L 3 U 136/69

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 136/69
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 16. Januar 1969 werden zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die dem Kläger entstandenen außergerichtlichen Verfahrenskosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 13. April 1966 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 % wegen Lärmschwerhörigkeit aufgrund eines Gutachtens der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik der Universität M. vom 7. September 1965. Am 29. November 1966 erstattete diese Klinik ein weiteres Gutachten, demzufolge audiometrisch keine wesentliche Änderung des Hörvermögens eingetreten war. Die MdE wurde jedoch "bei Berücksichtigung der neuen Richtlinien zur Beurteilung des Schwerhörigkeitsgrades” mit 30 % bewertet. Die Beklagte gewährte dem Kläger dann einen Zuschuß zur Beschaffung eines Hörgerätes. Nach einer von ihr eingeholten aktenmäßigen Stellungnahme des Staatlichen Gewerbearztes von Rheinland-Pfalz, Dr. M. stellt das Tragen eines solchen Gerätes keine Behinderung dar und beseitigt die durch Lärmschwerhörigkeit verursachte Erwerbsminderung. Bereits am 20. Oktober 1966 hatte sich der Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten Dr. med. S., K., dahin geäußert, beim Tragen einer Hörgerät-Hörbrille werde die Hörweite für Umgangssprache wieder auf mehr als 6 m verbessert. Mit Bescheid vom 17. Juli 1967 entzog die Beklagte dem Kläger daraufhin die Rente ab 10. September 1967 unter Hinweis auf diese Stellungnahmen.

Der Kläger hat gegen diesen Bescheid am 10. August 1967 beim Sozialgericht Kassel Klage erhoben. Dieses holte ein Gutachten des Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten Ober-Reg.-Medizinalrat Dr. Z., N., ein, der die Auffassung vertrat, durch die Versorgung mit einem Hörgerät sei in den Berufskrankheitsfolgen des Klägers keine wesentliche Änderung eingetreten. Der Kläger legte noch eine Bescheinigung des Dr. med. S., K., vom 20. Juli 1968 vor, in der diese Ansicht ebenfalls geteilt worden ist. Die Beklagte brachte demgegenüber eine schriftliche Äußerung des Reg.-Medizinaldirektors Dr. med. M. vom 16. August 1968 bei, in der ausgeführt wurde, die Dres. Z. und S. hätten verkannt, daß in der Kriegsopferversorgung ein Körperschaden, in der Unfallversicherung jedoch eine MdE auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt die Grundlage der Entschädigung bestimme. In der Unfallversicherung liege daher bei Lärmschwerhörigkeit kein MdE-Grad mehr vor, wenn die volle Hörfähigkeit durch ein Hörgerät wiederhergestellt werde.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 16. Januar 1969 den Bescheid vom 17. Juli 1967 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger über den 31. August 1967 hinaus eine Rente von 20 % der Vollrente zu gewähren. Zur Begründung wurde ausgeführt, ein Hörgerät beseitige die Schwerhörigkeit nicht und stelle keinen vollwertigen Ersatz für das verlorene Hörvermögen dar.

Gegen das ihr am 22. Januar 1969 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12. Februar 1969 Berufung eingelegt.

Auf Antrag des Klägers wurde gem. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein Gutachten des Prof. Dr. B., Oberarzt der Universitäts-HNO-Klinik M., eingeholt, jedoch von der Zahlung eines Kostenvorschusses abgesehen. In dem am 7. Juli 1970 erstatteten Gutachten ist die Auffassung vertreten worden, daß die hörprothetische Versorgung beim Kläger keine Herabsetzung des MdE-Grades unter 20 % rechtfertige.

