L 4 Vb 1307/86

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 Vb 191/85
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 Vb 1307/86
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Einfügung des letzten Satzes in § 4 Abs. 2 SchwbG in der Neufassung vom 26. August 1986 (BGBl. I S. 1421) dient nur der Klarstellung.
2. Eine Anhörung (§ 24 SGB 10) im Verwaltungsverfahren nach dem SchwbG ist jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn derselbe Leistungsträger (Versorgungsverwaltung) im Verwaltungsverfahren nach dem BVG einen belastenden Neufeststellungsbescheid nach § 48 SGB 10 erteilt und hierbei ein ordnungsgemäßes Anhörungsverfahren durchgeführt hat, soweit eine eigene Feststellung nach dem SchwbG nicht erfolgt war.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. Mai 1986 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger ein Drittel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Grad der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) sowie um das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen von Nachteilsausgleichen.

Der Beklagte erteilte zugunsten des 1907 geborenen Klägers einen Bescheid vom 13. Dezember 1979, der auf einen Bescheid vom 12. September 1979 nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) verwies, wonach der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) 100 v.H. beträgt. Ferner stellt dieser Bescheid fest, daß die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF” erfüllt sind, und daß der Kläger gehbehindert sei im Sinne der Freifahrtberechtigung im Nahverkehr.

Mit Bescheid vom 8. Februar 1982 nach § 3 Abs. 4 SchwbG in der bis 31. Juli 1986 geltenden Fassung stellte der Beklagte erneut die Voraussetzungen der Merkzeichen "G” und "RF” fest. Im übrigen wurde Bezug genommen auf den Bescheid des Versorgungsamtes Kassel nach dem BVG vom 27. Januar 1982, nach welchem bei einem Grad der MdE um 80 v.H. folgende Schädigungsfolgen festgestellt worden sind:

1) Lungentuberkulose,
2) chronische Mittelohreiterung rechts mit Perlgeschwulst und mäßiger Schwerhörigkeit rechts,
3) Narben nach Erfrierung der rechten Großzehe.

Am 9. Juli 1984 stellte der Kläger einen Antrag nach dem SchwbG wegen weiterer Gesundheitsstörungen und machte als Behinderungen nunmehr eine Lungenembolie, eine Bronchitis, Sauerstoffmangel, verstärkte Verschleimung sowie eine Thrombose in beiden Beinen mit Wasserödemen geltend.

Der Beklagte zog daher für das Schwerbehindertenverfahren die in der Kriegsopfersache erstellten Gutachten bei und wertete sie im Hinblick auf das SchwbG aus. Hierbei handelt es sich um die Gutachten des Augenarztes Dr. W., Kassel, vom 14. November 1984, das chirurgische Gutachten des Dr. L., Kassel, vom 15. November 1984, das hals-, nasen-, ohrenärztliche Gutachten des Dr. Z. Kassel, vom 14. November 1984 sowie um das internistische Gutachten des Dr. H., Kassel, vom 14. November 1984, alle erstellt aufgrund Untersuchungen in der versorgungsärztlichen Untersuchungsstelle.

Mit Bescheid vom 14. Januar 1984 setzte der Beklagte den Grad der MdE nach dem BVG auf 30 v.H. herab und bezeichnete die Schädigungsfolge zu 1. nunmehr als inaktive Lungentuberkulose.

Ein Neufeststellungsantrag nach dem BVG wurde mit Bescheid vom 1. Februar 1985 abgelehnt. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg. Insoweit wird Bezug genommen auf das Urteil des erkennenden Senats vom 19. September 1989, Az: L-4/V-1308/86.

Nach dem SchwbG stellte der Beklagte mit Bescheid vom 8. Februar 1985 folgende Behinderungen bei einem Grad der MdE um 70 v.H. fest:

1) Die Schädigungsfolgen entsprechen dem BVG-Bescheid,
2) postthrombotisches Syndrom beider Unterschenkel,
3) Sehminderung des rechten Auges,
4) Arteriosklerose, Herzleistungsminderung, Lungenblähung mit Bronchitis,
5) deformierende Wirbelsäulenveränderungen,
6) Fettleber, Verlust der Gallenblase, Zuckerstoffwechselstörung.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 4. März 1985 Widerspruch ein, den er im wesentlichen damit begründete, daß weitere Schädigungsfolgen im Sinne des BVG anzuerkennen seien.

