L 3 U 911/70

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 911/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Bronchial-Carzinom stellt bei einem Färbermeister, der starker Zigarettenraucher ist, keine Berufskrankheit dar.
I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. August 1970 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger beantragen als Hinterbliebene Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß des Todes ihres Ehemannes bzw. Vaters, des am 8. Januar 1913 geborenen H.F. (F.), der zuletzt eine Textilfärberei betrieb und am 31. Januar 1968 verstarb, nachdem er ab 2. Januar 1968 in der Städtischen Medizinischen Klinik D. stationär behandelt worden war. Nach seinen Angaben hatte er bis Mitte 1967 täglich bis zu 40 Zigaretten geraucht. Eine am 1. Februar 1968 im Pathologischen Institut der Städtischen Kliniken D. durchgeführte Leichenöffnung ergab als Todesursache ein metastasierendes Bronchial-Carcinom. Nach der Obduktion machten die Kläger geltend, als Ursache des Krebsleidens könnten basische Farbstoffe in Betracht kommen, mit denen F. gearbeitet habe. Auf Antrage der Beklagten teilten die Kläger die von F. verarbeiteten Farbstoffe mit und schilderten die Farbvorgänge. Die Beklagte holte daraufhin ein im Pathologischen Institut der Städtischen Kliniken D. am 9. September 1968 von Prof. Dr. J. und dem Assistenzarzt Dr. L. erstattetes Gutachten ein, in dem die Auffassung vertreten wurde, das Bronchial-Carcinom als zum Tode führendes Grundleiden sei auf den Umgang des F. mit chromhaltigen Farbstoffen und Chemikalien zurückzuführen. Basische Farbstoffe seien nicht als ätiologische Momente zu erwarten. Diese Ansicht wurde auch in einem im Pathologischen Institut der Universität K. von Prof. Dr. Q. und dem Assistenten Dr. V. erstatteten pathochemischen Ergänzungsgutachten vom 26. November 1968 vertreten. Die Beklagte holte dann ein Gutachten des Dr. med. E., Chefarzt der Städtischen Krankenanstalten A., ein. Danach sind bei der Obduktion keine Schäden aufgefunden worden, die für eine Chromatstaubeinwirkung charakteristisch sind. Es habe sich um ein durchaus übliches Bronchial-Carcinom gehandelt, wie es vorwiegend bei Rauchern zwischen 45 bis 65 Jahren auftrete. Der Landesgewerberat regte weitere Ermittlungen an, weil nicht von der Hand zu weisen sei, daß der festgestellte langjährige Umgang mit Chromfarben und Reizmitteln zumindest eine mitwirkende Bedeutung bei der Entstehung des Krebsleidens gehabt habe. Die Beklagte holte sodann von den Firmen, die Farbstoffe an F. geliefert hatten, Auskünfte über deren Zusammensetzung ein, und zwar von den Firmen G., S. und B ... Daraufhin äußerte sich noch einmal Prof. Dr. J., und zwar dahin, die Obduktion sei leider nicht unter dem Gesichtspunkt der Chromatschädigung erfolgt. Es könne nicht verbindlich gesagt werden, daß das Bronchial-Carcinom entweder durch die Chromatexposition oder das Rauchen entstanden sei. Es liege eine Beteiligung beider Faktoren an der Entstehung des Krebsleidens vor. Er regte an, Prof. Dr. K.H. B., H., hierzu gutachtlich zu hören. Hierzu äußerte sich noch einmal Dr. med. E. am 3. September 1969 dahin, es gebe zwar die Möglichkeit eines Chromatkrebses. Im vorliegenden Fall handele es sich aber um ein nicht für Chromateinwirkung typisches Krebsleiden, das in allen Einzelheiten dem üblichen Bronchial-Carcinom entspreche. Die Beklagte holte schließlich noch ein Gutachten des Prof. Dr. B., H., vom 5. Dezember 1969 ein, der sich dahin äußerte, das Gewicht der Gründe, die für einen ursächlichen Zusammenhang mit dem überdurchschnittlich hohen Zigarettenkonsum des F. heranzuziehen seien, sei um ein vielfaches größer als die entfernte Möglichkeit einer Schädigung beim Abwiegen von Farbstoffen der Chromatreihe. Entscheidend sei, daß die Bronchialkrebsgefährdung bei Männern gleicher Altersstufe in heutiger Zeit die höchste Krebsfährdung überhaupt darstelle, und daß ein irgendwie vergleichbarer Fall von Chromatkrebs bei einem als Färbermeister bezeichneten Beruf im Weltschrifttum nicht ausfindig gemacht werden könne.

