L 3 U 869/69

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 869/69
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Besitzer eines Grundstücks mit 10 hochstämmigen Apfelbäumen, der beim Abernten verunglückt, ist als landwirtschaftlicher Unternehmer auch dann unfallversichert, wenn die Bäume nur geringfügig gepflegt, die Äpfel jedoch zum erheblichen Teil als Kelterobst verkauft werden.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M., vom 21. Mai 1969 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die dem Kläger entstandenen außergerichtlichen Verfahrenskosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Ehefrau des Klägers ist seit 1953 Eigentümerin eines 12,5 ar großen Grundstücks in der Gemeinde S., das von 1958 bis Dezember 1965 von dem Bäcker W. unentgeltlich landwirtschaftlich genutzt wurde. Er zahlte jedoch die Beiträge für dieses in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten eingetragene Grundstück, auf dem 10 alte hochstämmige Apfelbäume standen, deren Nutzung sich der Kläger und dessen Ehefrau vorbehalten hatten. Am 14. Oktober 1965 stürzte der Kläger, der Arbeitnehmer in einem chemischen Betrieb ist, beim Obstpflücken von einem dieser Bäume ab und zog sich dabei eine Querschnittslähmung zu. Die Beklagte lehnte die Gewährung einer Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit Bescheid vom 25. September 1967 ab, weil der Kläger z. Zt. des Unfalls weder ein landwirtschaftliches Unternehmen betrieben habe, noch mit einem solchen im Kataster der Berufsgenossenschaft erfaßt gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 2. Oktober 1967 beim Sozialgericht Frankfurt a.M. Klage erhoben. Dieses hörte den Kläger, der u.a. angab, die 10 hochstämmigen Apfelbäume hätten vorwiegend Kelterobst getragen, das er verkauft habe. Das Tafelobst sei in seinem Haushalt verwandt bzw. von ihm verschenkt worden. Er legte über den Verkauf von Kelterobst Bescheinigungen der Gastwirte Sc. und K. vom 31. August und 27. Oktober 1968 vor. Das Sozialgericht vernahm diese beiden Gastwirte als Zeugen. Der Zeuge Sc. bekundete u.a., der Kläger habe ihm in den Jahren 1954 bis 1964 durchschnittlich etwa 10 Zentner Kelterobst verkauft. Der Zeuge K. sagte aus, er habe vom Kläger im Jahre 1965 7,6 Zentner Kelterobst zum Preise von 57,– DM gekauft.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 21. Mai 1969 den Bescheid der Beklagten vom 25. September 1967 aufgehoben und diese verurteilt, den Unfall des Klägers nach den gesetzlichen Bestimmungen zu entschädigen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, der Kläger sei im Unfallzeitpunkt als landwirtschaftlicher Unternehmer anzusehen gewesen. Der Umfang des Obstbaues könne nicht als unbedeutend angesehen werden. Von der Größe und Nutzung der Obstbaumfläche her gesehen handele es sich auch nicht um einen Kleingarten im Sinne das § 778 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Das Obstgrundstück sei auch seit dem 1. Januar 1966, nachdem es nicht mehr von W. bewirtschaftet werde, zum Unternehmerverzeichnis der Beklagten angemeldet worden. Diese habe seither auch Beiträge entgegengenommen, was sie sich entgegenhalten lassen müsse.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 31. Juli 1969 zugestellte Urteil am 18. August 1969 Berufung eingelegt. Sie führt u.a. aus, ein Versicherungsverhältnis habe im Unfallzeitpunkt nicht bestanden, weil vom Kläger kein landwirtschaftliches Unternehmen im Sinne des § 776 RVO bewirtschaftet worden sei. Es fehle nämlich sowohl an dem Merkmal der Bodenbewirtschaftung als auch an dem einer "Tätigkeit von nicht ganz kurzer Dauer”. Im Obstbau genügten nicht gelegentliche und unfachmännisch ausgeführte Wartungsarbeiten, sondern es seien regelmäßige, intensiv und ordnungsgemäß durchgeführte Baumpflegearbeiten erforderlich, die hier nicht vorgenommen worden seien. Im übrigen handele es sich bei dem Obstbaumgrundstück des Klägers auch deshalb nicht um ein landwirtschaftliches Unternehmen, weil es wie ein Haus-, Zier- oder anderer Kleingarten im Sinne des § 778 RVO anzusehen sei, wofür das Vorhandensein von Obstbäumen verschiedener Sorte spreche.

