreichbar sei. Der Auftrag der Firma S. sei nicht schriftlich festgehalten worden, weil er im Privatbereich gelegen habe. Herrn S. von der Gemeinde N. habe er nicht telefonisch benachrichtigt, weil bei Reklamation ein Besuch ohne Termin besser sei. Herrn H. von der Gemeinde H. habe er am 2.12.1999 auf der Rückfahrt vom Rasthof B.-B. angerufen und den Termin abgesagt. Außer bei Behörden habe er die Kundschaft nach Bezirken (meistens) ohne große Voranmeldung besucht.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 8. September 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2003 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignisses vom 2. Dezember 1999 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, das Urteil des SG sei überzeugend. Es sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger am 2.12. 1999 eine versicherte Tätigkeit verrichtet habe. Aber selbst wenn man unterstellen würde, die versicherte Tätigkeit und der Unfall seien nachgewiesen, könne das Ereignis nicht Ursache der behaupteten Beschwerden sein

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist auch begründet, denn er hat Anspruch auf Feststellung des Ereignisses vom 2.12.1999 als Arbeitsunfall.

Mit dem Antrag, das Ereignis vom 2.12.1999 als Arbeitsunfall anzuerkennen, erstrebt der Kläger die gerichtliche Feststellung, dass er auf der unfallbringenden Fahrt unter Versicherungsschutz gestanden hat und der erlittene Unfall demzufolge ein Arbeitsunfall ist. Richtige Klageart zum Erreichen dieses Ziels ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gem. § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGG (BSG SozR 4-2700 § 2 Nr. 3). Erst wenn geklärt ist, ob ein bestimmter Unfall ein Arbeitsunfall ist, kann nachfolgend entschieden werden, welche Leistungen dem Versicherten zustehen. Demgemäß hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden auch nicht konkrete Leistungen - wie z. B. Rente - abgelehnt, sondern ganz allgemein eine Entschädigung, da sie schon den Eintritt eines Versicherungsfalls verneint hat. Es steht trotz entsprechender Ermittlungen der Beklagten im Zeitpunkt der Entscheidung durch den Senat auch noch nicht fest, welche der in Frage kommenden Leistungen im Falle des Klägers tatsächlich beansprucht werden können und für welchen Zeitraum sie ggf. zu erbringen wären.

Ein Arbeitsunfall ist ein Unfall infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII) oder infolge der Zurücklegung eines versicherten Weges (§ 8 Abs. 2 SGB VII). Der Kläger hat einen Arbeitsunfall erlitten, weil die Fahrt von L. nach N., auf der der Kläger die Vollbremsung vornehmen musste, im inneren Zusammenhang mit seiner betrieblichen Tätigkeit stand.

Ob die Verrichtung, bei der sich der Unfall ereignet hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sog. innerer oder sachlicher Zusammenhang), ist wertend zu entscheiden, indem untersucht wird, ob sie innerhalb der Grenze liegt, bis zu der nach dem Gesetz der Unfallversicherungsschutz reicht (ständige Rechtsprechung, zuletzt BSG, Urt. vom 10.10.2006 -B 2 U 20/05 R in JURIS mit Hinweis auf BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr. 70 S. 197; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 32 S. 113; BSGE 94, 262, 263 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 14, jeweils Rdnr. 6). Maßgebend ist dabei, ob der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und ob diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG, Urt. vom 10.10.2006 a. a. O.)

Dabei sind Dienst- bzw. Geschäftsreisen außerhalb des Betriebsortes Teil der versicherten Tätigkeit. Sie unterscheiden sich damit von Wegen nach oder von dem Ort der Tätigkeit, die nicht in einem so unmittelbaren Betriebsinteresse stehen und in der Regel der versicherten Tätigkeit vorangehen oder sich ihr anschließen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist auch bei Dienstreisen zu unterscheiden zwischen Betätigungen, die mit dem Beschäftigungsverhältnis wesentlich zusammenhängen und solchem Verhalten, das der Privatsphäre des Reisenden zugehörig ist. Der Versicherungsschutz entfällt, wenn sich der Versicherte rein persönlichen, von der Betriebstätigkeit nicht mehr beeinflussten Belangen widmet (BSG SozR 4-2200 § 550 Nr. 1 m. w. N.; BSGE 50, 100, 102/103 = SozR 2200 § 548 Nr. 50).

Ausgehend von den oben genannten Vorschriften und Grundsätzen ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger sich am 2.12.1999 auf einer Dienst- bzw. Geschäftsreise befunden und auch im Unfallzeitpunkt eine dem Beschäftigungsverhältnis wesentlich dienende Tätigkeit verrichtet hat. Diese Überzeugung des Senats beruht auf folgenden Feststellungen:

Der Kläger, der in L./B.-W. wohnte bzw. wohnt, war Außendienstmitarbeiter der Firma Kriegsblinden-Handwerkerfürsorge in L./N. und konnte seine Arbeitszeit und seine Kundentermine frei einteilen. Ausweislich der vorgelegten Einzelnachweise mit dem Belegdatum vom 30.11.1999 und Abrechnungsdatum vom 1.12.1999 hat der Kläger unter dem 30.11.1999 zahlreiche Aufträge bei verschiedenen Firmen vor allem in Hessen für seinen Arbeitgeber hereingeholt, was dafür spricht, dass der Kläger mit seinem Wohnmobil in diesem Raum unterwegs war. Angesichts dessen ist es nachvollziehbar, dass er - wie von ihm angegeben - in der Nacht vom 1. zum 2.12.1999 im Raum G. (bei der Feuerwehr) in seinem Wohnmobil übernachtet, an der Autobahnraststätte R. geduscht und morgens am 2.12.1999 die Firma S. in L. aufgesucht hat. Darüber hinaus hat der Kläger schon direkt am Unfalltag gegenüber dem erstbehandelnden Arzt Dr. L. angegeben, er habe nach Beginn seiner Arbeitszeit um 6:00 Uhr um 8:00 Uhr einen Unfall erlitten, als er bei einem Überholvorgang eine Vollbremsung habe vornehmen müssen. Dementsprechend hat Dr. L. eine ärztliche Unfallmeldung für die Beklagte gefertigt. Der am 12.1.2000 aufgesuchte Durchgangsarzt Dr. W. ist ebenfalls von einem Arbeitsunfall ausgegangen, auch wenn er etwas widersprüchlich als Unfallzeit 8:00 Uhr und als Beginn der Arbeitszeit 8:30 Uhr festgehalten hat.