Die Beklagte hat zur Begründung ihrer Berufung noch eine Stellungnahme des Reg.-Medizinaldirektors Dr. M. vom 18. August 1970 vorgelegt, in der die Auffassung vertreten worden ist, arbeitsmedizinisch könne nicht der geringste Zweifel darüber bestehen, daß durch ein Hörgerät die Erwerbsfähigkeit in mindestens gleicher Weise gebessert werde, wie dies bei einer Augenschädigung durch eine Brille geschehe. Da von allen Gutachtern die Auffassung vertreten werde, daß sich der Träger eines Hörgerätes besser mit seiner Umwelt verständigen könne, müsse daraus auch der Schluß gezogen werden, daß ein Hörgerät die Erwerbsfähigkeit verbessere. Die Beklagte hat weiterhin schriftsätzlich u.a. vorgetragen, daß das Sprachverständnis des Klägers nach Lieferung der Hörbrille wenigstens so verbessert worden sei, daß die MdE nur noch 15 % betrage. Daß eine volle Hörfähigkeit wiederhergestellt werde, sei nicht behauptet worden. In der letzten mündlichen Verhandlung hat sie dann die Ansicht vertreten, durch die Lärmschwerhörigkeit werde beim Tragen der Hörbrille nur noch eine MdE um höchstens 10 % bedingt.

Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 16. Januar 1969 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 3. August 1970 Anschlußberufung eingelegt und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE um 30 % zu gewähren.

Er trägt u.a. vor, Prof. Dr. B. habe die Lärmschwerhörigkeit als mittelgradig bis fast schon hochgradig bezeichnet, so daß eine Verletztenrente nach einer MdE um 30 % gerechtfertigt sei. Die Beklagte habe den MdE-Grad nach den neuen Richtlinien zu niedrig festgesetzt, so daß eine wesentliche Änderung im Sinne des § 622 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vorliege. Eine zur Rentenherabsetzung berechtigende Besserung sei durch das Tragen des Hörgerätes nicht eingetreten, wie die Ohrenfachärzte Dres. Z., S. und Prof. B. überzeugend ausgeführt hätten. Er legte noch ein Schreiben des Deutschen Schwerhörigenbundes vom 19. Oktober 1968 vor, in dem zu den Eigenschaften eines Hörgerätes kritisch Stellung genommen worden ist. Ferner erklärte er, er könne infolge der Lärmschwerhörigkeit seine frühere berufliche Tätigkeit als Abnahmeprüfer im Lokbau nicht mehr ausüben und erleide daher einen monatlichen Gehaltsverlust von 124,– DM.

Die Beklagte beantragt,
die Anschlußberufung zurückzuweisen.

Sie führt dazu aus, die Voraussetzungen des § 622 Abs. 1 RVO lägen nicht vor. Es handele sich allenfalls um eine andersartige Bewertung der Lärmschwerhörigkeit, die aber nach dieser Bestimmung nicht berücksichtigt werden könne.

Im übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakte Bezug genommen, der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und daher zulässig.

Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat den Bescheid vom 17. Juli 1967, mit dem die Beklagte dem Kläger die bis dahin nach einer MdE um 20 % gezahlte Verletztenrente entzogen hat, zu Recht aufgehoben. In den für die Feststellung dieser Leistung maßgebenden Verhältnissen ist nämlich keine wesentliche Änderung eingetreten (§ 622 Abs. 1 RVO). Der vom Sozialgericht noch ausgesprochenen Verurteilung der Beklagten zur Weiterzahlung der Rente bedurfte es jedoch nicht. Es handelt sich hier nicht um eine sogenannte unechte Leistungsklage (§ 54 Abs. 4, SGG), vielmehr hat bereits die Aufhebung des Entziehungsbescheides die Wirkung, daß der frühere Rentenbescheid vom 13. April 1966 wieder zur Gewährung einer Teilrente von 20 % der Vollrente führt.

Eine wesentliche Besserung der Lärmschwerhörigkeit des Klägers als solche ist nicht eingetreten. Den im Klage- und Berufungsverfahren eingeholten (Gutachten des Dr. med. Z. sowie des Prof. Dr. B. zufolge liegt nach wie vor eine mittelgradige bist fast schon hochgradige Innenohrschwerhörigkeit, beiderseits verbunden mit subjektiven Ohrgeräuschen, vor. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.

