L 8 R 74/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 12 RJ 54/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 74/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. März 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind zwischen den Beteiligten auch für den Berufungsrechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Regelaltersrente nach Maßgabe des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG), das der Deutsche Bundestag im Jahr 2002 einstimmig erlassen hat (Bundesgesetzblatt - BGBl - Teil I 2074).

Der Kläger wurde 1924 in Kaunas geboren. Vor dem Krieg absolvierte er in Litauen eine Schweißerlehre. Er war 17 Jahre alt, als die Deutschen die Sowjetunion angriffen. Sein Vater wurde vom Überfall der Deutschen auf einer Geschäftsreise im Ort Kedenai überrascht. Ihm gelang es, nach Kasachstan zu flüchten. Zusammen mit seinen beiden Schwestern und der Mutter blieb der Kläger in L zurück.

Die deutschen Truppen erreichten Kaunas am 24. Juni 1941. Bereits am Tag darauf fanden die ersten Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung statt. Bereits in diesen ersten Tagen betrug die Zahl der jüdischen Opfer mehrere Tausend Menschen, fast ausschließlich Männer. Die alten zaristischen Forts Nr. VII und IX dienten als Lager und Erschießungsstätten. Am 8. Juli wurde Vertretern der jüdischen Bevölkerung durch die Sicherheitspolizei mitgeteilt, alle Juden hätten bis zum 15. August 1941 zum Schutz vor den litauischen Partisanen in ein Ghetto umzuziehen. In Vilijampol&279;, in dem zuvor 16.000 Menschen in relativ primitiven Verhältnissen gelebt hatten (keine Kanalisation usw.), wurden nun 30.000 Juden in zwei Ghettos, die durch eine Brücke verbunden waren, zusammengezogen. Die meisten Menschen im Ghetto stammten aus Kaunas, das eine große jüdische Gemeinde besessen hatte, und aus den umliegenden Regionen. Nach den Aktionen im Herbst 1941 lebten ca. 17.000 Menschen im Ghetto. Die Frauen befanden sich in der Überzahl, da mehr Männer ermordet worden waren. Unter diesen Frauen gingen nicht alle einer Arbeit nach (viele waren junge Mütter). Vor allem die Kinder und die Älteren waren immer von Selektionen bedroht, weswegen der Judenrat vermied, den deutschen Behörden die exakten Zahlen zu geben.

Auch nach der Ghettoisierung kam es zu fortgesetzten Plünderungen und ersten Massenmorden wie der Erschießung von 534 Intellektuellen am 18. August 1941. Weitere große Mordaktionen fanden zwischen Ende September und Ende Oktober 1941 statt. In diesem Zusammenhang wurde auch das kleine Ghetto geräumt. Der Höhepunkt der Aktionen wurde dann am 28. Oktober 1941 erreicht, als die gesamte Ghettobevölkerung auf einem Platz antreten musste. Vertreter der Sicherheitspolizei und des Arbeitsamtes nahmen die Selektion vor, wobei die entscheidenden Kriterien die physische Arbeitsfähigkeit, besondere handwerkliche Fähigkeiten oder Funktionen (Judenrat, Ghettopolizei usw.) waren. Ca. 9.200 Menschen wurden als nicht mehr nützlich in den folgenden Tagen im IX. Fort ermordet. Damit war der Höhepunkt der Mordwelle überschritten, und es begann die ruhige Phase im Ghetto, die durch den Aufbau einer Art von Infrastruktur durch den Judenrat und die Ausnutzung der jüdischen Arbeitskraft durch deutsche Behörden und Einrichtungen gekennzeichnet war. Der deutsche Stadtkommandant Cramer wurde dabei durch seinen persönlichen "(Juden-)Referenten" Jordan unterstützt. Dieser unterhielt eine eigene Arbeitsbrigade (sog. "Jordan-Brigade") und gab dazu Bescheinigungen aus, die bei Selektionen einen gewissen Schutz boten (sog. "Jordan-Scheine"). Der Judenrat nahm im Übrigen alle Aufgaben der inneren Verwaltung des Ghettos wahr und fungierte als Exekutive. Ihm oblagen die Stellung der von den deutschen Behörden angeforderten jüdischen Arbeitskräfte, die Verteilung des immer knappen Wohnraumes, soziale Hilfsmaßnahmen, die Verteilung der Nahrung usw. Vorsitzender war der Arzt Elchanan Elkes, der bis zum Ende des Ghettos Vorsitzender blieb und schließlich am 17. Oktober 1944 im Konzentrationslager (KL) Dachau starb.

Wie in allen Ghettos im deutschen Machtbereich versuchte auch der Judenrat in Kaunas, das Überleben der Menschen durch Arbeit für die deutschen Besatzer zu sichern. Die Arbeiten konnten dabei innerhalb des Ghettos, in den sogenannten Ghettowerkstätten (z. B. Tischlerei, Wäscherei, Schneiderei), oder außerhalb stattfinden. Die Stadtbrigaden zogen jeden Tag vom Ghetto aus zu ihrem Arbeitsort (ausgenommen diejenigen Arbeitsbrigaden, die in der Region eingesetzt und zum Teil in Unterkünften an ihren Einsatzorten untergebracht worden waren). Die Arbeitsbedingungen variierten je nach Einsatzort und dem Verhalten der dortigen deutschen Aufsicht; ein weiterer wichtiger Aspekt waren die mit dem Arbeitsplatz verbundenen Möglichkeiten, Nahrungsmittel und Gebrauchsgegenstände auf dem Schwarzmarkt zu beziehen. Es gab dementsprechend Arbeitsplätze, die in einem guten Ruf standen, während andere wegen einer schikanösen Behandlung, schwerster körperlicher Arbeit oder schlechter Marktlage als verrufen galten.

Das jüdische Arbeitsamt stellte die entscheidende Institution für die Menschen im Ghetto dar. Oft kamen auch Arbeiter zum Judenrat, um einen anderen Arbeitsplatz oder eine Krankschreibung zu erhalten. Als sich im September 1943 Gerüchte verdichteten, die deutsche Besatzungsmacht wolle die jüdische Arbeiter in Militärlagern an ihren Arbeitsplätzen unterbringen, gab es 1400 Bewerbungen für Arbeitsplätze in den Ghettowerkstätten. In den Berichten vor allem jüngerer Überlebender heißt es, dass sie oft und offenbar problemlos über das jüdische Arbeitsamt (oder direkt am Ghettotor) den Arbeitsplatz wechselten (Ende der landwirtschaftlichen Saisonarbeiten, Verlegung der deutschen Einheit usw.). Nach dem Ende der Massenmorde mit der Großen Aktion vom 28. Oktober 1941 bis zur Liquidierung des Ghettos und der Verschleppung der Überlebenden in KLs wurde durch die Arbeitsaufnahme keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben abgewendet.