Mit Berichtigungsbescheid vom 28. August 1985 berichtigte der Beklagte den Wortlaut der Schädigungsfolgen nach dem BVG nunmehr wie folgt:

Narben nach Erfrierung der linken Großzehe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 1985 wies er den Widerspruch des Klägers zurück.

Am 25. Juni 1985 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Kassel (SG) Klage erhoben.

Mit Urteil vom 15. Mai 1986 hat das SG die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im wesentlichen ausgeführt, es deute die Klage so, daß der Kläger die Feststellung der Merkzeichen "G” und "RF” begehre. Die gesundheitlichen Voraussetzungen hierfür seien allerdings nicht erfüllt. Eine erhebliche Gehbehinderung liege nicht vor. Der Kläger leide an einem postthrombotischen Syndrom an beiden Unterschenkeln, für das eine MdE von 30 v.H. gerechtfertigt sei. Die MdE für die Wirbelsäulenveränderungen betrage nur 10 v.H. Insgesamt werde keine MdE von mindestens 40 v.H. an den unteren Gliedmaßen und keine MdE von mindestens 50 v.H. für die Behinderungen an den unteren Gliedmaßen und der Lendenwirbelsäule erreicht. Die inneren Leiden rechtfertigten keine höhere Einzel-MdE als 30 v.H. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF” seien ebenfalls nicht erfüllt. Dieses sei nur wegen der offenen Tuberkulose gewährt worden. Bei Erteilung des Bescheides vom 8. Februar 1985 sei die Lungentuberkulose jedoch schon wieder längere Zeit inaktiv gewesen.

Gegen dieses ihm durch Postzustellungsurkunde am 16. Juli 1986 zugestellte Urteil hat der Kläger bei dem SG am 14. August 1986 Berufung eingelegt.

Der Senat hat die Streit- und Beschädigtenakten zu dem Rechtsstreit L-4/Vb-1308/86 beigezogen und dem Versorgungsarzt Dr. Leibecke aufgegeben, sich ergänzend zu den Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G” zu äußern. Insoweit wird Bezug genommen auf die Stellungnahmen des Dr. L. vom 3. November 1987 sowie auf die internistische Stellungnahme des Dr. H. vom 15. Dezember 1987, die in der Streitakte vorliegen.

Der zum Termin geladene, aber ausgebliebene Kläger, der die Berufung in der vorliegenden Schwerbehindertensache nicht begründet hat, beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. Mai 1986 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 8. Februar 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 1985 und des Bescheides vom 28. August 1985 abzuändern und diesen zu verurteilen, als weitere Behinderungen eine Bindehautentzündung der Augen sowie eine Malariaerkrankung bei einem GdB von wenigstens 80 sowie den Nachteilsausgleich "G” festzustellen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung hat er den Bescheid vom 8. Februar 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 1985 hinsichtlich der Nichtgewährung des Nachteilsausgleiches "RF” aufgehoben.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen und des weiteren Akteninhalts wird auf die Streitakte, die beigezogenen Akten sowie auf die SchwbG-Akte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, da er in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) und statthaft (§ 143 SGG). Die Berufung ist nicht nach § 3 Abs. 6 Sätze 3 und 4 SchwbG a.F. ausgeschlossen, denn maßgeblich ist die Rechtslage zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung, hier am 14. August 1986. Zu diesem Zeitpunkt galt bereits § 4 Abs. 6 Satz 3 SchwbG in der Neufassung vom 26. August 1986 (BGBl. I S. 1421), nach dem kein Berufungsausschließungsgrund mehr gilt und insbesondere auch § 148 SGG nicht anzuwenden ist. Die dem sozialgerichtlichen Urteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung ist überholt.

