L 9 U 3916/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 622/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3916/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. August 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligte, ob beim Kläger eine Berufskrankheit (BK) Nr. 5101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) oder eine sogenannte "Quasi-Berufskrank¬heit" vorliegt sowie die Gewährung von Verletztenrente.

Der 1947 in der Türkei geborene Kläger absolvierte seinen Angaben zufolge dort ab 1962 eine Lehre zum Schweißer und Schlosser. Anschließend war er in der Türkei bis ca. 1971 im erlernten Beruf sozialversicherungspflichtig beschäftigt, unterbrochen von einer 20-monatigen Zeit als Soldat in einer Versorgungseinheit. Ca. 1971/1972 übersiedelte er in die Bundesrepublik Deutschland und war hier bis Beginn 1972 als Schweißer und von 1972 bis 1984 als Tankreiniger und Schweißer beschäftigt. Ab 1984 arbeitete er bei der Firma F., in Plochingen, inzwischen C. AG (-einer Keramik-Firma-), in der Ofenhalle und hatte hierbei zunächst die Öfen der Keramikbrennerei zu bestücken und zu entladen. Aufgrund des Ausfalls anderer Beschäftigter wurde er im Betrieb umgesetzt an einen Arbeitsplatz an der Ultraschallwaschanlage, wo er von Oktober 1997 bis Februar 1998 (nach seinen Angaben zur Berufsanamnese im Gutachten vom 10.11.2006) bzw. von Januar 1997 bis April 1998 (nach den Feststellungen des technischen Arbeitsdienstes -TAD- der Beklagten vom 17.04.2002) tätig war. Hier bestand seine Aufgabe in der Reinigung diamantölverschmierter Plastikwannen. Der Kläger gab an, er habe die allein maschinell nicht sauber zu reinigenden Wannen gereinigt, indem er sich mit Oberkörper, Kopf und Armen über die Becken der Ultraschallwaschanlage gebeugt habe, die mit etwa 80 Grad heißer dampfender Lauge gefüllt gewesen seien. Die Ultraschallwaschanlage habe sich zu diesem Zeitpunkt im Dauerbetrieb befunden. Er habe bei dieser Tätigkeit etwa 150 Plastikwannen pro Tag in 8 Stunden Arbeitszeit auf die genannte Art und Weise zu reinigen gehabt; sehr stark verschmutzte Wannen seien teils von Kollegen der vorangegangenen Schicht für ihn liegengelassen worden. Die Arbeit sei mit anfangs bis zu den Ellenbogen reichenden, später bis knapp zu den Achseln reichenden Schutzhandschuhen ausgeführt worden. Nach dem genannten Zeitraum sei er wieder in der Ofenhalle (im gleichen Betrieb) eingesetzt worden. Zum Januar 2007 sei die Kündigung seitens des Arbeitsgebers erfolgt.