Wer arbeitete, wurde zumeist in Naturalien entlohnt. Im April 1942 ordnete Stadtkommissar Cramer in Reaktion auf ein Memorandum des Judenrates wegen einer Erhöhung der Verpflegung an, dass die Verpflegung der jüdische Bevölkerung grundsätzlich die Hälfte der einheimischen Bevölkerung betrage; arbeitende Juden bekämen zusätzlich die volle Brotration. In einem Rundschreiben Cramers vom 30. Juli 1942 betr. "Bedingungen für die Vermittlung jüdischer Arbeitskräfte" heißt es u.a.: "Es ist anzustreben, die Juden an Ort und Stelle zu verpflegen und zwar in einer Art Werkküche. Von den Berufsverbänden kann auf Antrag eine Bescheinigung ausgestellt werden, dass solche Dienststellen, wo Juden zu wehrwirtschaftlichen Arbeiten herangezogen werden, eine Zusatzverpflegung für Juden erhalten. Nach Vorlage dieser Bescheinigung kann eine Zusatzverpflegung für Juden bezogen werden. Von den Tagessätzen wird dann für die tägliche Zusatzverpflegung 0,25 RM in Abzug gebracht." Am 25. August 1942 erließ Cramer eine weitere Anweisung, die die Verpflegung der jüdischen Bevölkerung neu regelte. Die Arbeitenden erhielten zusätzlich pro Woche 700 gr Brot, 125 gr. Fleisch und 25 gr. Fett. Die Zusatznahrung sollte direkt am Arbeitsplatz ausgegeben werden. Es handelte sich gegenüber den Rationen der nicht arbeitenden Ghettobewohner (Brot 700 gr, 125 gr. Fleisch, 112,5 gr. Mehl, 75 gr. Nahrungsmittel und 50 gr. Salz) fast um eine Verdoppelung der Ernährungsbasis. Zugleich verbot Cramer in einem zweiten Erlass den Geldverkehr im Ghetto, so dass offiziell die jüdische Arbeitskraft (gegenüber den jüdischen Arbeitern) nicht mehr in Bargeld bezahlt werden konnte.

Im Juli 1944 "liquidierten" die Deutschen bei ihrem Rückzug das jetzt KL Kauen genannte Ghetto, die Überlebenden wurden in Konzentrationslager nach Estland und später in das Deutsche Reich deportiert.

Der Kläger kam in das KL Stutthoff. Seine Mutter und seine ältere Schwester verhungerten dort kurz vor der Befreiung. Der Kläger kehrte nach Kaunas zurück, wo er später seinen Vater wieder traf. Nach dessen Tod wanderte er 1974 nach Israel ein. Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) konnte er wegen dessen Schließung durch das BEG-Schlussgesetz mit Wirkung zum Jahr 1969 nicht geltend machen. 1993 stellte er nach dem Gesetz über die Errichtung der Zwangsarbeiterstifung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", das der Deutsche Bundestag im Jahr 2000 erlassen hat (Stifungsgesetz - BGBl Teil I 1263), bei der Jewish Claim Conference (JCC) einen Antrag auf Entschädigung für sein Verfolgungsschicksal. Er wurde von der JCC daraufhin als Berechtiger des Artikel 2 Fonds anerkannt. Seine israelische Altersrente bezieht der Kläger ausschließlich nach den in Israel zurückgelegten Zeiten. Eine Berücksichtigung von Zeiten vor 1954 sieht das israelische Rentenrecht nicht vor. Der Kläger erhält auch keine litauische Rente unter Berücksichtigung von Ghettozeiten. Dies ist mangels eines entsprechenden israelisch-litauischen Sozialversicherungsabkommens ausgeschlossen.

Im August 2002 beantragte der Kläger die Gewährung einer Regelaltersrente nach Maßgabe des ZRBG bei der Beklagten. Die Beklagte übersandte ihm einen Fragebogen, in dem der Kläger angab, er habe sich von August 1941 bis Juli 1942 im Ghetto Kaunas befunden und zunächst im Bekleidungslager gearbeitet. Danach sei er von August 1942 bis Juli 1944 in der Flakfabrik von Kaunas mit der Reparatur von Flugabwehrkanonen beschäftigt gewesen. Ergänzend trug mit einer im Juni 2003 bei der israelischen Sozialversicherungsanstalt Bituach Leumi aufgenommenen eidesstattlichen Versicherung vor, die Arbeit sei durch Vermittlung des Arbeitsamtes zustande gekommen und mit Coupons entlohnt worden. Diese Angaben bestätigten die Zeuginnen G und W in entsprechenden eidesstattlichen Versicherungen. Die Beklagte zog die Angaben des Klägers bei der JCC bei, in denen der Kläger 1993 erklärt hatte, er habe im Ghetto hauptsächlich auf dem Flugplatz Zwangsarbeiten leisten müssen. Durch Bescheid vom 20.10.2003 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zahlung einer Rente nach dem ZRBG ab. Zur Begründung führte sie aus, dass auf Grund widersprüchliche Angaben nicht glaubhaft sein, dass der Kläger im Ghetto aus eigenem Willensentschlusss eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt habe. Den dagegen vom Kläger erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.03.2004 zurück.

Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die vom Kläger dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 10.03.2005 abgewiesen. Eine Entlohnung durch Coupons hat das SG nicht als überwiegend wahrscheinlich angesehen; vielmehr könne es so wie zunächst oder auch wie später vorgetragen gewesen sein.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Berufung des Klägers.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgericht Düsseldorf vom 10.03.2005 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.10.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2004 zu verurteilen, dem Kläger Altersrente nach Maßgabe des ZRBG unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten von Januar 1942 bis November 1943 ab dem 01.07.1997 neu zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat zur historischen Situation im Ghetto Kaunas ein Sachverständigengutachten des am Nord-Ost-Institut der Universität Hamburg tätigen Historikers Dr. U eingeholt. Dieser hat ausgeführt, die Angaben des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal seien zwar auf den ersten Blick widersprüchlich, da er in seinem ersten Rentenantrag nur von einer Tätikgkeit auf dem Flugplatz Aleksotas gesprochen habe. Es spreche jedoch eindeutig für die Glaubwürdigkeit des Klägers, dass seine späteren Ausführungen durch eine direkte Quelle belegbar seien, die auch in historischen Fachkreisen unbekannt gewesen sei. In der Belegübersicht der Wehrmachtskommandatur in Kaunas vom 31.07.1943 sei nämlich eine Flakbeute-Instandsetzungs-Werkstatt mit zwei Offizieren, drei Unteroffizieren und zehn Mannschaften aufgeführt. Aus deren Materialausstattung (fünf LkW) ergebe sich zudem, dass wehrmachtsfremdes Personal Verwendung gefunden habe. Da der Kläger eine Schlosserlehre habe vorweisen können, sei sein dortiger Einsatz trotz seiner damaligen Jugend nachvollziehbar. Auch die Existenz der vom Kläger im Bekleidungslager erwähnten Jordan-Brigade sei historisch belegt. Insgesamt seien die Angaben des Klägers in seiner eidesstattlichen Erklärung vom Juni 2003 daher zeitgeschichtlich glaubhaft im Sinne einer guten Möglichkeit.

Die Beklagte hat gemeint, durch das Gutachten des Sachverständigen ergäben sich keine für die Beurteilung des Falles bedeutsamen Erkenntnisse. Konkrete Beweismittel für die in Streit stehenden Beschäftigungsverhältnisse habe der Gutachter nicht vorgelegt.

Der Kläger ist vom Gericht gebeten worden mitzuteilen, ob er eine persönliche Anhörung zu seinem Verfolgungsschicksal im Heimatland zu Zwecken der Gewährung rechtlichen Gehörs und zur Aufklärung des Sachverhalts wünsche. Das hat er bejaht.