Die Beklagte hat daraufhin einen Entschädigungsanspruch der Kläger mit Bescheid vom 4. Februar 1970 insbesondere unter Hinweis auf das Gutachten des Prof. Dr. K.H.B. abgelehnt.

Hiergegen haben die Kläger am 23. Februar 1970 beim Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben, die ohne weitere Beweiserhebung mit Urteil vom 27. August 1970 abgewiesen worden ist. Das Sozialgericht hat sich den Ausführungen der Professoren E. und L. angeschlossen.

Gegen das ihnen am 20. September 1970 zugestellte Urteil haben die Kläger am 15. Oktober 1970 Berufung eingelegt.

Nachdem sie, ebenso wie im Klageverfahren, behauptet hatten, die Gutachter seien von falschen Voraussetzungen ausgegangen, haben sie nach einer entsprechenden Aufforderung im Berufungsverfahren u.a. vorgetragen, ihr Ehemann bzw. Vater sei seit dem Jahre 1937 in Färbereien als Gehilfe und Meister und ab 1951 selbständig tätig gewesen. In seinen Betrieb habe er sechs Färbeapparate täglich 2 bis 3 mal mit Farben in Pulverform präpariert. Dabei sei er ständig den Staubteilchen der Farbstoffe ausgesetzt gewesen. Eine Schutzmaske habe er in den letzten Jahren wegen Atembeschwerden nicht mehr tragen können. Zigaretten habe er nicht ständig in der angegebenen Höhe geraucht und diese teilweise auch nicht ausgeraucht. Sie teilten noch einige Färberezepte mit. Daraufhin wurde Prof. Dr. K. H. B. aufgefordert, sein Gutachten unter Berücksichtigung dieser Angaben zu überprüfen. In dem am 25. April 1972 erstatteten Ergänzungsgutachten ist ausgeführt worden, nach Einsicht auch in die neueste Weltliteratur sei kein einziger Anhaltspunkt dafür gefunden worden, daß jemals ein Chromatberufskrebs in einer Färberei oder bei einem Färbermeister beobachtet wurde. Gegenüber der angeschuldigten Chromatexposition mit einer nur minimal ausrechenbaren Inhalationsexposition sei der Inhalationsschaden durch den offenbar jahrzehntelangen hohen Zigarettenverbrauch des F. um ein vielfachen höhere gewesen. Alle statistischen, krebsepidemiologischen und klinisch-chirurgischen Erfahrungen sprächen entschieden dafür, daß der Bronchialkrebs des F. in entscheidendem Maße durch außerberufliche Schädigungen ausgelöst worden sei.

Die Kläger vertreten weiterhin die Auffassung, daß der Tod des F. durch dessen beruflichen Umgang mit Chromatfarbstoffen verursacht worden sei und verweisen auf die Gutachten des Pathologischen Instituts der Städtischen Krankenanstalten D. vom 9. September 1968 und des Pathologischen Instituts der Universität H. vom 26. November 1968.

Sie beantragen,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. August 1970 und des Bescheides der Beklagten vom 4. Februar 1970 diese zu verurteilen, aus Anlaß des infolge einer Berufskrankheit bedingten Todes ihres Ehemannes bzw. Vaters ihnen die gesetzlich zustehenden Hinterbliebenenentschädigungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, Prof. Dr. B. habe auch in seinem Ergänzungsgutachten überzeugend dargelegt, aus welchen Gründen ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Tod des F. und seiner beruflichen Tätigkeit unwahrscheinlich sei.

