L 4 KR 174/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 KR 3477/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 174/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht die Erstattung von Kosten in Höhe von EUR 12.275,38 (EUR 14.602,50 abzüglich von der Beklagten für die Zeit ab August 2000 geleisteter Zahlungen in Höhe von EUR 2.327,12), die ihr wegen einer Versorgung mit Echthaarteilperücken und Serviceleistungen seit August 2000 entstanden sind, geltend.

Die am 1974 geborene Klägerin ist bei der Beklagten versichert. Sie als Kollektionsverkäuferin in einer Modeagentur beschäftigt. Sie leidet seit etwa 1994 an einer antrogenetischen Alopezie. Deswegen wandte sie sich erstmals mit Schreiben vom 19. Mai 2000 an die Beklagte und bat um Beteiligung der Beklagten an den Kosten einer Echthaarversorgung. Sie habe zwei Haarteile zu DM 4.900,00 und DM 4.400,00 erworben. Hinzu kämen Kosten für das monatliche Einflechten und Einweben der Echthaarteile in Höhe von DM 2.600,00 jährlich. Die Gesamtkosten würden sich deshalb auf DM 11.900,00 belaufen. Zusätzlich sei sie mit Kosten für die Pflege (Shampoo, Spülung) in Höhe von ca. DM 70,00 monatlich belastet. Für die Reinigung bzw. Aufbesserung der Haarteile in einem Haarlabor kämen auf sie weitere Kosten in Höhe von ca. DM 600,00 bis DM 800,00 zu. Sie habe regelmäßig Ärzte besucht, um die Ursache für das Haarproblem festzustellen, was erfolglos geblieben sei. Sie habe deshalb sehr an ihrem Selbstbewusstsein als Frau und unter psychischen Depressionen gelitten. Sie habe sich für die Haareinflechtung bei dem S. Haarstudio entschieden. Die ihr entstehenden Kosten könne sie nicht alleine tragen. Sie legte Vereinbarungen mit dem S. Haarstudio sowie das Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin - Umweltmedizin - Dr. Dr. E. vom 29. Mai 2000, der bestätigte, dass die Klägerin seit ca. sechs Jahren an einer antrogenetischen Alopezie leide und sich in fachärztlicher Behandlung befinde, vor. Nachdem die Beklagte die Klägerin zunächst darauf hinwies, dass Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung nur aufgrund einer ärztlichen Verordnung übernommen werden könnten, eine solche aber nicht vorliege, wandte sich die Beklagte an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Dr. H. führte in der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 28. Juni 2000 aus, bei einer antrogenetischen Alopezie bestehe ein Anspruch auf eine Kunsthaarperücke. Eine Echthaarperücke und auch der Ersatz mit Echthaar komme allenfalls bei durch eine Chemotherapie bedingtem Haarausfall in Betracht. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen sei nicht ersichtlich, warum überhaupt eine Perücke bzw. ein Haarersatz medizinisch notwendig sei. Es fehle an einem genauen Befund. Auf Anforderung der Beklagten reichte die Klägerin ein Attest der Gynäkologin Dr. K. vom 19. Juni 2000, dem Laborbefunde aus den Jahren 1997 und 1998 sowie ein Bericht des Internisten und Endokrinologen Prof. Dr. G. vom 04. Dezember 1996 beilagen, ein. Auf Nachfrage der Beklagten teilte Hautarzt Dr. Eb. telefonisch mit, er habe die Klägerin das letzte Mal 1996 behandelt. Nachdem die Klägerin ein Lichtbild vorgelegt hatte, führte Dr. H. in der ergänzenden sozialmedizinischen Stellungnahme vom 15. August 2000 aus, aufgrund der Fotodokumentation sei eine Indikation für Haarersatz ersichtlich. Es komme allenfalls eine Kunsthaarperücke zu Lasten der Kasse in Betracht. Ob eine Haareinflechtung sinnvoll sei, sei fraglich, da durch die Haareinflechtung ein Zug auf die verbliebenen Haare ausgeübt werde.

