L 3 U 82/70

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 82/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Begibt sich ein Versicherter während einer Geschäftsfahrt aus eigenwirtschaftlichen Gründen für etwa 1 Stunde an einen nicht an dieser Strecke gelegenen Ort, so beginnt der Versicherungsschutz erst wieder mit dem Erreichen dieser Strecke.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 5. November 1969 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger erlitt am 5. Juni 1968 gegen 18 Uhr mit seinem Pkw einen Unfall. Infolge eines von ihm vermuteten Kreislaufkollapses fuhr er auf der Straße zwischen A. und Al. bei B. gegen einen Baum und zog sich dabei erhebliche Verletzungen zu. Er war Gesellschafter-Geschäftsführer der M.-M. K. Verwaltungsgesellschaft mbH in G. Am Unfalltag fuhr er nachmittags von G. nach L. und B., wo er geschäftlich zu tun hatte, und von dort gegen 17 Uhr nach A., wo er einen Arzt etwa eine halbe Stunde konsultierte. Auf der anschließenden Fahrt in Richtung Al. verunglückte er kurz vor Erreichen dieses Ortes. Er behauptet, er habe nach La. fahren wollen, um sich bei dem Inhaber der Fa. W., eines Kunden von ihm, nach einer Bezugsquelle für in seinem Betrieb benötigte Bordsteine zu befragen und diesem einen Kundenbesuch abzustatten.

Die Beklagte lehnte den Entschädigungsanspruch mit Bescheid vom 14. November 1968 ab, weil nur die Fahrt von G. bis B. und zurück betrieblichen Interessen gedient habe. Die weitere Fahrt nach A. und die Rückfahrt von dort seien durch private Interessen bedingt gewesen.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 12. Dezember 1968 beim Sozialgericht Frankfurt a.M. Klage erhoben. Dieses vernahm die Hausfrau K. als Zeugin darüber, ob der Kläger die Fa. W. etwa eine Woche vor dem Unfall aufsuchte (Bl. 33 GA.). Mit Urteil vom 5. November 1969 hat es den Bescheid vom 14. November 1968 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Unfall des Klägers nach den gesetzlichen Bestimmungen zu entschädigen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 2. Januar 1970 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29. Januar 1970 Berufung eingelegt. Sie führt u.a. aus, der Kläger habe seine Betriebsfahrt am Unfalltag in B. unterbrochen, als er nach A. gefahren sei, um seinen Arzt zu konsultieren. Der Versicherungsschutz hätte erst nach dem Erreichen des unmittelbaren Betriebsweges wieder eingesetzt. Eine andere Auffassung könne nur vertreten werden, wenn es z.B. durch eine mehrtägige Unterbrechung der Geschäftsreise zu einer völligen Lösung des Zusammenhanges mit dem Unternehmen gekommen sei. Ein solcher Ausnahmefall liege hier jedoch nicht vor, so daß der gesamte Umweg zwischen B. und La. außerhalb des Versicherungsschutzes gestanden habe.

Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 5. November 1969 unter Wiederherstellung des Bescheides vom 14. November 1968 aufzuheben.

Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 5. November 1969 kostenfällig zurückzuweisen.

Er ist in der letzten mündlichen Verhandlung noch persönlich gehört worden und trägt u.a. vor, er habe beim Antritt der Fahrt am Unfalltag beabsichtigt, über B. nach A. und – bei genügend Zeit – von dort aus noch nach La. zu fahren, andernfalls jedoch über B. nach G. zurückzukehren. Er habe dann von A. den Weg nach La. in erster Linie deshalb über die Ortschaften E. und Al. und nicht die bessere Straße über Lan., M. gewählt, weil er beim Durchfahren der Ortschaften E. und Al. nach Neubauten und damit potentiellen Kunden für sein Ölhandelsgeschäft habe Ausschau halten wollen, um dann seinen Vertreter anzuweisen, Kundenbesuche zu machen. Bereits aus diesem Grunde habe er im Unfallzeitpunkt unter Versicherungsschutz gestanden. Im übrigen habe er sich bei seiner Fahrt von A. in Richtung La. noch auf einem Hinweg zu einer geschäftlichen Verrichtung befunden und nicht etwa auf einem unversicherten Umweg.

In der letzten mündlichen Verhandlung ist noch die Ehefrau des Klägers darüber vernommen worden, ob sie von ihrem Ehemann am Unfalltag vor Antritt der Fahrt erfuhr, er beabsichtige, aus geschäftlichen Gründen auch nach La. zu fahren (vgl. Bl. 78 GA.).

Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte in Ausführung des angefochtenen Urteils am 12. Mai und 16. November 1970 Bescheide erteilt. Während es in dem ersten Bescheid heißt, es könne dagegen Klage beim Sozialgericht Frankfurt a.M. erhoben werden, wurde der Kläger in dem zweiten Bescheid darüber belehrt, daß dieser gemäß §§ 153 Abs. 1, 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Berufungsverfahrens werde. Der Kläger ist letzterer Auffassung entgegengetreten.

