L 8 R 244/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 51 (5) RJ 172/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 244/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 115/07 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.11.2005 geändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2004 verurteilt, der Klägerin Altersrente ab 01.07.1997 unter Herstellung einer Ghetto-Beitragszeit nach dem ZRBG von November 1941 bis Juni 1942 - gegebenenfalls nach Entrichtung freiwilliger Beiträge - nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat 3/4 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus dem gesamten Verfahren zu tragen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Regelaltersrente nach Maßgabe des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG), das der Deutsche Bundestag im Jahr 2002 einstimmig erlassen hat (Bundesgesetzblatt - BGBl - Teil I 2074).

Die Klägerin wurde am 00.00.1926 in Q im Kreis W geboren. Ihr Vater war Kürschner, ihre Mutter Hausfrau. Sie hatte vier Geschwister, darunter einen jüngeren Bruder. Die Muttersprache zu Hause war Jiddisch. Alle Familienangehörigen der Klägerin wurden im Krieg ermordet. Der Klägerin gelang die Flucht in ein Versteck bei einem polnischen Bauern. Nach dem Krieg wanderte die Klägerin über Litauen und Polen 1958 nach Israel ein. 1966 beantragte sie eine Beihilfe nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) und gab dazu in einer eidesstattlichen Versicherung, die in deutscher Sprache verfasst war, folgendes an:

"Unsere Ortschaft wurde Mitte Juli 1941 durch die deutschen Truppen besetzt. Bald wurden antijüdische Maßnahmen vorgenommen. Juden ab 10 Jahre alt mussten den Judenstern tragen. Ich musste Zwangsarbeit für die Deutschen leisten (wie Aufräumungsarbeiten, Feldarbeiten, Ausladen und Aufladen von verschiedenen Lasten auf der Bahnstation und anderes). Am 19.10.1941 wurde eine Aktion gegen die jüdische Bevölkerung der Ortschaft durchgeführt. Im Zuge deren wurden Juden im Walde erschossen und die am Leben verbliebenen Juden wurden in einem Ghetto konzentriert. Wir wurden in einer Straße konzentriert und durften nicht diese Straße verlassen. Ich habe weiter Zwangsarbeit geleistet. Es wurden weitere Vernichtungsaktionen durchgeführt. Die Zahl der Juden hat sich immer verkleinert bis auf Spezialisten (Schuster, Schneider und andere für die Deutschen "nützliche" Juden). Sommer 1943 konnte ich schon nicht mehr im Ghetto bleiben und ich habe Zuflucht bei einem polnischen Bauern H, N gefunden. Dort war ich in einem Stahl bis zur Befreiung in menschenunwürdigen Bedingungen verborgen. März 1944 hat die Rote Armee diese Ortschaft Czermoszne, wo ich verborgen war, befreit. Von unserer Ortschaft Pogrebiszcze sind nur vier Juden am Leben geblieben. Alle anderen jüdischen Einwohner, einige Tausend, wurden durch die Nazis vernichtet."

Auf Grundlage dieser Erklärung wurde die Klägerin als Verfolgte anerkannt und erhielt eine Beihilfe von insgesamt 7.940 DM nach dem BEG. Ihre israelische Altersrente erfolgt ohne Berücksichtigung der Kriegszeit, da das israelische Sozialversicherungsrecht nur Zeiten ab seinem In-Kraft-Treten, d.h. ab1954 anrechnet. 1995 beantragte die Klägerin Leistungen aus dem Artikel 2-Fonds der Jewish Claims Conference (JCC) und wiederholte dazu (ebenfalls in deutscher Sprache) die Angaben aus dem BEG-Verfahren. 1998 erhielt die Klägerin Leistungen von der JCC nach dem Artikel 2-Fonds zugesprochen.

Im November 2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente nach dem ZRBG und trug in dem dazu von der Beklagten versandten Fragebogen (ebenfalls in deutscher Sprache) ein, sie habe von Juli 1941 bis Mai 1943 in der Schneiderwerkstatt des Ghettos Pogrebiszcze ca. vier Stunden täglich gearbeitet. Dort habe sie Kleidung repariert, Knöpfe angenäht und gebügelt. Dafür habe sie Lebensmittel, Holzkohle im Winter und manchmal Altkleidung bekommen. Der Arbeitseinsatz sei freiwillig durch eigene Bemühungen unter Hilfe des Judenrats zustande gekommen.

Ergänzend zog die Beklagte die Akten des JCC sowie des BEG-Verfahrens der Klägerin bei. Mit Bescheid vom 04.06.2003 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin sodann ab. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe im Entschädigungsverfahren angegeben, der Ghettoaufenthalt hätte erst nach dem 19.10.1941 begonnen und sie habe sowohl vor als auch nach der Einweisung ins Ghetto Zwangsarbeiten ausgeführt. Auch sei eine regelmäßige Arbeitstätigkeit in einer Schneiderwerkstatt des Ghettos von ihr zuvor nicht erwähnt worden. Schließlich spreche der angegebene Umstand von lediglich vier Stunden täglicher Arbeit gegen eine Beschäftigung im Sinne der Vorschriften des ZRBG. Die Klägerin erhob dagegen Widerspruch und trug vor, sie habe als damals junges und kräftiges Mädchen mit allen Kräften versucht tätig zu sein, um die schrecklich schwere Zeit zu überstehen. Neben der Zwangsarbeit habe sie aus eigenem Willen in der Schneiderwerkstatt gearbeitet, um sich auf diese Weise etwas besser ernähren zu können. Es sei möglich, dass sie sich nach 62 Jahre nicht mehr genau erinnern könne, ob sie im Juli oder im Oktober 1941 in das Ghetto gekommen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2004 zurück.