Mit Schreiben vom 22. August 2000 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass eine Indikation für einen Haarersatz bestehe. Zweifelhaft sei, ob eine Haareinflechtung zweckmäßig sei. Entsprechend der Empfehlung der medizinischen Gutachter werde die Kostenübernahme für eine Kunsthaarperücke in Höhe von einmalig DM 430,00 zugesagt. Die Klägerin machte mit Schreiben vom 13. September 2000 geltend, die Beklagte möge den ihr zustehenden Ermessensspielraum erneut überprüfen. Mit ihrem Einkommen sei es ihr nicht möglich, die entstehenden Kosten zu tragen. Mit Bescheid vom 18. September 2000, dem keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, lehnte die Beklagte die Übernahme weiterer Kosten ab. Ein über die zugesagte Leistung von DM 430,00 hinausgehender Ermessensspielraum bestehe nicht. Der Anspruch auf DM 430,00 bestehe im Übrigen einmal jährlich, sofern die Klägerin eine neue ärztliche Verordnung einreiche. Hiergegen erhob die Klägerin keine Rechtsbehelfe. In der Folge sagte die Beklagte durch das Kundencenter Bad Cannstatt eine halbjährliche Kostenbeteiligung in Höhe von DM 400,00 bzw. EUR 204,52 zu. Dieser Betrag wurde der Klägerin ab Juli 2000 überwiesen.

Die Klägerin wandte sich mit Telefax vom 20. März 2003 erneut an die Beklagte. Nach Beratungen mit den behandelnden Ärzten habe sie sich im Jahre 2000 für die Einflechtung eines Haarteiles entschieden. Dieses Haarteil sei die einzige Möglichkeit, nicht ganz in Depressionen zu verfallen und die Lebensqualität ein wenig zu verbessern. Die fixen Kosten trage sie seit drei Jahren selbst. Einmal jährlich sei ein Haarteil für ca. EUR 2.000,00 fällig. Einmal monatlich müsse durch den Friseur das Haarteil immer wieder neu befestigt werden, was EUR 76,00 koste. Die fixen Kosten würden sich auf jährlich EUR 2.912,00 zuzüglich des Benzingelds belaufen, da der Spezialfriseur in Appenweier bei Baden-Baden ansässig sei. Sie bitte um Kostenübernahme. Beigefügt war ein Attest des Dr. Dr. E. vom 20. Februar 2003, der erneut eine schwere antrogenetische Alopezie mit Progression beschrieb. Die Klägerin sei psychisch stark beeinträchtigt und depressiv. Ein normales natürliches Aussehen lasse sich nur mit einem Haarersatz erreichen. Weiter beigefügt war der Kostenvoranschlag des Friseurbetriebs H. S., A., vom 02. November 2002 für die Anfertigung eines Haarteils für den Oberkopf aus Echthaar in Höhe von EUR 1.600,00.

Mit Bescheid vom 09. April 2003 lehnte die Beklagte eine weitergehende Kostenübernahme ab. Die jetzt praktizierte Bezuschussung durch sie sei sehr weitgehend, sodass die Übernahme höherer Zuschüsse ausgeschlossen sei. Die Klägerin legte Widerspruch ein, den der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2003 zurückwies. Nach dem Hilfsmittelkatalog der Spitzenverbände der Krankenkassen bestehe für weibliche Personen mit haararmen oder haarlosen Kopfpartien Anspruch auf Ausstattung mit einer Perücke. Ihre (der Beklagten) Preisvereinbarungen mit den Leistungserbringern sähen für eine Kunsthaarperücke eine Vergütung in Höhe von EUR 219,86 (DM 430,00) vor. Im Gutachten des MDK vom 15. August 2000 sei bereits festgestellt worden, dass eine medizinische Notwendigkeit für den beantragten Echthaarersatz nicht vorliege. Die Versorgung mit einer Kunsthaarperücke sei indiziert. Über die ursprünglich im Jahr 2000 zugesagte Kostenbeteiligung für eine Kunsthaarperücke in Höhe von EUR 219,86 hinaus habe sie unter Berücksichtigung des jungen Lebensalters der Klägerin eine halbjährliche Kostenbeteiligung in Höhe von EUR 204,52 (DM 400,00) zugesagt. Eine weiteren Leistungsgewährung sei nicht möglich.

