L 3 U 767/98

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 1481/96
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 767/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 10/00 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Mai 1998 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin streitet um die Gewährung einer Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) wegen eines Atemwegsleidens.

Die mittlerweile 33jährige Klägerin hatte ab 1983 eine Lehre als Fahrzeuglackiererin absolviert und war anschließend in diesem Beruf bei der Firma P. W. tätig, bis ihr zum 31. Januar 1992 wegen Arbeitsmangels gekündigt wurde. Ab 1. Februar 1992 wechselte sie zur Firma M. A. die zum 1. Juni 1993 von der Firma Auto S. übernommen wurde. Bei der Firma Auto S. übte die Klägerin ihre Tätigkeit nicht mehr aus. Denn nach ihren Angaben im Kammertermin vom 6. Mai 1998 und im Senatstermin vom 17. November 1999 war die Klägerin wegen einer Schilddrüsenoperation vom 2. Mai bis 9. Juni 1993 arbeitsunfähig erkrankt. Nach der Auskunft der Firma Auto S. vom 1. Dezember 1993 gegenüber der Beklagten hatte die Klägerin anschließend bis 22. Juni 1993 Urlaub. Sie hatte noch von der Firma M. die Kündigung wegen Arbeitsmangels erhalten. Im Rahmen einer Kündigungsschutzklage beendeten die Parteien das Arbeitsverhältnis zum 22. Juni 1993. Am 5. Juli 1993 meldete die Klägerin sich ausweislich der von der Beklagten beigezogenen Unterlagen des Arbeitsamts Wetzlar dort arbeitslos und bezog anschließend Arbeitslosengeld, bis sie ab September 1994 eine Tätigkeit als Verkäuferin für Autozubehör in einem Baumarkt aufnahm.

Nachdem die Beklagte im Rahmen einer Reha-Maßnahme im November 1993 vom Arbeitsamt Wetzlar über das Atemwegsleiden der Klägerin informiert worden war, ließ sie die ärztliche Berufskrankheiten (BK)-Anzeige des Internisten Dr. H. erstatten, der eine chronisch-rezidivierende Bronchialobstruktion bei der Klägerin diagnostizierte, die von der Klägerin auf das Einatmen von Lackdämpfen zurückgeführt werde. Die Beklagte zog neben Arbeitgeberauskünften der Firma P. und der Firma Auto S. ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK W. sowie Berichte des Internisten Dr. H. vom 7. Juli 1993 und 17. Mai 1995 sowie des Dr. W. vom 22. Dezember 1993 und 21. Juni 1995 bei. Sodann ließ sie das Gutachten des Arbeitsmediziners Dr. W. erstatten, der annahm, dass bei der Klägerin eine BK nach Ziffer 4102 der Anlage 1 zur BKV (obstruktive Atemwegserkrankung) mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 v.H. bestehe. Die Klägerin habe aus gesundheitlichen Gründen die Tätigkeit als Fahrzeuglackiererin aufgeben müssen und habe nach einer längeren Pause der Arbeitslosigkeit eine Beschäftigung als Verkäuferin angenommen. Sie müsse alle Tätigkeiten meiden, bei denen unspezifische inhalative Schadstoffe aufträten wie Lösemittel, Dämpfe, Stäube, Rauche und Gerüche. Derartige Berufe seien ihr verschlossen. Der Landesgewerbearzt schloss sich dem Gutachten in seiner Stellungnahme vom 11. April 1995 nicht an und die Beklagte holte eine weitere gutachterliche Stellungnahme des Arbeitsmediziners Dr. H. vom 28. September 1995 ein. Anlässlich der Stellungnahme wurde die Klägerin erstmals durch Prof. B. allergologisch-imunologisch untersucht. Dabei konnten keine krankhaften lungenfunktionsanalytischen Befunde erhoben werden. Die Voraussetzungen der BK-Ziffern 4301 bzw. 4302 und 1315 (Erkrankung durch Isocyanate) wurden verneint. Prof. H. führte aufgrund der Untersuchungsergebnisse und unter Berücksichtigung des geschilderten Beschwerdebildes, das für eine beruflich verursachte obstruktive Atemwegserkrankung völlig uncharakteristisch sei, aus, die Annahme einer beruflich verursachten obstruktiven Atemwegserkrankung könne nicht begründet werden. Die entsprechenden Testungen hätten zu einem negativen Resultat geführt. Da der arbeitsplatzbezogene Inhalationstest keine Anhaltspunkte für eine bronchiale Reaktion bei Einwirkung berufsspezifischer Substanzen ergeben habe, könnten auch Maßnahmen nach § 3 BKV nicht empfohlen werden. Nachdem der Landesgewerbearzt diesem Gutachten am 19. Oktober 1995 zugestimmt hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. November 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 1996 die Gewährung von Entschädigungsleistungen für die Atemwegserkrankung der Klägerin im Rahmen der BK-Ziffern 4301, 4302 und 1315 ab. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Maßnahmen nach § 3 BKV. Die medizinischen Anerkennungsvoraussetzungen seien nach den Feststellungen der Professores H. und B. nicht gegeben. Prof. H. habe auch zutreffend die Voraussetzungen für Leistungen nach § 3 BKV verneint.

Die Klägerin legte am 22. August 1996 vor dem Sozialgericht Gießen (SG) Klage ein und wurde im Kammertermin vom 6. Mai 1998 persönlich gehört. Wegen der Einzelheiten ihrer Aussage wird auf das Terminprotokoll Bezug genommen.

Das SG holte das arbeitsmedizinische Gutachten des Prof. W. vom 2. Oktober 1997 ein, der bei der Klägerin die Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK nach den Ziffern 4301, 4302 bzw. 1315 verneinte, aber empfahl, Maßnahmen nach § 3 BKV zu ergreifen.

Die deutlichen Reizerscheinungen im Atemwegsbereich während der durchgeführten arbeitsplatzbezogenen Inhalationstests 1995 bei Prof. H. und 1997 anlässlich seiner Begutachtung sowie der Orts- und Zeitbezug der geklagten Atembeschwerden während der beruflichen Tätigkeit als Kraftfahrzeuglackiererin seien als drohende Gefahr für die Entstehung einer BK nach Ziffer 4302 zu werten. In Übereinstimmung mit dem behandelnden Internisten Dr. H. sei dringend angezeigt gewesen, die gefährdende Tätigkeit als Kfz-Lackiererin zu unterlassen.

Mit Urteil vom 6. Mai 1998 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin Übergangsleistungen aufgrund der bei ihr drohenden Gefahr einer BK nach Ziffer 4302 ab 23. Juni 1993 zu gewähren. Die Klägerin habe einen schädigungsrelevanten inhalativen Kontakt zu Lösemitteln und Isocyanaten gehabt, so dass die konkrete Gefahr bestanden habe, dass sich bei ihr eine BK entwickle, wie dies Prof. W. im einzelnen dargelegt habe. Auch der behandelnde Internist Dr. H. habe bestätigt, dass die Klägerin notwendigerweise ihren Beruf habe aufgeben müssen. Prof. H. habe seine anderslautende Beurteilung nicht begründet. Danach sei von einem medizinisch begründeten objektiven Zwang zur Berufsaufgabe auszugehen, auch wenn das Arbeitsverhältnis der Klägerin zur Firma Auto S. wegen Arbeitsmangels gekündigt worden sei. Die der Klägerin drohende Gefahr sei nicht anders zu beseitigen gewesen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 25. Mai 1998 zugestellte Urteil am 9. Juni 1998 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt und hat zur Begründung vorgetragen, bei der Klägerin habe eine konkrete, individuelle Gefahr nicht bestanden, dass sich bei ihr eine BK entwickeln werde. Darauf hindeutende Befunde oder Symptome seien nicht festgestellt worden, zumal die arbeitsplatzbezogenen Inhalationstests negativ verlaufen seien. Der von der Klägerin geklagte Hustenreiz und das Kratzen im Hals rechtfertigten, nur von einer im Rahmen des § 3 BKV unbeachtlichen Allgemeingefährdung auszugehen. Zudem sei der Klägerin wegen Arbeitsmangels und nicht wegen gesundheitlicher Beschwerden gekündigt worden, so dass die Aufgabe der Kfz-Lackierer-Tätigkeit nicht wesentlich von dem Gesichtspunkt beeinflusst gewesen sei, der Entstehung einer BK vorzubeugen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Mai 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat vorgetragen, entscheidend sei, dass ihr eine weitere Tätigkeit als Autolackiererin aufgrund der medizinisch nachgewiesenen Gefahr der Entstehung einer BK nicht mehr möglich gewesen sei. Alleine das zufällige Zusammentreffen eines Arbeitsplatzverlustes aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung mit der zeitgleichen Entscheidung, aufgrund der gesundheitlichen Probleme den Beruf der Autolackiererin nicht mehr auszuüben bzw. sich nicht um eine neue Stelle in diesem Beruf zu bemühen, könne nicht dazu fuhren, dass Übergangsleistungen für die festgestellten finanziellen Einbußen ausgeschlossen seien. Die Klägerin ist vor dem Senat persönlich gehört worden. Wegen ihrer Aussage wird auf das Terminsprotokoll vom 17. November 1999 Bezug genommen.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des Prof. W. eingeholt. In seiner Äußerung vom 15. Februar 1999 hat Prof. W. nochmals bestätigt, dass bei der Klägerin die konkrete Gefahr bestanden habe, dass sich eine BK nach Ziffer 4302 entwickele, wenn sie die Autolackierer-Tätigkeit fortgesetzt hätte. Sie habe in diesem Beruf zeitweise Kontakt zu inhalativen Lösungsmitteln und Isocyanaten gehabt. Dr. H. habe als behandelnder Arzt seit Jahren immer wieder auftretende Zustände leichter Atemnot bei der Klägerin beschrieben und die Auffassung vertreten, dass eine weitere Exposition mit Lackpartikeln oder -dämpfen zu einer schwerwiegenden Lungenerkrankung auf Dauer fuhren werde. Ein unspezifisch hyperreagibles Bronchialsystem sei 1993 lungenfachärztlicherseits diagnostiziert worden. Während der Begutachtungen 1995 und 1997 hätten sich neben einer unauffälligen Lungenfunktion keine Hinweise mehr auf eine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität ergeben. Dies lasse sich durch die Stabilisierung der Atemwege infolge mehrjähriger Expositionskarenz erklären. Unter Berücksichtigung aller anamnestischer Angaben und der aktenkundigen Befunde habe die konkrete Gefahr für die Entstehung einer BK nach Ziffer 4302 bestanden. Angesichts des Orts- und Zeitbezuges der geklagten Atembeschwerden während der Autolackierer-Tätigkeit und des 1993 erfolgten Nachweises der unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität, bei klinisch manifester irreversibler bronchialer Hyperreagibilität mit einer Dauer von über sechs Monaten bestünden dauernde gesundheitliche Bedenken für Arbeitsplätze mit chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Arbeitsstoffen. Die auf die Klägerin einwirkenden Arbeitsstoffe seien geeignet gewesen, zu einer obstruktiven Atemwegserkrankung zu fuhren.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet, da das SG zu Recht erkannt hat, dass der Klägerin gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 BKV zusteht.

Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BKV hat der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn ein Versicherter die Tätigkeit einstellt, weil die Gefahr der Entstehung einer BK nicht zu beseitigen ist, zum Ausgleich einer hierdurch verursachten Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren. Voraussetzungen für eine Übergangsleistung sind danach:

- die konkret individuelle Gefahr der Entstehung, des Wiederauflebens oder der Verschlimmerung einer BK infolge einer schädigenden Einwirkung aus der versicherten Tätigkeit; - die Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit wegen des Fortbestehens der Gefahr; - der Ursachenzusammenhang zwischen der drohenden BK und der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit; - ein weiterer Ursachenzusammenhang zwischen der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit und einem Minderverdienst und/oder sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen.

§ 3 Abs. 2 BKV fordert als Anspruchsvoraussetzungen somit einen doppelten Kausalzusammenhang: Es muss ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang bestehen zwischen der drohenden BK und der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit und zwischen der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit und dem konkreten Schaden (dazu Benz, Die Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 BKV, in: Die Berufsgenossenschaft 1988, S. 596; Urteil des Senats vom 13. Mai 1992 zu Az.: L-3/U – 1257/91). Als Übergangsleistung wird ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Jahresvollrente oder eine monatlich wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe der Vollrente, längstens für die Dauer von fünf Jahren, gewährt (§ 3 Abs. 2 Satz 2 BKV). Auf die Übergangsleistung besteht dem Grunde nach ein Anspruch der Versicherten, wenn die rechtlichen Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BKV gegeben sind. Dagegen stehen die Entscheidung über Art, Dauer und Höhe der Leistung im pflichtgemäßen Ermessen des Unfallversicherungsträgers (BSGE 78, 261, 262; BSG zuletzt im Urteil vom 4. Mai 1999, Az.: B 2 U 9/98 R).

Bei der Klägerin bestand infolge einer beruflichen Schadstoffeinwirkung die individuelle, konkrete Gefahr, an einer BK-Ziffer 4302 zu erkranken, wenn sie nach dem Ausscheiden bei der Firma Auto S. 1993 wieder in den erlernten Beruf der Kfz-Lackiererin zurückgekehrt wäre. Diese Einschätzung hatte zeitnah zum damaligen Ausscheiden der behandelnde Internist Dr. M. im Attest vom 7. Juli 1993 getroffen, indem er angesichts einer damals bei der Klägerin diagnostizierten leichtgradigen chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung die Entwicklung einer schweren chronischen Lungenerkrankung prognostizierte, wenn die Klägerin sich weiterhin den bei Lackierarbeiten freigesetzten Partikeln und Dämpfen aussetzen sollte. Dr. H. hatte bei der Klägerin ausweislich seines Berichtes vom 17. Mai 1995 erstmals am 13. Mai 1991 eine deutliche obstruktive Ventilationsstörung festgestellt und hatte sie seit März 1992 wegen Atemnot und Atemstörungen kontinuierlich behandelt. In ihrer Erklärung vom 18. November 1993 hatte die Klägerin selbst erste Atemnotbeschwerden seit 1989 angegeben. In Übereinstimmung mit Dr. H. forderte Dr. W. in seinem im März 1995 erstatteten Gutachten von der Klägerin die Berufsaufgabe und das Meiden aller Tätigkeiten, bei denen unspezifische inhalative Schadstoffe auftreten. Schließlich hat der vom SG gehörte Sachverständige Prof. W. im Gutachten vom 2. Oktober 1997 sowie detailliert nochmals in der vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 15. Februar 1999 unter Berücksichtigung von Art und Ausmaß des Atemwegsleidens der Klägerin und ihres individuellen Krankheitsverlaufes einerseits sowie der bei der Firma M. bzw. Auto S. auf sie einwirkenden Schadstoffbelastung andererseits überzeugend begründet, dass für die Klägerin die konkrete Gefahr bestand, dass sich die 1993 nachgewiesene unspezifische bronchiale Hyperreagibilität bei fortgesetztem Kontakt zu chemisch-irritativen oder toxisch wirkenden Arbeitsstoffen des Autolackierer-Berufs zu einer obstruktiven Atemwegserkrankung und damit zu einer BK nach Ziffer 4302 entwickeln würde. Angesichts dessen bestand für die Klägerin nach Erkrankungsbeginn im März 1991 und kontinuierlicher Behandlung des Dr. H. seit März 1992 Mitte 1993 der medizinisch begründete objektive Zwang, den erlernten Kfz-Lackierer-Beruf wegen ihres Atemwegsleidens aufzugeben.

Dieser objektive Zwang zur Berufsaufgabe war wesentlich (mit)ursächlich dafür, dass die Klägerin sich von dem erlernten Beruf ab- und einem neuen Beruf als Verkäuferin für Autoteile in einem Baumarkt zugewandt hat. Die Klägerin durfte die gefährliche Beschäftigung auch ohne Zutun der Beklagten aufgrund eigenen Entschlusses aufgeben (BSGE 26, 84; Urteil des Senats in Breithaupt 1984, 212, 213; Mehrtens, Perlebach, Kommentar zur BKV, Anm. 5.1 zu § 3). Entscheidend bleibt, dass sie dies wesentlich bedingt durch die BK-Gefahr tat, was der Senat im Wege einer nachträglichen objektiven Betrachtungsweise feststellen musste (ständige Rechtsprechung – vgl. BSGE 50, 187, 189; 56, 95, 98) und auch feststellen konnte. Die Klägerin hat hierzu am 6. Mai 1998 vor dem SG und am 17. November 1999 vor dem Senat erklärt, sie habe sich auf Anraten der behandelnden Ärzte und des Arbeitsamtes nach Erhalt der Kündigung beruflich umorientiert und keine neue Tätigkeit als Autolackiererin gesucht, nachdem sie den Arbeitsplatz im erlernten Beruf nicht wegen der Atemwegsbeschwerden sondern wegen Arbeitsmangels verloren hatte. Die Ernsthaftigkeit dieses Bemühens, sich vom erlernten, mittlerweile gesundheitlich unzuträglichen Beruf abzuwenden, wird nicht zuletzt darin deutlich, dass sie die neue Stelle als Verkäuferin trotz einer nach ihren Angaben erheblichen Lohneinbuße von DM 400,00 bis 500,00 monatlich antrat. Wären nicht gesundheitliche Gründe für die Klägerin ausschlaggebend gewesen, hätte sie versucht, im finanziell deutlich besser dotierten Autolackiererberuf wieder Fuß zu fassen, den sie erlernt und immerhin zehn Jahre ausgeübt hatte. Die betriebsbedingte Kündigung bzw. Aufhebung des Arbeitsvertrages zur Firma Auto S. zum 22. Juni 1993 war danach bloß der Anlass für die Klägerin, aus dem erlernten Beruf auszuscheiden. Der wesentliche Grund für die Aufgabe der Lackierertätigkeit lag vielmehr im damals objektiv bestehenden Zwang, den für ihre Gesundheit schädlichen und ihre Atemwege belastenden Beruf auf Dauer aufzugeben und sich beruflich neu zu orientieren, was ihr behandelnde und Arbeitsamtsärzte geraten hatten und was sie in Kenntnis der zunehmenden Verschlimmerung des Atemwegsleidens seit 1989 auch vollzog.

Der aus der neuen Beschäftigung resultierende Minderverdienst der Klägerin ist danach wesentlich ursächlich nicht auf die betriebsbedingte Kündigung der Klägerin zurückzuführen sondern auf ihren in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang damit gefassten Entschluss, den ihre Gesundheit schädigenden Lehrberuf zu verlassen und in einer anderen Branche beruflich neu einzusteigen. Würde man allein auf die ohne direkten Bezug zum Atemwegsleiden wegen betrieblicher Umstände ausgesprochene Kündigung abheben und die beruflich beeinflusste Atemwegserkrankung unberücksichtigt lassen, hätte für die Klägerin nichts näher gelegen, als in den erlernten Beruf zu dem dort üblichen Lohnniveau wieder einzusteigen, womit sich mangels Einkommenseinbuße die Frage einer Übergangsleistung für die Klägerin erst gar nicht gestellt hätte. Insoweit ist der Fall der Klägerin nicht mit dem vom Senat im Urteil vom 25. August 1971 (Az.: L-3/U – 352/69; veröffentlicht in: Die Berufsgenossenschaft 1972, S. 191, 192) entschiedenen Lebenssachverhalt vergleichbar. Dort hatte der Senat geurteilt, dass bei Ausscheiden eines Versicherten aus dem Berufsleben wegen Erreichens der Altersgrenze eine Übergangsleistung nicht zu gewähren ist, da der Versicherte die Tätigkeit nicht aufgegeben hatte, um eine Verschlimmerung seiner Haut-BK zu vermeiden und da nicht feststellbar war, dass er ohne seine Haut-BK in einem anderen chemischen Betrieb einen neuen Arbeitsplatz gefunden hätte. Die Klägerin hatte sich demgegenüber allein wegen ihres Atemwegsleidens beruflich neu orientiert und es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass ihr ohne dieses Leiden als damals noch ledige 27jährige mit 10jähriger Berufserfahrung der Wiedereinstieg in den Lehrberuf nicht mehr gelungen wäre.

Das von der Beklagten zur Begründung ihrer Auffassung herangezogene Urteil des BSG vom 10. Juni 1994 (Az.: 2 RU 27/93) rechtfertigt keine andere Entscheidung. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (seit der Entscheidung vom 8. Dezember 1983 – BSGE 56, 94) ist im Rahmen der auch als BK anerkannten Hautleiden (Nr. 46 der Anlage 1 zur 7. BKV; jetzt BK-Ziffer 5101) zum dort ebenfalls als Tatbestandsvoraussetzung normierten Unterlassungszwang anerkannt, dass es entscheidend darauf ankommt, dass der Zwang zur Aufgabe der Beschäftigung objektiv besteht und diese auch tatsächlich aufgegeben wird. Für die Willensentscheidung der Erkrankten, den Beruf aufzugeben, muss nicht die BK maßgebend sein. Die Versicherte muss insbesondere nicht in dem Bewusstsein handeln, dass ihre Krankheit entsprechend schwer ist und den Willen haben, wegen dieser Krankheit ihre Beschäftigung aufzugeben. Das Merkmal des Zwanges zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung hat ferner den Zweck, ein Verbleiben der Versicherten auf dem sie gefährdenden Arbeitsplatz zu verhindern und dadurch eine Verschlimmerung der Krankheit mit der Folge einer erhöhten Entschädigung zu verhüten. Auch für die Zweckerfüllung ist entscheidend, dass die wegen der berufsbedingten Erkrankung objektiv notwendige Aufgabe der Beschäftigung tatsächlich verwirklicht ist, ohne dass es auf den Beweggrund der Versicherten für die tatsächliche Aufgabe ankommt. Der Entscheidung des BSG vom 10. Juni 1994 ist nicht zu entnehmen, dass das BSG diese langjährige Rechtsprechung aufzugeben gedenkt. Sie hat vielmehr nur die Frage formuliert, ob ein nach einer betriebsbedingten Kündigung aufgetretener Minderverdienst noch ursächlich auf eine als BK anerkannte Erkrankung zurückgeführt und so noch der Anspruch auf Übergangsleistung begründet werden kann, ohne diese zu beantworten, da die Frage nicht entscheidungsrelevant war.

Stellt sich indessen die Situation so dar wie bei der Klägerin, dass die Kündigung nur der Anlass für die berufliche Umorientierung der Versicherten war, die zur Vermeidung einer BK objektiv geboten war, würde es Sinn und Zweck der Regelung des § 3 Abs. 2 BKV widersprechen, in diesen Fällen die Gewährung einer Übergangsleistung abzulehnen. Denn mit der Übergangsleistung hat der Gesetzgeber in erster Linie eine Regelung zur Prävention und Krankheitsvorsorge geschaffen, um die Versicherten zur Aufgabe der sie gefährdenden Tätigkeit zu veranlassen (BSGE 40, 146, 150; 78, 261, 264). Alle nach § 3 BKV zu gewährenden Maßnahmen/Leistungen dienen diesem präventiven Ziel. Dem präventiven Charakter der Vorschrift ist bei der Abwägung der Tatbestandsmerkmale, bei der Entscheidung über die notwendigen Maßnahmen, aber auch bei der Gestaltung der Verfahrensabläufe Rechnung zu tragen (Mehrtens-Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung, Anm. 1 zu § 3). Hätte die Beklagte die objektive Gefahrenlage bei Erhalt der Arbeitsamtsunterlagen zutreffend eingeschätzt, hätte sie die Klägerin bei Unabwendbarkeit der Gefahr auf andere Weise bewegen müssen, ihren erlernten Beruf aufzugeben, um die Entwicklung ihres Atemwegsleidens hin zu einer obstruktiven Atemwegserkrankung im Sinne der BK-Ziffer 4302 zu verhindern.

In seiner Rechtsprechung zum Unterlassungszwang bei BK’en hat das BSG (beispielsweise BSGE 56, 94) dargelegt, dass es unbillig wäre, bei einer Versicherten, die an einer berufsbedingten schweren oder wiederholt rückfälligen Krankheit leidet, aber vor Meldung oder der oft langwierigen Feststellung als BK die Beschäftigung wegen einer Kündigung des Arbeitgebers, aus Altersgründen oder aus anderen willensunabhängigen Umständen verloren hat, den objektiven Zwang nicht mehr als vorhanden anzusehen und eine BK zu verneinen. Angesichts dessen sei es nicht geboten, bei einer Versicherten, die durch ihre versicherte Tätigkeit an einer schweren oder wiederholt rückfälligen Berufserkrankung leidet, eine BK nur deshalb zu verneinen, weil sie vor Feststellung der Krankheit als BK einen für sie günstigen Wechsel der Beschäftigung durchgeführt und dies auch unabhängig von der Hauterkrankung getan hätte. In gleicher Weise hielte der Senat es für unbillig, der Klägerin die Gewährung einer Übergangsleistung zu versagen, obwohl sie in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit einer Kündigung wegen Arbeitsmangels den Entschluss fasste, den Beruf zu wechseln, um die Verschlimmerung eines Leidens hin zu einer BK zu vermeiden. Sie verhielt sich damit sowohl im Interesse der Beklagten als auch im Rahmen des von § 3 BKV verfolgten Zweckes. Die Beklagte hat somit den bei der Klägerin während des Bezuges von Arbeitslosengeld und der anschließend geringeren Entlohnung eingetretenen Minderverdienst im Rahmen des von § 3 Abs. 2 BKV möglichen Umfanges zu ersetzen. Über Art, Dauer und Höhe der Übergangsleistung hat die Beklagte nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Die gegen die zutreffende erstinstanzliche Entscheidung gerichtete Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), diejenige über die Zulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG. Denn der vom Senat zu entscheidende Sachverhalt erfordert anders als der im Urteil des BSG vom 10. Juni 1994 gegebene eine Entscheidung zur Frage, ob eine nicht krankheits- sondern betriebsbedingte Kündigung eines Arbeitsverhältnisses der Gewährung einer Übergangsleistung an die gekündigte Versicherte generell und speziell im Falle der Klägerin entgegensteht.
Rechtskraft
Aus
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