Die Beklagte ist lediglich der Ansicht, durch das Tragen eines Hörgerätes sei die Schwerhörigkeit soweit gebessert worden, daß keine erhebliche MdE mehr bestehe. Dies ist jedoch unzutreffend.

Das Bundessozialgericht (BSG) hatte bisher den Standpunkt eingenommen, daß eine Änderung des MdE-Grades um nur 5 % dann bereits als wesentlich anzusehen sei, wenn es um die Gewährung der Rente gehe. Diese Rechtsprechung ist von ihm jedoch inzwischen aufgehoben worden. Das BSG vertritt nunmehr überzeugend die Auffassung, daß eine wesentliche Änderung im Sinne des § 622 Abs. 1 RVO nur dann vorliegt, wenn eine Änderung des MdE-Grades um mehr als 5 % eingetreten ist (vgl. Urteil vom 2.3.71, 2 RU 186/68).

Für den vorliegenden Fall folgt daraus, daß der Entziehungsbescheid nur dann rechtmäßig erteilt worden ist, wenn der durch die Lärmschwerhörigkeit bedingte MdE-Grad auf weniger als 15 %, also um mehr als 1/4, herabgesunken ist. Dies kann jedoch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht wahrscheinlich gemacht werden. Auszugehen ist dabei von der früheren Bewertung der MdE mit 20 % in dem Dauerrentenbescheid vom 13. April 1966. Es muß in diesem Verfahren dahin gestellt bleiben, ob dieser MdE-Grad für die mindestens mittelgradige Schwerhörigkeit des Klägers zu niedrig war. § 622, Abs. 1 RVO dient nämlich nicht dazu, eine frühere Fehlbewertung zu berichtigen, und zwar weder im Sinne des Versicherten, noch des Versicherungsträgers (vgl. auch Lauterbach, Komm. zur Unfallversicherung, Anm. 2 c aa) zu § 622 RVO).

Die Beklagte stützt sich in dem angefochtenen Bescheid zu Unrecht zunächst auf eine Bescheinigung des Dr. med. S., K., vom 20. Oktober 1966. Dort heißt es nämlich nur, die Hörweite für Umgangssprache werde beim Tragen einer Hörbrille auf mehr als 6 m verbessert. Zu der hier wesentlichen Frage inwieweit trotz Tragens eines Hörgerätes die Erwerbsfähigkeit noch gemindert ist, hat dieser Arzt keine Stellung genommen. In dem angefochtenen Bescheid ist dann noch auf eine aktenmäßige Stellungnahme des Staatlichen Gewerbearztes von Rheinland-Pfalz, Dr. M., vom 27. Juni 1967 verwiesen worden. Danach soll die Erwerbsfähigkeit des Klägers beim Tragen eines Hörgerätes nicht mehr meßbar gemindert werden. Abgesehen davon, daß die Beklagte im Berufungsverfahren selbst ausgeführt hat, durch das Hörgerät werde die volle Hörfähigkeit nicht wiederhergestellt, begründete Dr. M. seine Ansicht nur damit, die Verhältnisse seien die gleichen wie beim Tragen einer Brille, wodurch die Arbeitsfähigkeit weitgehend wiederhergestellt werde.

Diese ärztlichen Feststellungen reichen zur Begründung des Entziehungsbescheides nicht aus. Das Verwaltungsverfahren leidet insbesondere deshalb an einem Mangel, weil keine ausreichende gutachtliche Stellungnahme eines Ohrenfacharztes eingeholt wurde.