Die Klägerin hat am 30. Juni 2003 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Mit der Klageschrift hat sie zunächst die Verurteilung der Beklagten begehrt, die Kosten für Echthaarersatz seit Antragstellung in voller Höhe und dem Grunde nach auch die künftigen Kosten zu übernehmen. In der mündlichen Verhandlung des SG vom 21. November 2006 hat sie beantragt, ihr die Kosten der Echthaarversorgung seit August 2000 in Höhe von EUR 14.602,50 abzüglich der von der Beklagten für die Zeit ab August 2000 geleisteten Zahlungen in Höhe von EUR 2.327,12 zu erstatten. Sie hat vorgetragen, nur ein Echthaarersatz sei in der Lage, die Beeinträchtigung durch die Krankheit wenigstens einigermaßen auszugleichen. Nur durch den Echthaarersatz sehe sie wieder natürlich aus. Eine Kunsthaarperücke sei nicht ausreichend, da sie damit lächerlich wirke und mit dieser "Verkleidung" ihrem Beruf als Kollektionsverkäuferin in einer Modeagentur nicht nachgehen könne. Kunsthaar sei kein brauchbarer Ersatz. Die Folge der Haarlosigkeit wäre eine psychiatrische Erkrankung, die eine psychotherapeutische Behandlung nach sich ziehen würde. Mit dem Zuschuss von ca. EUR 400,00 jährlich sei ihr angesichts der tatsächlichen Kosten nicht gedient. Eine finale ärztliche Behandlungsmethode bestehe nicht. Für den Echthaarersatz habe sie im Jahr 2000 rund EUR 6.500,00 aufgewendet (erstes Echthaarteil EUR 2.500,00, zweites Echthaarteil EUR 2.500,00, Einflechten EUR 1.300,00 pro Jahr, Shampoo EUR 35,00, Reinigung EUR 350,00). Derzeit würden ca. EUR 200,00 für die jährliche Fertigung des Haarteils und für die monatliche Neubefestigung monatlich weitere EUR 76,00 anfallen, sodass der Echthaarersatz im Jahr auf weitere ca. EUR 2.900,00 komme. Sie hat einen weiteren Bericht des Internisten und Endokrinologen Prof. Dr. G. vom 14. August 2003 sowie eine Aufstellung (Bl. 63 SG-Akte) der ihr seit 1999 entstandenen Kosten (zum Nachweis hierzu Rechnungen bzw. Bestätigungen des Haarstudios S., Stuttgart, des Friseurs S., A., des Friseurs F., M., der Firma H. H., M. und des Zweithaarstudios M. - Bl. 64 bis 93 SG-Akte -) und der Zahlungen durch die Beklagte vorgelegt. Die Gesamtkosten belaufen sich danach auf EUR 11.909,37, wobei monatliche Serviceleistungen in Höhe von ca. EUR 35,00 bis EUR 80,00 nicht berücksichtigt sind. Die Zahlungen der Beklagten belaufen sich auf EUR 2.751,50.