Am 25.10.2001 benachrichtigte der Kläger die Beklagte vom Vorliegen eines Verdachts auf einen Arbeitsunfall/eine Berufskrankheit. Er gab an, seit April 1998 sei eine Lähmung bei ihm aufgetreten (mit "verzogener linker Gesichtsseite"). Es habe ein Verlust des Denkvermögens stattgefunden. Im Juni 1998 sei dann ein starker Hautausschlag mit offenen Wunden aufgetreten, zunächst an den Händen und am Rücken, danach mit Ausbreitung über den ganzen Körper und den Unterleib. Die Hauterkrankung trete schubweise ca. dreimal jährlich auf; im Intervall sei er beschwerdefrei. 1999 sei die Waschanlage mit einem neuen Ultraschall ausgerüstet worden. Er führe die erwähnten Gesundheitsstörungen auf den Ultraschall in der Waschanlage zurück. Vom Kläger vorgelegt wurden folgende ärztlichen Unterlagen: - Arztbrief des Facharztes für Orthopädie Dr. Sch. vom 2.01.1996 (mit der Diagnose: Lendenwirbelsäulen (LWS) -Syndrom, Hüftpfannendysplasie beidseits), - Arztbriefe des Facharztes für Orthopädie Dr. K. vom 19.01.1996 (mit der Diagnose: V.a. Meralgia parästhetica des Nervus cut. fem. lat. links) und vom 02.09.2000 (mit der Diagnose: Schulterkontraktur; Beschwerden seit Sturz im Mai 2000). - Arztbrief des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Th. vom 26.01.1996 (mit der Diagnose: V.a. Meralgia parästhetica links. DD: Wurzelreizsyndrom L2/3 links) - ärztliche Überweisung vom 17.01.1996 (mit der Diagnose V.a. WRS L2/3 links) - Befundbericht des Instituts für Laboratoriumsmedizin Klinik vom 9. April 1998 (ohne pathologischen Befund) - Arztbrief des Arztes für HNO-Heilkunde Dr. J. vom 16.04.1998 (mit der Diagnose: inkomplette periphere Fazialisparese links) - Arztbrief des Prof. Dr. W., Oberarzt Dr. S., Dr. S. von der Hautklinik des Krankenhauses B.-C. vom 11.08.1998 (mit den Diagnosen: 1.) Erythema exsudativum multiforme, z. B. paraherpetisch, 2.) Herpes labialis recidivans, Angaben zur Epikrise: im Mai 1997 erstmals Hautveränderungen beginnend auf dem Handrücken und den Ellenbogen, im Mai 1998 Facialis-pararese links) und Kurzbrief der behandelnden Ärzte der Hautklinik B.-C. vom 12.07.1998, - Arztbrief des Prof. Dr. W. und der Frau S. vom 24.11.1999 (mit der Diagnose: Para-herpetisches Erythema exsudativum multiforme mit Schleimhautbeteiligung genital).

Der Hausarzt des Klägers Dr. A. zeigte unter dem 29.11.2001 der Beklagten den Verdacht auf eine Berufskrankheit an wegen folgender Gesundheitsstörungen des Klägers: Chronische Hautbeschwerden, Facialisparese, Zahnkrankheiten, Depression und Angststörung. Im beigefügten Arztbrief des Hautarztes und Allergologen Dr. S. vom 20.11.2001 wird die Diagnose: Erythema exsudativum multiforme, Erstmanifestation vor ca. 3 Jahren, teilweise postherpetisch genannt. Angemerkt wird ferner, eine mögliche Auslösung der Erkrankung durch den Beruf dürfte nur schwer nachzuweisen sein. Bekannt sei, dass die Erkrankung im Verlauf von Infektionen (Viren/Bakterien), infolge Arzneimitteln, malignen Tumoren bzw. Autoimmunerkrankungen auftrete.

Die Beklagte holte von der Firma C. eine Auskunft vom 23.11.2001 ein, befragte den Kläger und zog ferner eine betriebsärztliche Stellungnahme des Instituts für Arbeits- und Sozialhygiene Stiftung (IAS), Stuttgart, vom 23.11.2001 bei. Von letzterem wurde aus arbeitsmedizinischer Sicht ein Zusammenhang der Hauterscheinungen beim Kläger mit der Tätigkeit an der Waschanlage verneint. Der von der Beklagten herangezogene TAD (Dr. R., Stellungnahme vom 17.04.2002) verneinte für die Tätigkeit des Klägers an der Waschanlage - im Wesentlichen: Einlegen der Rohware in die automatisch arbeitende Anlage, Abnehmen der gereinigten Ware, nur gelegentlicher Kontakt mit Reinigungsflüssigkeit beim Ablassen und der Neubefüllung der Waschbecken - eine Hautgefährdung im Sinne der BK Nr. 5101. Dies bestätige auch das Krankheitsbild des Klägers mit Auftreten der Hauterkrankung am ganzen Körper. Des weiteren bestünde kein Zusammenhang der Gefühlsstörungen, Depressionen etc. mit der beruflichen Tätigkeit. Die Sicherheitsdatenblätter der Industrie-Reiniger Castrol Product 894/5 und P 3- galvaclean 26 und die Produktinfo über Castrol Product 894/5 wurden mit der Stellungnahme des TAD vorgelegt.

Der staatliche Gewerbearzt Dr. H. schlug eine BK gemäß Nr. 5101 der BKV nicht zur Anerkennung vor. Nach Diagnose und Ausbreitung der Erkrankung bestehe mit Wahrscheinlichkeit kein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers (Stellungnahme vom 6.05.2002).