Das Sozialgericht Düsseldorf hat die dagegen von der Klägerin erhobene Klage durch Urteil vom 14.11.2005 nach Aktenlage mit der Begründung abgewiesen, es spreche vieles dafür, dass die von der Klägerin vorgetragenen Sachbezüge in Form von Lebensmitteln, Holzkohle im Winter und gelegentlich Gabe alter Kleidung ein die Versicherungspflicht begründendes Entgelt im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.10.2004 - B 13 RJ 59/03 R - nicht darstellten.

Dagegen richtet sich die rechtzeitig erhobene Berufung der Klägerin, die beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.11.2005 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.06.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2004 zu verurteilen, der Klägerin eine Versicherungsunterlage über die Tätigkeit von Oktober 1941 bis Mai 1943 nach dem ZRBG herzustellen und die Regelaltersrente ab 01.07.1997 mit der Verfolgungszeit als Ersatzzeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, weitere Ausführungen seien angesichts des zutreffenden Urteils erster Instanz entbehrlich.

Wie auch in anderen Parallelverfahren von Klägerinnen und Kläger aus Israel ist die Klägerin vom erkennenden Senat gebeten worden mitzuteilen, ob sie eine persönliche Anhörung durch den Berichterstatter in Israel zur Erläuterung ihres Verfolgungsschicksals und zu Zwecken rechtlichen Gehörs wünsche. Das hat die Klägerin bejaht.

Die Beklagte ist der geplanten Anhörung in Israel zum einen mit der Begründung entgegengetreten, die Risiken einer unmittelbaren Anhörung hochbetagter Kläger/innen dürften höher sein als ihr Nutzen, weil eine unmittelbare Konfrontation der Betroffenen mit Angaben aus vorangegangenen Verfahren vielfach mit Überforderungssituationen verbunden sein könnte. Die bisherige langjährig bewährte Praxis, nach der notwendige persönliche Anhörungen der Beteiligten und Zeugen im Wege der Rechtshilfe durch ein israelisches Gericht durchgeführt würden, halte die Beklagte auch weiterhin für den geeigneteren Weg. Diese Vorgehensweise entspreche der aller anderen Senate des Landessozialgerichts (LSG) NRW und auch der Kammern des SG Düsseldorf in gleich gelagerten Fällen. Sämtliche dortigen Entscheidungen basierten auf der Erhebung und Auswertung von Beweisen, ohne dass es hierzu einer persönlichen Anhörung der Betroffenen in Israel bedurft habe. Auch unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sehe die Beklagte daher keine Notwendigkeit, an dem in Israel vorgesehenen Befragungstermin teilzunehmen.

Der Staat Israel hat der konsularischen Anhörung von israelischen Klägern rentenrechtlicher Verfahren durch ein deutsches Gericht vor Ort gem. Art 16 des Haager Übereinkommens über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (ZRHG) vom 18. März 1970 - BGBl Teil II 1274 - nach Vermittlung dieses Ersuchens durch die deutsche Botschaft in Tel Aviv mit diplomatischen Verbalnoten vom 5. Dezember 2006 und vom 13. Februar 2007 mit der Maßgabe der anschließenden Bestätigung des jeweiligen Protokolls durch das Directorate of Courts in Jerusalem zugestimmt.