Entgegen der Ansicht der Beklagten und des SG sind die Angaben des Klägers zum Unfallort, zur Unfallzeit und zum Ziel nicht widersprüchlich. So hat der Kläger zeitnah jeweils angegeben, dass sich der Unfall gegen 8:00 Uhr ereignet habe (Dr. L. 2.12.1999; Dr. W. 12.1.2000, DAK 19.12.1999 - Unfallzeit 8 bis 9:00 Uhr -). Ferner ist aus der ärztlichen Unfallmeldung von Dr. L. vom 2.12.1999 zu entnehmen, dass sich der Unfall auf der Autobahn A 5 zwischen B. N. und F., also in Nord-Südrichtung der A 5, ereignet hat und aus der Angabe gegenüber der DAK vom 19.12.1999 in Höhe von B. N ... Entsprechende Angaben finden sich in der Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 11.2.2000, der als Unfallort Autobahn A 5, B. N. und F., Unfallzeit 8 bis 9:00 Uhr, angegeben hat. Die Angaben im DA-Bericht vom 13.1.2000 sind dagegen unvollständig, da es dort lediglich heißt "R. R.", was aber nicht gegen die vorangegangenen Angaben des Klägers spricht. Im Unfallfragebogen vom 25.2.2000 hat der Kläger als Unfallort ebenfalls die A 5 zwischen G. und B. N. (ebenfalls Nord-Süd-Richtung der A 5) angegeben, sodass der Senat keinerlei Zweifel hat, dass sich der Unfall auf der A 5 in Nord-Südrichtung in der Höhe von B. N. ereignet hat. Der Umstand, dass der Kläger nunmehr als Zeitpunkt des Unfalls 9 bis 10:00 Uhr angegeben hat, dürfte sich aus dem zeitlichen Abstand zum Unfall erklären und spricht nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers. Soweit in der Niederschrift des SG vom 12.3.2004 wiedergegeben ist, der Kläger sei unterwegs auf der A 5 von (statt in) Richtung Frankfurt gewesen und habe in B. N. die Autobahn verlassen wollen, spricht dies für einen Übertragungsfehler, zumal aus den früheren und späteren Angaben des Klägers immer zu entnehmen ist, dass er von Norden nach Süden unterwegs war. Hinzukommt, dass der Richter, der den Termin vom 12.3.2004 durchgeführt und die Niederschrift unterschrieben hat, ein anderer war, als der, der die mündliche Verhandlung vom 8.9.2005 durchgeführt und das Urteil gefertigt hat, weswegen der Übertragungsfehler nicht erkannt wurde.

Der Senat hält auch die Angaben des Klägers, er habe morgens am 2.12.1999 die Firma S. in L. aufgesucht, für glaubwürdig. Hiergegen spricht nicht, dass die Firma S. am 8.2.2002, also über zwei Jahre nach dem Unfallereignis, nicht mehr mit Sicherheit bestätigen konnte, dass der Kläger am 2.12.1999 bei ihr gewesen sei, zumal sie angegeben hat, dass der Kläger sie immer im Frühjahr und am Jahresende besucht hat und ein anderer Termin am Jahresende, zu dem der Kläger bei der Firma gewesen sein könnte, nicht ersichtlich ist. Gegen einen Besuch spricht auch nicht, dass die Firma erst ab 9:00 Uhr öffnete, zumal Frau S. einräumte, dass in seltenen Fällen mit dem Chef auch ein früherer Termin vereinbart werden könne. Der Kläger hat für den Senat nachvollziehbar angegeben, er habe Herrn S. zwischen 6 und 7:00 Uhr morgens aufgesucht, da dieser danach erst wieder abends erreichbar gewesen wäre.

Der Senat hat auch keine Zweifel an den Angaben des Klägers, dass er - wie anfangs von ihm vorgetragen - die Kunden nach Bezirken bereiste und meistens keine Termine im voraus - außer bei Behörden - ausmachte. Für nachvollziehbar sieht es der Senat auch an, dass Ziel der Fahrt des Klägers der Bauhof der Gemeinde N. in der Nähe von G.-G. gewesen ist, da er wegen einer von ihm nachgewiesenen Reklamation der Gemeinde vom 27.10.1999 versuchen wollte, diesen Kunden zufrieden zu stellen, um ihn zu behalten. Der Umstand, dass die Gemeinde N. nicht über den Vorfall/Unfall unterrichtet war, ist unerheblich, zumal der Kläger dieses Ziel vor dem Unfall noch nicht erreicht hatte. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger aus eigenwirtschaftlichen Gründen im Unfallzeitpunkt auf der Fahrt auf der Autobahn A 5 in Richtung Süden befunden haben könnte, sind für den Senat nicht ersichtlich.

Nach alledem waren das angefochtene Urteil und die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 2.12.1999 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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