Die Berufung ist nicht begründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil war nicht aufzuheben, denn im Ergebnis wurde die Klage zu Recht abgewiesen. Soweit der Kläger den Nachteilsausgleich "RF” begehrt, ist er nunmehr durch die teilweise Aufhebung der Bescheide klaglos gestellt und nicht mehr beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Bescheide sind nicht aus verwaltungsverfahrensrechtlichen Gründen wegen unterbliebener Anhörung (§ 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, 10. Buch, SGB 10) rechtswidrig, soweit die Feststellung des GdB und der Wegfall des Nachteilsausgleichs "G” betroffen sind. Insoweit erfolgte kein Eingriff in Rechte des Klägers im Vergleich zu dem vorausgegangenen Bescheid vom 8. Februar 1982. In bezug auf die Feststellung des Grades der MdE galt bei Erlaß des Bescheides am 8. Februar 1982 § 3 Abs. 2 SchwbG, jetzt § 4 Abs. 2 SchwbG. Danach war eine Feststellung nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden MdE schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn, daß der Behinderte ein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Abs. 1 der Vorschrift glaubhaft machte.

Der Bescheid vom 8. Februar 1982 beruht auf dieser Vorschrift und stellt klar, daß eine Feststellung nach dem SchwbG nur hinsichtlich der Merkzeichen erfolgte. Im übrigen lag ein Rentenbescheid nach dem BVG vor. Daher war keine Feststellung nach dem SchwbG zu treffen, soweit der Grad der MdE betroffen ist. Auch die gesetzliche Neuregelung ab dem 1. August 1986 ändert an diesem Ergebnis nichts. Zwar wurde in § 4 Abs. 2 SchwbG ein weiterer Satz am Ende hinzugefügt. Hiernach gilt eine Feststellung im Sinne des Satzes 1 der Vorschrift zugleich als Feststellung des GdB. Diese Gesetzesänderung hat aber nicht zur Folge, daß eine zweifache Anhörung erfolgen muß, nach dem BVG und nach dem SchwbG. Entscheidend ist nur, daß bei Herabsetzung des Grades der MdE nach dem BVG ein ordnungsgemäßes Anhörungsverfahren durchzuführen ist, was hier der Fall ist. Gegen diesen Bescheid kann der Betroffene dann Widerspruch einlegen und den Rechtsweg beschreiten. Eine Verkürzung des Rechtsschutzes tritt nicht ein. Er kann in diesem Verfahren die Gründe vorbringen, die nach dem BVG beachtlich sind. Wenn andere Behinderungen und ein höherer GdB nach dem SchwbG geltend gemacht werden, so ist das Verfahren nach § 4 Abs. 1 SchwbG durchzuführen. Dies ist hier auf Antrag des Klägers geschehen. Dieser Antrag ist als Erstantrag zu behandeln. Die Fiktion einer Feststellung nach dem SchwbG aufgrund des Rentenbescheides nach dem BVG entfällt von selbst in dem Umfange, in dem der Rentenbescheid geändert wird. Auf der Grundlage des neuen Bescheides greift dann eine neue Fiktion ein oder wegen der weitergehenden Feststellungen, wie hier, muß ein eigener Bescheid nach dem SchwbG ergehen. Die Einführung des § 4 Abs. 2 letzter Satz SchwbG soll keine verwaltungsverfahrensrechtlichen Auswirkungen auf das Schwerbehindertenfeststellungsverfahren haben, denn es ist gerade Ziel des Gesetzes, das Verwaltungsverfahren insoweit zu vereinfachen und die Versorgungsverwaltung zu entlasten. Im übrigen sollen divergierende Verwaltungsentscheidungen vermieden werden (vgl. auch Behn "Feststellung i.S. des § 4 Abs. 2 SchwbG durch Rentenbescheid, Verwaltungs- bzw. Gerichtsentscheidung oder vorläufige Bescheinigung und Feststellung des Gesamt-GdB (§ 4 Abs. 3 SchwbG)” in: der Versorgungsbeamte 4/1988, S. 39 bis 43 u. 5/1988, S. 54 bis 56). Der Senat läßt offen, ob die Rechtslage anders zu würdigen ist, wenn ein anderer Leistungsträger (z.B. ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung) eine Feststellung getroffen hat. Die geänderte Vorschrift stellt lediglich klar, daß der Betroffene alle an eine Feststellung nach dem SchwbG anknüpfenden Rechtsfolgen im vorgesehenen gesetzlichen Umfange zu seinen Gunsten in Anspruch nehmen kann, so als ob eine eigene Feststellung nach dem SchwbG getroffen worden wäre (BT-Drucksache 10/3138, S. 17).