Da der Kläger keine fremden Arbeitskräfte eingesetzt habe, komme es auf die in dieser Bestimmung enthaltene zweite Alternative, daß die Erzeugnisse nämlich hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienen müssen, nicht an. Im übrigen habe der Kläger im Verwaltungsverfahren angegeben, daß das anfallende Obst für seinen Bedarf geerntet worden sei. Die anderslautenden Bekundungen der Zeugen sowie die Angaben des Klägers im Gerichtsverfahren seien demgegenüber unglaubhaft. Außerdem könne der aus dem Verkauf des Kelterobstes erzielte Erlös von 50,– bis 60,– DM jährlich im Vergleich zu dem Wert des Tafelobstes von 4 Bäumen, das der Kläger auf jeden Fall im eigenen Haushalt verbraucht habe, nur als geringfügig und unerheblich bezeichnet werden. Schließlich habe auch ein Formalversicherungsverhältnis nicht vorgelegen, weil der Kläger im Unfallzeitpunkt mit dem Unternehmen, in dem er den Unfall erlitten habe, nicht im Unternehmerverzeichnis eingetragen gewesen sei.

Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 21. Mai 1969 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt u.a. vor, er habe seit Jahren die Obsternte gewerblich, nämlich zum Zwecke des Verkaufs an Keltereien, genutzt, so daß die Bestimmung des § 778 RVO nicht angewandt werden könne.

In der mündlichen Verhandlung am 10. März 1971 wurden der Kläger persönlich gehört und seine Ehefrau als Zeugin vernommen. Auf die in die Sitzungsniederschrift aufgenommenen Erklärungen bzw. Bekundungen wird ebenso Bezug genommen wie auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakte, der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und daher zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte jedenfalls im Ergebnis zu Recht verurteilt, dem Kläger aus Anlaß seines Unfalls vom 14. Oktober 1965 die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Es handelte sich nämlich um einen landwirtschaftlichen Arbeitsunfall (§§ 776 Abs. 1 Nr. 1, 548 Abs. 1 RVO).

Zunächst ist festzustellen, daß der Ehefrau des Klägers im Jahre 1953 eine 12,5 ar große, in der Gemarkung S. in etwa 1 km Entfernung von der ehelichen Wohnung gelegene, nicht eingezäunte landwirtschaftlich genutzte Fläche durch Erbgang zugefallen ist, auf der 10 hochstämmige, in den Jahren 1910 bis 1920 gepflanzte Apfelbäume standen. Während die Bodennutzung dem Bäcker W. in den Jahren 1958 bis 1965 kostenlos überlassen worden war, der in dieser Zeit auch die Beiträge zur landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft entrichtete, hatten sich der Kläger und dessen Ehefrau die Obstnutzung vorbehalten. Beim Pflücken der Äpfel ist der Kläger am 14. Oktober 1965 verunglückt und hat sich eine Querschnittslähmung zugezogen. Dieser Sachverhalt ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Klägers im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sowie den von der Beklagten eingeholten Auskünften des Bäckers W. und des Bürgermeisters von S. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.

Eine Haftung der Beklagten ergibt sich noch nicht daraus, daß sie dem Kläger zunächst Heilbehandlung gewährte. Insoweit liegt nämlich kein sie bindender Verwaltungsakt vor.

