L 6 SF 82/06

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 4 KR 1524/05
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 82/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Das Gesuch der Klägerin vom 9. Januar 2006, den Richter Dr. Reichenbach wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist unbegründet.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe:

I.

Im Hauptsacheverfahren streiten die Beteiligten über die Versorgung der Klägerin mit Sehhilfen.

Die Beklagte lehnte ihren Antrag auf Versorgung mit zwei Brillengläsern mit Bescheid vom 24. Januar 2005 ab. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2005).

Die Klägerin hat dagegen durch ihre Prozessbevollmächtigten mit am 2. Juni 2005 beim Sozialgericht Altenburg eingegangenen Telefax "ausweislich beiliegender Originalvollmacht" Klage "zunächst nur fristwahrend" erhoben; "die Klage" werde "in einem gesonderten Schriftsatz erfolgen". Eine schriftliche Originalvollmacht ist in der Gerichtsakte nicht enthalten.

Mit Schriftsatz vom 16. Juni 2005 hat sich die Beklagte zur Klageerwiderung eingelassen. Der Kammervorsitzende Richter Dr. Reichenbach hat unter dem 21. Juni 2005 dessen Übersendung an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin "zur Stellungnahme" verfügt (Absendevermerk der Geschäftsstelle: 28. Juni 2005) und mit Verfügungen vom 17. August und 30. September 2005 an die Erledigung erinnert. Unter dem 1. Dezember 2005 hat er sich mit folgendem Schreiben an sie gewandt: "Da Sie auf wiederholte Erinnerungen nicht reagieren, ist für mich nicht ersichtlich, ob Sie die Klägerin noch vertreten bzw. ob Ihre Zulassung noch besteht. Ich beabsichtigte daher, diesbezüglich Ermittlungen einzuleiten, wenn die erbetene Stellungnahme nicht bis zum 15.1.2006 hier eingeht."

Mit Schriftsatz vom 6. Januar 2006 haben diese beantragt, Richter Dr. Reichenbach wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Er habe in seiner Verfügung vom 1. Dezember 2005 in unangemessener Weise seinen Unmut über die Prozessbevollmächtigten der Klägerin geäußert, was entsprechend dem Beschluss des Thüringer Landessozialgerichts vom 17. Juni 2002 (Az.: L 6 SF 169/02 in NZS 2002, S. 560) geeignet sei, den Eindruck der Voreingenommenheit zu erwecken. Da das Gericht gehalten sei, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, bestehe keine Pflicht, die Klage zu begründen.

In seiner dienstlichen Äußerung vom 10. Januar 2006 hat Richter Dr. Reichenbach erklärt, er halte sich nicht für befangen. Seine Verfügung vom 1. Dezember 2005 enthalte weder Unmutsäußerungen noch objektiv abwertende Kritik. Er habe darin lediglich eine Tatsache, eine Schlussfolgerung und eine Absichtserklärung wiedergegeben. Nachdem die Prozessbevollmächtigten nach einem Zeitraum von sechs Monaten nicht auf seine Verfügungen reagiert hätten, habe er Anlass gehabt, am Bestehen des Vertretungsverhältnisses bzw. der Zulassung zu zweifeln. Es sei auch denkbar gewesen, dass eine Anzeige über eine Mandatsniederlegung nicht bei Gericht eingegangen sei. Die Verfügung vom 1. Dezember 2005 sei auch Ausdruck der im Sozialgerichtsverfahren erhöhten Fürsorgepflicht des Gerichts gegenüber den Klägern, denen eine Hinauszögerung des Verfahrens nicht zuzumuten sei. Der Beschluss vom 17. Juni 2006 (a.a.O.) sei nicht einschlägig, weil nach dem dortigen Sachverhalt eine Bewertung der Prozessführung des Prozessbevollmächtigten durch den Kammervorsitzenden vorgenommen worden sei. Zu den weiteren Einzelheiten der dienstlichen Äußerung wird auf Blatt 4 und 5 der Gerichtsakte verwiesen.

