L 3 U 824/70

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 824/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Hauseigentümer, der alle Räume an Dirnen vermietet, gehört der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten als Mitglied an.
I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 3. August 1970 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger, die in L. einen Baustoffgroßhandel betreiben, sind Eigentümer der in M., L. 4, 6, 8 und 8 a gelegenen Häuser, in denen 32 Zimmer an Dirnen vermietet werden, die pro Tag einen Mietpreis von je 28,– DM zu zahlen haben. Nach Angaben der Kläger ist mit einem Mietausfall zwischen 5 bis 10 v.H. zu rechnen, wenn Dirnen verschwinden ohne zu zahlen. Für die Häuser sind Hausverwalterinnen eingesetzt, mit denen am 21. Mai 1969 sog. Pachtverträge nach folgendem Muster abgeschlossen wurden:

1) "Das Haus M., L. soll im Einvernehmen mit der Stadt M. als Dirnenunterkunft genutzt werden. Der Hauseigentümer überträgt die Verwaltung dieses Hauses an Frau.

2) Ihre Aufgabe soll sein:

- Selbständig und eigenverantwortlich mündliche oder schriftliche Mietverträge mit den jeweiligen Mietern zu schließen. – Die Miethöhe wird vom Hausbesitzer festgesetzt und darf nur mit Zustimmung desselben geändert werden. Die Mieter sollen so ausgewählt werden, daß ein längerfristiges Mietverhältnis Voraussetzung sein kann.

3) Für Ruhe, Ordnung und Sauberkeit im Hause zu sorgen.

4) Die Mieten wöchentlich im voraus zu kassieren und an die Hausbesitzer abzuführen.

- Für diese Tätigkeit verpflichten sich die Hauseigentümer an die Verwalterin eine Monatspauschale von DM 600,– (i.W. Sechshundert) jeweils am letzten des Monats zu zahlen.

- Im Rahmen der polizeilichen Genehmigung kann die Verwalterin an die Bewohner des Hauses Getränke und Mahlzeiten auf eigene Rechnung verkaufen, vorausgesetzt, daß die gesetzlichen Bestimmungen, wie Anmeldung beim zuständigen Finanzamt, Stadt, Steueramt, Gewerbeamt etc., eingehalten werden und die dafür zuständigen Behörden keine Einwendungen erheben.

- Der Vertrag wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. Das Vertragsverhältnis kann von jedem Vertragspartner jeweils zum 30. Juni bzw. 31. Dezember eines jeden Jahres beendet werden. Die Kündigungszeit beträgt drei Monate. Die Kündigung muß spätestens am 31. März bzw. 30. September des Jahres dem anderen Vertragsteil schriftlich – per Einschreiben – mitgeteilt werden. - Nichteinhaltung dieses Vertrages berechtigt jeden Vertragspartner zur fristlosen Aufhebung des Vertrages.

- Änderungen dieses Vertrages bedürfen der Schriftform.

- Gerichtsstand für die Vertragsbeteiligten ist M ...”

Eine ursprünglich vereinbarte Regelung, wonach die Hausverwalterinnen für Mietausfälle hafteten, wurde später aufgehoben. Eine Haftung ist von den Klägern niemals geltend gemacht worden.

Die Beklagte hat den Klägern am 6. Juni 1969 einen "Mitgliedschein und Veranlagungsbescheid” zugestellt, wonach sie gem. § 658 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ab 1. Januar 1969 mit ihrem Unternehmen Mitglied der Berufsgenossenschaft sind, nachdem die Beklagte von der Polizeibehörde M. eine Auskunft eingeholt hatte, in der die Ansicht vertreten worden ist, bei der in der L. praktizierten Art der Zimmervermietung könne von einer bloßen Verwaltung eigenen Vermögens nicht mehr gesprochen werden, vielmehr handele es sich um Gewerbebetriebe.

Dem Widerspruch der Kläger half die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. November 1969 nicht ab.

Die Kläger haben daraufhin am 3. Dezember 1969 beim Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben, die mit Urteil vom 3. August 1970 abgewiesen worden ist. Da die Kläger Hausverwalterinnen beschäftigten, seien sie in diesem Sinn Unternehmer, da Dienstverträge bestünden. Aber auch ohne Anstellung von Hausverwalterinnen könne die Zimmervermietung an Dirnen nicht als eine Tätigkeit privater Natur angesehen werden, weil es sich um eine die Arbeitskraft der Kläger bzw. der Hausverwalterinnen erheblich beanspruchende Tätigkeit zum Zwecke der Gewinnerzielung handele.