Die Beklagte ist der Klage unter Verweis auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid entgegengetreten.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 21. November 2006 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit der von ihr konkret gewählten Methode der Echthaareinwebung gehabt. Die Klägerin habe Anspruch auf Versorgung mit Haarersatz, was dem Grunde nach von der Beklagten anerkannt sei. Ziel der Hilfsmittelversorgung sei nicht die möglichst umfassende Rekonstruktion des verlorengegangenen früheren Zustandes im Sinne einer Naturalrestitution, sondern nur die Gewährung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Hieraus folge, dass auch der Wunsch der Versicherten nach einer bestimmten Frisur dann nicht maßgeblich sei, wenn er - wie vorliegend - mit Mehrkosten verbunden sei. Der Behinderungsausgleich umfasse nur die Versorgung, die notwendig sei, um den Verlust des natürlichen Haupthaares für einen unbefangenen Beobachter nicht sogleich erkennbar werden zu lassen. Danach geht die von der Klägerin gewählte Versorgung mit der Einwebung von Echthaar über das Maß des Notwendigen hinaus. Dass eine Kunsthaarperücke, die die Klägerin in der mündlichen Verhandlung testweise getragen habe, erkennbar gewesen sei, sei unerheblich, da sie über den fest eingewebten Haarteilen getragen worden sei.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 11. Dezember 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 09. Januar 2007 eingelegte Berufung der Klägerin. Ein typischer kassenfinanzierter Echthaarausgleich durch Kunsthaar falle auch einem ungeübten Beobachter schnell als Ersatzhaar auf. Sie traue sich mit einem Kunsthaarersatz nicht auf die Straße. Sie arbeite in einem Modebetrieb, in dem es auf das äußere Erscheinungsbild ankomme. Der spezielle Befestigungsservice bedeute für sie Sicherheit und ermögliche einen natürliche Umgang mit dem Umfeld. Ohne den Echthaarersatz bekomme sie Depressionen. Mit dem Echthaarersatz könne sie normal Sport ausüben. Kunsthaar sei zwar in den meisten Fällen sinnvoll, nicht jedoch bei der kleinen Gruppe derer, die nie mehr über eigenes natürliches Haar verfügten. Für diesen Personenkreis sei ein behinderungsfreier Umgang in der Gesellschaft nur möglich, wenn ein Echthaarersatz erfolge, der auch die einzige wirtschaftlich sinnvolle und gebotene Kassenleistung sei. Ein dauernder Einsatz von Kunsthaar verstoße gegen die Würde des Trägers. Die bisherige Beteiligung der Beklagten stelle keinen angemessenen Anteil dar. Bei ihrem monatlichen Nettoeinkommen von ca. EUR 1.400,00 sei der von ihr zu tragende Eigenanteil von über EUR 3.000,00 jährlich unangemessen. Das Sozialstaatsgebot aus Art. 20 des Grundgesetzes (GG) gebiete es, dass sie am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen könne. Mit einer "Faschingsperücke" sei es nicht getan. Ergänzend hat die Klägerin Lichtbilder vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. November 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Echthaarversorgung seit August 2000 in Höhe von EUR 14.602,50 abzüglich der von der Beklagten für die Zeit ab August 2000 geleisteten Zahlungen von EUR 2.327,12 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Mit Schreiben vom 19. Juni 2007 hat der Berichterstatter die Beteiligten darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG und die Akten des Senats Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 143 SGG statthafte, gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Da der Senat die Berufung der Klägerin einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, entscheidet er gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat der Senat die Beteiligten angehört.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 09. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2003 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihr wegen der Echthaarversorgung ab August 2000 in Höhe von EUR 14.602,50 entstanden sind. Ein Anspruch auf Zahlung von EUR 12.275,38 unter Berücksichtigung der Zahlungen der Beklagten ab August 2000 in Höhe von EUR 2.327,12 besteht nicht.

1. Als Anspruchsgrundlage für den von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung beim SG und im Berufungsverfahren ausschließlich geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch kommt § 13 Abs. 3 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) in Betracht. Diese Vorschrift bestimmt, dass eine Krankenkasse, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, die Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten hat, soweit die Leistung notwendig war. Die Voraussetzungen sind nicht gegeben.

a) Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1,1. Alternative SGB V scheidet deshalb aus, weil eine medizinische Notlage, die ein unverzügliches Handeln zur Abwehr drohender Gesundheitsschäden notwendig macht, erkennbar nicht vorlag. Eine solche Notlage wird auch von der Klägerin nicht geltend gemacht.