Im übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakte, der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten entscheiden, weil diese mittels Einschreibebriefes ordnungsmäßig geladen und darauf hingewiesen worden ist, daß auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann (§ 110 SGG).

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und daher zulässig.

Sie ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger wegen des Ereignisses am 5. Juni 1968 Unfallentschädigung zu gewähren. Ein Arbeitsunfall liegt nämlich nicht vor (§ 548 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung RVO).

Zunächst ist festzustellen, daß der Kläger nicht durch ein Ereignis verunglückte, das von außen her auf ihn einwirkte. Er vermutet vielmehr, daß er wegen eines Kollapszustandes die Herrschaft über seinen Pkw verlor und dadurch gegen einen Baum fuhr. Da keine anderen Unfallursachen erkennbar sind, muß davon ausgegangen werden, daß er aus einer körpereigenen Ursache verunglückte. Der Senat ist jedoch der Auffassung, daß dieser Umstand der Anerkennung eines Arbeitsunfalls nicht entgegenstünde. Der notwendige innere Zusammenhang zwischen einem versicherten Weg und einem Unfall ist nämlich auch in Fällen gegeben, in denen der Versicherte wegen des zur Zurücklegung des Betriebsweges benutzten Kraftfahrzeuges besonders schwer verunglückt, wie dies hier der Fall war (vgl. Lauterbach, Kommentar zur Unfallversicherung, Anm. 31 zu § 548; Anm. 7 zu § 550 RVO).

Weiterhin ist festzustellen, daß der Kläger sich im Unfallzeitpunkt auf der Fahrt von A., wo er einen Arzt aufsuchte, nach La. befand und dort für seinen Betrieb tätig sein wollte. Er hat nämlich glaubhaft angegeben, er habe in La. den Inhaber der Fa. W. aufsuchen und ihn nach Bezugsquellen für in seinem Betrieb benötigte Bordsteine befragen sowie ihn gleichzeitig als langjährigen Geschäftspartner besuchen wollen. Während die vom Sozialgericht Frankfurt a.M. vernommene Hausfrau K. hierzu keine verwertbaren Angaben machen konnte, hat die Ehefrau des Klägers als Zeugin im Berufungsverfahren auch bekundet, ihr Ehemann habe sie vor Antritt der Fahrt am Unfalltag von seiner Absicht, aus geschäftlichen Gründen noch nach La. fahren zu wollen, wenn die Zeit es ihm erlaube, unterrichtet.

Wenn somit auch zur Überzeugung des Senats feststeht, daß die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles insoweit gegeben sind, so scheitert diese doch daran, daß der Kläger im Unfallzeitpunkt keine versicherte Tätigkeit ausübte.

Er fuhr am Nachmittag des 5. Juni 1968 von seinem Wohnort Gelnhausen nach L. und B., wo er geschäftlich tätig war, wie die Beklagte im Verwaltungsverfahren ermittelt hat. Der nächste Ort seiner betrieblichen Tätigkeit sollte dann La. sein. Er hätte dazu üblicherweise die von B. über Al. direkt nach La. führende Straße oder auch die Bundesstraßen und benutzen müssen, wie er auch zugegeben hat. Daß er über A. fuhr, war nur darauf zurückzuführen, daß er dort seinen Arzt aufsuchte. Er unterbrach die Geschäftsfahrt damit in B. und fuhr aus privaten Gründen nach A., stand also auf dieser Wegstrecke nicht mehr unter Versicherungsschutz. Die Ansicht des Klägers, von seiner Abfahrt in A. an sei der Versicherungsschutz wieder aufgelebt, weil er sich auf dem Wege zu einer betrieblichen Verrichtung befunden habe, ist unzutreffend. Die zu § 543 RVO a.F. ergangene Rechtsprechung des BSG, daß auch ein nicht von der Wohnung aus angetretener Weg zur Arbeitsstätte unter Versicherungsschutz stehen kann (vgl. Urteil vom 27. April, 2 RU 192/58), ist zwar grundsätzlich auch auf Betriebswege anwendbar, jedoch nur, wenn mit einer völligen Lösung vom Betrieb durch einen langen Zeitraum eine deutliche Zäsur in der Geschäftsreise eingetreten ist und die in Betracht zu ziehenden Wegstrecken in einem angemessenen, das Unfallrisiko nicht erhöhenden Verhältnis stehen (vgl. Urteil des BSG vom 28. Oktober 1966, 2 RU 30/65). Das war hier jedoch nicht der Fall. Der Kläger hat sich nach seinen Angaben nämlich nur etwa eine halbe Stunde bei seinem Arzt aufgehalten, so daß keine Aufteilung der Geschäftsreise in 2 getrennte Abschnitte – zunächst bis B. einerseits und dann von A. aus andererseits – erfolgte. Außerdem wurde das Unfallrisiko durch die Fahrt über A. nicht unerheblich erhöht, denn die Wegstrecke von B. über A. nach Al. war etwa viermal länger als die direkte Strecke von B. nach Al. Wenn auch der Versicherungsschutz bei Geschäfts- bzw. Dienstreisen durch Unterbrechung oder Lösung des betrieblichen Zusammenhanges weniger leicht verloren geht, als es bei Wegen nach und von der Arbeitsstätte der Fall ist, weil Dienstreisen selbst Betriebstätigkeiten darstellen, so entfällt er jedoch dann, wenn die aus privaten Gründen erfolgende Unterbrechung oder Lösung so erheblich ist, daß die Unfallfahrt bei natürlicher Betrachtungsweise und nach der Verkehrsanschauung nicht mehr als Fortsetzung der Dienstreise angesehen werden kann (vgl. Urteil des BSG vom 6. Juli 1966, 5 RKn 115/64, SozR § 548 RVO Aa 10 Nr. 7). Das war hier der Fall. Es handelte sich auch zeitlich nicht etwa nur um eine geringfügige Unterbrechung der Geschäftsfahrt (vgl. Urteil des BSG 2 RU 104/59), denn der dadurch bedingte Zeitverlust betrug fast eine Stunde. Der erkennende Senat vertritt daher die Auffassung, daß der Versicherungsschutz erst mit dem Erreichen der direkten Straße von B. nach La. in Al. wieder eingesetzt hätte, weil der aus eigenwirtschaftlichen Gründen gewählte Umweg über A. erst dann beendet gewesen wäre.