Gegen das ihnen am 21. August 1970 zugestellte Urteil haben die Kläger am 14. September 1970 Berufung eingelegt. Sie führen u.a. aus, das Sozialgericht habe zu Unrecht angenommen, daß sie gegenüber den Hausverwalterinnen Unternehmer seien. Ein Dienstverhältnis liege nämlich nicht vor. Die Hausverwalterinnen seien frei tätig und unterstünden weder einem Weisungsrecht noch einer zeitlichen Kontrolle oder einer Anweisung in Bezug auf die Arbeitsgestaltung. Mit jeder Hausverwalterin sei ein schriftlicher Hausverwaltungsvertrag abgeschlossen worden, der im Laufe der Zeit durch mündliche Absprachen teilweise geändert worden sei. Die Hausverwalterinnen könnten sich auch einer Hilfskraft bedienen und hätten weder einen Urlaubsanspruch noch Krankenschutz. Es werde nicht verkannt, daß auch gewisse Umstände auf eine Arbeitnehmertätigkeit hinwiesen, da die Hausverwalterinnen nur für einen Hauseigentümer tätig seien, jedoch spräche insbesondere für die Selbständigkeit, daß keine geregelte Arbeitszeit bestehe.

Sie beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 3. August 1970 sowie die Bescheide vom 6. Juni und 7. November 1969 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt u.a. aus, die Darstellung der Kläger treffe nicht zu, die Hausverwalterinnen seien bei der Ausübung ihrer Verwalterpflichten im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit als Kantinenpächterinnen tätig. Im Vordergrund stehe vielmehr die für die Kläger auszuübende Hausverwaltung, wofür sie primär verpflichtet seien. Lediglich daneben sei ihnen das Recht eingeräumt, für eigene Rechnung Getränke und Speisen zu verabfolgen.

Im übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und daher zulässig.

Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen und damit den Bescheid der Beklagten bestätigt, durch welchen die Kläger in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten aufgenommen und zur Beitragszahlung verpflichtet worden sind (§§ 658, 663 f. RVO).

Nach § 658 RVO ist Unternehmer derjenige, für dessen Rechnung das Unternehmen (Betrieb, Einrichtung oder Tätigkeit) geht. Als solcher ist er in das Unternehmerverzeichnis der zuständigen Berufsgenossenschaft einzutragen (§ 664 Abs. 1 RVO, § 41 Abs. 1 der Satzung der Beklagten). Ob es sich hierbei nur um eine sog Katasterstreitigkeit handelt und gegen einen Bescheid, mit dem die Aufnahme in das Unternehmerverzeichnis vorgenommen wurde, kein Widerspruch sondern sogleich die Klage zulässig ist (vgl. Lauterbach, Komm. zur Unfallversicherung, Anm. 6 b zu § 664 RVO und die dort zitierte Rechtsprechung), kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, weil die Beklagte einen Widerspruchsbescheid erteilt hat.

Um ein Unternehmen handelt es sich stets dann, wenn eine planmäßige, für eine gewisse Dauer bestimmte Vielzahl von Tätigkeiten vorliegt, die auf einen einheitlichen Zweck gerichtet sind und mit einer großen Regelmäßigkeit ausgeübt werden, wobei die Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke nicht mehr notwendig ist (vgl. Urteil des BSG vom 20. Dezember 1961, 2 RU 136/60; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II, S. 502). Diese heute allgemein anerkannte Definition des in der Sozialversicherung angewandten Unternehmensbegriffes ist nicht unterschiedslos auch auf die Wohnungsvermietung anwendbar, obwohl auch hier vielfache Tätigkeiten zu verrichten sind, z.B. Beaufsichtigung der Gebäude, Reinigung der Zugänge, Einzug der Mieten, Entrichtung von Grundsteuern und Gebühren. Jedoch werden Tätigkeiten rein privater Natur, insbesondere die private Vermögensverwaltung, nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung erfaßt (vgl. Urteil des Hess. Landessozialgerichts vom 17.2.1959, Breithaupt 1959 S. 506; Kippes, Die Berufsgenossenschaft, 1966, S. 194 ff.). Ein Vermieter von Wohnungen kann daher nur Unternehmer im Sinne der Unfallversicherung sein, wenn sich seine Tätigkeit nicht lediglich auf die mietweise Wohnungsüberlassung zu den auf dem Wohnungsmarkt üblichen Bedingungen erstreckt, sondern wenn er darüber hinaus eine besondere unternehmerische Tätigkeit entfaltet. Sicher ist er stets dann Unternehmer im Sinne der Unfallversicherung, wenn die Wohnungsvermietung eine Gewerbeausübung darstellt, also ein auf die Erzielung dauernder Einnahmen gerichteter berufsmäßiger Geschäftsbetrieb vorliegt (vgl. BGHZ 33, 321, 324). Der Begriff des Unternehmens in der Unfallversicherung ist aber nicht an den des Gewerbes im Gewerberecht gebunden, vielmehr kommt es auf die allgemeine Verkehrsauffassung an. Danach muß es sich bei Fällen der Wohnungsvermietung um eine über die private Vermögensverwaltung hinausgehende Tätigkeit handeln, welche in einer aktiv werbenden Tätigkeit mit dem Ziel der Vermögensvermehrung (Gewinnerzielung) besteht (so auch Kippee a.a.O.).