Der Staat Israel hat der konsularischen Anhörung von israelischen Klägern rentenrechtlicher Verfahren durch ein deutsches Gericht vor Ort gem. Art. 16 des Haager Übereinkommens über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (ZRHG) vom 18. März 1970 - BGBl Teil II 1274 - nach Vermittlung dieses Ersuchens durch die deutsche Botschaft in Tel Aviv mit diplomatischen Verbalnoten vom 5. Dezember 2006 und vom 13. Februar 2007 mit der Maßgabe der anschließenden Bestätigung des jeweiligen Protokolls durch das Directorate of Courts in Jerusalem zugestimmt.

Zur Vorbereitung der Anhörung hat das Gericht die an der Universität Frankfurt tätige klinische Psychologin Prof. Dr. R, die durch Forschungsarbeiten über die Interpretationen autobiographischer Erzählungen von Überlebenden des Holocaust hervorgetreten ist, mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens über die bei der Befragung und Auswertung der Ghettoüberlebenden anzuwendenden Grundsätze beauftragt und parallel dazu Oberstaatsanwalt außer Dienst B, der mit der Vertretung der durch die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf erhobenen Anklage im Majdanek-Verfahren betraut war, als weiteren Sachverständigen zu seinen Erfahrungen mit der Vernehmung jüdischer Opferzeugen in Israel befragt.

In der Zeit vom 05. bis zum 29. März 2007 sind sodann 21 Kläger und Klägerinnen in Tel Aviv und in Jerusalem durch den Berichterstatter angehört worden, darunter am 06.03.2007 auch der Kläger. Dabei ist das Gericht im Fall des Kläges von dem historischen Sachverständigen Dr. U vor Ort durch ergänzende Fragen unterstützt worden. Die zu allen Terminen ordnungsgemäß geladene Beklagte ist den Anhörungen ferngeblieben; sie hat gemeint, für die Kläger bestehe die Gefahr von Überforderungssituationen; zudem sei ihren Terminvertetern die Teilnahme an den Anhörungen in Israel nicht zumutbar.

Der Kläger hat im Wesentlichen auf Befragen des Berichterstatters, des Sachverständigen sowie seiner Bevollmächtigten im Termin Folgendes erklärt:

"Ich bin 17 Jahre alt gewesen, als ich ins Ghetto kam. Ich habe im August sofort nach Schließung des Ghettos, als der Zaun gezogen wurde, angefangen zu arbeiten. Ich war der einzige Mann in der Familie. Ich hatte noch 2 Schwestern. Eine war sehr schwer krank und musste oft versteckt werden, außerdem meine Mutter. Ich musste mich um den Unterhalt kümmern. Mein Vater arbeitete in L in einer Mühle. Von dort ist er nach Kasachstan geflohen. Ich war der Mann, der die Familie ernähren musste. Ich war 17 Jahre alt, das kann man mit einem heute 17jährigen gar nicht vergleichen. Zunächst habe ich in einem Kleiderlager gearbeitet, bei der Jordanbrigade. In Kaunas gab es zwei große Kirchen mit einem sehr hohen Dach. Sie waren voller Kleidungsstücke. Wir mussten auswählen zwischen guten und schlechten Kleidungsstücken, die dann nach Deutschland geschickt wurden. So habe ich gearbeitet. Wir wurden während der Arbeit nicht bewacht, sondern waren frei. Wir sind zu Fuß zur Arbeit gegangen ca. 1 km. Es gab einen Gruppenführer. Der Gruppenführer war ein kleiner von uns, der sehr gut deutsch sprach. Den haben sie dann zum Gruppenführer gemacht. Wir gingen dann zu Fuß zum Kleiderlager ohne Bewachung. Der Gruppenführer hatte dafür besondere Papiere. Dort habe ich dann ca. 1 Jahr 10 - 11 Monate gearbeitet. Genau erinnere ich mich nicht.

Wie bin ich an die Arbeit in der Jordanbrigade gekommen? Es gab einen SA-Mann oder SS-Mann am Tor des Ghettos. Dort wurden 10 Freiwillige gesucht. Ich war Teil dieser 10. Wir wurden dann zu einer großen Kirche gebracht und uns wurde gesagt, was zu tun sei. An uns direkt konnte sich niemand wenden. Das ging über das Arbeitsamt. Dort hat man 10 Leute gesucht. Ob ich freiwillig zum Arbeitsamt gegangen bin: Das Arbeitsamt hat um 10 Leute gebeten. Einige hatten Angst, aber ich bin hingegangen. Es kamen Leute zum Arbeitsamt und das Arbeitsamt hat dann vermittelt. Bei mir waren es 10. Manchmal waren es 10, 12, 15, die angefordert wurden und die dann in Gruppen jeden Morgen zur Arbeit gehen mussten. Das Arbeitsamt lag neben dem Ghettotor. Sein Leiter hieß N. Dann gab es noch einen Polizisten B. Das waren alles Juden. Im Ghetto gab es nur Juden. Es gab keine Deutschen. Ich habe den Jordan selbst bei der Arbeit gesehen. Er war ein hoher "schöner Junge". Da war auch noch jemand mit Namen Q. Der war jeden Tag mit uns. Was ich für die Arbeit bekommen habe: Wir haben Coupons bekommen. Das war gut für uns. Die habe ich der Mutter gegeben. Soweit ich mich erinnern kann, habe wir die Coupons einmal pro Woche vom Judenrat bekommen. Was drauf war: Brot 100 g pro Person und Kartoffeln faule nicht richtige Kartoffeln wie sie sein sollten. Außerdem gab es Suppenpulver um so Suppe zu machen. Kleider durfte ich mir nicht selber nehmen, das war "verboten"! Wenn wir dabei erwischt worden wären, wären wir ermordet und getötet worden. Diese Sachen gehörten uns nicht: Die, die nicht gearbeitet haben, haben keine Coupons erhalten, soweit ich mich erinnern kann. Aber ich habe mich um meine Arbeit gekümmert. Ich war froh, dass ich Essen für die Familie besorgen konnte. Die eine Schwester war 15 Jahre alt, die ältere war sehr krank. Wir mussten sie verstecken, damit sich nicht geholt wurde.

Wir mussten uns mit dem begnügen, was wir bekamen. Der Norm entsprechend 100 g Brot pro Kopf. Nein, das reichte nicht. Außer Coupons habe ich kein Bargeld erhalten.

Es gab besondere Stellen im Ghetto, wo die Mutter die Coupons hinbrachte und im Gegenzug Essen bekam. Die Coupons wurden außerhalb des Ghettos nicht anerkannt. Nur im Ghetto. Ob man im Ghetto gegen Coupons z. B. Schuhe eintauschen konnte, habe ich nicht gesehen. Ich habe mich damit nicht befasst. Ich war bei der Arbeit, und mit Essenbeschaffung war die Mutter beschäftigt. Ich hatte keine Zeit Vergleiche zu anderen, die nicht arbeiteten, anzustellen. Ich musste ein bis zwei Mal pro Woche auch nachts Wache halten in dem Kleiderlager. Am Arbeitsort bekamen wir keine Verpflegung, nein. Wir hatten auch nichts, was wir zur Arbeit mitnehmen konnten.