Zur Vorbereitung der Anhörung hat das Gericht die an der Universität Frankfurt tätige klinische Psychologin Prof. Dr. R, die durch Forschungsarbeiten über die Interpretationen autobiographischer Erzählungen von Überlebenden des Holocaust hervorgetreten ist, mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens über die bei der Befragung und Auswertung der Ghettoüberlebenden anzuwendenden Grundsätze beauftragt. Die Sachverständige hat ausgeführt, bei einer Anhörung von NS-Verfolgten sei davon auszugehen, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um traumatisierte Menschen handele. Es werde wahrscheinlich schwierig sein, die Kläger zu einem offenen, vertrauensvollen Erzählen, das einer Beweiswürdigung förderlich wäre, zu bewegen. Zu erwarten sei eine angespannte Gesprächssituation, in der sich der Kläger möglicherweise paradoxerweise um Rechtfertigung bemühen werde. Dem sei von Seiten des Befragers unbedingt entgegenzuwirken. Wenig sinnvoll sei in diesem Zusammenhang, mit dem Befragten in eine Diskussion zu geraten, in der verschiedene Sichtweisen gegenüberständen oder ihn auf mögliche Widersprüche in seinen Aussagen hinzuweisen, da dies den eventuellen Druck, sich zu rechtfertigen, unterstützen würde. Insofern seien Retraumatisierungen durch erneute Befragungen potentiell denkbar. Das Hauptaugenmerk solcher Befragungen sollte sich daher nicht nur auf den Inhalt der Fragen richten, sondern wesentlich auch auf die Gestaltung der Gesprächsatmosphäre. Eine Steuerung des Gesprächs durch gezielte Fragen erscheine wenig sinnvoll. Zielführender sei es, den Gefragten mit offenen Fragen zu möglichst spontanem Erzählen anzuregen und durch solche Fragen Interesse an seiner Erzählung zu signalisieren und den Erzählfluss in Gang zu halten. Für die spätere Beweisführung erschienen solche spontanen Erzählsequenzen am geeignetsten. Um eine solche Art der Gesprächsführung angesichts des nicht unproblematischen Kontexts des Gesprächs überhaupt in Gang zu setzen, sei es notwendig, das Vertrauen des Befragten zu gewinnen. Empfehlenswert sei es, bei dem ersten Anzeichen einer zunehmenden affektiven Beteiligung das Thema zu wechseln bzw. das Gespräch zu unterbrechen und eine Pause einzulegen. Im Übrigen gälten in diesen spezifischen Aspekten der Befragung von NS-Verfolgten dieselben Empfehlungen auch wie für Zeugenbefragungen (Hinweis auf Arntzen: Psychologie der Zeugenaussage - System der Glaubhaftigkeitsmerkmale - 4. Auflage 2007). Zur Nachbereitung des Gesprächs sei eine Aufzeichnung der subjektiven Eindrücke des Befragers, seiner Gedanken und Empfindungen sowie Besonderheiten und Auffälligkeiten im Gespräch, umgehend nach seiner Beendigung von Nutzen. Der Gefahr der unbewussten Gegenübertragung - etwa durch unbemerkte Auswirkung von Schuldgefühlen auf Grund deutscher Herkunft - müsse durch bewusste innere Gegensteuerung von Seiten des Befragers entgegengewirkt werden.

Als Zivilisationsbruch stelle die NS-Verfolgung und Massenvernichtung der europäischen Juden einen tiefgreifenden Einbruch in die Lebensgeschichte der Verfolgten dar, der grundlegende Handlungsorientierungen fundamental in Frage stelle und die Konstruktion einer konsistenten durchgängigen Lebensgeschichte unmöglich mache. Lebensgeschichte zerfalle vielmehr in eine Zeit vorher und eine Zeit danach, in der nichts mehr so sei wie vorher. Über die Verfolgungszeit selber werde zumeist in gleichförmiger schematisiert wirkender und gefühlsmäßig scheinbar wenig beteiligter Weise berichtet. Die Verfolgten sprächen über ihre Verfolgungserfahrung manchmal in einer Weise, die den Eindruck erwecke, als seien sie selbst gar nicht dabei gewesen. Dieses Phänomen der Depersonalisierung und der Dissoziation verweise auf traumatisches Erleben und sei oft auch noch nach Jahrzehnten bei Überlebenden der NS-Verfolgung anzutreffen. Verschiedene Teile der Lebensgeschichte könnten psychisch nicht integriert werden, sondern seien zumeist nur oberflächlich miteinander verbunden. Nichts desto weniger seien die meisten Verfolgten im weiteren Leben unablässig darum bemüht, eine solche Verbindung herzustellen und die Verfolgungserfahrung psychisch zu bewältigen. Dies gelte insbesondere für die Überzeugung, die sich regelhaft bei Überlebenden der NS-Verfolgung zeige, ihr Überleben durch Arbeit gesichert zu haben. Arbeit werde in diesen Lebensgeschichten oft zur zentralen Integrationsgröße. Doch habe die Arbeit von Überlebenden in ihrer Wahrnehmung auch dem Versuch gedient, sich in die damalige Gesellschaft zu integrieren, einen wichtigen Beitrag zu leisten und sich damit nicht dem Risiko auszusetzen, als "unnötig" betrachtet und in die Vernichtungslager verschleppt zu werden. Dies werde bis heute von den Überlebenden jedoch als massiv ambivalent erlebt. Arbeit werde nicht nur als Mittel angesehen, mit dem man sich der Verfolgung erfolgreich widersetzen konnte, sondern auch als Versuch, sich den Verfolgern "anzubiedern" und sich selbst sowie die Mitverfolgten zu verraten. Als überindividuelles Beispiel für diesen Konflikt lasse sich die Institution des Judenrates anführen, der sich einerseits zwar von den Nazis instrumentalisieren ließ, aber andererseits dadurch auch Leben von Verfolgten retten konnte.