Dies ist erst im Sozialgerichtsverfahren durch Anhörung des Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten Dr. med. Z. N., geschehen. In dem am 9. Februar 1968 nach einer eingehenden Untersuchung des Klägers erstatteten Gutachten ist die Auffassung vertreten worden, durch die Versorgung mit einem Hörgerät sei in der Lärmschwerhörigkeit des Klägers keine wesentliche Besserung eingetreten. Der gleichen Ansicht ist auch der Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten Dr. med. S., K., auf den sich die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid bezogen hatte, in einem an den Kläger gerichteten Schreiben vom 20. Juli 1968. Auch der im Berufungsverfahren noch gutachtlich gehörte Prof. Dr. B., Oberarzt der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik der Universität M., ist zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Den Ausführungen dieser Fachärzte ist zu entnehmen daß die vom Kläger benutzte Hörbrille zwar sowohl monaural als auch binaural eine deutliche Verbesserung der Sprachverständlichkeit bewirkt, die aber nur in störungsfreier Umgebung optimal ist, nicht jedoch unter den akustischen Verhältnissen des beruflichen und privaten Lebens. Bei der audiometrischen Untersuchung mittels eines diesen Gegebenheiten entsprechenden standardisierten Störgeräusches habe sich beim Kläger nur ein 70%iges Sprachverständnis für Sätze ergeben. Das Hörgerät gebe überhaupt nur einen Ausschnitt aus dem Sprachfrequenzbereich und zwar mit einer technisch nicht vermeidbaren klanglichen Verzerrung wieder und produziere ein Eigenstörgeräusch, in dem manche Nuancen des Sprachklanges untergehen könnten. Außerdem sei das Hörgerät gegen Betriebsstörungen nicht gefeit, gegen Beschädigungen sehr empfindlich und erfordere eine geschickte Bedienung. Der erkennende Senat ist im Hinblick auf diese gutachtlichen Ausführungen der Auffassung, daß durch die Hörgerätbenutzung die volle Hörfähigkeit nicht wiederhergestellt worden ist, wie dies von dem Reg. Med.-Direktor Dr. M. angenommen wird, so daß keinesfalls mit diesem Arzt die Auffassung vertreten werden kann, die Erwerbsfähigkeit sei nicht mehr meßbar gemindert. Der von ihm insbesondere gebrauchte Vergleich mit einem Brillenträger geht fehl. Dr. med. Z. hat hierzu überzeugend ausgeführt, ein Hörgerätträger könne selbst bei optimalster Gerätausnutzung niemals den guten Effekt eines Brillenträgers erzielen, abgesehen davon, daß eine Brille kaum eine Belästigung darstelle, während ein Hörgerät eine Prothese sei.

Es kann somit nur noch zweifelhaft sein, ob durch die Hörgerätbenutzung der durch die Lärmschwierigkeit des Klägers bedingte MdE-Grad auf etwa 10 bis unter 15 % herabgesunken ist. Das kann aber nach den eingeholten ohrenfachärztlichen Gutachten nicht festgestellt werden, weil die mit dem Tragen eines Hörgerätes verbundenen komplizierten akustischen und technischen Probleme qualitativ ein Fehlhörigkeit verursachen, die nach Auffassung des Senats noch eine MdE um wenigstens 15 % bedingt. Nur wenn Körperersatzstücke bzw. orthopädische oder andere Hilfsmittel einen physiologisch vollwertigen Ersatz darstellen oder einen solchen Ersatz schaffen, ist es berechtigt, dies bei der MdE im Sinne einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse zu berücksichtigen. Das Hörgerät erfüllt diese Bedingungen aber nach dem oben Ausgeführten nicht (so auch der ärztliche Sachverständigenbeirat für Fragen der Kriegsopferversorgung auf den Herbsttagungen 1955 und 1956, Rundschreiben des BMA vom 2.1.57, BVersBl. 1957 S. 17). In der Versorgungsverwaltung ist daher inzwischen auch die bis zum Jahre 1957 geübte Praxis, beim Tragen eines Hörgerätes die MdE um 25 % herabzusetzen, aufgehoben worden, die im vorliegenden Fall auch nur zu einer Reduzierung der MdE auf 15 % führen würde, was aber für die Entziehung der Verletztenrente nicht ausreicht. Die Auffassung der Beklagten, die Bewertung der MdE in der Kriegsopferversorgung und der Unfallversicherung erfolge unter verschiedenen Voraussetzungen, weil Schädigungsfolgen nach dem BVG nach dem Körperschaden zu bemessen seien, während Unfallfolgen nach der MdE bewertet werden müßten, übersieht, daß gem. § 30 Abs. 1 BVG die MdE nach körperlichen Beeinträchtigungen "im allgemeinen Erwerbsleben” und in der Unfallversicherung gem. § 581 RVO auf dem "Gesamtgebiet des Erwerbslebens” zu beurteilen ist (so BSG 1, 174; 4, 341). Es erscheint, daher nicht gerechtfertigt, insoweit bezüglich der MdE-Bewertung eine grundsätzliche Unterscheidung zu treffen.