Die Beklagte vertritt auch zutreffend die Ansicht, durch den Umstand, daß die 10 Apfelbäume auf der von W. landwirtschaftlich genutzten Fläche standen, sei noch nicht bewirkt worden, daß ihre Nutzung an dem Versicherungsschutz teilnahm, der für das Betreiben des Ackerbaus auf der 12,5 ar großen Fläche bestand. Versichert sind nämlich nicht Grundstücke, sondern Personen in bestimmten Unternehmen im Hinblick auf eine wirtschaftliche Tätigkeit von nicht ganz kurzer Dauer, die zum Zwecke einer überwiegenden, planmäßigen Aufzucht von Bodengewächsen für eigene Rechnung aufgewendet wird. Der Unfall des Klägers war daher nur dann ein landwirtschaftlicher, wenn die Obstnutzung als solche den Gegenstand eines landwirtschaftlichen Unternehmens darstellte. Daß der Kläger diese Obstnutzung nicht besonders bei der Beklagten zum Unternehmerverzeichnis angemeldet hatte und erst ab 1. Januar 1966 als Unternehmer des bis dahin dem Bäcker W. überlassenen landwirtschaftlichen Grundstücks eingetragen wurde, ist somit in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, da der Versicherungsschutz hiervon nicht abhängt.

Das Abernten von Obst, bei dem der Kläger verunglückte, wie den Angaben des auf Veranlassung der Beklagtem vom Ortsgericht Stierstadt vernommenen Rentners M. zu entnehmen ist, wurde bereits vom Reichsversicherungsamt grundsätzlich als eine landwirtschaftliche Tätigkeit angesehen und dem landwirtschaftlichen Unternehmen des Baumbesitzers zugerechnet (EuM 43, 26). Diese Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht übernommen (vgl. z.B. Urteil vom 26. April 1963, 2 RU 242/59). Es hat das Ernten des Obstes zutreffend als natürlichen und für eine ordnungsmäßige Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Unternehmens notwendigen Abschluß des Obstbaus angesehen. Dabei unterliegen auch Zwergbetriebe der gesetzlichen Unfallversicherung. Weder die Größe des Betriebes noch die Art der Bewirtschaftung ist ausschlaggebend, es sei denn, daß die landwirtschaftliche Tätigkeit, wozu auch die Obstnutzung gehört, ganz unbedeutend ist. Sie muß also einen gewissen Umfang haben (vgl. Boller, die Sozialversicherung, 1969, § 213; EuM 9, 252). So wurde vom Reichsversicherungsamt ein landwirtschaftlicher Betrieb in einem Fall angenommen, in dem von 20 vorhandenen Obstbäumen nur 10 trugen, weil hier die Pflege- und Aberntungstätigkeit einen Umfang erreicht habe, der einen Versicherungsschutz unbedingt erforderlich mache, auch im Hinblick auf die mit dem Obsternten bei Hochstämmen verbundenen besonderen Gefahren (EuM 50, 6).