Auch bezüglich der Beweiswürdigung ergäben sich aus der spezifischen Art der NS-Verfolgung Besonderheiten u.a. aufgrund des viele Jahrzehnte zurückreichenden Zeitablaufs. Nach dem neusten Stand der neurophysiologischen und gedächtnispsychologischen Forschung stellten Erinnerungen mentale Konstruktionsleistungen dar und nicht - wie nach dem Alltagsverständnis - einen in der psychischen Struktur unverändert wiedergabefähigen Speicher. Vielmehr werde im Prozess des Erinnerns dem vergangenen Verhalten aus der Perspektive der Gegenwart Sinn und Bedeutung verliehen. Dabei spiele das gegenwärtige Verständnis der damaligen Ereignisse eine ebenso große Rolle wie aktuelle Bedürfnisse und Interessen. Das von Arntzen vorgeschlagene System der Glaubwürdigkeitsmerkmale nach Detaillierung, Ergänzbarkeit, Homogenität, Konstanz bzw. Inkonstanz, Gefühlsbeteiligung, ungesteuerter Aussageweise, (In-)Konsistenz sowie der Objektivität der Aussage und schließlich der Aussagemotivation stoße daher im Zusammenhang mit der NS-Verfolgung auf deutliche Grenzen.

Ferner hat das Gericht Oberstaatsanwalt außer Dienst Ambach, der mit der Vertretung der durch die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf erhobenen Anklage im Majdanek-Verfahren betraut war, als weiteren Sachverständigen zu seinen Erfahrungen mit der Vernehmung jüdischer Opferzeugen in Israel befragt. Oberstaatsanwalt a.D. Ambach hat ausgeführt, dass sich die jüdischen Zeugen in der Beweisaufnahme durch eine große Sorgfalt im Bezug auf die eigene Erinnerungsfähigkeit auszeichneten und dass es ihnen nach seinem Eindruck besonders wichtig war, vor einem deutschen Gericht über das Erlebte zu berichten.

Parallel ist der Historiker Prof. Dr. Golczewski, Lehrstuhlinhaber für osteuropäische Geschichte an der Universität Hamburg, vom Gericht mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens zu den Verhältnissen in Pogrebiszcze im Zweiten Weltkrieg gebeten worden. Der Sachverständige Prof. Dr. Golczewski hat ausgeführt, die historische Forschung über die deutsche Besetzung der Ukraine im zweiten Weltkrieg sei bis zum Beginn der 1990er Jahre dadurch eingeschränkt gewesen, dass nur ein Teil der erforderlichen Quellen aus den sowjetischen Archiven zur Verfügung gestanden habe. Soweit bekannt, habe die Lage im Bezirk Wolhynien-Podolien, in dem auch der Ort Pogrebiszcze liege, bis zu einem gewissen Grade der im Generalgouvernement Polen entsprochen. In den östlich davon gelegenen Gebieten seien an manchen Orten noch Ghettos errichtet, an anderen sofort mit dem Massenmord begonnen worden. In der Ost-Ukraine, den östlicher gelegenen Teilen Russlands und auf der Krim seien Ghettos, auch wenn noch einige Wochen lang jüdische Zwangsarbeit genutzt wurde, nicht mehr als eine Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtung gewesen. Der Raum Vinniza, zu dem auch Pogrebiszcze gehörte (62 km nordöstlich von Vinniza) gehöre zu einer Zwischenzone, die noch am wenigsten erforscht sei. Der Süden dieses Gebiets sei im Sommer 1941 in den Bestand des rumänischen Verwaltungsgebiets Transnistrien übernommen worden. Pogrebiszcze selbst sei im deutschen Verwaltungsgebiet verblieben. Im Werk des russischen Historikers Altmann, das 2002 in Moskau erschien, heiße es, dass am 02. und 03. März 1943 die letzten Ghettos im Generalbezirk Zytomyr liquidiert worden seien. Demgemäß würden die Angaben der Klägerin, dass das Ghetto bis Juli 1943 bestanden habe, den bisherigen - allerdings durchaus nicht zuverlässigen - Forschungsstand korrigieren. Hinweise auf die Ghettogeschichte von Pogrebiszcze gäben darüber hinaus die Erforschung der Massengräber, die von US-Amerikanischen Kommissionen nach der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine unternommen wurden. In und bei Pogrebiszcze seien drei Massengräber gefunden worden: eines aus der Zeit vom 19. und dem 23. Oktober 1941, ein weiteres aus dem Jahr 1941 auf dem Gelände des jüdischen Friedhofs, einer auch an anderen Orten üblichen Liquidierungsstätte der Deutschen; schließlich sei auch ein Massengrab im Zentrum des Ortes, Chmelnitzkistraße, exhumiert worden, das von der US-Kommission als chassidisch gekennzeichnet wurde. Hierbei könne es sich sowohl um Relikte von Selektionen "unproduktiver" Juden im Ghetto, als auch um die Stätte der endgültigen Liquidierung des Ghettos handeln. Das an erster Stelle erwähnte Massengrab korrespondiere voll und ganz mit der Angabe der Klägerin, dass danach die überlebenden Juden in einer Straße des Ortes in einem Ghetto konzentriert worden seien und diese nicht hätten verlassen dürfen. Es könne als sicher angenommen werden, dass das Verbot des freizügigen Wohnungswechsels von Sommer 1941 an alle Juden betroffen habe, die im Zuge des Vormarsches in das rückwärtige Heeresgebiet der Deutschen und anschließend in das Reichskommisariat der Ukraine gelangten. Daher sei von dieser Zeit an - angesichts der Kennzeichnung der Juden und solcher Häuser, in denen die Juden lebten - eine Lage gegeben gewesen, die derjenigen in den "offenen Ghettos des Generalgouvernement" ähnelte. Auch wegen der Existenz einer, wenn auch undatierten Ghettoliste im Archiv von Vinniza, sei von der Existenz eines Ghettos in Pogrebiszcze auszugehen. Allerdings sei es eher wahrscheinlich, dass das Ghetto bereits 1942 aufgelöst wurde und die Klägerin dann Zuflucht bei einem polnischen Bauern gesucht habe.