Hinsichtlich des Nachteilsausgleichs "G” gilt im Ergebnis nichts anderes. Auch insoweit war kein Anhörungsverfahren durchzuführen. Der Beklagte hat keine Feststellung über das tatsächliche Vorliegen einer erheblichen Gehbeeinträchtigung aus gesundheitlichen Gründen getroffen. Zur Zeit der letzten bindenden Feststellung durch Bescheid vom 8. Februar 1982 galten nämlich Schwerbehinderte, die in ihrer Erwerbsfähigkeit nicht nur vorübergehend um wenigstens 80 v.H. gemindert waren, als in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt. Kraft dieser Fiktion hatten Schwerbehinderte mit einer MdE um wenigstens 80 v.H. Anspruch auf Vergünstigungen kraft Gesetzes so, als ob sie erheblich gehbehindert wären. Nach dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 ist der Anspruch mit Wirkung ab 1. April 1984 kraft Gesetzes entfallen. Der Gesetzgeber hat der Verwaltung nicht den Vollzug des Gesetzes übertragen, sondern selbst unmittelbar in die Rechtsstellung der Betroffenen eingegriffen. § 24 Abs. 1 SGB 10 setzt aber einen Eingriff in Rechte des Betroffenen durch gesetzvollziehendes Verwaltungshandeln voraus. Nach der Neufassung des § 58 SchwbG ab 1. April 1984 hat das Versorgungsamt erstmals darüber zu entscheiden, ob diese Behinderten tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen in ihrer Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 24. April 1985 – 9a RVs 11/84 in SozR 3870 § 58 SchwbG Nr. 1). Der Senat schließt sich dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG an. Nicht anders ist die Rechtslage nach § 1 Nr. 1 oder Nr. 2b des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 9. Juli 1979, geändert durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 vom 22. Dezember 1983, BGB. I S. 1532. Nach dieser Vorschrift gilt der 11. Abschnitt des SchwbG für Kriegsbeschädigte, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 und Abs. 3 des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr vom 27. August 1965 (BGBl. I S. 978), geändert durch Art. 41 des Zuständigkeitsanpassungsgesetzes vom 18. März 1975 (BGBl. I S. 705) erfüllen, solange der Grad der MdE infolge der anerkannten Schädigung auf wenigstens 70 v.H. festgestellt ist. § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 27. August 1965 setzt keine tatsächliche Gehbehinderung voraus (im Gegensatz dazu steht die Nr. 2 der Vorschrift), sondern nur eine MdE um wenigstens 70 v.H. Der betreffende Kriegsbeschädigte wird so behandelt, als ob er erheblich gehbehindert wäre. Auch insoweit obliegt der Verwaltung kein Vollzug des Gesetzes mehr, der Anspruch besteht kraft Gesetzes. Im übrigen brauchte der Beklagte auf diese Vorschriften gar nicht zurückzugreifen, da zugunsten des Klägers schon § 58 Abs. 1 letzter Satz SchwbG a.F. anwendbar war.

