L 6/2 An 45/78

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6/2 An 45/78
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine als Ausfallzeit anzurechnende Fachschulausbildung setzt voraus, daß der Lehrgang mindestens einen Halbjahreskurs mit Vollunterricht oder bei kürzeren Kursen 600 Unterrichtsstunden umfaßt.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 18. November 1977 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten aus Anlaß eines Altersruhegeldbescheides um die Anrechnung einer Ausfallzeit.

Die 1915 geborene Klägerin besuchte von April 1925 bis März 1931 die höhere Mädchenschule und anschließend bis zum 30. September 1933 das Oberlyzeum in Siegen. Vom 19. Februar 1940 bis 19. Mai 1940 nahm sie an der praktischen Ausbildung zur Schwesternhelferin teil und arbeitete in der Folgezeit vom 1. September 1940 bis zum 31. Juli 1943 als Angestellte und Schwesternhelferin. Vom 11. Oktober 1943 bis zum 31. Januar 1944 absolvierte sie mit Erfolg einen Schulhelferlehrgang an der Deutschen Lehrerinnenbildungsanstalt in P. und war anschließend bis zum 31. Dezember 1944 als Aushilfslehrerin beschäftigt. Vom 5. Januar 1951 an war die Klägerin als Näherin, Hausangestellte, Kinderpflegerin, Küchenhilfe, Wirtschafterin und Schwesternhelferin tätig. Vom 1. Juni 1955 bis zum 8. Februar 1957 nahm sie an der Gesamtschule in K. an zwei Lehrgängen zur Ausbildung von technischen Hilfslehrkräften im Familienhauswesen teil. Die Lehrgänge fanden an jeweils einem Tag in der Woche statt und umfaßten insgesamt 68 Arbeitstage. Vom 2. Januar 1958 an arbeitete sie als technische Aushilfslehrkraft im Schuldienst des Landes Hessen.

Durch Bescheid vom 9. September 1975 bewilligte die Beklagte der Klägerin vorgezogenes Altersruhegeld ab 1. August 1975 unter Berücksichtigung der seit dem 21. Februar 1931 zurückgelegten Ausfall- und Versicherungszeiten. Eine Anrechnung der Lehrgänge vom 11. Oktober 1943 bis zum 31. Januar 1944 und 1. Juni 1955 bis 8. Februar 1957 als Ausfallzeiten lehnte die Beklagte ab.

Dagegen erhob die Klägerin am 1. Oktober 1975 beim Sozialgericht Fulda, das durch Urteil vom 18. November 1977 die Klage als unbegründet abwies.

In den Entscheidungsgründen führte das Gericht aus, bei den von der Klägerin absolvierten Fortbildungslehrgängen handele es sich nicht um eine Schulausbildung im sinne des Gesetzes. Als Ausfallzeit komme eine solche Zeit nur in Betracht, wenn der Schulbesuch eindeutig im Vordergrund stehe und am Ende der Ausbildung auch eine entsprechende Prüfung abgelegt werde.

Gegen dieses am 6. Dezember 1977 zwecks Zustellung an die Klägerin zur Post aufgelieferte Urteil richtet sich deren am 6. Januar 1978 eingegangene Berufung, mit der sie sich gegen die Nichtanrechnung der Zeit vom 11. Oktober 1943 bis 31. Januar 1944 wendet.

Die Klägerin macht geltend, daß sie die Teilnahme an dem vom 11. Oktober 1943 bis zum 31. Januar 1944 stattgefundenen Lehrgang in vollem Umfang in Anspruch genommen habe. Gemeinsam mit den anderen Lehrgangsteilnehmerinnen sei sie in der Lehrerinnenbildungsanstalt in P. untergebracht gewesen. In den Vormittagsstunden sei Unterricht erteilt worden; die Nachmittagsstunden seien der Vorbereitung, den Besichtigungen, den Übungen und dem Sport vorbehalten gewesen. Außerdem hätten sie ein Stadt- und Landschulpraktikum absolvieren sowie Lektionen und Referate halten müssen. Dem endgültigen Schuleinsatz sei eine schriftliche Prüfung vorausgegangen, die den Abschluß des Lehrgangs gebildet habe.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 18. November 1977 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 9. September 1975 zu verurteilen, die Zeit vom 11. Oktober 1943 bis zum 31. Januar 1944 als zusätzliche Ausfallzeit zu berücksichtigen und das Altersruhegeld neu zu berechnen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, daß einer Anerkennung als Ausfallzeit die zeitliche Kürze des Lehrgangs entgegenstehe.