Später, als die Flak Arbeiter suchte - professionelle Fachkräfte - habe ich dort als Schweißer und Schlosser gearbeitet. Ich habe auch diese Arbeit über das Arbeitsamt bekommen. Die Inhaber der Flak haben Fachkräfte gesucht und da habe ich mich gemeldet. Ich habe bei der Flak keine Wehrmacht gesehen, nur einen Deutschen, einen sehr großen Elektriker und Ukrainer. Ob es eine Firma oder die Wehrmacht war, dazu kann ich nichts sagen. Vorher, als die Russen noch da waren, hatte ich in einer kleinen Fabrik in Litauen als Schlosser bzw. als Schweißer gearbeitet. Zur Flak sind wir mit dem Lastwagen gebracht worden. Die Flak war nicht auf dem Gelände des Flughafens Anexotas. Sie gehörte nicht dazu, sondern sie war in einer besonderen Fabrik untergebracht, außerhalb des Geländes. Es gab keine deutschen Wachen. Es waren russische Flugabwehrgeschütze, die wir passend für die deutsche Norm machen mussten. Ich habe dort Schweißarbeiten gemacht. Ich habe in der dortigen Zeit erst autogen geschweißt und dann später elektrisches Schweißen gelernt. Dazu kam ein hervorragender Fachmann aus Deutschland, der mich angelernt hat. Ungefähr 1 bis 1 ½ Monate. Danach habe ich alles repariert, was kaputt war und auf die deutschen Normen abgestimmt. Es gab auch Skizzen. Dort arbeiteten ungefähr 20 bis 25 Menschen.

Bei der Flak bekam ich manchmal - wirklich nur manchmal - und wenn der Deutsche geprüft hatte, ob alles in Ordnung war, vom Fahrer Zigaretten oder auch einmal ein Sandwich. Die Coupons habe ich der Mutter weiter gegeben. Wenn ich ein Sandwich bekam, war ich froh, dann konnte ich der Familie mehr Essen geben. Auf den Coupons waren 100 g Brot und Pulver für die Suppe.

Die Arbeit bei der Flak und bei der Jordanbrigade habe ich gegenüber der JCC nicht angegeben, weil diese Fragen nicht gestellt wurden. Hier wurden andere Fragen gestellt, nach meiner Familie, wie ich ins Ghetto gekommen bin, wie alt ich war. Das dort von der Arbeit auf dem Flughafen Alexotas bis Januar 1942 die Rede ist, verstehe ich nicht. Ich war in Alexotas nur 2 bis 3 Tage.

Meine Mutter ist später in Deutschland verhungert, zusammen mit meiner Schwester. Das war zwei Tage vor der Befreiung in Stutthoff. Das habe ich von einer Angehörigen gehört. Die Schwester, die jünger war, kam dann über Deutschland nach Amerika. Sie war damals 14. Sie kann sich an nichts mehr erinnern. Sie weiß nur, dass ich die Coupons besorgt habe. Sie hat nicht gearbeitet, dafür war sie damals zu jung. Ich bin dann zurück nach Kaunas gekommen. Mein Vater kam erst in den 60er Jahren aus Kasachstan nach Kaunas zurück. Er hat mich dann an meinem Muttermal am Hals von hinten erkannt. Wir dachten, dass mein Vater tot und bei Kriegsbeginn gestorben sei.

Ich bedaure, dass ich mich an das alles erinnern muss, was ich verdrängen wollte. Ich habe den Kindern möglichst nichts erzählt. Ich versuche die Dinge zu verdrängen. Ich kann nur sagen, ich bin 82 Jahre alt. Viel bleibt mir nicht mehr."

Der Sachverständige hat erklärt, dass er keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der vom Kläger bekundeten Umstände habe. Der Berichterstatter hat zu Protokoll gegeben, dass der Kläger nach dem in dem Termin gewonnenen persönlichen Eindruck glaubwürdig sei.

Die Anhörung des Klägers ist im Einverständnis mit allen im Termin Anwesenden durch eine Videokamera aufgezeichnet worden.

Im Verhandlungstermin vom 04.07.2007 hat der erkennende Senat die Videoaufzeichnung der Anhörung des Klägers vollständig in Augenschein genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens und des Beweisergebnisses wird auf die Sitzungsniederschriften des erkennenden Senats, die eingeholten Sachverständigengutachten, die Gerichtsakte mit Anlagen, die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, sowie auf die Videoaufzeichnung der Anhörung des Klägers verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die angefochtenen und vom SG bestätigten Bescheide der Beklagten erweisen sich nach der Gesamtwürdigung der gerichtlichen Ermittlungen sowie des Beteiligtenvorbrigens im Berufungsverfahren im Ergebnis nicht als rechtswidrig. Sie beschweren den Kläger daher nicht i.S.d. § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seinen sozialen Rechten. Für einen Rentenanspruch auf Grundlage der §§ 1 bis 3 ZRBG fehlt es am Erfordernis der Entgeltlichkeit. Dabei geht der Senat für die Auslegung der vorgenannten Vorschriften von den unter A. dargelegten Kriterien aus. Die zur zu diesen Voraussetzungen im Einzelfall des Klägers getroffenen Feststellungen beruhen auf der tatrichterlichen Würdigung aller Umstände des Einzelfalles durch den erkennenden Senat (hierzu unter B). Einwände gegen eine Aufklärung des Sachverhalts auf Basis der persönlichen Anhörung des Klägers besttanden nicht (dazu unter C).

A.

I. Der erkennende Senat hält im Kern an der vom 13. Senat des BSG im Urteil vom 7. Oktober 2004 - B 13 RJ 59/03 - vertretenen Auffassung fest, dass es sich bei den Vorschriften der §§ 1 bis 3 ZRBG um Bestimmungen handelt, die auf dem Boden der bis zum Jahr 2002 ergangenen sogenannten Ghettorechtsprechung des 5. und 13. Senats des BSG stehen und die das bis dahin in Kraft befindliche Rentenrecht einschließlich des Fremdrentengesetzes (FRG) und des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) ergänzen und nur teilweise verdrängen. Der Auffassung des 4. Senats im Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 4 R 29/06 R - Rn 104 - , als Entgelt i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1b ZRBG genüge jede Zuwendung wegen geleisteter Arbeit, unabhängig von ihrer Art oder Höhe, vermag der erkennende Senat nicht beizutreten. Soweit der 4. Senat des BSG (aaO Rn 102) ausführt, das Nichtvorliegen von Zwangsarbeit sei keine Tatbestandsvoraussetzung des § 1 ZRBG, folgt der erkennende Senat dem nicht. Das gilt auch für die Annahme des 4. Senats (aaO Rn 50 und 65), dass nach § 1 Abs. 3 ZRBG die Entstehung eines Rechts auf Altersrente, soweit sie auf der gleichgestellten Vorleistung von Ghettobeitragszeiten i.S.d. ZRBG beruht, die Erfüllung einer allgemeinen Wartezeit von 60 Monaten nicht voraussetzt (dazu unter II.).