Die Bescheide sind auch im übrigen zu Recht ergangen. Die Feststellung des GdB von 70 ist zutreffend. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 SchwbG stellen auf Antrag des Behinderten die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den dadurch bedingten GdB fest. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 SchwbG ist eine Behinderung im Sinne des Gesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Regelwidrig ist nach Satz 2 der Vorschrift der Zustand, der von dem für das Lebensalter typischen abweicht. Nach § 3 Abs. 2 SchwbG ist die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung als GdB, nach 10er-Graden abgestuft, von 20 bis 100 festzustellen. Für den GdB gelten nach § 3 Abs. 3 SchwbG die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Ergänzend ist auf die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, 1983, zurückzugreifen, die für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zwar nicht rechtsverbindlich sind, denen sie aus Gründen der Gleichbehandlung der Behinderten jedoch im Regelfalle folgen.

Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Beklagte alle Behinderungen zutreffend erfaßt und den GdB korrekt bewertet. Die Behinderung zu 1. betrifft die Kriegsbeschädigung des Klägers. Die Lungentuberkulose ist nicht mehr behandlungsbedürftig. Deshalb ist der GdB nach den verbliebenen Funktionseinschränkungen zu bestimmen, was hier geschehen ist. Ein GdB von 20 wird den nur geringen Narbenbildungen gerecht. Folgen einer Lungenembolie sind nicht nachweisbar. Der Senat folgt nach eigener Überprüfung und Meinungsbildung dem internistischen versorgungsärztlichen Gutachten des Dr. H. vom 14. November 1984 und nimmt ergänzend auf das Urteil in der V-Sache des Klägers Bezug. Eine wesentliche Zunahme des Lungenleidens ist nicht festzustellen. Ist die Tuberkulose nicht mehr behandlungsbedürftig, ist der GdB nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 herabzusetzen, was hier in dem Verfahren nach dem BVG rechtlich zutreffend erfolgt ist. Abweichende Gründe, nach dem SchwbG eine andere Beurteilung vorzunehmen, sind nicht ersichtlich. Eine stufenweise Herabsetzung ist nach den Anhaltspunkten 1983 nicht mehr vorgesehen.

Auf hals-, nasen-, ohrenärztlichem Gebiet liegt unverändert die anerkannte Kriegsbeschädigung vor. Rechts besteht eine mittelgradige kombinierte Schalleitungsinnenohrschwerhörigkeit, links ist bei normalem Trommelfell ein altersentsprechendes Gehör vorhanden. Der auf die Kriegsbeschädigung entfallende GdB beträgt nach wie vor 15. Für eine beginnende Alterschwerhörigkeit ist nach den hals-, nasen-, ohrenärztlich festgestellten Funktionseinschränkungen kein GdB anzunehmen.

Die harte Narbenschwiele an der linken Großzehe nach Erfrierung hat keine Funktionsstörungen des linken Fußes oder sekundäre arterielle Durchblutungsstörungen zur Folge. Da jedoch beim Tragen von Schuhen mit Druckbeschwerden zu rechnen ist, ist ein GdB von 10 hierfür angemessen.

An beiden Unterschenkeln bestehen Krampfaderbildungen. Folgeerscheinungen von Thrombosen sind nicht zu erkennen. Es liegen keine stärkeren Funktionseinschränkungen vor. Der Senat nimmt auch insoweit auf das Urteil in der Kriegsopfersache des Klägers Bezug sowie auf das dort eingeholte angiologische Gutachten des Dr. med. Reimer.

Eine Rectusdiastase in Oberbauchmitte verursacht keine Beschwerden und Funktionseinschränkungen und stellt daher keine Behinderung im Sinne des SchwbG dar.

Festzustellen waren ein Altersverschleiß der Lendenwirbelsäule sowie eine Brustkyphose und eine Lendenlordose, die untere Brustwirbelsäule und die Lendenwirbelsäule sind leicht links-rechts-konvex verbogen. Rein alterbedingte Verschleißerscheinungen dürfen grundsätzlich nicht mit einem GdB bewertet werden, worauf auch die Anhaltspunkte, Abschnitt 18 Seite 24, hinweisen. Alterserscheinungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen, die sich im Alter physiologisch entwickeln, und die für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfange typisch sind. Hiermit hat sich das chirurgische versorgungsärztliche Gutachten auseinandergesetzt. Insgesamt sind die Funktionsstörungen für das Lebensalter des Klägers gering, so daß der GdB von 10 zutreffend ist.