Im Termin der mündlichen Verhandlung am 24. August 1978 war die Klägerin trotz ordnungsgemäßer Ladung weder erschienen noch vertreten.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen, insbesondere den der Rentenakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Ein Urteil konnte der Senat trotz Ausbleibens der Klägerin im Termin erlassen, da die Ladung einen entsprechenden Hinweis enthielt (§ 110 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die Berufung mit der sich die Klägerin allein gegen die Nichtanrechnung der Zeit vom 11. Oktober 1943 bis 31. Januar 1944 als Ausfallzeit wendet, ist zulässig, sie ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG). Sie ist sachlich unbegründet.

Das Sozialgericht hat im Ergebnis zutreffend die Zeit vom 11. Oktober 1943 bis zum 31. Januar 1944 nicht als Ausfallzeit anerkannt.

Nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Angestelltenversicherungsgesetz (AVG), der hier alleine in Betracht kommt, sind Ausfallzeiten die Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden weiteren Schulausbildung oder einer abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind für die streitige Zeit nicht zugunsten der Klägerin erfüllt.

Ihre Teilnahme an dem von der Deutschen Lehrerinnenbildungsanstalt in P. veranstalteten Schulhelferlehrgang kann nicht als weitere Schulausbildung angesehen werden, da es sich nicht um den Besuch einer allgemeinbildenden öffentlichen oder privaten Schule handelte (vgl. KOCH/HARTMANN, Kommentar z. AVG, 3. Aufl., 29. Lieferg., Stand: November 1977, § 36 Erl. B V 2.1.1.).

Die Teilnahme an dem Lehrgang kann aber auch nicht als Fachschulausbildung qualifiziert werden. Der Begriff der Fachschulausbildung ist zwar im Gesetz nicht definiert. Aus systematischen, historischen und sprachlichen Gründen ist dieser Begriff aber im wesentlichen so auszulegen, wie er in dem vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Fachschulverzeichnis "Die berufsbildenden Schulen in der Bundesrepublik Deutschland” verstanden wird, das auf einen Erlaß des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 29. Oktober 1937 zurückgeht. Danach handelt es sich um Fachschulen bei denjenigen Schulen, die der beruflichen Ausbildung und Fortbildung jenseits der Ausbildung als Lehrling, Anlernling oder Berufsschüler dienen und deren Lehrgang mindestens einen Halbjahreskurs mit Vollunterricht oder 600 Unterrichtsstunden umfaßt (vgl. KOCH/HARTMANN, a.a.O., § 36 Erl. B 5 2.2.1.; vgl. auch Urteil des Bundessozialgerichts vom 16. November 1972 in SozR § 1259 RVO Nr. 49).

Dieser Auslegung schließt sich der erkennende Senat an. Insbesondere muß aus der gleichwertigen Behandlung von Hoch- und Fachschulausbildung in § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AVG geschlossen werden, daß mehr oder weniger kurzfristige Kurse und Lehrgänge von dieser Vorschrift nicht erfaßt werden sollen (vgl. Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 14. Mai 1970 – IV b 3 – 4553.3. – 71/70 – in Sozialberater 1970, 136).

Unter Zugrundelegung dieser Begriffsbestimmung bedurfte es im vorliegenden Fall keiner abschließenden Reststellungen des Senats darüber ob die Ausbildung der Klägerin an der Deutschen Lehrerinnenbildungsanstalt in P. entsprechend ihrem Vorbringen überhaupt in der an Schulen üblichen Weise erfolgt ist, also der regelmäßige Unterricht durch ausgebildete Lehrkräfte im Vordergrund gestanden hat (vgl. BSG, a.a.O.). Selbst wenn nämlich diese Voraussetzungen als gegeben unterstellt, scheitert die Anerkennung des Schulhelferlehrgangs. Fachschulausbildung an dem geringen zeitlichen Umfang dieses Lehrgangs.

Er erstreckt sich nicht über die Dauer eines halben Jahres, sondern nur über 17 Wochen. Er umfaßt auch keine 600 Unterrichtsstunden. Denn selbst wenn man von einer Unterrichtsstundenzahl von 30 Stunden pro Woche ausgeht, errechnen sich – unter Außerachtlassung der in die Zeit vom 11. Oktober 1943 bis 31. Januar 1944 fallenden Feiertage des von der Klägerin erwähnten Stadt- und Landschulpraktikums – lediglich 510 Unterrichtsstunden, so daß der von der Klägerin besuchte Lehrgang nach dem Sinn des Gesetzes als kurzfristig gewertet werden muß.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da der Senat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimißt.
Rechtskraft
Aus
Saved