L 9 U 3077/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 5301/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3077/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Anerkennung einer Hautkrankheit als Berufskrankheit (BK) und die Gewährung von Verletztenrente.

Die 1939 geborene Klägerin hat 1969/70 die Massageschule besucht und anschließend ein Berufspraktikum absolviert. Von 1972 bis November 2001 betrieb sie eine Massagepraxis. Am 5.12.2001 benachrichtigte sie die Beklagte vom Vorliegen eines Verdachts auf eine BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zu Berufskrankheitenverordnung (BKV). Sie legte eine Bescheinigung des Chirurgen Dr. D. vom 3.12.2001 vor, in der dieser von einem ausgeprägten hyperkeratotischen Ekzem in beiden Hohlhänden als Folge des ständigen Kontakts mit Einreibemittel sowie von einer massiven Rhiz-Arthrosis rechts berichtete.

Die Beklagte zog Unterlagen der Krankenkasse bei, befragte die Klägerin, holte Auskünfte bei den behandelnden Ärzten der Klägerin (Dr. D. vom 17.1.2002, Dermatologe PD Dr. D. vom 1.8.2002 und Internist Dr. N. vom 27.11.2002) ein und ließ die Klägerin gutachterlich untersuchen. Der Arzt für Hautkrankheiten Dr. L. stellte bei der Klägerin im Gutachten vom 17.2.2003 einen Zustand nach weitgehend abgeheiltem dyhidrotischem Ekzem sowie ausgedehnte und starke Sensibilisierungen, überwiegend wahrscheinlich beruflich durch Kontakt mit verschiedenen Massageölen oder Reinigungsmitteln verursacht, fest. Ob die Berufsaufgabe als Masseurin tatsächlich wegen der Hautveränderungen erfolgt sei, sei sehr fraglich und nicht mehr eindeutig zu klären. Es seien nicht alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden. Objektiv habe auf Grund der Sensibilisierungen kein Zwang zur Aufgabe der Tätigkeit bestanden. Hierfür wären eine intensivere Diagnostik und weitere Therapien erforderlich gewesen. Die jetzt noch nachweisbaren Hautveränderungen mit einzelnen Bläschen seien unabhängig von der beruflichen Sensibilisierung.

Der Staatliche Gewerbearzt Dr. G. schlug in der Stellungnahme vom 11.4.2003 eine BK Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV zur Anerkennung vor. Seines Erachtens sei die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit auf Grund der langen Dauer der Hauterkrankung begründet gewesen. Angesichts der ausgeprägten Sensibilisierung hätte auch eine geänderte Therapie nicht zu einem dauerhaften Erfolg geführt.

Mit Bescheid vom 26.5.2003 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Hautkrankheit als BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV ab, da wegen der Hauterkrankung ein medizinisch objektivierbarer Zwang zur Aufgabe der Tätigkeit nicht bestanden habe. Die Klägerin habe ihre Tätigkeit vielmehr altersbedingt und wegen rheumatischer Beschwerden der Hände aufgegeben. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.9.2003 zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 7.10.2003 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart, mit der sie die Anerkennung eines hyperkeratotischen Ekzems als BK und die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH weiterverfolgte.

Das SG hörte die behandelnden Ärzte der Klägerin (Hautarzt PD Dr. D., Praxisnachfolger von Dr. R., Orthopäde Dr. S., Internist Dr. N.) als sachverständige Zeugen (Auskünfte vom 28. und 30.1.2004). Die Klägerin legte eine ärztliche Bescheinigung von Dr. R. vom 19.2.2004 vor.

Das SG beauftragte Professor Dr. v. d. D. mit der Begutachtung der Klägerin. Dieser führte im Gutachten vom 7.9.2004 aus, bei der Klägerin lägen folgende Erkrankungen vor: 1) Beruflich-irritativ provoziertes genuines dyshidrotisches Händeekzem seit 1983 mit a) wahrscheinlicher zeitweiliger berufsbedingter kontaktallergischer Überlagerung und b) noch anhaltender nachberuflicher Persistenz 2) Beruflich erworbene Kontaktsensibilisierungen gegen beruflich intensiv kontaktierte Pflanzenextrakte, ätherische Öle und Duftstoffe mit im Einzelnen nicht rekonstruierbarer klinischer Relevanz 3) Außerberuflich erworbene Nickelkontaktsensibilisierung mit anamnestischen Modeschmuck-Kontaktekzemen (Intensität mittlerweile unter die Nachweisgrenze abgefallen). Die bei der Klägerin vorliegende BK Nr. 5101 der Anlage 1 zu BKV führe auf Grund der mittelschweren Hauterscheinungen, häufig aufgetretener Rezidive, der leicht vulnerablen Haut durch das langwierige berufliche Ekzem sowie die häufige Steroidanwendung zu einer MdE um 20 vH. Seines Erachtens habe auf Grund der BK der objektive Zwang bestanden, die Tätigkeit als Masseurin aufzugeben. Diese Auffassung hat er in der ergänzenden ärztlichen Stellungnahme vom 2.12.2004 bestätigt.