Hierzu ist festzustellen, daß die in den Jahren 1954 bis 1965 geerntete Obstmenge nicht unbedeutend war. Die Beklagte hat in dieser Hinsicht im Verwaltungsverfahren keine Feststellungen getroffen. Der Kläger hat jedoch bei seiner persönlichen Anhörung glaubhaft angegeben, er habe jährlich im Durchschnitt etwa 12,5 Zentner Obst geerntet, wovon etwa 2 1/2 Zentner im wesentlichen im eigenen Haushalt verbraucht, zu einem Teil auch verschenkt worden seien, während er alles übrige Obst zum Keltern verkauft habe. Der Senat hält diese von der Ehefrau des Klägers als Zeugin bestätigte Angabe für glaubhaft, zumal sie hinsichtlich des Kelterobstes mit der Bekundung des als Zeugen vernommenen Gastwirts Sc. übereinstimmt, er habe in den Jahren 1954 bis 1964 vom Kläger durchschnittlich etwa 10 Zentner Kelterobst jährlich gekauft. Weiterhin bekundete der Gastwirt K. als Zeuge, vom Kläger im Unfalljahr 1965 7,6 Zentner Kelterobst gekauft zu haben. Die Aberntungstätigkeit nahm den Kläger, der dabei von seiner Ehefrau unterstützt wurde, etwa zwei Tage in Anspruch, wie ar ebenfalls glaubhaft erklärt und seine Ehefrau als Zeugin bekundet hat. Für die Pflege der Bäume benötigte er nach seinen Angaben und der Bekundung seiner Ehefrau an zwei Tagen im Jahr je 6 bis 7 Stunden, und zwar habe er die Stämme der Bäume bis zum Ansatz der Äste in jedem Jahr abgekratzt und mit Leimringen versehen sowie morsche Äste beseitigt. Im Jahre 1955 oder 1956 seien alle Bäume einmal von einem Baumwart ausgeschnitten worden, wofür er 150,– DM bezahlt habe. Jeweils im Frühjahr habe er die Leimringe wieder abgenommen und dafür 1 bis 2 Stunden benötigt. Die Bäume seien jedoch weder gespritzt noch gedüngt und lediglich der umliegende Boden mit dem Spaten aufgelockert worden, soweit dies nicht bereits beim Pflügen geschehen sei. Ab 1955 habe der Bäcker W. die letztere Arbeit mitübernommen. Der Senat hält diese Angaben nach dem ruhigen und zurückhaltenden Eindruck, den der Kläger und seine Ehefrau machten, für glaubhaft. Es ist auch gerichtsbekannt, daß man Obstbäume in dieser Weise und mit diesem Zeitaufwand pflegt, so daß es keiner weiteren Beweiserhebung bedurfte. Diese Pflegetätigkeit war zwar, auf das ganze Jahr bezogen, gering, weil sie höchstens vier noch nicht einmal volle Tage in Anspruch nahm. Jedoch vertritt der Senat die Auffassung, daß vor allem im Hinblick auf die Menge des geernteten Obstes und den damit verbundenen Zeitaufwand nicht von einer ganz unbedeutenden landwirtschaftlichen Tätigkeit gesprochen werden kann, so daß ein landwirtschaftliches Unternehmen vorlag. Eine sorgfältige Pflege der Obstbäume ist nach der Auffassung des Senats auch keine unerläßliche Bedingung für das Vorliegen eines landwirtschaftlichen Betriebes. Das BSG hat in seinem Urteil 2 RU 242/59 keinen Anlaß zur Prüfung gesehen, welche rechtlichen Folgerungen sich ergeben, wenn Obstbäume eines landwirtschaftlichen Unternehmens nicht ordnungsgemäß gepflegt werden. Das RVA hat zwar ausgeführt, die Pflege und Aberntung von Obstbäumen gehöre zur landwirtschaftlichen Betriebsform (EuM 50, 6). Daraus folgt aber noch nicht, daß die optimale Pflege von Obstbäumen auch eine notwendige Voraussetzung für das Vorliegen eines landwirtschaftlichen Betriebes darstellt. Vielmehr ist, wer z.B. eine große Obstplantage lediglich aberntet und das Obst verkauft, ebenso landwirtschaftlicher Unternehmer wie derjenige, der sich auf Rindviehhaltung spezialisiert hat und seine Wiesenflächen nur abweiden läßt und Heu erntet. Abgesehen von sonst entstehenden u.a. erheblichen Beweisschwierigkeiten wird es gerade bei dem heute teilweise eintretenden Strukturwandel in der Landwirtschaft, der mit dem Abwandern zahlreicher kleiner Landwirte verbunden ist, häufig vorkommen, daß in auslaufenden landwirtschaftlichen Betrieben wegen fehlender Arbeitskräfte und aus finanziellen Gründen über Jahre hinweg überhaupt keine Bodendüngung bzw. Pflege von Obstbäumen mehr durchgeführt wird. Gleichwohl liegen nach Auffassung des Senats auch in diesen Fällen noch landwirtschaftliche Unternehmen vor, die des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung bedürfen und Beitragszahlung erfordern, für den vorliegenden Fall folgt daraus, daß auch dann, wann man die Auffassung vertritt, die Pflege der Obstbäume durch den Kläger und seine Ehefrau könne nur als unbedeutend und fachlich unzureichend gewertet werden, an dem Vorliegen eines landwirtschaftlichen Unternehmens nicht zu zweifeln ist. Die Beklagte hat daher zutreffend weder in dem an die Ortspolizeibehörde von S. gesandten Fragenkatalog noch bei den durch ihren Bediensteten I. angestellten Ermittlungen festzustellen versucht, in welchem Umfang Pflegearbeiten an den Obstbäumen vorgenommen wurden, sondern nur geprüft, wieviel Arbeitstage der Kläger "für die Fläche und das Abernten der Bäume” jährlich aufgewendet hat.