Im übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakte Bezug genommen, der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und daher zulässig.

Sie ist jedoch unbegründet. Den Klägern stehen keine Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu, weil der Tod des F. nicht durch eine Berufskrankheit verursacht oder wesentlich mitverursacht worden ist (§§ 548 Abs. 1, 551 der Reichsversicherungsordnung – RVO –).

Allen eingeholten Gutachten zufolge kann eine Berufskrankheit allenfalls nach Nr. 7 der Anlage 1 zur 7. Berufskrankheitenverordnung – BKVO – (Erkrankung durch Chrom oder seine Verbindungen) in Betracht kommen. Die von den Klägern anfangs genannten "basischen Farbstoffe” scheiden nach Auffassung aller Gutachter, auch der des Pathologischen Instituts der Städtischen Kliniken D. sowie des Pathologischen Instituts der Universität K., als ätiologische Momente aus. Letzterem Gutachten zufolge können dadurch nur Krebse im Bereich der ableitenden Harnwege entstehen.

Den eingeholten Gutachten zufolge besteht in der medizinischen Wissenschaft auch Einigkeit darüber, daß durch Inhalation von Chromatstaub oder Chromatdämpfen ein sog. Chromatkrebs in der Form einer Schädigung der Nase, des Rachens, des Kehlkopfes oder der Bronchien verursacht werden kann und durch Chromatablagerung in den Lungen nachweisbar ist. Dieser Nachweis ist im vorliegenden Fall jedoch nicht möglich, weil bei der Obduktion der Lunge des F. keine Untersuchung unter dem Gesichtspunkt der Chromatschädigung erfolgte. Die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gehörten medizinischen Gutachter konnten daher im wesentlichen nur allgemeine Ausführungen über die Einflüsse von Chromatfarbstoffen auf die Entstehung eines Bronchial-Carcinoms bei F. machen.

Weiterhin kommt erschwerend hinzu, daß F. ein starker Zigarettenraucher war. Die Kläger haben nicht in Abrede gestellt, daß er bis zu vierzig Zigaretten am Tage rauchte. Sie behaupten lediglich, er habe nicht ständig diese Höchstmenge geraucht und häufig Zigaretten vorzeitig weggeworfen. Allen Gutachten zufolge werden aber Raucher von einem Bronchial-Carcinom sehr viel häufiger betroffen als Nichtraucher. Prof. Dr. K.H. B., H., hat in seinem Gutachten vom 5. Dezember 1969 ausgeführt, das Risiko, ein Bronchial-Carcinom zu bekommen, sei beim starken Raucher über 60 mal so groß wie beim Nichtraucher. Der Bronchialkrebs sei bei Männern der mit Abstand häufigste Organkrebs geworden. Jeder vierte im Jahre 1967 an Krebs verstorbene Mann sei an einem Bronchialkrebs verstorben.

Es besteht daher die Möglichkeit, daß das Bronchial-Carcinom im vorliegenden Falle durch starkes Rauchen verursacht wurde. Dies ist auch in dem die Zusammenhangsfrage bejahenden Gutachten des Pathologischen Instituts der Städtischen Kliniken D. vom 9. September 1968 nicht verkannt worden, denn es wurde dort ausgeführt, wenn bei F. die Inhalation von Chromaten nicht bekannt gewesen wäre, würde man das Bronchial-Carcinom auf den starken Zigarettenkonsum beziehen. Die Anerkennung einer Berufskrankheit bei F. setzt daher voraus, daß überwiegende Gründe festzustellen sind, die dazu zwingen, diese Möglichkeit der Entstehung des Bronchial-Carcinoms zugunsten einer chromatbedingten auszuschalten. Dies ist jedoch nicht der Fall.