In der Zeit vom 5. bis zum 29. März 2007 sind sodann 21 Kläger und Klägerinnen in Tel Aviv und in Jerusalem durch den Berichterstatter angehört worden, darunter am 21. März 2007 auch die Klägerin. Dabei ist das Gericht im Fall der Klägerin von dem historischen Sachverständigen Prof. Dr. Golczewski, der gleichzeitig auch allgemein vereidigter Dolmetscher für die russische und polnische Sprache ist, vor Ort durch ergänzende Fragen unterstützt worden. Für die hebräische und die jiddische Sprache ist die von der deutschen Botschaft in Tel Aviv empfohlene Dolmetscherin B hinzugezogen und ebenso wie der historische Sachverständige zu Beginn der Sitzung vereidigt worden. Die zu allen Terminen ordnungsgemäß geladene Beklagte ist den Anhörungen ferngeblieben.

Die Klägerin hat auf Befragen des Berichterstatters, des Sachverständigen sowie ihrer Bevollmächtigten im Termin im Wesentlichen wortgetreu folgendes angegeben:

"Ich werde sagen, woran ich mich noch erinnern kann. Mit Mädchennamen heiße ich E, mein Vater war Kürschner. Er handelte mit Fellen und Pelzen. Meine Mutter war Hausfrau. Kurz nach Beginn des Krieges kamen schon die Deutschen. Es dauerte nur einen Monat bis sie da waren. Sie fingen gleich an, zu töten. Es herrschte ein regelrechtes Chaos. Sie errichteten das Ghetto in Pogrebiszcze. Dort wurden die Menschen aus Pogrebiszcze sowie den umliegenden Städten und Dörfern zusammengepfercht.

Schon einen Monat nach dem Überfall der Deutschen, als wir herausgerufen wurden, wurden fast alle getötet. Ich erinnere mich noch, als sie kamen, sind wir als Kinder alle herausgelaufen. Der Großvater hatte noch gesagt, wir brauchten die Ukraine nicht zu verlassen. Er sagte, die Deutschen waren schon einmal hier. Sie waren gut. Darum sind alle Juden in Pogrebiszcze geblieben. Wir mussten dann unsere Häuser zerstören, das hat der Vater mit den Brüdern gemacht. Da waren sie noch am leben. Sie mussten das Material auf Fässern in einem Wagen ins Ghetto bringen. Mit 15 Leuten mussten wir dann dort in einem kleinen Haus in einer kleinen Ecke leben. Sie haben die Leute aber schnell getötet. Gleich zu Beginn meine drei Brüder, auch den Vater und auch meine anderen Familienmitglieder. Am Leben blieben nur die jungen Leute, die noch arbeiten konnten. Meine Mutter wurde getötet, als wir uns in einem Zimmer bei meinem Bruder versteckten. Er hatte ein Haus mit einer starken Tür. Wir wussten nicht, dass wir später weggenommen und getötet werden sollten und dachten, dieses Haus werden sie nicht öffnen. Meine Mutter versuchte meinen kleinen Bruder und mich zu schützen. Die Deutschen schlugen dann meine Mutter mit einem Gewehrkolben tot. Auch einen anderen alten Mann, meinen Onkel.

Mein Bruder und ich sind dann allein geblieben. Ich habe meinen Bruder länger als ein Jahr noch versorgt, als wir, nachdem sie alle töteten, zusammen im Ghetto waren. Das Ghetto war von Eisen umgeben und bewacht. Wir durften das Ghetto nicht verlassen und mussten den Judenstern tragen. Ich hatte die Arbeit im Stab über den Judenrat bekommen. An einen Namen im Judenrat erinnere ich mich noch: "Moischele". Es gab dort auch zwei Kapos. Wir haben uns gemeldet, weil wir wussten, dass wir dort etwas zu essen bekommen. Ich war ein starkes Mädchen, ich war 15 1/2 Jahre alt. Es gab keine Coupons und auch kein Geld, manchmal bekamen wir aber Kleidung. Außerdem durften wir uns nach dem Ende der Arbeit immer etwas zu Essen mitnehmen.

Wir wurden mit Autos zur Arbeit gebracht in den Stab. Dort arbeitete ich. Es gab einen Essenssaal. Wir wurden aber auch zu anderen unterschiedlichen Arbeiten gebracht, z. B. um Gruben zu graben oder Züge zu säubern. Die Arbeit fing morgens um 06:00 Uhr an und dauerte bis zum Abend. Wir mussten auch waschen und bügeln. Die Arbeit war sehr schwer. Ein Arbeitsplatz war gut. Dort hat man Essen bekommen, deshalb bin ich am Leben geblieben. Man hat uns in den Pausen herausgenommen und uns Essen gegeben. Wir konnten uns Lebensmittelreste mit nach Hause nehmen. Im Ghetto hatte ich einen kleinen Bruder, der nicht arbeiten konnte. Er hat kein Essen bekommen und durfte auch aus dem Ghetto nicht heraus und sich nichts kaufen. Ich habe ihm Essen gebracht. Das hat mich am Arbeitsplatz gehalten. Wir haben in der Küche gearbeitet. Dort konnte man etwas nach Hause mitnehmen, z. B. Brot oder Zucker. Nicht alle hatten so einen Arbeitsplatz.

Das Ghetto hielt nicht lange, ungefähr zwei Jahre. Es gab auch Aktionen. Viele Menschen wurden getötet, vor allem die Alten, die Kinder und die Schwachen, die nicht mehr arbeiten konnten. Sie kamen immer um 04:00 Uhr morgens. Als sie alle Menschen herausnahmen und töteten, sind wir ins Haus geflohen, haben uns bis in die Nachtstunden versteckt. Ich bin dann davongelaufen zu einem Mann, der einmal unser Nachbar gewesen war in Pogrebiszcze. Er war Russe und hatte eine jüdische Frau. Er hat mich aber rausgeworfen. Dann bin ich weiter gelaufen ungefähr zwölf Kilometer zu Fuß. Zwischendurch hatte ich mich in Kartoffelhaufen versteckt. Ich kam dann nach Czermoszne. Dort war eine Familie, die wir vor dem Krieg kannten. Dort bin ich in der Nacht hin und habe an der Tür geklopft. Man hat mir die Tür geöffnet, aber sie hatten selbst viel Angst. Sie hatten Angst, dass jemand uns gesehen haben könnte. Sie haben mir Essen gegeben und gesagt, sie können mir jetzt nicht mehr helfen, denn es seien gerade viele Deutsche im Dorf. Ich habe mich dann in einem Strohschober versteckt, in dem in Form einer Pyramide auf einem Holzgestell Stroh für die Kühe gelagert wurde. Es war dort sehr eng. Ich musste hinein kriechen. Ich tropfte schon vor Blut, weil ich mich an den Holzstäben aufschnitt. Dort habe ich gelegen. Manchmal den ganzen Tag und die ganze Nacht. Ich hatte Angst herauszugehen. Und wenn ich rauskam, konnte ich gar nicht laufen, weil ich so lange gelegen hatte. Im Winter war es sehr kalt. Die Mäuse sind über mich gelaufen. Ich war schon so schwach, es war mir schon fast alles egal. Ich bin über die Felder gestreift und habe mir Essen geholt.

Einmal war an einem Zaun eine Jacke gehängt, die habe ich mir genommen. Die Tage danach kamen dann die Deutschen dorthin und suchten, weil die Leute im Dorf wohl gesagt hatten: "Die Jacke hat bestimmt ein Jude gestohlen." Ich war in meinem Versteck im Heuschober und die Deutschen suchten mit Stangen nach mir. Die Stangen waren vorne spitz und scharf wie ein Messer, aber sie trafen mich nicht damit.

Zwei Jahre lang habe ich so gelebt. Wenn es ruhiger war, hat mich die Familie hereingelassen und etwas zu essen gegeben. Dort gab es einen Trog für das Kuhfutter, darunter gab es eine Grube, in der ich mich verstecken konnte. Draußen war es eiskalt. Sie haben mich manchmal einen Tag dorthin gelassen, aber sie hatten selbst so viel Angst, auch vor ihren Nachbarn. Ich war auch zum Teil auf dem Dachboden. Einmal hörte ich früh morgens, dass die Deutschen da waren und sich unter der Leiter unterhielten. Ich bin dann durch eine Dachluke hinter dem Haus herunter gesprungen. Die Häuser in der Ukraine sind alle sehr niedrig. Ich bin raus und weg. Ein paar Jahre lang lebte ich so. Dann sagte die Familie: "Die Deutschen ziehen schon ab." - da fing ich wieder an, an das Leben zu denken. Die Zeit davor hatte ich nur an den Tod gedacht. Meine vier Geschwister, vier Brüder - die ganze Familie - wurde getötet. Von meiner größeren Familie mehr als 100 Menschen.

Wie es kommt, dass in meiner Akte steht, ich hätte nur vier Stunden täglich gearbeitet: Ich kann mich nicht erinnern, dass ich das gesagt habe. Ich habe den Antrag mit meinem Namen G in kyrillischer Schrift unterschrieben. Ausgefüllt habe ich ihn nicht. Ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß nicht, wo die Angabe "Schneiderwerkstatt" herkommt. Im Stab haben wir die Kleidung für die Deutschen repariert, gebügelt, gewaschen, einmal einen Knopf angenäht. Das war im Haus des Stabes. Dort wurden wir nicht bewacht. Auch auf dem Feld wurden wir nicht bewacht. Um das Ghetto herum gab es einen Metallzaun und auch Wachen. Einmal als wir mit dem Auto zurück ins Ghetto gebracht wurden, habe ich versucht zu fliehen, weil ich noch etwas holen oder besorgen wollte. Dazu habe ich mein Kopftuch über den Judenstern gelegt, aber ich wurde entdeckt. Ich habe 20 Schläge bekommen und konnte nicht mehr aufstehen, dann musste ich die Stiefel des Deutschen küssen und habe noch einen Tritt bekommen.