Auf augenärztlichem Gebiet bestehen eine frühkindlich erworbene Sehschwäche rechts und eine Weit-, Stab- sowie Altersichtigkeit links, die gut ausgleichbar sind. Die chronische Bindehautentzündung kann durch energische und regelmäßige Behandlung zum Abklingen gebracht werden. Funktionseinschränkungen folgen hieraus nicht. Eine Störung des Farbensehens konnte der Augenarzt nicht feststellen. Insgesamt ist für die Behinderungen auf augenärztlichem Gebiet ein GdB von 30 anzunehmen, der bereits dem Verlust des Augenlichtes auf einem Auge entspricht (Anhaltspunkte Abschnitt 26, 4, S. 51).

Internistischerseits kommen eine Arteriosklerose mit coronarer Herzkrankheit, eine Lungenblähung, eine rezidivierende Bronchitis, Fettleibigkeit, eine Störung des Kohlenhydratstoffwechsels (subklinischer Diabetes mellitus), eine leichte Fettleber und schließlich eine psychovegetative Labilität hinzu. Höhere Einzelwerte als 20 für den Herzschaden und das Lungenleiden sowie 10 für die übrigen Behinderungen sind nicht gerechtfertigt. Ein voll ausgeprägtes Bild einer chronischen Bronchitis besteht nicht. Jedoch liegt eine altersbedingte Brustkorbstarre mit Lungenblähung vor, so daß der GdB, wie bereits für die Schädigungsfolge zugrunde gelegt, 20 beträgt. Die Funktionseinschränkungen insgesamt gehen nicht über das nach dem BVG festgestellte Ausmaß hinaus. Im EKG war eine geringe Erregungsrückbildungsstörung nachzuweisen. Schmerzen auf der linken Brustseite sind wahrscheinlich Ausdruck einer Herzmangeldurchblutung. Eine Beteiligung der Kopfgefäße erscheint möglich, die auch Schwindelgefühle und Kopfschmerzen erklären könnte. Diese Beschwerden sind allerdings überlagert durch eine psychovegetative Labilität, so daß eine hinreichend genaue Abgrenzung nicht möglich ist. Diese Behinderung sowie die Auswirkungen der Stoffwechselstörungen sind mit Werten von jeweils 10 hinreichend berücksichtigt. Ein Anhalt für ein Postcholezystektomiesyndrom besteht nicht, so daß sich keine Behinderung annehmen läßt. Folgeerscheinungen einer Malaria konnten ärztlicherseits nicht festgestellt werden. Die Bildung des GdB insgesamt ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 ist der GdB nach den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Dies ist hier geschehen. Auszugehen ist grundsätzlich von dem Wert für die schwerste Behinderung. Es ist zu prüfen, ob die GdB-Werte für die anderen Behinderungen eine Heraufsetzung des GdB um 10 oder mehr Punkte rechtfertigen. Ausgehend von den Behinderungen zu 1. und 2., die gleich schwer wiegen und die mit jeweils 30 zu berücksichtigen sind, ist der GdB insgesamt auf 70 anzuheben. Alle anderen Behinderungen wirken sich nur gering aus. Geringe GdB-Werte von 10 oder 20 rechtfertigen grundsätzlich nicht die Anhebung des GdB insgesamt, was auch bei mehreren leichten Behinderungen gilt. Durch den Wert von 70 ist jedoch auch unter besonderer Berücksichtigung der Kriegsbeschädigung hinreichend zum Ausdruck gebracht worden, daß diese Behinderungen vorliegen und den Gesamtleidenszustand mit beeinflussen. Der Senat hat hierbei auch die Auswirkungen der Behinderungen im gesellschaftlichen Leben gewürdigt, die auf der Grundlage der medizinischen Feststellungen zu beurteilen sind, wobei im allgemeinen die Sachkunde des Gerichts genügt (vgl. Urteile des BSG vom 9. März 1988 – 9/9a RVs 14/86 und vom 25. Mai 1988 – 9/9a RVs 8/87). Ohne Zweifel ist der Kläger insgesamt bei der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben stärker eingeschränkt (Teilnahme an Veranstaltungen, Freizeitgestaltung allgemeiner Art, Sport, Reisen etc.). Er wird von Fall zu Fall nach seinem persönlichen Befinden auf etliche Aktivitäten verzichten müssen. Hierbei ist allerdings zu beachten, daß der Kläger insoweit bereits wegen seines hohen Lebensalters nicht mit einem gesunden, jüngeren Menschen uneingeschränkt verglichen werden kann und sich trotz der festgestellten Behinderungen noch in einer vergleichsweise guten körperlichen Verfassung befindet sowie am geistigen Leben voll teilnehmen kann, was bei zahlreichen älteren behinderten Menschen nicht mehr zutrifft.