Das ist hier nicht der Fall. Die Kläger haben nicht mit Mietern die üblichen langfristigen Mietverträge abgeschlossen, sondern die in ihren Häusern befindlichen Zimmer an Dirnen zu einem tageweise berechneten Mietpreis von 28,– DM abgegeben. Auch wenn einzelne Dirnen ihre Zimmer für eine längere Zeitspanne inne haben sollten, handelt es sich um eine mehr dem Betrieb eines Hotels oder einer Fremdenpension ähnelnde Beherbergung als die mietweise Überlassung von Räumen im üblichen Sinne. Der Bundesfinanzhof hat daher in einem ähnlichen Fall auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) angenommen (vgl. Urteil vom 3.8.1961, IV 79/60, abgedruckt im Bundessteuerblatt 1961 III S. 518). Daß es sich zu einem nicht unwesentlichen Teil um die nur vorübergehende und auch mit einem finanziellen Risiko behaftete Überlassung von Zimmern handelt, ergibt sich aus dem Vortrag der Kläger, es werde mit einem Mietausfall von 5 bis 10 v.H. gerechnet, da manche Mieterinnen ohne Bezahlung verschwänden. Entgegen einer früheren Darstellung haben die Kläger im Berufungsverfahren erklärt, die Hausverwalterinnen seien niemals für Mietausfälle haftbar gemacht worden.

Aus den Besonderheiten dieser Vermietungsart und der Höhe der Miete ergibt sich somit, daß die kommerzielle Ausnutzung der einzelnen Räume im Hinblick auf die Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht im Vordergrund steht. Darüber hinaus unterscheidet sich die Tätigkeit der Kläger aber auch von einer normalen Vermietertätigkeit dadurch, daß sie wegen der besonderen Lebensführung der Dirnen verpflichtet sind, in ihren Häusern für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Sauberkeit sowie die Einhaltung sittenpolizeilicher Vorschriften zu sorgen. Hierzu bedienen sie sich sog. Hausverwalterinnen, die den Dirnen auch gewisse Bequemlichkeiten in Bezug auf den Ablauf des täglichen Lebens gewähren, weil deren Gepflogenheit von denen einer bürgerlichen Lebensführung erheblich abweichen (vgl. auch Bundesfinanzhof a.a.O.).

Ob und in welchem Umfang die Hausverwalterinnen in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO zu den Klägern stehen, ist hier ohne rechtliche Bedeutung. Zwar würde in diesem Fall ohne weiteres die Unternehmereigenschaft der Kläger im Sinne der Reichsversicherungsordnung gegeben sein, jedoch ist hieraus nicht der Schluß gerechtfertigt, daß ein Hausbesitzer dann kein Unternehmer ist, wenn er Wohnungen ohne Beschäftigung Dritter vermietet. Wesentlich ist im vorliegenden Fall insoweit nur, daß mit der Vermietung von Räumen an Dirnen für die Kläger notwendigerweise Pflichten in dem oben bezeichneten Umfang bestehen. Außerdem sind Mietverträge mit gegebenenfalls erst ausfindig zu machenden Dirnen abzuschließen, um die optimale Ausnutzung des vorhandenen Wohnraums zu gewährleisten. Ob die Kläger die hierzu notwendigen Maßnahmen selbst durchführen oder sich hierzu – entgeltlich oder unentgeltlich – anderer Personen bedienen, ist für ihre Eigenschaft als Unternehmer im Sinne der Unfallversicherung ebenso ohne rechtliche Bedeutung wie der Umstand, daß die Hausverwalterinnen, soweit sie Speisen und Getränke an die Dirnen abgeben, möglicherweise selbständige Gewerbetreibende sind.

Nach alledem sind die Kläger als Zimmervermieter Unternehmer im Sinne der Unfallversicherung und gehören daher der Beklagten nach § 3 Abs. 1 Nr. 17 ihrer Satzung (Beherbergungsgewerbe) als Mitglieder an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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