Mit Urteil vom 16.6.2005 hob das SG den Bescheid vom 26.5.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.9.2003 auf, stellte fest, dass bei der Klägerin eine BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV vorliegt und verurteilte die Beklagte, der Klägerin ab 1.12.2001 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH zu gewähren. Dabei stützte das SG seine Überzeugung auf das Gutachten von Prof. Dr. v. d. D. vom 30.9.2004. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das am 7.7.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26.7.2005 Berufung eingelegt und eine Stellungnahme von Prof. Dr. D. vom 4.1.2006 vorgelegt, der ausgeführt hat, ebenso wie Prof. v. d. D. sei er der Meinung, dass bei der Klägerin eine berufsbedingte Hauterkrankung vorgelegen habe, die zur Aufgabe der versicherten Tätigkeit gezwungen habe. Da die bei der Klägerin verbliebenen Hauterscheinungen nach Tätigkeitsaufgabe leichtgradig, der Klägerin jedoch Feuchtarbeitsplätze verschlossen seien, schätze er die MdE auf 10 vH. Daraufhin hat sich die Beklagte bereit erklärt, die Hauterkrankung der Klägerin als BK Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen. Eine rentenberechtigende MdE hat sie dagegen verneint.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Juni 2005 aufzuheben, soweit sie darin zur Gewährung einer Verletztenrente verurteilt worden ist.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat bei Professor v. d. D. eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme eingeholt. In der Stellungnahme vom 26.6.2006 hat der Sachverständige ausgeführt, die konkrete Diagnose "Beruflich-irritativ provoziertes genuines dyshidrotisches Händeekzem" unterscheide sich grundsätzlich von einem kumulativ-subtoxischen Händeekzem. Bereits geringfügige Alltagseinwirkungen schwacher Irritantien reichten aus, einen neuen Dyshidrosis-Schub auszulösen. Die beruflich erstprovozierte und unterhaltene, auch 2 1/2 Jahre nach Tätigkeitsaufgabe noch nicht wieder auf den Status quo ante zurückgekehrte, verselbstständigte genuine Variante habe zweifellos schwerwiegendere Auswirkungen als die in ihrer Ursache-Wirkungs-Beziehung transparente kumulativ-subtoxische Variante. Schon bei mäßiger Hautbelastung (Geschirrspülen) bestehe eine Unverträglichkeit. Bei den nach Tätigkeitsaufgabe bis zum Gutachtenszeitpunkt durch Alltagbelastungen provozierbaren Hautveränderungen handle es sich nicht um unmittelbar noch auf die Berufskrankheit zurückzuführende Hauterscheinungen, sondern um Folgeerscheinungen einer speziellen Form der Minderbelastbarkeit der Haut. Er schätze die MdE nach wie vor mit 20 vH ein.

Hierzu hat die Beklagte sich nicht mehr geäußert.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht das Vorliegen einer BK Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV festgestellt und die Beklagte zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH verurteilt. Das SG hat den rechtserheblichen Sachverhalt umfassend dargestellt, die an eine Rentengewährung geknüpften Voraussetzungen zutreffend benannt und das Beweisergebnis frei von Rechtsfehlern gewürdigt. Hierbei ist es ausführlich auf die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen eingegangen; auch hat es überzeugend begründet, weshalb es den Beurteilungen von Prof. Dr. v. d. D. gefolgt ist. Der Senat schließt sich der Beweiswürdigung des SG uneingeschränkt an und sieht deshalb von einer Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG weitgehend ab. Ergänzend ist auszuführen, dass inzwischen auch die Beklagte anerkennt, dass ein Zwang zur Aufgabe der Tätigkeit als Masseurin bestand und bei der Klägerin eine BK Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV vorliegt. Soweit die Beklagte - unter Bezugnahme auf die Ausführungen von Prof. Dr. D. - eine rentenberechtigende MdE verneint, folgt der Senat dieser Auffassung nicht.

Zutreffend hat das SG entschieden, dass der Klägerin ab 1.12.2001 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH zusteht. So hat Professor Dr. v. d. D. für den Senat nachvollziehbar und überzeugend in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26.6.2006 begründet, dass für die MdE-Einschätzung nicht die verbliebenen Hauterscheinungen maßgeblich sind, sondern die verbliebene Minderbelastbarkeit der Haut. Schon geringfügige Alltagseinwirkungen (Geschirrspülen, Einreiben einer im Kniebereich reaktionslos vertragenen Rheumasalbe) reichen nämlich aus, um einen neuen Dyshidrosis-Schub anzustoßen. Dieser Schub ist dann nicht Ausdruck einer unmittelbaren, kumulativ-subtoxischen Schädigung des Organs Haut, sondern der erneute Krankheitsausbruch der genuinen Dyshidrosis. Damit wird die MdE um 20 vH im Einklang mit dem Bamberger Merkblatt mit der Unverträglichkeit mäßiger sonstiger (irritativer, toxischer usw.) Hautbelastung nachvollziehbar begründet.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung der Beklagten musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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