Auch von Günther/Hymmen, Unfallbegutachtung, 5. Auflage, wird die Auffassung vertreten, beim Tragen eines Hörgerätes trete keine Änderung in der Höhe der MdE ein. Im übrigen ist die Einschätzung des MdE-Grades nicht eigentlich Aufgabe ärztlicher Sachverständiger, deren Sachkunde sich in erster Linie darauf bezieht, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit sich derartige Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar wichtig und vielfach unentbehrliche Grundlagen für die richterliche Schätzung der MdE, können aber keine bindende Wirkung haben (vgl. Urteil des BSG 2 RU 121/56). Aus diesem Grunde und weil bereits zwei Fachgutachten eingeholt wurden, hat es der Senat nicht mehr für geboten erachtet, entsprechend der Anregung der Beklagten in der letzten mündlichen Verhandlung den anwesenden Dr. med. M. gutachtlich zu hören, zumal dieser sich mehrfach schriftlich geäußert hat.

Es ist nach alledem nicht wahrscheinlich zu machen, daß der MdE-Grad beim Kläger durch das Tragen eines Hörgerätes auf weniger als 15 % herabgesunken ist.

Auch die Anschlußberufung des Klägers ist unbegründet. Eine Erhöhung der mit Dauerrentenbescheid vom 13. April 1966 gewährten Teilrente von 20 % der Vollrente könnte nur erfolgen, wenn eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten wäre (§ 622 Abs. 1 RVO). Seine Lärmschwerhörigkeit hat sich jedoch nicht geändert (verschlimmert), wie in dem Gutachten der HNO-Klinik der Universität M. vom 29. November 1966 ausgeführt worden ist. Der Kläger hat eine solche Verschlimmerung auch niemals geltend gemacht. Er hat seine Anschlußberufung auch nicht im Hinblick auf § 622 Abs. 1 RVO schriftlich begründet. Lediglich in der letzten mündlichen Verhandlung hat sein Prozeßbevollmächtigter ausgeführt, eine Änderung der Verhältnisse sei darin zu erblicken, daß eine Schwerhörigkeit, wie sie hier vorliege, nach den neuen Richtlinien der Ohrenfachärzte mit 30 % zu bewerten sei. Unter den "Verhältnissen, die für die Feststellung der Leistung maßgebend” waren, sind aber nur tatsächliche Verhältnisse zu verstehen und nicht z.B. Fragen der Bewertung der MdE oder der Beurteilung der Rechtslage (vgl. Lauterbach, Komm. zur Unfallversicherung, Anm. 2 c zu § 622 RVO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen weil die Voraussetzungen des § 162 SGG nicht vorliegen. Die Entscheidung hängt nämlich nur von einer Bewertung des Grades der MdE ab, die das Revisionsgericht nicht durch eine eigene Schätzung ersetzen kann (vgl. Urteil vom 27.5.1970, 2 RU 216/67).
Rechtskraft
Aus
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