Das Vorliegen eines landwirtschaftlichen Betriebes scheitert auch nicht an der Bestimmung des § 778 RVO. Danach gelten nicht als landwirtschaftliche Unternehmen Haus-, Zier- und andere Kleingärten, die weder regelmäßig noch in erheblichem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet werden und deren Erzeugnisse hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienen. Diese Bestimmung ist hier – entgegen der Ansicht der Beklagten – nämlich nicht anwendbar.

Die Beklagte hat zutreffend ausgeführt, daß die fehlende Umzäunung des Grundstücks hierfür nicht entscheidend ist. Unerheblich ist auch, daß die Obstbäume nicht beim Haus des Klägers sondern in ca. 1 km Entfernung im Feld standen. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von demjenigen, welcher der Entscheidung des RVA in EuM 50, 6 zugrunde lag. Dort ist eine mit 20 Obstbäumen bestandene Parzelle nur deshalb nicht als Kleingarten betrachtet worden, weil sie im freien landwirtschaftlichen Gelände Mitteldeutschlands lag, während der Eigentümer in B. wohnte und die räumliche Entfernung als zu groß bezeichnet wurde. Unter "anderen Kleingärten” sollten in erster Linie die Schrebergärten und ähnliche Kleingärten erfaßt werden. Der Begriff "andere Kleingärten” steht neben dem des "Hausgartens”. Der Umstand, daß sich die Obstbäume im vorliegenden Fall weiter von Haus entfernt befanden, ist grundsätzlich nicht geeignet, den Begriff des Kleingartens nicht anzuwenden, zumal die Bäume auf einer verhältnismäßig kleinen Fläche (12,5 ar) standen (vgl. hierzu Lauterbach, Komm. zu Unfallversicherung, Anm. 4 zu § 778). Jedoch scheitert die Anwendung des § 778 RVO daran, daß das geerntete Obst nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt des Klägers diente.

Die Beklagte legt diese Bestimmung falsch aus. Sie meint, bei der Unterstellung einer gartenmäßigen Bodenbewirtschaftung folge aus dieser Vorschrift, daß das Unternehmen des Klägers ganz grundsätzlich nicht als landwirtschaftliches gelten könne. Das Gegenteil ist richtig. Auch die gartenmäßige Nutzung von Grund und Boden ist grundsätzlich Gegenstand eines landwirtschaftlichen Unternehmens, wenn sie nur einen gewissen Mindestumfang hat, d.h., nicht ganz unbedeutend ist. § 776 RVO enthält nämlich keine Bestimmung, daß Gartennutzungen grundsätzlich der landwirtschaftlichen Unfallversicherung nicht unterliegen. Die Beklagte scheint anderer Ansicht zu sein, hat diese allerdings nicht begründet. Sie meint lediglich, eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß eine gartenmäßige Bodenbewirtschaftung nicht als landwirtschaftliches Unternehmen gelte, sei gem. § 778 RVO nur dann gegeben, wenn ein solcher Haus-, Zier- oder anderer Kleingarten mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet werde und die Erzeugnisse nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienten, sondern gewerblich verwertet würden. Das Wort "und in § 778 RVO besage, daß beide Voraussetzungen erfüllt sein müßten, wenn die Ausnahme von der Regel Platz greifen solle. Da die erste Alternative hier nicht vorliege, komme es auf die zweite nicht mehr an.

Die Beklagte verkennt damit Wortlaut und Sinn dieser Bestimmung. Nach richtiger Auffassung soll damit erreicht werden, daß Gärten, die nach der Begriffsbestimmung des § 776 RVO grundsätzlich den Gegenstand eines landwirtschaftlichen Unternehmens bilden, dann nicht als solche Unternehmen "gelten”, wenn sie nach Größe und Nutzungsart einem landwirtschaftlichen Unternehmen nicht gleichgestellt werden können. Der Gesetzgeber hat hierfür zwei Kriterien angeführt, und zwar die Bewirtschaftung mit besonderen Arbeitskräften und den Verwendungszweck der Bodenerzeugnisse. Die in § 778 RVO gebrauchte Fiktion kommt einem anspruchsvernichtenden Tatbestand gleich: Nur wenn beide Kriterien fehlen, wird fingiert, daß kein landwirtschaftliches Unternehmen vorliegt. Ist dagegen auch nur eines der beiden Kriterien gegeben, wird die Fiktion nicht wirksam, d.h., es bleibt dann dabei, daß ein landwirtschaftliches Unternehmen vorliegt. Sinn dieser Bestimmung ist, daß nach Auffassung des Gesetzgebers die Annahme eines landwirtschaftlichen Unternehmens nicht entfallen soll, wenn die Gartenbewirtschaftung einen bestimmten Umfang überschreitet. Das soll bereits dann der Fall sein, wenn die Bewirtschaftung mit besonderen Arbeitskräften erfolgt. Es ist dann unschädlich, wenn die Bodenerzeugnisse hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienen. Wenn also z.B. bei einer großen Familie der Garten mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet wird, ist die Ausnahmebestimmung des § 778 RVO nicht anwendbar. Das gleicht ist der Fall, wenn der Gartenbesitzer die Bewirtschaftung zwar selbst durchführt, die Erzeugnisse aber nicht hauptsächlich im eigenen Haushalt verbraucht.

Im vorliegenden Fall wurden zwar keine besonderen Arbeitskräfte zur Bewirtschaftung der Obstbäume benötigt, denn daß im Jahre 1955 oder 1956 einmal ein Baumwart alle Bäume ausgeputzt hat, reicht hierfür nicht aus. Dagegen ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme festzustellen, daß das geerntete Obst nicht hauptsächlich dem Haushalt des Klägers diente, so daß die Ausnahmevorschrift des § 778 RVO keine Anwendung findet.

Es ist bereits eine allgemeine Erfahrungstatsache, daß die Äpfel von 10 tragenden, ausgewachsenen Hochstämmen im Durchschnitt der Jahre nicht in einem zwei Personen umfassenden Haushalt verbraucht werden können. Das mußte auch dem Bediensteten I. bekannt sein, der für die Beklagte am 23. Juni 1966 beim Kläger Nachforschungen anstellte und folgenden Satz in seine "Zeugenvernehmung” aufnahm: "Die 10 auf dem Grundstück stehenden Obstbäume, Äpfel, über 50 Jahre alt, habe ich herausgehalten und ernte dieselben für meinen Bedarf ab.” Er hätte den Kläger daher fragen müssen, welche Obstmenge anfiel und ob er überhaupt in der Lage war, alles Obst in seinem Haushalt zu verwenden. Die offensichtlich unrichtige Angabe des Klägers in diesem Protokoll dürfte dadurch zustande gekommen sein, daß weder dem Ermittler I. noch dem Kläger bekannt war, welcher Sachverhalt rechtserheblich ist. Die im Klage- und Berufungsverfahren durchgeführte Beweisaufnahme hat dann auch ergeben, daß das vom Kläger geerntete Obst tatsächlich nicht hauptsächlich seinem eigenen Haushalt diente. Der Kläger hat bei seiner Anhörung durch das Sozialgericht und den Senat glaubhaft angegeben, durchschnittlich nur etwa 2 1/2 Zentner Obst selbst eingelagert und davon noch wiederholt kleine Mengen verschenkt, das übrige angefallene Obst, und zwar etwa durchschnittlich 10 Zentner jährlich, zum Keltern verkauft zu haben. Dies ist auch von den hierzu vernommenen Zeugen bekundet worden, und zwar von seiner Ehefrau sowie den Gastwirten Sc. und K. Sc. hat danach vom Kläger in den Jahren 1954 bis 1964 jährlich etwa 10 Zentner Obst und K. im Jahre 1965 7,6 Zentner Obst zum Preise von 57,– DM gekauft. Der Senat war nicht in der Lage, sich der insbesondere in der letzten mündlichen Verhandlung von der Beklagten vertretenen Ansicht anzuschließen, als richtig könne nur die Angabe des Klägers angesehen werden, die er am 23. Juni 1966 gegenüber ihrem Bediensteten I. gemacht hatte, da ihr kein Beweiswert zukommt, wie oben, ausgeführt ist, und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die ordnungsgemäß als Zeugen vernommenen Gastwirte Sc. und K. die Unwahrheit gesagt haben, zumal ersterer das Sozialgericht sogar noch eine Quittung des Klägers aus dem Jahre 1958 über 10 Zentner Obst und letzterer sein Schmierbuch mit einer Eintragung über die ihm im Jahre 1965 gelieferte Obstmenge und den Kaufpreis vorgezeigt hat. Es ist somit festzustellen, daß der Kläger im Durchschnitt der Jahre 1954 bis 1965 jährlich etwa 10 Zentner Kelterobst verkaufte und etwa 2 1/2 Zentner Tafelobst einlagerte und hiervon sogar gelegentlich noch etwas verschenkte. Er hat damit sogar den überwiegenden Teil des angefallenen Obstes gewerblich verwertet, obwohl für die Anwendung des § 778 RVO bereits ein "erheblicher Teil” ausreicht (vgl. Lauterbach, a.a.O., Anm. 6 zu § 778 RVO). Dabei ist auf die Menge und nicht auf den Wert des Obstes abzustellen, worauf der Ausdruck "hauptsächlich” hinweist, zumal auch der Wert des selbst verbrauchten Obstes im Ablauf der einzelnen Jahre nur schwer feststellbar, ist, die Anwendung des § 778 RVO aber leicht zu ermittelnde Werte erfordert. Selbst wenn man es aber auf den Wort des Obstes abstellen würde, waren hier die Voraussetzungen des § 778 a.a.O. ebenfalls nicht erfüllt: Der Kläger hat im Jahre 1965 für 7,6 Zentner Kelterobst 57,– DM erhalten, also 7,50 DM pro Zentner, wie der Zeuge K. bekundet hat. Die höchstens 2 1/2 Zentner selbst verbrauchten Obstes hatten einen Wert von etwa 15,– bis 30,– DM je nach der Marktlage in den einzelnen Jahren, wie die Ehefrau des Klägers bekundet hat und was auch gerichtsbekannt ist, so daß sich ein Gesamtwert von 37,– bis 75,– DM ergibt. Der Kläger hat also aus dem Kelterobst mindestens ebensoviel erlöst wie er beim Verkauf des Tafelobstes erzielt hätte. Er hat also auch nach dieser Auslegungsmethode jedenfalls einen erheblichen Teil des Obstes nicht im eigenen Haushalt verwendet.

Nach alledem handelt es sich um einen landwirtschaftlichen Unfall, den die Beklagte zu entschädigen hat. Das Sozialgericht konnte eine Verurteilung dem Grunde nach aussprechen, weil dem Kläger im Hinblick auf die Schwere seiner Verletzung (Querschnittslähmung) Versicherungsleistungen in erheblichem Umfang zustehen und auch von der Beklagten vor Erteilung des Ablehnungsbescheides bereits gewährt wurden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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