Der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaft teilte der Beklagten mit Schreiben vom 19.06.2002 mit, neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse im Sinne des § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) seien zur vorliegenden Fallkonstellation nicht vorhanden. Der Ärztliche Sachverständigenbeirat, Sektion "Berufskrankheiten", habe sich nach dortiger Kenntnis bisher nicht mit der Aufnahme entsprechender Erkrankungsbilder in die Liste der Berufskrankheiten befasst. In der dortigen Dokumentation der Erkrankungen nach § 9 Abs. 2 SGB VII finde sich ferner kein vergleichbarer Erkrankungsfall.

Mit Bescheid vom 20.08.2002 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Hautkrankheit des Klägers als Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage zur BKV ab. Es liege auch keine Krankheit vor, die wie eine BK zu entschädigen wäre (§ 9 Abs. 2 SGB VII). Als ursächlich für die im Mai 1997 erstmalig aufgetretenen Hauterscheinungen werde eine Virusinfektion (Herpes labialis) angenommen. Es bestünden auch keine gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, dass die Einwirkungen von Ultraschall und Waschanlage geeignet seien, Hauterscheinungen und Lähmungserscheinungen hervorzurufen.

Den dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers vom 26.08.2002, der damit begründet wurde, nunmehr sei an der Waschanlage ein Hinweis-/Warnschild befestigt, auf dem stehe "Ultraschall! Nicht ins Becken fassen" sowie unter Hinweis auf einen ebenfalls mit den Händen (der Kläger selbst: bis zu den Oberarmen) im Ultraschall arbeitenden, an roten Flecken am Kopf und Haarausfall erkrankten Arbeitskollegen, wies die Beklagte nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des Dr. Reuchlein vom TAD (vom 7.10.2002) mit Widerspruchsbescheid vom 21.01.2003 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 05.02.2003 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart, mit der er die Anerkennung seiner Hauterkrankung als Berufskrankheit und die Gewährung einer Verletztenrente weiterverfolgte. Ergänzend zu seinem bisherigen Vortrag führte er aus, der Ultraschall habe seine Hautzellen zerstört und beeinträchtigt und auch ein schlechtes Blutbild bei ihm verursacht. Die Folge sei gewesen, dass seine linke Gesichtshälfte gelähmt gewesen sei und er in einem raschen Zeitraum die Zähne verloren habe. Das Immunsystem sei stark beschädigt gewesen. Noch ein weiterer Kollege, der am Ultraschall gearbeitet habe, habe am ganzen Körper Pickel und Wunden bekommen. Da die vom Kläger benutzten Handschuhe bei der Reinigung der Plastikbehälter mit der Bürste zu kurz gewesen seien, hätten sich die Arme im Ultraschall befunden. Vom Kläger vorgelegt wurde ferner die ärztliche Bescheinigung der behandelnden Hautärztin-Allergologie Dr. R.-R. vom 8.04.2003 vor, welche anregte, dem Kläger einen trockenen Arbeitsplatz zuzuweisen und außerdem aus dem Internet recherchierte Unterlagen zur biologischen Verträglichkeit von niederfrequentem Ultraschall (www.bmt.uni-stuttgart.de).

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das SG von Dr. R. L., Facharzt für Hautkrankheiten, Allergologie, Umweltmedizin, Phlebologie, Naturheilverfahren, das Gutachten vom November 2003 ein. Dr. L. diagnostizierte bei dem Kläger eine "Prurigo nodularis Hyde", eine seltene Erkrankung, deren Ursache unbekannt sei. Ein wesentlicher Zusammenhang der Erkrankung mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers bestehe nicht. Laut telefonisch eingeholter Auskunft von Prof. Dr. rer. nat. N. vom Institut für Biomedizinische Technik der Universität t sei das Auftreten von Hauterscheinungen oder anderen Erkrankungen nach Kontakt mit Ultraschall nicht bekannt (allenfalls werde eine Schädigung des Innenohrsystems bei Meerschweinchen vermutet).

Der Kläger beantragte hierauf, seine Arbeitskollegen A. K. und K. P. als Zeugen zu vernehmen. Diese hätten auch an der Ultraschall-Waschanlage arbeiten müssen und hiervon rote Flecken am Kopf und ganzen Köper, Haarausfall und Lähmungen bekommen. Ferner sollten sie zu der für die Tätigkeit erhaltenen Schutzkleidung und der Anbringung von Warnschildern oder Gefahrenhinweisen gehört werden. Außerdem beantragte er, von Amts wegen ein ärztliches Gutachten von Prof. Dr. von den D., Hautklinik S.-B.-C., einzuholen.

Die Beklagte legte eine weitere Stellungnahme ihres TAD (Herr M.) vom 17.01.2005 vor.

Das SG hörte die Arbeitskollegen des Klägers J. P. und I. D. schriftlich als Zeugen (Auskünfte vom März 2005).

Mit Urteil vom 18.08.2005 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, bei dem Kläger liege weder eine BK nach der Nr. 5101 noch eine wie eine BK anzuerkennende Erkrankung gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII vor. Das SG stützte seine Entscheidung auf die Feststellungen im Gutachten des Dr. L. vom 12.11.2004 und die Ermittlungen des technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten bezüglich der beruflichen Belastung des Klägers. Der Beweisantrag auf Vernehmung der Arbeitskollegen A. K. und K. P. habe abgelehnt werden können, da es auf die darin zu Beweis gestellten Tatsachen nicht ankomme und sie daher als wahr unterstellt werden könnten. Maßgeblich sei vorliegend, dass der medizinische Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen durch die Ultraschallwaschanlage und der Hauterkrankung des Klägers nicht erwiesen sei. Der in der mündlichen Verhandlung vom 18.08.2005 gestellte Antrag auf Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG bei Prof. Dr. von den Driesch sei abzulehnen gewesen, da der Antrag aus grober Nachlässigkeit verspätet gestellt worden sei.

Gegen das am 16.09.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21.09.2005 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen seinen bisherigen Vortrag und hält an seinem Standpunkt fest, der aufgetretene Hautausschlag sei auf den Ultraschall zurückzuführen. Die Lauge habe die Haut geschädigt, der Ultraschall schädige die Zellen der Haut. Das Problem an dem Rechtsfall liege einfach darin, dass er keinen Arzt finde, welche ihm bestätige, dass die Hautflecken und die Hautschäden auf die Arbeit zurückzuführen seien. Ferner betrage sein Grad der Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz 60, bei Bewertung der Hauterkrankung mit einem Grad der Behinderung von 20 (Anerkenntnis des Landes Baden-Württemberg, Landesversorgungsamt Stuttgart, mit Schreiben vom 22.03.2006 im Rechtsstreit vor dem SG Stuttgart, S 13 SB 671/05). Weiterhin werde als Berufskrankheit geltend gemacht eine inzwischen nicht mehr bestehende Lähmung der linken Gesichtshälfte, wobei noch das linke Auge zu spät komme und der Nerv angegriffen sei und ein weiterhin stark beeinträchtigtes Denkvermögen.

Der Senat hat den Hautarzt/Allergologie Dr. A., der den vom Kläger benannten Arbeitskollegen A. K. hautärztlich behandelte, schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört (Auskunft vom 7.2.2006). Danach wurde dort im Zeitraum April bis Oktober 2002 eine Behandlung wegen der Diagnosen Furunkulose und Pollinose (Heuschnupfen) bei im Hauttest nachgewiesener Allergie gegen Gräserpollen durchgeführt.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG hat der Senat Prof. Dr. von den D., Krankenhaus B.- C., mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser hat im dermatologischen Fachgutachten vom 10.11.2006 ausgeführt, auf hautärztlichem Gebiet liege bei dem Kläger eine Prurigo nodularis Hyde vor. Diese Diagnose sei nach Aktenlage das erste mal im Rahmen des dermatologischen Gutachtens von Dr. L. im November 2003 (5 Jahre nach der Tätigkeit an der Ultraschallwaschanlage) gestellt worden. Andere, als EEM (Erythema exsudativum multiforme) diagnostizierte Hautveränderungen seien laut Aktenlage erstmals im Juni 1998 aufgetreten, also 3 bis 4 Monate nach Ende der Tätigkeit an der Ultraschallwaschanlage. Anamnestisch sei von einem Übergang der Residuen des initialen EEM in eine Prurigo-Erkrankung auszugehen. Weder für ein EEM noch für die Prurigo nodularis Hyde bestehe ein wesentlicher Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers. Bei den festgestellten Gesundheitsstörungen handle es sich auch nicht um eine Krankheit, die wie eine Berufskrankheit anzusehen sei.

Ergänzend gutachterlich nach Aktenlage hat Prof. Dr. von den D. unter dem 25.01.2007 ausgeführt, die aktuellen, bei dem Kläger noch vorhandenen Hautveränderungen seien nicht durch den angegebenen beruflichen Kontakt des Klägers mit Lauge verursacht worden. Durch den Laugenkontakt sei es kurzzeitig zu einer Gelbverfärbung der Haut an den Händen gekommen, die nach Verbesserung der Hautschutzmaßnahmen (längere Schutzhandschuhe, weniger Lauge zum Reinigen der Plastikwannen) vollständig abgeklungen seien. Auch ein mittelbarer Zusammenhang zwischen einer Gelbverfärbung der Haut aufgrund von Laugenkontakt und dem unabhängig davon zu einem späteren Zeitpunkt (etwa vier Monate nach der Tätigkeit an der Ultraschallwaschanlage, somit auch vier Monate nach dem Laugenkontakt) entstandenen Erythema exsudativum multiforme, aus dem sich im Lauf der Zeit wiederum die aktuell noch vorhandene Prurigo-Erkrankung entwickelt habe, könne nicht gesehen werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. August 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, seine Erkrankungen wie eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen und ihm Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, die erstinstanzlichen Akten des SG S 9 U 622/03 sowie auf die beigezogenen Akten des SG Stuttgart S 13 SB 6717/05 und die Akten des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger (1.) weder einen Anspruch auf Feststellung seiner Hauterkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage zur BKV hat, (2.) noch auf Anerkennung von Erkrankungen als "Quasi-Berufskrankheit" nach § 9 Abs. 2 SGB VII. Daher ist ihm auch keine Verletztenrente wegen dieser Erkrankungen zu gewähren.

(1.) Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheit bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2 , 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wurde ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höheren Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören gemäß der Nr. 5101 der Anlage zur BKV schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder seien können.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkungen sowie die in der BKV bezeichnete Krankheit gehören, nachgewiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können. Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkungen und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSGE 19, 52; 32, 203, 207 bis 209; 45, 285, 287). Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller - wesentlichen - Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Berufskrankheiten-Verordnung, Kommentar, Stand November 2006, E § 9 SGB VII Rdnr. 26). Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 91). Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache für sich herleitet (BSGE 19, 52, 53; 30, 121, 123; 43, 110, 112). Das gleiche gilt, wenn der für die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität erforderliche wahrscheinliche Zusammenhang nicht nachweisbar ist.

Gemessen an diesen Kriterien sind die Voraussetzungen einer BK Nr. 5101 der Anlage zur BKV bei dem Kläger nicht erfüllt.

Die Hautkrankheit des Klägers ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch eine Exposition des Klägers gegenüber Ultraschall und Laugen während dessen beruflicher Tätigkeit an der Ultraschallwaschanlage wesentlich verursacht worden. Dies ergibt sich insbesondere aus der Gesamtwürdigung der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG eingeholten dermatologischen Sachverständigengutachten von Dr. L. vom November 2003 und Professor Dr. von den D. vom 10.11.2006 nebst ergänzender Stellungnahme vom 25.01.2007, des Arztbriefes des Hautarztes Dr. Seitz vom 20.11.2001, der Stellungnahme des staatlichen Gewerbearztes Dr. H. vom 6.5.2002, der schriftlichen Zeugenaussagen der Arbeitskollegen des Klägers J. P. und I. D. sowie der sachverständigen Zeugenaussage des Hautarztes Dr. A. vom 7.2.2006 über die Gesundheitsstörungen beim Arbeitskollegen des Klägers A. K.

Beim Kläger liegt eine Prurigo nodularis Hyde vor, wie sich aus den übereinstimmenden Beurteilungen von Dr. L. und Professor von den D. für den Senat nachvollziehbar ergibt. Hierbei handelt es sich um eine seltene chronische Hauterkrankung unklarer Ätiologie, die vorwiegend an den Streckseiten der Extremitäten bei älteren Frauen (siehe Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Aufl. und Anlage zum Gutachten von Dr. L.) auftritt. Diese Prurigo nodularis Hyde-Erkrankung hat sich nach Ansicht von Professor Dr. von den D. langsam und kontinuierlich aus dem zum Entlassungszeitpunkt aus der Hautklinik B.- C. (stationärer Aufenthalt vom 25.6. bis 13.7.1998) noch persistierenden Rest-Effloreszenzen des im Juni aufgetretenen und diagnostizierten Erythema exsudativum multiforme entwickelt.

Beide oben genannten Hauterkrankungen wurden nicht mit Wahrscheinlichkeit durch berufliche Einflüsse verursacht. Nach Stellung der feingeweblich gesicherten Diagnose eines Erythema exsudativum multiforme (siehe Arztbrief der Hautklinik B. C. vom 11.8.1998) sahen die dortigen Ärzte einen Zusammenhang zwischen der Erythema exsudativum und dem Herpes labialis für möglich an, sowie einen Zusammenhang mit grippalen Infekten. In einem weiteren Arztbrief dieser Klinik vom 24.11.1999 wird ein para-herpetisches Erythema exsudativum multiforme diagnostiziert und bei Herpes-Rezidiv eine virusstatische Therapie mit Aciclovir 400 empfohlen. Auch der behandelnde Hautarzt des Klägers Dr. S. sah einen Kausalzusammenhang zwischen dem Erythema Erythema exsudativum multiforme und der beruflichen Tätigkeit des Klägers im Arztbrief vom 20.11.2001 nicht als wahrscheinlich an und führte aus, die Erkrankung trete im Verlauf von Infektionen (Viren/Bakterien), bei Arzneimitteleinnahme, malignen Tumoren beziehungsweise Autoimmunerkrankungen auf. Gegen einen Kausalzusammenhang zwischen der Erythema exsudativum multiforme und der beruflichen Tätigkeit des Klägers spricht auch, dass dieses erst ca. drei bis vier Monate nach Aufgabe der Tätigkeit an der Ultraschall-Waschanlage bzw. dem Laugenkontakt aufgetreten ist. Diese "Reaktionszeit" (vergleichbar der "Inkubationszeit" bei Infektionskrankheiten) ist zu lang, um einen Kausalzusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung bejahen zu können, wie Prof. Dr. von den D. für den Senat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt hat. Ein Kausalzusammenhang könnte nur dann bejaht werden, wenn die Reaktionszeit ca. zwei bis drei Wochen betragen hätte. Zwar zeigten sich schon vor dem Auftreten des Erythema exsudativum multiforme Hautveränderungen (Gelbverfärbung der Hände), die auf den Kontakt der Haut mit der heißen Lauge zurückzuführen waren; diese verschwanden durch Verbesserung der Schutzmaßnahmen jedoch vollständig. Das Erythema exsudativum trat dagegen - wie oben dargelegt - erst drei bis vier Monate nach Aufgabe der Tätigkeit an der Ultraschall-Waschanlage auf.

Die Prurigo nodularis Hyde ist ebenfalls nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit des Klägers zurückzuführen, sondern hat sich - wie bereits ausgeführt - langsam und kontinuierlich aus den zum Entlassungszeitpunkt aus der Hautklinik im Juli 1998 noch persistenten Rest-Effloreszenzen des diagnostizierten Erythema exsudativum multiforme entwickelt. Ein Kausalzusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers kann auch deswegen nicht wahrscheinlich gemacht werden, weil es sich bei der Prurigo nodularis Hyde um eine seltene Hauterkrankung handelt, deren Ätiologie unklar ist und die insbesondere an den Extremitätenstreckseiten bei älteren Frauen auftritt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Prurigo nodularis Hyde oftmals im Zusammenhang mit psychischen Störungen im Sinne ängstlich-depressiver Verstimmungen oder Depressionen bzw. im Zusammenhang mit psychosozialen Störungen auftritt, wie Prof. Dr. von den D. im Gutachten ausgeführt hat und der Anlage zum Gutachten von Dr. L. zu entnehmen ist. Derartige Störungen lagen beim Kläger vor, der sich wegen Angststörung, Aggressivität und Depressionen im September 2000 in der Türkei von einem Psychologen täglich behandeln ließ (Gutachten Prof. Dr. von den D., Seite 9) und bei dem die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. eine Dysthymie und einen Verdacht auf eine narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert hat (Arztbrief vom 20.5.2005).

Ferner spricht - worauf Dr. L. zutreffend hingewiesen hat - gegen einen Zusammenhang der Tätigkeit des Klägers an der Ultraschallwaschanlage und seiner Hauterkrankung, dass die Hautveränderungen nach Behandlung in einer Schwefelquelle in der Türkei abheilten, was bei einer (unterstellten) molekularen Schädigung der Zellen nicht (allenfalls mit der Wirkung einer allmählichen Abheilung) der Fall gewesen wäre. Auch durch den angegebenen beruflichen Kontakt des Klägers mit der Lauge wurde die Hauterkrankung nicht mit Wahrscheinlichkeit wesentlich verursacht. Durch den Laugenkontakt trat kurzzeitig eine Gelbverfärbung der Haut an den Händen auf, die zunächst vollständig abklang und die in keinerlei Zusammenhang mit den vom Kläger beschriebenen späteren und zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Prof. Dr. von den D. noch vorhandenen Hauterscheinungen stand.

Auch die anderen den Kläger behandelnden Hautärzte gelangen allesamt nicht zur Annahme eines wahrscheinlichen Zusammenhangs zwischen der beruflichen Tätigkeit des Klägers und der Hauterkrankung. Der vom Kläger benannte Arbeitskollege A. K. befand sich zudem wegen berufsunabhängiger Hauterkrankungen in Form einer Furunkulose und einer Pollinose bei Allergie gegen Gräser und Pollen in hautärztlicher Behandlung. Die ebenfalls an der Ultraschallwaschanlage beschäftigten Arbeitskollegen des Klägers J. P. und I. D., die das SG schriftlich als Zeugen hörte, haben weder selbst durch den Kontakt zu der Waschanlage Hautveränderungen bekommen, noch sind ihnen Hautveränderung anderer, dort arbeitender Personen bekannt.

Aus den genannten Gründen spricht mehr gegen die Annahme einer beruflich erworbenen Hauterkrankung als dafür. Der berufliche Zusammenhang ist nach alledem nicht wahrscheinlich.

(2.) Die Beklagte hat die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen (Hauterkrankung, Gesichtslähmung, Beeinträchtigung des Denkvermögens) auch nicht wie eine Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII zu entschädigen.

Gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen gehören sowohl der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der versicherten Tätigkeit als auch die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft generell geeignet sind, Krankheiten der betreffenden Art zu verursachen. Damit soll allerdings nicht in der Art einer "Generalklausel" erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine BK entschädigt wird. Sinn des § 9 Abs. 2 SGB VII ist es vielmehr, solche durch die versicherte Tätigkeit verursachten Krankheiten wie eine BK zu entschädigen, die nur deshalb nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der BK-Liste noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung nicht ausreichten (BSG, Urteil vom 14.11.1996, SozR 3-2200 § 551 Nr. 9 mwN; Urteil vom 4.6.2002 B 2 U 16/01 R, Juris-Dok.).

Derartige neuere Erkenntnisse bestehen nicht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im erstinstanzlichen und im Berufungsverfahren. Vorliegend kommen berufsunabhängige Ursachen als Auslöser der Erkrankungen (Hauterkrankung, Gesichtslähmung, Beeinträchtigung des Denkvermögens) vorwiegend in Betracht. Bei bislang unbekannter Ätiologie der Erkrankung Prurigo nodularis Hyde hat auch die Internet-Recherche des Prof. Dr. von den D. keine Anhaltspunkte dafür erbracht, dass diese Erkrankung mit der vom Kläger als Ursache herangezogene Tätigkeit in der Ultraschallwaschanlage im Zusammenhang stehen könnte. Auch gibt es keinerlei ärztlich-wissenschaftliche Erkenntnisse, dass die berufliche Tätigkeit des Klägers ursächlich für die Gesichtslähmung des Klägers oder eine Beeinträchtigung des Denkvermögens sein könnte.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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