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte hält der Senat den GdB von 70 in vollem Umfange für zutreffend.

Zu Recht hat es der Beklagte schließlich abgelehnt, die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G” festzustellen. Die persönlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G” im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 SchwbG sind nicht zugunsten des Klägers erfüllt. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist nämlich nur derjenige Behinderte erheblich beeinträchtigt, der infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Solche Wegstrecken betragen zwei Kilometer (vgl. Urteil des BSG vom 10. Dezember 1987 – 9a RVs 11/87, dem sich der Senat anschließt). Nach Lage der Akten bestehen keine Anhaltspunkte für derartige Einschränkungen der Gehfähigkeit. Der Senat folgt nach, eigener Überprüfung und Meinungsbildung den versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. Leibecke und des Dr. Heimbucher vom 3. November 1987 und vom 15. Dezember 1987. In Ergänzung zu den vorliegenden versorgungsärztlichen Gutachten weist der Chirurg darauf hin, daß das Gangbild des Klägers beiderseits barfuß und in Straßenschuhen ohne grobe Störungen war. Die Krampfaderbildung an den Unterschenkeln führt ebenfalls nicht zu Gehstörungen. Auch die neuere Untersuchung des Angiologen Dr. R. erbrachte keine abweichenden Befunde. Die festgestellten internistischen Leiden wiegen alle nicht besonders schwer, so daß sie sich auf die Gehfähigkeit, nicht auswirken.

Von Amts wegen war der Sachverhalt nicht durch Einholung weiterer Gutachten aufzuklären, denn Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen ergeben sich nicht. Der Kläger hat die Berufung, speziell in bezug auf das Schwerbehindertenverfahren, nicht begründet, sondern sich insgesamt nur auf seine Schädigungsfolgen im Sinne des BVG bezogen. Die Verfügung des Senats vom 7. Oktober 1987 wurde ihm zur Kenntnis gegeben genauso wie die Stellungnahme des Beklagten vom 30. Dezember 1987 nebst den versorgungsärztlichen Stellungnahmen. Hierzu hat er sich jedoch nicht geäußert. Zwar hat der Kläger mit Schreiben vom 15. August 1989 zahlreiche Befindlichkeitsstörungen vorgebracht. Dieser Schriftsatz ist aber ausdrücklich an das Landesversorgungsamt gerichtet und kann allenfalls als Überprüfungs- oder Neufeststellungsantrag, nicht aber als neues Vorbringen im vorliegenden Rechtsstreit angesehen werden. Im übrigen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 1. September 1989 nachdrücklich dargelegt, er möge vor weiteren Untersuchungen verschont werden, so daß eine Beweiserhebung durch Einholung medizinischer Gutachten schon aus diesem Grunde nicht in Betracht kam.

Der Senat hat dem Beklagten nach pflichtgemäßem Ermessen ein Drittel der Kosten auferlegt, da der Kläger in bezug auf den Nachteilsausgleich "RF” so zu stellen ist, als ob er teilweise obsiegt hätte. In diesem Umfange hätte die Berufung Erfolg gehabt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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