Bei diesen Worten hat die Klägerin nicht mehr weiter sprechen können und die Sitzung ist zu einer Verhandlungspause unterbrochen worden. Nach Wiedereintritt in die Verhandlung hat die Klägerin fortgeführt:

Wann genau das Ghetto eingezäunt wurde, weiß ich nicht mehr. Es ging alles sehr schnell, vielleicht einige Monate. Genau kann ich mich nicht erinnern. Es war nach der großen Aktion. Es war schon kalt. Ob es November oder Dezember war, weiß ich nicht mehr so genau. An Straßennamen im Ghetto kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Es gab wohl eine Chmelnizkistraße - war das nicht ein Schriftsteller? Wie lange die Zeit im Ghetto dauerte, weiß ich nicht mehr genau, ich meine, es wären zwei Jahre gewesen. Auch als ich floh, war es schon kalt, es regnete bereits. Ich kann mich erinnern, dass ich im Wald lag und es regnete. Es gab schon Garben auf den Feldern und Heuschober. Ich bin zweimal geflohen, das erste Mal nach der ersten Aktion, als die Mutter getötet wurde. Ich bin dann zurück ins Ghetto gekommen. Dann fing das Ghetto an. Ich meine, das Ghetto war nicht lange, vielleicht zwei Jahre - aber wohl mehr als ein Jahr. Als sie das Ghetto schlossen und alle umbrachten, bin ich dann davongelaufen. Da gab es meinen Bruder schon nicht mehr. Es muss nach der Ernte gewesen sein, ich war in den Heuschobern. Zwei Jahre lebte ich so unter den Holzstämmen im Stroh. Aber genau kann ich mich nicht erinnern, wie lange es war. Ich bin dann noch zwei Wochen nach der Befreiung durch die Russen in den Heuschobern geblieben, weil ich Angst hatte, herauszukommen.

Aus unserem gesamten Ort Pogrebiszcze sind nur drei Mädchen am Leben geblieben. Heute gibt nur noch mich und eine andere.

Ich möchte noch etwas berichten, was mir wichtig ist, auch wenn es hiermit nicht zusammenhängt. In Pogrebiszcze gab es auch zwei Deutsche - Volksdeutsche -, die haben eine jüdische Familie mit vier Personen versteckt. Einer hat sie dann aber verraten und davon erzählt. Man hat dann die Deutschen und die von ihnen versteckte Familie getötet."

Der Berichterstatter hat zu Protokoll gegeben, dass die Klägerin nach seinem Eindruck authentisch berichtet habe. Die Anhörung des Klägers ist im Einverständnis mit allen im Termin Anwesenden durch eine Videokamera aufgezeichnet worden. Ergänzend ist den Beteiligten der Erfahrungsbericht des Berichterstatters über die Erfahrungen aus den anderen Anhörungsterminen in Israel übersandt worden. Darin heißt es u.a., die Kläger hätten sich befriedigt über die Möglichkeit gezeigt, ihre Zeit im Ghetto vor einem deutschen Richter schildern zu können. In keinem Fall sei es zu einer Überforderungssituation gekommen. Alle Kläger seien nach dem in der persönlichen Anhörung gewonnenen richterlichen Eindruck glaubwürdig gewesen.

In einer ergänzenden Stellungnahme unter Berücksichtigung der Angaben der Klägerin aus der persönlichen Anhörung sowie einer zwischenzeitlich zugänglich gewordenen wissenschaftlichen Arbeit über den Generalbezirk Zytomyr, die am Rande auch den Ort Pogrebiszcze erwähnt, hat der historische Sachverständige Prof. Dr. Golczewski ausgeführt, die Angabe der Klägerin, sie sei nach den Erschießungen in ihrem Heimatort in das Ghetto gekommen, gestatte eine zeitliche Fixierung auf Oktober/November 1941. Zwar sei es im Gebiet von Zytomyr auch schon vor dem August 1941 zu Erschießungen gekommen, es sei aber nicht klar, ob sie auch schon in Pogrebiszcze stattgefunden hätten. Für Oktober 1941 seien für Pogrebiszcze umfassende Massaker durch Erschießungen belegt. Ab 1943 sei die ehemalige Wohnstätte der Juden in Pogrebiszcze dann ein Ausbildungslager für ukrainische Schutzmannschaften gewesen, so dass zu dieser Zeit das Ghetto bereits aufgelöst sein musste. Juden, die ab Sommer 1942 in Verstecken aufgespürt worden seien, seien getötet worden, so wie es die Klägerin in ihrem Bericht dargelegt habe. Dies gestatte es, die Aufenthaltszeit im Ghetto in der Zeit zwischen November 1941 und dem Juni 1942 als sicher anzunehmen. Da die Klägerin angegeben habe, sie sei bis Juli 1943 im Ghetto gewesen, sei eher anzunehmen, dass sie bis Juli 1942 dort gewesen sei und anschließend in die Illegalität abtauchte. Die anschließende Zeit im Versteck käme dann an die angegebenen zwei Jahre heran. Für die Zeit im Ghetto sei dann nach den in der Literatur angeführten Umständen, wie auch nach der übrigen Sachlage im deutsch besetzten Reichskommisariat Ukraine keine über acht bis neun Monate hinausgehende Aufenthaltszeit anzunehmen. Die alternative Deutung der Zeitangaben wäre, dass die Klägerin tatsächlich bis zum Sommer 1943 in einem Restghetto gelebt hätte, das Spezialisten (Schuster, Schneider und andere für die Deutschen "nützliche" Juden) vorbehalten gewesen sei. Das würde die Zeit der Klägerin im Versteck auf ca. neun Monate reduzieren, die ihr dann wegen der erzwungenen Untätigkeit allerdings sehr lang vorgekommen sein könnte. Diese Alternative habe aber den Nachteil, dass ein so vorausgesetztes Ghetto historisch nicht nachgewiesen sei und auch dem widersprechen würde, dass in der Ghettostraße eine Ausbildungsstätte für ukrainische Schutzmannschaften eingerichtet wurde.