Der im Unfallzeitpunkt zurückgelegte Weg hat auch nicht dadurch den Charakter einer Geschäftsfahrt erhalten, daß der Kläger nach potentiellen Kunden für sein Ölhandelsgeschäft Ausschau halten wollte. Obwohl er dies im Klageverfahren noch nicht schriftsätzlich, sondern offenbar erst in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Frankfurt a.M. mündlich vorgetragen hatte – wenn auch die Sitzungsniederschrift kein dahingehendes Vorbringen enthält – kann seiner Darstellung im Berufungsverfahren doch gefolgt werden, er habe von A. aus deshalb über E. und Al. und nicht auf einer besseren Straße nach La. fahren wollen, weil er gerade bei der Fahrt durch diese Ortschaften nach Neubauten Ausschau halten wollte, um dann seinen Vertreter anzuweisen, die betreffenden Bauherren aufzusuchen und als Kunden zu werben. Die Beklagte hat zu Recht ausgeführt, daß Betätigungen eines Unternehmers, von denen er sich nur mittelbar einen werbenden Erfolg für sein Unternehmen verspricht, nicht unter Versicherungsschutz stehen. Wie das BSG zutreffend die Auffassung vertreten hat, zur Bejahung des Versicherungsschutzes in Bezug auf eine Gefälligkeit als Kundendienst müsse ein enger Zusammenhang mit dem versicherten Gewerbe, insbesondere mit kurz zuvor getätigten oder bald bevorstehenden Geschäftsabschlüssen gegeben sein (vgl. BSG 1, 258), muß für den vorliegenden Fall ebenfalls ein konkreter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen der zum Unfall führenden Fahrt und dem Gewerbebetrieb des Klägers gefordert werden (vgl. Lauterbach a.a.O., Anm. 64 zu § 548). Andernfalls wäre eine klare Scheidung von Unternehmertätigkeiten und privaten Handlungen bei Menschen, die auch geschäftliche Beziehungen unterhalten, kaum möglich. Da der Kläger die Esso-Vertretung für die Kreise G., B. und S. hat, würde er andernfalls auch bei Fahrten mit privatem Ziel in diesem Gebiet stets geltend machen können, sie dienten als gemischte Tätigkeiten wesentlich seinem Unternehmen und stünden daher unter Unfallversicherungsschutz. Dieser würde damit eine unzulässige, mit dem Sinn der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbarende Ausweitung erfahren.

Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der während des Berufungsverfahrens ergangene Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 1970 konnte – entgegen der darin enthaltenen Rechtsbehelfsbelehrung – nicht mit der Klage angefochten werden, weil es sich nicht um einen selbständigen, belastenden Verwaltungsakt handelt, denn es wurde lediglich das angefochtene Urteil ausgeführt. Der weitere, in Abänderung dieses Bescheides ergangene Ausführungsbescheid vom 16. November 1970, mit dem der Jahresarbeitsverdienst anderweitig festgesetzt wurde, ist – entgegen dem darin enthaltenen Hinweis – nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. In beiden Bescheiden wurde nur eine vorläufige Regelung getroffen, die mit der Aufhebung des angefochtenen Urteils hinfällig geworden ist. Es bedurfte somit keiner besonderen Aufhebung dieser Bescheide (vgl. BSG 9, 169).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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