Die Beklagte hat sich zum Gesuch auf Ablehnung von Richter Dr. Reichenbach wegen Besorgnis der Befangenheit nicht geäußert.

Mit Schriftsatz vom 18. April 2006 haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Vollmacht eingereicht.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der beigezogenen Gerichtsakte (Az.: S 4 KR 1524/05) Bezug genommen.

II.

Die Ablehnung von Richter Dr. Reichenbach ist unbegründet. Es liegt kein Grund vor, der geeignet wäre, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 60 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO -).

Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich befangen ist, sondern darauf, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Voreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (vgl. Bundessozialgericht (BSG) in SozR 1500 § 60 Nr. 3). Ein im Rahmen der Gesetze gebotenes richterliches Verhalten kann keinen für die Ablehnung rechtfertigenden Grund ergeben, weil jeder Richter nach Art. 97 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) dem Gesetz unterworfen ist (vgl. BSG, a.a.O.).

Ein unsachliches Verhalten des Richters Dr. Reichenbach in der Verfügung vom 1. Dezember 2005 ist nicht ersichtlich.

Diese steht im Einklang mit der in § 73 Abs. 2 Satz 1 SGG normierten Verpflichtung der Klägerin, die (Prozess-)vollmacht schriftlich zu erteilen und zu den Akten bis zur Verkündung der Entscheidung einzureichen. Auch Rechtsanwälte müssen grundsätzlich eine schriftliche Vollmacht vorlegen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage, 2005, § 73, Rdnr. 13). Ihr Vorliegen ist eine von Amts wegen zu beachtende Prozessvoraussetzung. Fehlt sie, muss das Gericht oder der Vorsitzende - bevor eine verfahrens- bzw. instanzbeendende Entscheidung getroffen wird - den Bevollmächtigten unter Fristsetzung schriftlich auffordern, sie einzureichen und auf die drohende Abweisung bzw. Verwerfung als unzulässig hinweisen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 73 Rdnr. 18). Angesichts der Tatsache, dass sie entgegen den Ausführungen im Klageschriftsatz nicht eingereicht worden war und auch nach einem weiteren halben Jahr noch nicht vorlag, ist der richterliche Hinweis, das Bestehen des Vertretungsverhältnisses sei nicht ersichtlich, nicht zu beanstanden. Aus der Perspektive des Kammervorsitzenden war es durchaus nachvollziehbar, dass dies durch eine nicht (mehr) bestehende anwaltliche Zulassung veranlasst sein konnte.

Es bestehen auch keine Bedenken dagegen, dass Richter Dr. Reichenbach die Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu einer Stellungnahme zur Klageerwiderung der Beklagten vom 16. Juni 2005 aufgefordert und an die Abgabe dieser Stellungnahme erinnert hat. Damit ist er der ihm obliegenden Pflicht nachgekommen, auf die Abgabe aller für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen hinzuwirken (§ 106 Abs. 1 SGG). Dies gilt im Übrigen um so mehr, als eine im Dezember 2005 immer noch nicht vorliegende Klagebegründung angekündigt war.

Dem von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zitierten Senatsbeschluss vom 17. Juni 2002 (a.a.O.) liegt ein mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Die dort vom Kammervorsitzenden dem Prozessbevollmächtigten in Aussicht gestellte Anfrage an den Kläger, ob er sich "ordnungsgemäß vertreten sehe", enthielt eine – hier aber nicht vorliegende - negative Wertung des Prozessverhaltens des Prozessbevollmächtigten des Klägers (mehrfache Anträge auf Fristverlängerung). Eine sachliche Anfrage bei einer Untätigkeit der Prozessbevollmächtigten nach sechs Monaten beinhaltet jedoch keinesfalls eine negative Wertung der Prozessführung sondern entspricht der Aufklärungspflicht des Vorsitzenden (§ 106 SGG) und kann bei objektiver Sicht keine Besorgnis der Befangenheit erwecken.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved