L 9 U 937/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 823/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 937/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 28.01.2005 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Anerkennung von Folgen eines Arbeitsunfalles und die Gewährung von Verletztenrente.

Der 1956 geborene Kläger stürzte am 10.11.1995 bei seiner Arbeit als Einschaler/Eisenbieger auf einer Baustelle von einer Leiter und fiel aus einer Höhe von ca. zwei m auf eine Betonbodenplatte (laut der Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 14.11.1995). Dr. S. vom L.krankenhaus L. stellte im Durchgangsarztbericht vom 11.11.1995 die Diagnose einer Sitz-/Schambeinfraktur links und einer Lendenwirbelsäulen(LWS)-Prellung. Bis zum 22.11.1995 befand sich der Kläger in der dortigen stationären Behandlung. Die ambulante Weiterbehandlung erfolgte durch den D-Arzt Dr. R., Arzt für Orthopädie. Dieser erklärte mit Bericht vom 16.04.1996, die letzte Röntgenaufnahme vom 29.03.1996 zeige die Brüche ideal stehend bei ausreichendem Überbau, das Hüftgelenk sei röntgenologisch unauffällig. Das Gangbild des Klägers mit einer Stützkrücke sei flott. Mit weiterem Schreiben vom 24.05.1996 empfahl Dr. R. eine Vorstellung in der Berufsgenossenschaftlichen Klinik zur Abklärung der Arbeitsfähigkeit. Der Kläger stellte sich am 10.06.1996 in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. vor. Im Befundbericht vom 11.06.1996 des Prof. Dr. W., des Oberarztes Dr. H. und des Dr. K. wird ausgeführt, bei nicht eingetretener Arbeitsfähigkeit sei eine kurzfristig stationäre Aufnahme vereinbart worden. Im Rahmen der anschließenden stationären Behandlung vom 13. bis 18.06.1996 erfolgte eine Physio- und Ergotherapie und Entwöhnung des Klägers von der benützten Gehstütze (Stock).Bei der Entlassung zeigte sich ein zufriedenstellendes Gangbild ohne Stockhilfe. Eine neurologische Konsiliaruntersuchung zum Ausschluss einer Schädigung des Femoralisnerven oder des Nervus opduratorius sowie einer etwaigen radikulären Schädigung habe keine Unfallfolgen auf diesem Fachgebiet gezeigt. Arbeitsfähigkeit wurde ab dem 01.07.1996 bescheinigt. Die unfallbedingte MdE wurde auf 10 v.H. eingeschätzt.

Mit Schreiben vom 07.05.2002 übersandte der Kläger das im Auftrag der Landesversicherungsanstalt (LVA) Baden-Württemberg erstellte Gutachten des Nervenarztes M. S. vom 06.11.2001. Hierin wird ausgeführt, der Kläger leide letztendlich seit einem Arbeitsunfall von 1995 unter chronischen Rückenschmerzen, Schmerzen auch im linken Oberschenkel und Knie. Die zur Verfügung stehenden Röntgenbefunde würden allenfalls mäßiggradige degenerative Veränderungen an den Wirbelkörpern belegen, jedoch keine gravierenden Bandscheibenveränderungen. Es wurde der Verdacht auf eine Somatisierungsstörung geäußert. In Betracht gezogen wurden mehrere traumatische Auslöser der Störungen: Zum einen der Arbeitsunfall von 1995, zum anderen ein noch wesentlich gravierenderes psychisches Trauma, bei welchem der Kläger 1998 bei einem Arbeitsunfall nur zufällig überlebt habe, ein Kollege von ihm sei nach Herabstürzen von einem hohen Gebäude in seinen Armen gestorben. Der Kläger wies die Beklagte auf die Einschätzung des Nervenarztes S. hin, wonach wohl vom Unfall Restbeschwerden, insbesondere Schmerzen in der linken Leiste sowie am linken Knie zurückgeblieben seien. Es sei zu vermuten, dass auch seine jetzige Arbeitsunfähigkeit auf den Unfall zurückzuführen sei.

Die Beklagte zog von der AOK L. das Verzeichnis über Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers bei und holte von behandelnden Ärzten des Klägers Befundberichte ein. Der Arzt für Orthopädie Dr. R. berichtete mit Schreiben vom 10.10.2002, er habe die unfallbedingte Behandlung am 15.07.1996 abgeschlossen. Der Kläger habe sich bei ihm erneut am 07.12.2000 wegen Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule und in der Hand vorgestellt. Er habe damals die Diagnose eines Cervical-Thorakal-Lumbalsyndroms bei skoliotischer Fehlhaltung, Rundrücken und chronischer Bandscheibenschädigung mit Lumboischialgie gestellt. Bei der letzten Untersuchung am 05.09.2002 hätten noch wetterabhängige Schmerzen mit Verspannungen der Nackenschulter- und Rückenstreckmuskulatur bestanden. Es liege weitere Behandlungsnotwendigkeit wegen der unfallunabhängigen Erkrankungen vor. Im beigefügten Entlassungsbericht vom 23.05.2001 über das Rehabilitationsverfahren des Klägers in der Klinik i. H., B. W., wird als Diagnose ein chronifiziertes, cervical betontes vertebragenes weichteilrheumatisches Schmerzsyndrom angegeben. Zur orthopädischen Anamnese wird ausgeführt, ca. im Oktober 2000 sei es zu einem Autounfall gekommen, wobei der Kläger wieder wegen Muskelverspannungen der Beine mit einem entgegenkommenden Auto kollidiert sei. Der Hausarzt des Klägers Dr. N., Facharzt für Allgemeinmedizin, berichtete, der Kläger habe sich in der Zeit von 1990 bis November 1995 und seit November 2000 bis aktuell regelmäßig in seiner Betreuung befunden. Eine rezidivierende Cervicalneuralgie sei seit 1990 bekannt. Dr. N. übersandte des Weiteren die ihm vorliegenden Unterlagen aus der Krankenakte des Klägers.

Mit Bescheid vom 17.12.2002 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dessen aktuelle Beschwerden und seine Arbeitsunfähigkeit stünden nicht in Zusammenhang mit dem Unfall vom 10.11.1995. Die Sitz- und Schambeinfraktur sowie die LWS-Prellung seien folgenlos verheilt und hätten nach Abschluss der Arbeitsunfähigkeit am 30.06.1996 keiner weiteren Behandlung bedurft. Aus dem Gutachten der LVA Baden vom 06.11.2001 gehe hervor, dass die Krankschreibung seit November 2000 von akuten Schmerzen im rechten Arm herrühre. Dem Reha-Entlassungsbericht vom 23.05.2001 sei als Diagnose ein chronifiziertes vertebragenes weichteilrheumatisches Schmerzsyndrom zu entnehmen. Außerdem wurde auf die Auskünfte der Dres. R. und N. verwiesen.

Demgegenüber vertrat der Kläger in seinem hiergegen erhobenen Widerspruch vom 23.12.2002 die Auffassung, seine aktuellen Beschwerden seien auf den Unfall zurückzuführen; insbesondere könne er seit dem Unfallzeitpunkt nicht mehr Auto fahren. Unter anderem werde im Bericht des Dr. R. vom 06.02.2001 davon gesprochen, dass die Schmerzen zeitweise über die Außenseite der Oberschenkel im S1-Bereich ausstrahlen würden. Mithin könne durchaus ein Zusammenhang der jetzigen Beschwerden mit den Unfallfolgen bestehen. Der Kläger legte ferner die Mitteilung des Dr. Schreck (Gemeinschaftspraxis Dres. Neumann) vom 06.02.2003 vor. Hierin wird ausgeführt, die Folgen des Unfalles vom 10.11.1995 hätten eine stationäre Behandlung und längere ambulante und stationäre Nachbehandlungen erfordert. Es bestehe seit diesem Unfall eine ausgeprägte Schmerzsymptomatik, die bis aktuell anhalte. Der Kläger habe ca. im Oktober 2000 einen Autounfall erlitten, der zu weiteren Wirbelsäulenbeschwerden geführt habe. Ferner liege auch ein lumbalbetontes weichteilrheumatisches Schmerzbild mit Chronifizierung vor und es seien die Kriterien eines Fibromyalgiesyndroms erfüllt. Der Unfall vom November 1995 sei seines Erachtens als anteilig ursächlich für die aktuell bestehenden Beschwerden zu werten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2003 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Ergänzend zur Begründung im angefochtenen Bescheid wurde ausgeführt, die Aussage im Bericht der Klinik i. H. vom 23.05.2001 beinhalte lediglich, dass längeres Sitzen nicht möglich sei. Dass die Beschwerden ursächlich auf Unfallfolgen zurückzuführen seien, werde jedoch nicht ausgesagt. Sowohl nach dem Attest des Dr. S. vom 06.02.2003 als auch nach dem Rehabilitationsverfahrens-Entlassungsbericht habe der Kläger im Oktober 2000 einen Autounfall erlitten, der zu weiteren Wirbelsäulenbeschwerden geführt habe. Dies widerspreche den Angaben des Klägers, wonach er seit dem Arbeitsunfall nicht mehr Auto fahren könne.

Dagegen erhob der Kläger am 02.04.2003 beim Sozialgericht (SG) Mannheim Klage, mit der er die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 v.H. wegen der Folgen des Unfalles vom 10.11.1995 weiterverfolgte. Zur Begründung verwies er auf seinen Vortrag im Widerspruchsverfahren. Ergänzend gab er an, er habe im Oktober 2000 einen weiteren (Arbeits-)Unfall erlitten und dies der Beklagten mit Schreiben vom 09.04.2003 mitgeteilt. Der Anregung des Klägers, das Klageverfahren bis zur Entscheidung der Beklagten wegen des Ereignisses vom Oktober 2000 auszusetzen, folgte das Sozialgericht nicht.

Das Sozialgericht hörte die behandelnden Ärzte des Klägers Dr. S., Dr. H., Facharzt für Orthopädie und Praxisnachfolger des Dr. R., Dr. S., Facharzt für Neurologie/Psychiatrie und den Diplompsychologen S. als sachverständige Zeugen (Auskünfte vom 25.08.2003, 21.10.2003, 01.12.2003 und 09.12.2003). Dr. S. berichtete, nach der Vorstellung des Klägers in der Gemeinschaftspraxis Dres. N. am 06.12.1995, sei der Kläger dort erst wieder im November 2000 erschienen. Am 16.11.2000 sei eine akute Bronchitis und am 01.12.2000 ein Zervikobrachialsyndrom diagnostiziert worden. Aktuell leide er unter einem chronifizierten Schmerzsyndrom mit einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung der gesamten Wirbelsäule. Nach der Auskunft des Dr. H. erfolgte eine Behandlung des Klägers wegen der Folgen des Arbeitsunfalles von 1995 in wechselnden Abständen bis 15.07.1996. Danach sei der Kläger erneut im Dezember 2000 wegen Schmerzen im Bereich der Nackenschulter- und Rückenstreckmuskulatur in seine Behandlung getreten. Die derzeitigen krankhaften Beschwerden des Klägers seien nicht auf den Unfall vom 10.11.1995 zurückzuführen. Dr. S. berichtete über Konsultationen des Klägers zwischen Juni 2001 und Juli 2003. Der Kläger habe bei der ersten Konsultation über bereits seit langem bestehende Wirbelsäulenbeschwerden, Schwindelgefühl, Rückenschmerzen, Magenprobleme und Schulterschmerzen geklagt. Es sei immer über dieselben Schmerzen, generalisiert am Körper, auch über Kopfschmerzen, berichtet worden. Der Diplompsychologe S., bei welchem sich der Kläger von Juli 2001 bis Oktober 2003 in Behandlung befand, vertrat die Auffassung, unmittelbar nach dem Arbeitsunfall 1995 sei es bei dem Kläger zur psychischen Dekompensation (mit den Symptomen: Ausgeprägte Rückenschmerzen, Schulterbeschwerden, Spannungskopfschmerzen, Anhedonie, innere Unruhe, mittelgradige Ein- und Durchschlafstörungen, sozialer Rückzug, Schmerzmittelmissbrauch, Insuffizienzgefühle sowie anhaltende Grübelgedanken) gekommen.

Anschließend erhob das SG Beweis durch Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens von Dr. S., Psychiatrisches Zentrum N ... Dieser ordnete in seinem Gutachten vom 15.04.2004 die beim Kläger festgestellte multilokuläre Schmerzsymptomatik mit verschiedenen zusätzlichen Funktionsdefiziten dem psychiatrischen Krankheitsbild der undifferenzierten Somatisierungsstörung (ICD-10: F 45.1) zu. Unter Würdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit am 01.07.1996 mit nur äußerst geringen funktionellen Defiziten, sowie der Angaben des Klägers ergebe sich zusammenfassend, dass die zum gegenwärtigen Zeitpunkt festzustellende undifferenzierte Somatisierungsstörung erst Ende 2000 aufgetreten sei und sich zuvor keine originären psychischen Störungen nachweisen ließen. Das Unfallereignis vom 10.11.1995 sei ohne kausale Relevanz für die vorliegende Somatisierungsstörung. In Bezug auf den zweiten vom Kläger geltend gemachten Arbeitsunfall (Wegeunfall) aus dem Jahre 2000 bestehe eine unklare Datenlage. Seines Erachtens beruhe jedoch die undifferenzierte Somatisierungsstörung des Klägers auch nicht auf dem angegebenen Arbeitsunfall aus dem Jahre 2000.

Durch Urteil vom 28.01.2005 wies das SG die Klage ab. Hinsichtlich der Kausalitätsbeurteilung folgte das Gericht den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S ... Dagegen konnte es sich nicht der Auffassung des Klägers anschließen, der Unfall von 1995 sei die zunächst unbemerkt gebliebene Grundlage für die möglicherweise im Zusammenhang mit anderen Unfällen eingetretene spätere psychische Dekompensation. Nach den Ausführungen des Dr. S. sei dies nicht wahrscheinlich, sondern allenfalls nur möglich.

Gegen das am 10.02.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.03.2005 Berufung eingelegt. Er trägt vor, es sei nicht nachvollziehbar, dass das SG die vom Diplompsychologen S. vertretene Auffassung ablehne, wonach er bereits nach dem Unfall von 1995 psychisch dekompensiert habe. Es sei gerade ein Kennzeichen der Dekompensation, wenn deren körperliche Anzeichen erst später aufträten. Auch sei das Gericht der Anregung auf Befragung der behandelnden Ärzte der Klinik i. H., B. W., nicht gefolgt. Immerhin habe auch der Sachverständige Dr. S. erwähnt, dass sich "deutliche Diskrepanzen" zwischen dem Reha-Bericht und den hier zu erhebenden Befunden ergeben hätten.

Auf Anfrage des Senats ist von Prof. Dr. W., Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik L. a. R., unter dem 18.07.2005 mitgeteilt worden, der Kläger habe sich dort vom 13.06. bis 18.06.1996 in stationärer Behandlung befunden. Nach den dortigen Unterlagen sei im Jahre 1997 keine weitere Behandlung des Klägers erfolgt. Ferner zog der Senat von der LVA Baden-Württemberg (nunmehr Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg) den Rehabilitationsverfahrens-Entlassungsbericht vom 23.05.2001 bei. Nach Auskunft der LVA sind weitere Unterlagen dort nicht mehr vorhanden.

Der Kläger hat in der Folgezeit vorgetragen, wenn der Auffassung zu folgen sei, erst durch den Unfall im Jahre 2000 sei es zu einer Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit gekommen, so sei es sachdienlich, den Unfall vom 13.11.2000 im Wege der Klageänderung in das Verfahren einzuführen. Da es sich bei diesem Wegeunfall unstreitig ebenfalls um einen Arbeitsunfall gehandelt habe, sei ihm wegen der Folgen dieses Unfalles eine Verletztenrente nach einer MdE um 50 v.H. zu gewähren. Die Beklagte hat einer Änderung der Klage nicht zugestimmt; Gegenstand der gerichtlichen Auseinandersetzung sei der Bescheid vom 17.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2003. Die Vorgänge hinsichtlich des Unfalles vom Oktober 2000 seien an die zuständige Verwaltungs-BG abgegeben worden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Mannheim vom 28.01.2005 sowie des Bescheides der Beklagten vom 17.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2003 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 10.11.1995 eine Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Am 14.02.2006 ist ein Termin zur Erörterung des Sachverhalts durchgeführt worden.

Die Beteiligten haben schriftsätzlich ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten des SG Mannheim (S 7 U 823/03) und die Senatsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Mit dem schriftsätzlichen Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG).

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein, ob ein Anspruch auf Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalls vom 10.11.1995 besteht. Ausschließlich hierüber hat die Beklagte in den mit der Klage angefochtenen Bescheiden entschieden. Ansprüche aus einem weiteren angegebenen Arbeitsunfall, der ein neuer Versicherungsfall i.S.d. § 7 Abs. 1 SGB VII wäre, sind in einem gesonderten Verfahren zu überprüfen und zu klären. Erst wenn der zuständige Unfallversicherungsträger insoweit eine Entscheidung getroffen hat, kann nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens gegebenenfalls eine gerichtliche Überprüfung stattfinden.

Soweit der Kläger während des Berufungsverfahrens sein Begehren auf Gewährung einer Verletztenrente auch auf die Folgen des angeblichen Unfalles vom 13.11.2000 gestützt hat, liegt eine unzulässige, weil nicht sachdienliche Klageänderung vor ( § 99 Abs.1, 2. Alt. SGG). Die Beklagte hat des Weiteren einer Änderung der Klage widersprochen (§ 99 Abs.1, 1.Alt. SGG ).

Die Berufung ist sachlich nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen die ablehnenden Bescheide der Beklagten abgewiesen, denn dem Kläger steht wegen der Folgen seines Arbeitsunfalles vom 10.11.1995 keine Verletztenrente gemäß der hier noch anzuwendenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu.

Das SG hat den rechtserheblichen Sachverhalt umfassend dargestellt, die für eine Rentengewährug erforderlichen Voraussetzungen zutreffend benannt und das Beweisergebnis frei von Rechtsfehlern gewürdigt. Hierbei hat es überzeugend begründet, weshalb es den Beurteilungen des Sachverständigen Dr. S. gefolgt ist. Der Senat schließt sich der Beweiswürdigung des SG nach eigener Prüfung in vollem Umfang an und sieht deshalb von einer Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG weitgehend ab.

Ergänzend ist auszuführen, dass nach den auch für den Senat überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Dr. S. der Beginn der von ihm diagnostizierten undifferenzierten Somatisierungsstörung retrospektiv lediglich bis ca. auf das Ende des Jahres 2000 zurückverfolgt werden kann. In keiner der vorliegenden ärztlichen Unterlagen sind für die Zeit zuvor originäre psychische Störungen nachgewiesen. Dr. S. verweist auf die übereinstimmenden eigen- und fremdanamnestischen Angaben (der Tochter des Klägers) sowie auf die Aktenvorbefunde, aus denen sich die Erstmanifestation eines ausgeprägten multilokulären Schmerzsyndroms in Kombination mit verschiedenen funktionellen Störungen erst in dieser Zeit ergibt. Die Arbeitsfähigkeit nach dem Arbeitsunfall vom 10.11.1995 trat bereits am 01.07.1996 ein mit nur geringen funktionellen Defiziten. Die ambulante Behandlung der Unfallfolgen wurde von Dr. R. am 15.07.1996 beendet. Wie der Sachverständige weiter erklärt, passt hierzu, dass der Kläger vor dem zweiten angegebenen Ereignis von Ende 2000 sich selbst als leistungsfähig in seinem Bauberuf mit acht bis vierzehn Stunden Arbeit pro Tag beschrieben hat. Die vom Kläger vor dem zweiten Unfall berichteten Beschwerden (gelegentliche Schmerzen im linken Bein, große Erschöpfung durch die Arbeit, gelegentlich auftretende Schwindelzustände) sind nach der Beurteilung des Sachverständigen angesichts des detailliert beschriebenen Leistungsprofils des Klägers von marginaler Bedeutung. Insbesondere betonte der Kläger bei der Untersuchung durch den Sachverständigen, vor dem angegebenen zweiten Unfall Ende des Jahres 2000 beruflich voll einsatzfähig gewesen zu sein; nachher habe er nichts mehr leisten können.

Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Die Annahme des Diplompsychologen S. in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 09.12.2003, beim Kläger sei es unmittelbar nach dem Arbeitsunfall vom 10.11.1995 zu einer psychischen Dekompensation gekommen, die sich in den Symptomen ausgeprägter Rückenschmerzen, Schulterbeschwerden, Spannungskopfschmerzen, Anhedonie, innerer Unruhe, Ein- und Durchschlafstörungen, sozialem Rückzug, Schmerzmittelmissbrauch, Insuffizienzgefühlen und anhaltender Grübelgedanken geäußert habe, lässt sich auf keine zeitnahen ärztlichen Unterlagen stützen. Trotz Rückfrage des Senats wurden vom Kläger keine Ärzte benannt oder Unterlagen vorgelegt, aus denen sich im Zeitraum vom 15.07.1996 bis zum 16.11.2000 eine weitere ärztliche Behandlung ergibt. Der Kläger hat lediglich Unterlagen über die Nachbehandlung bei der Berufgenossenschaftlichen Unfallklinik L. in Form von Krankengymnastik bis zum 05.07.1996 vorgelegt. Der ebenfalls vorgelegte Vordruck der Berufgenossenschaftlichen Unfallklinik L. mit Eintragungen zu mehreren Tagen im Juli, August und September 1997 lässt weder den Urheber der Eintragungen noch einen nachvollziehbaren Inhalt erkennen. Somit fand nach Beendigung der Behandlung am 15.07.1996 über mehrere Jahre hinweg keine weitere ärztliche Behandlung statt und zwar weder auf fachorthopädischem noch auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet. Dieser Umstand spricht, wie vom Sachverständigen Dr. S. überzeugend dargelegt wurde, gegen einen Zusammenhang der Ende 2000 aufgetretenen undifferenzierten Somatisierungsstörung mit dem Arbeitsunfall von 1995. Ihm gegenüber hatte der Kläger - wie bereits dargelegt - ein gutes Funktionieren im Arbeitsleben sowie ein befriedigendes Privatleben angegeben, was sich erst durch den zweiten geltend gemachten Arbeitsunfall von Ende 2000 geändert habe. Ferner gab der Arzt für Neurologie/Psychiatrie Dr. S. im ärztlichen Befundbericht vom 26.06.2001 als Grund der ersten Konsultation des Klägers am 18.06.2001 Wirbelsäulenbeschwerden seit Oktober 2000 und tägliche Schmerzen am ganzen Körper an.

Eine Befragung der behandelnden Ärzte der Klinik i. H., in welcher sich der Kläger vom 10.04. bis 15.05.2001 zu einem stationären Heilverfahren befand, war nicht geboten. Allein aufgrund der unterschiedlichen Angaben des Klägers bei der Anamneseerhebung im Rahmen des Rehabilitationsverfahrens im Vergleich zur Befragung durch den Sachverständigen Dr. S. bestand kein weiterer Aufklärungsbedarf. Zwar hat der Kläger gegenüber den behandelnden Ärzten der Klinik i. H. angegeben, er habe nach seinem Unfall aus dem Jahre 1995 zunächst weiterhin unter starken Schmerzen gelitten, nach Durchführung entsprechender Anwendungen (Krankengymnastik, Fangopackungen im Nackenbereich, Massagen, Anwendungen im warmen Wasser) sei jedoch eine Besserung eingetreten. Des Weiteren könne er seit der Beckenfraktur nicht mehr Autofahren und nicht mehr Fahrradfahren wegen plötzlich eintretender schmerzhafter Verspannungen in der Muskulatur der Beine. Jedoch wird in dem Entlassungsbericht zur Frage eines möglichen ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall von 1995 und dem aktuellen Beschwerdebild des Klägers nicht Stellung genommen. Es wird lediglich auf eine vom Kläger als zunehmend anstrengend und überfordernd empfundene Lebensführung hingewiesen, wobei auch der Arbeitsunfall (von 1996- richtig 1995) mit nachfolgender - insoweit unzutreffender - zweijähriger Krankheitszeit miterwähnt wird. Zum anderen ist die Angabe des Klägers, er habe seit der Beckenfraktur nicht mehr Autofahren können, nicht überzeugend, da er gleichzeitig mitteilte, dass er seinen damals noch innegehabten Arbeitsplatz mit einem täglichen Zeitaufwand von 2 Stunden mit dem Auto erreiche.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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