Im Übrigen legt der erkennende Senat hinsichtlich der Auslegung der Begriffe "Zwangsarbeit", "Ghetto" und "Beschäftigung aus eigenem Willen" Folgendes zugrunde:

1. Um ein "Ghetto" im Sinne des § 1 ZRBG handelt es sich jedenfalls bei solchen Wohnbezirken, in denen Juden durch eine Aufenthaltsbeschränkung vollständig und nachhaltig durch die Androhung schwerster Strafen oder durch Gewaltmaßnahmen von der Umwelt abgesondert wurden und die sich in einem Gebiet befanden, das rechtlich als vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert zu qualifizieren ist, womit der faktische Herrschaftsbereich des NS-Staates gemeint ist. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob auch ein sogenanntes "offenes" Ghetto unter den Ghetto-Begriff i.S.d. § 1 ZRBG fällt. Denn auf den Unterschied zwischen "offenem" und "geschlossenen" Ghetto kommt es im Fall des Klägers rechtlich nicht an. Vielmehr lässt sich aus den unter B. dargelegten Gründen feststellen, dass er in seiner Zeit in Kaunas in einem "geschlossenen" Ghetto war (eingehend zum Problemkreis des Ghettobegriffs: LSG NRW, Urteil v. 1. September 2006 - L 14 R 41/05; Urteil v. 15. Dezember 2006 - L 13 RJ 112/04 - mit anhängiger Revision - B 5 R 12/07 R -).

2. "Beschäftigung" i.S.d. § 1 ZRBG ist jede nicht selbständige Arbeit. Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ist nicht notwendig. Anhaltspunkte sind eine von Weisungen eines anderen hinsichtlich Zeit, Ort, Dauer, Inhalt oder Gestaltung abhängige Tätigkeit sowie eine gewisse funktionale Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Unternehmens oder Weisungsgebers, wobei die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls und das sich daraus ergebende Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit maßgeblich sind. Auch Arbeiten und Dienstleistungen, die außerhalb des räumlichen Bereichs eines Ghettos verrichtet wurden, werden dabei vom ZRBG erfasst, wenn sie Ausfluss der Beschäftigung im Ghetto waren (4. Senat des BSG a.a.O. Rn. 99 mit Hinweis auf Bundestagsplenarprotokoll 14233 vom 25. April 2002, 23281). Die Arbeit muss dem Verfolgten lediglich von einem Unternehmer oder einer Ghettoautorität mit Sitz im Ghetto (z.B. dem örtlichen Judenrat) angeboten oder ähnlich einer Arbeitnehmerüberlassung oder einer Arbeitsvermittlung zugewiesen worden sein. Eine direkte Rechtsbeziehung mit unmittelbarem Entgeltzufluss zwischen einer deutschen Dienststelle und den betroffenen Ghettobewohnern ist daher nicht erforderlich.

3. Eine freiwillige Beschäftigung "aus eigenem Willen" scheidet dann aus, wenn der Arbeitende von hoher Hand unter Ausschluss jeder freien Willensbetätigung zur Arbeit gezwungen wurde, z.B. bei Strafgefangenen oder KZ-Häftlingen. Ein eigener Willensentschluss i.S.d. ZRBG liegt demgegenüber vor, wenn die Arbeit vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage im Ghetto jedenfalls auch noch auf einer wenn auch auf das Elementarste reduzierten Wahl zwischen wenigstens zwei Verhaltensmöglichkeiten beruhte. Solange NS-Verfolgte hinsichtlich des Zustandekommens und/oder der Durchführung der zugewiesenen angebotenen Arbeiten noch eine gewisse Dispositionsbefugnis hatten, sie also die Annahme und/oder Ausführung der Arbeiten gegenüber dem, der sie ihnen zuwies, auch ohne unmittelbare Gefahr für Leib, Leben und ihre Restfreiheit ablehnen konnten, liegt keine Unfreiwilligkeit vor, auch dann nicht, wenn sie deshalb mangels eines Entgelts weniger oder nichts mehr zu Essen hatten. Gleiches gilt für eine nur den Zwangsaufenthalt im Ghetto aufrecht erhaltende, also vor allem eine fluchtverhindernde Bewachung bei Beschäftigungen außerhalb des räumlichen Ghettobereichs (vgl. 4. Senat des BSG aaO Rn 102 mwN).

II. Nach wie vor erachtet der erkennende Senat indes zur Anwendung des ZRBG die Abgrenzung von der Zwangsarbeit nach dem sozialversicherungsrechtlichen Typus des Beschäftigungsverhältnisses für geboten. Dazu ist nicht nur auf den Grad der Freiwilligkeit abzustellen, sondern auch auf eine von Zwangsarbeitsbedingungen deutlich unterscheidbare Entgelthöhe. Der erkennende Senat gründet diese Auslegung auf die Erkenntnis, dass der Gesetzgeber mit dem ZRBG trotz des Betretens von Neuland in der rentenrechtlichen Tradition der durch die BSG-Urteile des Jahres 1997 vorgezeichneten Ghetto-Rechtsprechung geblieben ist und an der Differenzierung zwischen Zwangsarbeit und Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne festhält (hierzu unter 1.). Der Senat sieht sich jedoch aufgrund neuer historischer Erkenntnisse gehalten, seine bisherige Rechtsprechung zur Feststellung einer für die Anwendung des ZRBG ausreichenden Höhe des Entgelts zu modifizieren und stellt dazu - als Hilfstatsache bei Beweisnot - nunmehr auch auf die Frage ab, ob das im Ghetto erhaltene Entgelt objektiv dazu ausreichte, neben dem Arbeitenden selbst auch weitere Menschen über einen erheblichen Zeitraum zu ernähren oder hierzu einen entscheidenden Beitrag zu leisten (hierzu unter 2.). Im Übrigen setzt auch ein Rentenanspruch nach dem ZRBG die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von 60 Monaten voraus, nicht aber die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (hierzu unter 3.).