In den für die Kläger günstigen Gutachten des Pathologischen Instituts der Städt. Kliniken D. vom 9. September 1968 und des Pathologischen Instituts der Universität H. vom 26. November 1968 sind solche Gründe nicht zu finden. In dem ersteren Gutachten heißt es hierzu im wesentlichen nur, da eine Chromat-Exposition vorgelegen habe und Chromate imstande seien, einen Lungenkrebs hervorzurufen, könne diese Exposition als ätiologischer Faktor des Bronchial-Carcinoms nicht gestrichen werden. Damit ist aber nicht mehr gesagt worden, als daß nach Auffassung der Gutachter auch diese Entstehungsmöglichkeit gegeben ist. Überwiegende Gründe hierfür sind dagegen nicht angeführt worden. Prof. Dr. med. J., der dieses Gutachten neben dem Assistenzarzt Dr. L. erstattete, führte in seinem Ergänzungsgutachten vom 25. August 1969 auch nur aus, niemand könne verbindlich sagen, daß das Bronchial-Carcinom entweder durch das starke Zigarettenrauchen oder die Chromatexposition entstanden sei, und empfahl, von Prof. Dr. K.H. B., H. ein Gutachten einzuholen.

Lediglich in dem pathochemischen Ergänzungsgutachten des Pathologischen Instituts der Universität H. vom 26. November 1968 wurde die Ansicht vertreten, bei F. habe eine erhebliche Exposition gegenüber Chromatstauben oder chromathaltigen Hebeln stattgefunden, so daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen seiner beruflichen Tätigkeit und dem Bronchial-Carcinom bestanden habe. Diese Gutachter haben sich jedoch nicht mit der weiteren Möglichkeit auseinandergesetzt, daß diese Gesundheitsstörung auch durch Zigarettenrauchen verursacht worden sein kann und ob für eine dieser Entstehungsursachen überwiegende Gründe sprechen, so daß ihren Ausführungen kein Beweiswert zukommt.

Bei der Abwägung der für diese beiden Entstehungsursachen sprechenden Gründe ist zunächst bedeutsam, daß sich das bei F. festgestellte Bronchial-Carcinom nicht von den Carcinomen unterschied, wie sie vorwiegend bei langjährigen männlichen Rauchern zwischen 45 und 65 Jahren auftreten. Hierauf hat insbesondere Prof. Dr. E. in seinen Gutachten vom 18. Dezember 1968 und 3. September 1969 hingewiesen. Danach handelte es sich nicht um das für den außerordentlich seltenen sog. Chromatkrebs typische Bild des Plattenepithelcarcinoms oder des Adenocarcinoms. Vielmehr habe ein sog. kleinzelliges Carcinom vorgelegen, das in umschriebener Form seinen Ausgang aus einem kleinen Bronchusast des rechten Lungenunterlappens genommen habe. Weiterhin hat dieser Gutachter unwidersprochen ausgeführt, aus dem Sektionsprotokoll ergebe sich nichts, was für eine charakteristische Chromatwirkung im Bereich des Nasenrachenraums, der Bronchien und des Magendarmkanals spreche.

Von Bedeutung ist ferner, daß der Chromat-Berufskrebs lediglich bei den Chromat-Arbeitern in den chromat-herstellenden Betrieben eine typische Berufskrankheit darstellt, wie Prof. Dr. K. H. B., H., insbesondere in seinen im Berufungsverfahren erstattetem Gutachten vom 25. April 1972 unter Bezugnahme auf die einschlägige Weltliteratur ausgeführt hat. Danach ist aber auch bei den Chromat-Arbeitern der Bronchialkrebs als Berufskrankheit relativ selten und bei Personen, die in Färbereien beschäftigt sind, überhaupt noch nicht nachweisbar beobachtet worden.

Selbst wenn man die von den Klägern im Berufungsverfahren gemachten Angaben unterstellt, wonach F. seit dem Jahre 1932 mit nur kurzen Unterbrechungen in Färbereien gearbeitet hat, besteht nicht mehr als eine theoretische Möglichkeit dafür, daß das Bronchial-Carcinom berufsbedingt entstanden ist. Demgegenüber sprechen überwiegende Gründe für eine außerberufliche Verursachung durch Zigarettenrauchen.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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