b) Auch die Anspruchsvoraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative SGB V sind nicht gegeben. Die Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V greift immer nur dann, wenn eine ablehnende Entscheidung der Krankenkasse bereits vorgelegen hat, bevor die Leistung selbst beschafft wurde. Der Versicherte muss sich daher vor jeder in Anspruch genommenen Therapieentscheidung in zumutbarem Umfang um die Gewährung der Therapie als Sachleistung bemühen. Hierfür ist die Kontaktaufnahme mit der Krankenkasse und Beantragung der begehrten Leistung erforderlich. Weiter muss eine Entscheidung der Krankenkasse über die beantragte Leistung abgewartet werden. Ein auf die Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des BSG aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung zwecks Beratung des Versicherten über ein eventuelles Kostenrisiko mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R - RdNr.10 ff. m. w. N.).

Die Klägerin hat sich die Echthaarversorgung (Echthaareinwebung) einschließlich der erforderlichen Serviceleistungen der notwendigen Pflege beschafft, ohne zuvor die Beklagten einzuschalten. Bereits am 21. August 1999 und am 05. Februar 2000 schloss sie Vereinbarungen mit den S. Haarstudios über das Einweben von Naturhaar in das noch vorhandene Haar (Blatt 4 und 5 der Verwaltungsakte). Wie sich aus ihrer Zusammenstellung über die angefallenen Kosten seit dem Jahr 2000, die sie dem SG und auch dem Senat vorgelegt hat (Blatt 71 der SG-Akte, Blatt 7 der LSG-Akte), ergibt, erwarb sie seit April 2000 mehrere Echthaarteile und nahm seitdem auch einmal monatlich den Befestigungsservice verschiedener Haarstudios bzw. Friseure in Anspruch. Die Klägerin macht im vorliegenden Verfahren die seit August 2000 angefallenen Kosten geltend, bei denen es sich nach den vorgelegten Rechnungen ebenfalls um den Erwerb von Echthaarteilen und um die monatlichen Aufwendungen für die Pflege handelt. Insoweit wandte sich die Klägerin erstmals am 20. März 2003 an die Beklagte mit der Bitte, zumindest einen Teil der Kosten zu übernehmen, was die Beklagte dann mit dem angefochtenen Bescheid vom 09. April 2003 ablehnte. Damit besteht jedenfalls zwischen den der Klägerin vor dem 09. April 2003 entstandenen Kosten kein Ursachenzusammenhang mit einer (rechtswidrigen) Ablehnung der Beklagten. Dies gilt auch für die danach anfallenden Kosten, weil keine Trennung zwischen den vor und nach Bescheiderlass entstandenen Kosten vorzunehmen ist. Die nach dem Bescheid vom 09. April 2003 entstandenen Kosten beruhen auf der bereits 1999 getroffenen Entscheidung der Klägerin für die Echthaarversorgung (Echthaareinwebung). Damit war das weitere Vorgehen bereits endgültig festgelegt, weshalb die ablehnende Entscheidung der Beklagten vom 09. April 2003 nicht geeignet war, das weitere Leistungsgeschehen zu beeinflussen. Mithin fehlt der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung der Kasse und der Kostenbelastung des Versicherten auch für den Teil der Behandlungen, der zeitlich nach dem ablehnenden Bescheid lag (vgl. BSG SozR 3-2500 § 28 Nr. 6).

Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, eine Übernahme von Kosten bereits mit dem Schreiben vom 19. Mai 2000 beantragt zu haben, worüber die Beklagte mit den Bescheiden vom 22. August 2000 und 18. September 2000 entschieden hatte. Mit diesem Schreiben hatte die Klägerin zwar eine Kostenbeteiligung der Beklagten für die Haareinflechtung geltend gemacht, jedoch bezog sich der Antrag auf zwei bereits zu diesem Zeitpunkt gefertigte Haarteile für insgesamt DM 9.300,00, nicht aber auf die weiteren nach dem August 2000 angeschafften Echthaarersatzteile, für die die Klägerin im vorliegenden Berufungsverfahren Kostenerstattung begehrt. Die Bescheide vom 22. August 2000 und 18. September 2000 regeln demnach auch nur die Frage der Erstattung von Kosten, die mit dem Antrag vom 19. Mai 2000 geltend gemacht wurden. Auf diesen Antrag sagte die Beklagte lediglich die einmalige Zahlung in Höhe von DM 430,00 zu und lehnte im Übrigen die Erstattung von Kosten ab. Die Bescheide vom 22. August 2000 und 18. September 2000 sind keine Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, sodass sie für einen anderen Zeitraum bzw. für andere selbstbeschaffte Leistungen keine Regelung getroffen haben.

c) Darüber hinaus war die Beklagte auch nicht verpflichtet, die von der Klägerin in Anspruch genommenen Leistungen als Sachleistung zu erbringen. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nur so weit, wie die Beklagte verpflichtet wäre, Leistungen als Sach- oder Dienstleistungen nach § 2 Abs. 2 SGB V zu erbringen. Zwar haben Versicherte nach § 33 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, wenn diese im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung ausgleichen, soweit es sich nicht um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handelt oder diese nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Die vertragsärztliche Versorgung umfasst nach § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V u.a. die Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln. Die bestehende grundsätzliche Verpflichtung der Beklagten zur Versorgung der Klägerin mit Hilfsmitteln wird allerdings erst über eine ärztliche Verordnung eines an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Vertragsarztes konkretisiert. Die ärztliche Verordnung ist Voraussetzung für einen Sachleistungsanspruch auf Hilfsmittelversorgung des Versicherten (LSG Niedersachsen, Urteil vom 21. Februar 2001, L 4 KR 34/00, veröffentlicht in juris). Ohne eine ärztliche Verordnung konkretisiert sich ein möglicherweise abstrakt bestehender Leistungsanspruch des Versicherten nicht. Eine ärztliche Verordnung liegt weder für die erworbenen Echthaarteile noch für die in Anspruch genommenen Serviceleistungen vor. Mangels einer Verpflichtung der Beklagten, die von der Klägerin angeschafften Echthaarteile sowie die damit zusammenhängenden Serviceleistungen als Sachleistung zu erbringen, scheidet auch deshalb ein Anspruch auf Kostenerstattung aus.

d) Bei dieser Sachlage braucht deshalb nicht weiter erörtert zu werden, ob ein Anspruch der Klägerin auf Hilfsmittelversorgung mit Echthaarteilen und den jeweiligen Serviceleistungen nach § 33 Abs. 1 SGB V überhaupt dem Grunde nach besteht oder ob ein solcher Anspruch im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot, das auch für die Versorgung mit Hilfsmitteln gilt, ausgeschlossen ist.

2. Auch ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 15 Abs. 1 Satz 3 des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) scheidet aus. Danach ist der zuständige Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet, wenn sich der Leistungsberechtigte nach Ablauf der (von ihm nach Satz 2 dem Rehabilitationsträger zu setzenden angemessenen) Frist eine erforderliche Leistung selbst beschafft hat. Ein Kostenerstattungsanspruch nach dieser Vorschrift setzt ebenfalls einen vorherigen Antrag des Versicherten auf Leistungen zur Teilhabe voraus. Erst wenn über den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe, wozu grundsätzlich auch die Versorgung mit einem Hilfsmittel gehören könnte (§ 26 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX i.V.m. § 31 SGB IX), nicht innerhalb der in § 14 Abs. 2 SGB IX genannten Fristen entschieden wurde, kann sich der Versicherte unter bestimmten weiteren Voraussetzungen die erforderliche Leistung selbst beschaffen und die ihm entstandenen Kosten im Wege der Kostenerstattung geltend machen. Wie dargelegt fehlt es jedoch an einem vorherigen Antrag der Klägerin.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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