1. Die grundsätzliche Fortgeltung der sogenannten Ghettorechtsprechung des BSG (Urteile vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 66/95 -; 21. April 1999 - B 5 RJ 48/98 R -; 14. Juli 1999 - B 13 RJ 61/98 R) für die Auslegung des ZRBG ergibt sich aus der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksachen - BT-Drs. - 14/8583 Seiten 1, 5 und 14/8602 Seiten 1, 5), die ausdrücklich auf diese Urteile Bezug nimmt, sowie aus dem Wortlaut der gesetzlichen Überschrift ("Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten ...") ( ebenso LSG NRW, Urteil v. 7. Mai 2007 - L 3 R 34/07). Zudem vertraten in der Bundestagsdebatte alle Fraktionen des Deutschen Bundestages die Auffassung, das ZRGB schließe eine rentenrechtliche Lücke für den besonderen Personenkreis der Ghettoüberlebenden (BT-Plenarprotokoll 13/233; 23279 ff). Für die hier vertretene Auffassung spricht darüber hinaus der systematische Zusammenhang zu dem auch vom 4. Senat des BSG genannten Stiftungsgesetz, vor allem dessen § 16 Abs. 2 Satz 1, der ausdrücklich bestimmt, dass mit Beantragung der dortigen Leistungen durch Erklärung auf jede darüber hinaus gehende Geltendmachung von Forderungen für Zwangsarbeit gegen die öffentliche Hand unwiderruflich verzichtet werde, während gemäß § 16 Abs. 3 Stiftungsgesetz weitergehende Ansprüche gegen die öffentliche Hand unberührt bleiben. Hieraus hat der erkennende Senat mit rechtskräftigem Urteil vom 29. Juni 2005 - L 8 RJ 97/02 - die Notwendigkeit der Abgrenzung von Zwangsarbeit (zu entschädigen nach dem Stiftungsgesetz) und entgeltlicher Arbeit i.S.d ZRBG abgeleitet. Die Rentenversicherungsträger sind diesem Urteil auch bundesweit gefolgt. Der Senat hält an dieser Entscheidung fest. Schließlich sind auch die außerhalb des Rentenrechts bestehenden allgemeinen entschädigungsrechtlichen Bestimmungen des BEG für die im Ghetto erlittene Freiheitsentziehung und Gesundheitsbeschädigung durch Hunger und Misshandlung als Beleg heranzuziehen, insbesondere § 43 Abs. 3 BEG, der Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen der Freiheitsentziehung gleichachtet (hierzu Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil v. 25. Juni 1970 - IX 241/67 - mwN). Wären Ansprüche nach dem ZRBG demgegenüber, entsprechend dem Verständnis des 4. Senats des BSG, unabhängig vom Vorliegen oder Nichtvorliegen von Zwangsarbeit und einer deren Bedingungen typischerweise deutlich übersteigenden Entgelthöhe zu gewähren, so würde sich in der Tat die auch vom 4. Senat am Ende seiner Entscheidung (Rn 118) aufgeworfene Verfassungsfrage stellen, warum nicht auch alle anderen Gruppen von Zwangsarbeitern, also auch solchen, die nicht in einem Ghetto leben mussten, Anspruchsberechtigte dieser Leistung sein sollen. Eine generelle Entschädigung aller im 2. Weltkrieg zur Arbeit für Deutschland gezwungenen Kriegsopfer würde jedoch deutlich über den im ZRBG erklärten gesetzgeberischen Willen hinausgehen. Bisheriger außen- und staatspolitischer Praxis der Bundesrepublik Deutschland folgend ist eine solche generelle Reparationsregelung vielmehr in allen völkerrechtlichen Verträgen zur Regelung der Folgen des 2. Weltkrieges, angefangen vom Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953 - BGBl Teil II 331 - in Art 5 Abs. 2 bis hin zum Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990- BGBl Teil II 1317 -, bei der Wiedervereinigung Deutschlands vermieden worden (vgl. Bericht der Bundesregierung über Wiedergutmachung und Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht - BT-Drs. 10/6287, S. 8 ff, s. auch § 1 Abs. 1 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes - AKG - aus dem Jahr 1957 - BGBl Teil I 1745, hierzu Pagenkopf AKG 1958, Einführung und Art 1 Anmerkung 1 ff). Eine Änderung dieser Grundentscheidung hätte außerordentlich weitreichende staats-, außen- und haushaltspolitische Konsequenzen und hätte, wenn sie mit dem ZRBG hätte bewirkt werden sollen, klaren Ausdruck im Gesetz finden müssen. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat den in dieser Frage bestehenden außerordentlich weiten politischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ausdrücklich anerkannt (Beschluss des 2. Senats vom 13. Mai 1996 - 2 BvL 33/93 -; allgemein zu den Auslegungsgrenzen: BVerfGE 11, 16, 130)). Zu einer mittelbaren Änderung der in der Gesetzgebung zum ZRBG getroffenen politischen Grundentscheidung sieht der erkennende Senat die Rechtsprechung als dem Gesetz unterworfene Gewalt gemäß Artikel 20 Abs. 3 und Artikel 97 Abs. 1 Grundgesetz (GG) iVm § 31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) daher nicht befugt (so auch 13. Senat des BSG, Urteil v. 7. Oktober 2004, aaO Rn 44).

2. Unabhängig davon gibt das Urteil des 4. Senats des BSG vor dem Hintergrund neuer historischer Erkenntnisse Anlass, die bisherige Rechtsprechung zum Entgeltbegriff des ZRBG zu modifizieren. Nach dieser Rechtsprechung war festzustellen, zur Zuteilung welcher genauen Mengen welcher Nahrungsmittel die Coupons im jeweiligen Ghetto berechtigten und welchen Gegenwert diese Dinge damals besaßen. Es hat sich in der (den Beteiligten des Verfahrens bekannten) Praxis der jüngsten Beweiserhebungen des erkennenden Senats zu den Gebieten des Baltikums, Polens und der Ukraine im 2. Weltkrieg gezeigt, dass diese Umstände für die allermeisten Überlebenden nach so langer Zeit nicht erinnerbar und auch historisch kaum aufklärbar sind, zumal sich daran weitere ungeklärte Fragen anschließen, wie etwa, ob für den Wert von Lebensmitteln auf offiziell von deutscher Seite festgelegte Preise oder die real auf dem (schwarzen) Markt in Ghettos geltenden Tauschrelationen abzustellen ist. Letzteres konnte und kann indes zur Überzeugung des erkennenden Senats schon deswegen kein tragfähiger Maßstab sein, weil es sich damit um weitere außerhalb des eigentlichen Beschäftigungsverhältnisses liegende Umstände handelt, die täglich schwanken konnten und von individuellen Zufällen geprägt waren.

Die Anerkennung eines ZRBG-Anspruchs hing damit davon ab, ob die jeweiligen lokalen NS-Machthaber in Ghettos oder besetzten Gebieten in irgendeiner Form "ortsübliche Löhne" festsetzten oder nicht. Nur im Ghetto Lodz, das sowohl dem BSG in seiner Ghettorechtsprechung wie auch dem Deutschen Bundestag bei Verabschiedung des im Anschluss an diese Rechtsprechung ergangenen ZRBG vor Augen stand, galt nämlich wegen - zwar völkerrechtswidriger (so schon v. Moltke 1940 unter Hinweis auf die Haager Landkriegsordnung in: Sitzung der Sektion Völkerrecht der Akademie für deutsches Recht, Diskussionsprotokoll, Bundesarchiv Berlin/Koblenz R 61/360; ferner Ipsen, Völkerrecht, 5. Auflage 2004, § 23 Rn 42 ff), aber formal-juristisch wirksamer Annexion der westlichen Teile der Republik Polen durch das Deutsche Reich die RVO (Ostgebiete-Verordnung v. 22. Dezember 1941 - Reichsgesetzblatt Teil I 777) und damit auch die §§ 1227 bzw. 1228 RVO, auf denen die o.g. Einschränkungen beruhen.

Für die außerhalb des ("groß"-) deutschen Reichsgebiets liegenden besetzten Gebiete ergibt sich demgegenüber nach den neuesten auch den Beteiligten bekannten historischen Erkenntnissen des erkennenden Senats sowohl nach den unterschiedlichen Phasen und Orten des Kriegs- sowie Besatzungsverlaufs als auch den verschiedenen im NS-Staat willkürlich miteinander rivalisierenden NS- und Militärorganisationen (Wehrmacht, Rüstungsindustrie, Organisation Todt, SS, SA, Einzelpersonen- und Firmen etc.) ein von reinen Zufällen und gravierenden inneren Widersprüchen gekennzeichnetes Bild über die Festsetzung der örtlichen Löhne sowohl für die nicht-jüdische Bevölkerung als auch für die dort verfolgten Juden. "Recht" war das, was örtliche NS-Machthaber als Lohn oder Ration in Ghettos verordneten, ohnehin in keinem Fall (grundlegend: Radbruch, Gesetzliches Unrecht und überpositives Recht, in: Süddeutsche Juristenzeitung 1946, 105 ff unter III.; vgl. auch 4. Senat des BSG aaO Rn 109, 114). Die aus heutiger Sicht gebotene wenigstens nachträglich gleiche Anwendung vergleichbarer Maßstäbe für vergleichbare Umstände darf von diesem willkürverzerrten Verhalten lokaler NS-Stellen nicht abhängig sein. Dies verkennt die sogenannte Anspruchstheorie, nach der die Anwendung des ZRBG - unabhängig von der tatsächlichen Gewährung von Entgelt - allein von einem hierauf theoretisch bestehenden Rechtsanspruch abhängen soll (dagegen schon Urteil des erkennenden Senats - L 8 R 249/05 -).

Zudem geht der Senat davon aus, dass der Deutsche Bundestag bei Erlass des ZRBG nicht ernstlich gewollt haben kann, dass für die Anwendung dieses Gesetzes durch Verwaltung und Rechtsprechung zu Lasten der Betroffenen so hohe Nachweishürden für die Entgeltlichkeit der Tätigkeit aufgestellt würden, dass für die Überlebenden, die im Regelfall über keinerlei Dokumente aus der damaligen Zeit verfügen, ein Nachweis der entgeltlichen Beschäftigung praktisch unmöglich gemacht wird (vgl. auch § 2 Abs. 2, 2. Halbsatz SGB I). Dem deutschen Bundestag konnte bei Erlass des ZRBG der neueste historische Befund allerdings noch nicht bekannt sein, weil die historische Forschung zu den Ghettos des 2. Weltkrieges im Jahr 2002 erst am Anfang stand und sich seit der Öffnung der Archive in den Staaten des ehemaligen Ostblocks seit Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts im Umbruch befindet (vgl. auch BT-Drs. 15/1476 zu den bei Erlass des ZRBG fehlenden Möglichkeiten die Zahl der Anträge und ihre Ergebnisse zu prognostizieren).

Damit ergab sich für den erkennenden Senat das Erfordernis, ein neues vor Gericht noch heute objektiv überprüfbares aber auch regelmäßig nachweis- und erinnerbares Kriterium zu finden, welches die Unterscheidbarkeit von reiner Zwangsarbeit einerseits und freiwilliger entgeltlicher Tätigkeit andererseits mit dem für die Glaubhaftmachung gebotenen Gewissheitsgrad richterlicher Überzeugungsbildung ermöglicht. Für nicht ausreichend hält der Senat dabei nach wie vor die bloße Versorgung des Betroffenen mit Nahrungsmitteln selbst, selbst wenn diese Ernährung besser war und im Ghetto u.U. größere Überlebenschancen bot (wie im durch den 13. Senat des BSG am 7.Oktober 2004 entschiedenen Fall, dem tatsächliche Feststellungen des erkennenden Senats zugrunde lagen). Das gilt auch, wenn die Nahrungsmittel objektiv nur dazu geeignet waren, den mit der Arbeit verbundenen Kalorienmehrbedarf zu decken (so auch LSG NRW, Urteil v. 8. Dezember 2006 - L 13 R 144/06). Denn die Ernährung zum Zwecke des Erhalts der eigenen Arbeitskraft ist ein Umstand, der in gleicher Weise für Zwangsarbeit typisch ist - schon aus dem reinen Eigeninteresse desjenigen, der die Arbeitskraft der Zwangsarbeiter für sich ausbeutet. Einen deutlichen Unterschied sieht der Senat jedoch dann als hinreichend glaubhaft gemacht an, wenn das Maß des empfangenen Entgelts - unabhängig davon, ob in Form von Bargeld, Coupons oder Naturalien gewährt - objektiv bewertet dazu ausreichte, um nicht nur den Arbeitenden selbst, sondern mindestens eine weitere Person für einen erheblichen Zeitraum zu ernähren oder hierzu einen entscheidenden Beitrag zu leisten, und sei es nur auf dem im Ghetto allgemein herrschenden außerordentlich niedrigen Ernährungsniveau. Denn die Möglichkeit zur Mitversorgung weiterer Angehöriger ist auch nach dem historischen Befund, nach den wirtschaftlichen Bedingungen wie auch im Erleben der Opfer ein grundlegender Unterschied zu der für echte Zwangsarbeit charakteristischen totalen Ausbeutung, wie sie in den Zwangsarbeiterlagern und dann noch später bei der Vernichtung durch Arbeit in den Konzentrationslagern stattfand. Ob dieses Kriterium der objektiven Eignung zur Mitversorgung von Angehörigen jeweils gegeben war oder nicht, ist nach den tatrichterlichen Erfahrungen des erkennenden Senats, der sich insoweit nicht nur auf eine langjährige Praxis und eine Vielzahl von Fällen, sondern auch auf die durch den Berichterstatter in den persönlichen Anhörungen von NS-Opfern in Israel gewonnenen Erkenntnisse stützen kann, praktisch allen Überlebenden der Ghettos, soweit sie heute noch verhandlungsfähig sind, erinnerlich. Denn dieses Kriterium betrifft in aller Regel die nächste eigene Familie, deren Schicksal am intensivsten erlebt wurde.

3. Im Übrigen bleibt es für die Rechtsanwendung des ZRBG bei dem allgemeinen rentenrechtlichen Erfordernis der allgemeinen Wartezeit von 60 Monaten gemäß §§ 35 Nr. 2, 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Entsprechend hat der erkennende Senat seine Entscheidung daher als Grundurteil tenoriert. Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 ZRBG, die der 4. Senat hier als generelle Regel zitiert, betrifft nämlich nur den auch im Verhältnis zu Israel eingreifenden speziellen Fall, dass zwischen- oder überstaatliches Recht Sonderregeln zur Mindestanzahl an rentenrechtlichen Zeiten trifft (sog. Kleinstzeitenregeln). Ohne diesen Ausschluss des § 1 Abs. 3 ZRBG wären Rentenzeiten von weniger als 12 Monaten (im Verhältnis zu Israel) bzw. von 18 Monaten (im Verhältnis zu den USA) durch den anderen Staat abzugelten (BT-Drs. 14/8583). Der vom 4. Senat des BSG insoweit ergänzend genannte § 3 Abs. 2 ZRBG regelt ebenfalls etwas anderes, nämlich die Frage des Zugangsfaktors, die aber für die Grundvoraussetzungen der Wartezeit nicht relevant ist. In der Praxis liegt darin indes für die Anwendung des ZRBG zugunsten der Berechtigten keine erhebliche Hürde. Fehlende Zeiten können danach nämlich durch das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung gemäß § 7 SGB VI über nachträgliche Annahme von Beiträgen seitens der Beklagten gemäß §§ 197 Abs. 3, 198 Satz 1 SGB VI iVm Art 2 Abs. 1, Art 3 Abs. 1 a) und Art 4 Abs. 1 Satz 1 des Deutsch-Israelischen Sozialversicherungsabkommens (DISVA) vom 17. Dezember 1973 - BGBl. Teil II 246, 443 - in der Fassung des Änderungsabkommens vom 7. Januar 1986 - BGBl Teil II 863, 1099 -, das in Israel lebende israelische Staatsangehörige mit deutschen Versicherten in Deutschland gleichstellt, ausgeglichen werden. Diese Rechtsfolgen haben Rückwirkung bis zum frühestmöglichen Rentenbeginn nach dem ZRBG, d.h. bis zum 1. Juli 1997 (näher hierzu zuletzt Senatsurteil vom 23. Mai 2007 - L 8 R 28/07 - mwN).

Anderes gilt freilich für das Erfordernis des deutschen Sprach- und Kulturkreises (dSK), das im ZRBG ausdrücklich aufgegeben ist und das sich auch nicht aus den allgemeinen Bestimmungen des FRG bzw. des WGSVG in das ZRBG "hineininterpretieren" lässt, wie der 4. Senat des BSG aaO (Rn 105 ff, 114) zutreffend dargelegt hat. Eine solche einschränkende Auslegung würde nämlich dem ursprünglichen Gesetzeszweck zuwiderlaufen (so auch die Stellungnahme der Bundesregierung zu dieser Frage - BT-Drs. 16/5720).

B.

Die nach den unter A. ausgeführten rechtlichen Voraussetzungen sind im Fall des Klägers nicht erfüllt. Denn die dazu erforderliche Entgeltlicheit der Arbeit lässt sich aufgrund richterlicher Beweiswürdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens gemäß §§ 128, 202 SGG iVm § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht als glaubhaft gemacht bzw. überwiegend wahrscheinlich i.S.d. § 3 WGSVG und § 4 FRG festellen.

1. Zwar bestand im streitbefangenen Zeitraum in Kaunas ein geschlossenes Ghetto.

2. Der Kläger war während des streitbefangenen Zeitraums bei dem örtlichen Judenrat, also einer "Ghettoautorität" im Sinne des § 1 ZRBG beschäftigt. Er war auch in dessen "Betrieb", der durch die systematische Vermittlung von Arbeitskräften an deutsche Bedarfsträger, so unter anderem das Bekleidungslager bzw. die "Jordan-Brigade" und die Reperaturwerkstatt der Flak, im notwendigen Umfang organisatorisch eingegliedert. Auf die Existenz eines etwaigen arbeitsrechtlichen Verhältnisses zu den deutschen Bedarfsträgern oder auch zum Judenrat kommt es nach der oben genannten Rechtsprechung nicht an. Die erforderliche gewisse Dauerhaftigkeit seiner Eingliederung ergibt sich für den Kläger schon daraus, dass er für seine Tätigkeiten auch angelernt wurde, so insbesondere für die Arbeit bei der FLAK durch den von ihm noch erinnerten deutschen Vorarbeiter.

3. Die Beschäftigung hat der Kläger aus eigenem Willensentschluss (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) ZRBG) ausgeübt, denn er hat sich nach seinen glaubhaften Bekundungen bei der persönlichen Anhörung selbst beim örtlichen Judenrat um die Arbeit bemüht, um so für den Familienunterhalt etwas verdienen zu können. Hinweise darauf, dass der Kläger unter Bedrohung für Leib oder Leben unmittelbar zur Arbeit gezwungen wurde, gibt es nicht. Auch eine Bewachung bei der Arbeit, die als Indiz für eine Unfreiwilligkeit zu werten wäre, hat es nach den Bekundungen des Klägers, die mit den historischen Erkenntnissen übereinstimmen, nicht gegeben. Die Begleitung zur Arbeitsstelle durch einen jüdischen "Brigadier" schließlich war eine typische Maßnahme zur Dokumentation und Aufrechterhaltung der allgemeinen Ghettodisziplin und daher ebenfalls kein gegen die Freiwilligkeit der Arbeit sprechender Umstand.

4. Der Kläger erhielt jedoch nach seinen eigenen glaubhaften Angaben aus der persönlichen Anhörung kein Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) ZRBG für seine Arbeitsleistung. Denn die ihm gewährte Zusatzration reichte bei objektiver Betrachtung nur dazu aus, um seinen eigenen Kalorienmehrbedarf als Arbeiter zu decken. 100 Gramm Brot, faule Kartoffeln und etwas Suppenpulver für eine ganztägige körperliche Arbeit sind so wenig, dass selbst unter den Hungerverhältnissen des Ghettos eine Versorgung weiterer Familienmitglieder objektiv ausgeschlossen war. Dass der Kläger seine Rationen in der Familie dennoch teilte bzw. die Coupons der Mutter gab, genügt nach der vom erkennenden Senat als erforderlich angesehenen objektiven Betrachtungsweise nicht aus, um sein Entgelt von dem eines Zwangsarbeiters zu unterscheiden.

Zwar hat es im Ghetto Kaunas auch nach den Ermittlungen des erkennenden Senats in anderen Fällen an besonderen Arbeitsorten auch Beschäftigungen gegeben, die deutlich über den allgemein festgesetzten Rationen vergütet wurden (so z.B. im Verfahren L 8 RJ 27/03, das der Senat durch Vergleich zugunsten des dortigen Klägers beenden konnte). Doch hat sich der Kläger in der persönlichen Anhörung auch auf ausdrückliche mehrfache Nachfrage des Berichterstatters gerade nicht an eine über der allgemeinen (für mehrere Menschen zu geringe) liegende Arbeitsration erinnert. Diese Umstände hat auch der historische Sachverständige Dr. U im einzelnen im Detail bestätigt und näher beschrieben. Damit steht als Ergebnis des Berufungsverfahrens zwar fest, dass der Kläger in der persönlichen Anhörung über seine streitbefangene Zeit im Ghetto Kaunas die Wahrheit bekundet hat, so wie er sich heute noch daran erinnert. Doch die Grenze der individuellen menschlichen Erinnerungsfähigkeit des Klägers als Überlebender des Ghettos bedeutet gleichzeitig auch die Grenze der richterlichen Erkenntnis. Andere Beweismöglichkeiten gibt es nicht mehr. Die vom Kläger benannten beiden Zeuginnen haben zur Entgelthöhe nichts über das vom Kläger selbst Angegebene bekundet, und seine Schwester, die sonst als Zeugin in Betracht käme, kann sich als damals kleines Kind nach den eigenen Angaben des Klägers an nichts mehr erinnern. Das hat der Kläger selbst so angegeben.

C.

Die persönliche Anhörung des Klägers - bei der es sich nicht um eine im sozialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene Parteivernehmung, sondern eine nach §§ 103,106 in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellte Aufklärungsmaßnahme handelte, war zur Sachverhaltsaufklärung zulässig und verhältnismäßig. Wie von den Sachverständigen R und B generell hervorgehoben, empfindet sich der Kläger individuell mit Recht als wichtigen Zeitzeugen, der etwas von Bedeutung für die Nachwelt auch jenseits des ganz persönlichen Schicksals zu berichten hat. Schon deswegen, weil ihm widersprüchliches Vorbringen vorgehalten wurde, war es ein Gebot der Verfahrensfairness, ihm die Möglichkeit zu geben, sich persönlich im Termin dazu zu äußern. Nur er selbst konnte zudem umfassend zu seinem Schicksal Auskunft geben, weil es außer seiner eigenen Erinnerung keine anderen Beweismöglichkeiten gab. Sowohl zur Ausschöpfung aller bei der Amtsermittlung zu Gebote stehenden Möglichkeiten wie auch zur Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art 103 Grundgesetz und § 60 SGG war die persönliche Anhörung des Klägers daher angemessen.

D.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der erkennende Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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