Sodann ist die Videoaufnahme von der persönlichen Anhörung der Klägerin der Sachverständigen Prof. Dr. R zur aussagepsychologischen Auswertung übersandt worden. Die Sachverständige hat erklärt, die kritische Sichtung der Aussage habe keinerlei Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussagen der Klägerin erbracht; der physische und psychische Zustand der Klägerin habe altersgemäß gewirkt; die Klägerin habe spontan reagiert; nichts erscheine zurecht gelegt; emotional handele es sich bei den Erlebnissen im Ghetto und im Versteck um Zeiten extremer Belastung, die gleichwertig nebeneinander stünden; immer wieder schienen auf bestimmte Stichworte hin Erinnerungsbilder vor dem inneren Auge der Klägerin aufzutauchen; authentisch wirke auch, dass sie je nach zeitlichem Kontext immer wieder zwischen Jiddisch, Russisch, Deutsch und Hebräisch gewechselt habe.

Die Beklagte hat erklärt, das Gutachten des historischen Sachverständigen Prof. Dr. Golczewski zum Ghetto Pogrebiszcze enthalte keine wesentlichen neuen Erkenntnisse. Wie stichhaltig die Hinweise des Sachverständigen sei, könne von der Beklagten ohne nähere Kenntnis der angeführten Quellen nicht beurteilt werden. Nach den Darstellungen vieler anderer Antragsteller sei den Ausführungen des Gutachters zur Wahrscheinlichkeit des klägerischen Vortrages nicht zuzustimmen; denn Aufräumungs- und Feldarbeiten hätten nach diesen Darstellungen eher die ganze Arbeitskraft der Verfolgten in Anspruch genommen. Auch nach dem Gespräch mit der Klägerin hätten sich die Unklarheiten eher verstärkt, in welchem Umfang die angegebene freiwillige Beschäftigung neben bzw. während der 8-stündigen nicht freiwilligen Beschäftigung ausgeübt worden sei. Die pauschale Bewertung des persönlichen Eindrucks der Klägerin als glaubwürdig durch das Gericht sei bei weitem zu undifferenziert. Zwar habe die Klägerin den Eindruck erweckt, in vielen Detailschilderungen die Zeit im Ghetto getreu nach ihrer Erinnerung wiederzugeben. Es gebe aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin diesen Willen erstmals bei der persönlichen Befragung durch das Gericht gehabt habe und eine Person sei, die bei anderen Gelegenheiten leichtfertig oder zielgerichtet Aussagen gemacht oder jedenfalls unterzeichnet habe. Damit entstehe die Schwierigkeit, dass einander widersprechende Aussagen vorlägen. Die Anhörung in Israel habe nicht aufgezeigt, welche Darstellung der Klägerin deutlich den Vorzug genieße. Es sei zwar nicht zu erwarten gewesen, dass die Klägerin, ohne frühere Aussagen noch einmal zu lesen, 2007 exakt das gleiche erkläre wie 2003 bzw. 1966. Gewisse Abweichungen erhöhten eher die Glaubwürdigkeit. Dies heiße aber nicht, dass immer dem 2007 Erklärten der Vorzug vor früheren Aussagen zu geben sei. Es sei vielmehr ein gewisser Richtsatz, dass zeitnähere Angaben eine größere Wahrscheinlichkeit für sich hätten. Schließlich folge die Beklagte auch nicht der Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R -.

Die Videoaufzeichnung der Anhörung vom 21.03.2007 ist im Senatstermin abgespielt worden, wobei Einverständnis bestanden hat, dass sie akustisch fast vollständig verständlich gewesen ist. Im Termin hat der Bevollmächtigte der Beklagten zunächst Bezug auf die generellen Einwände der Beklagten gegen die Anhörung in Israel, die dort vom Berichterstatter angewandte Vernehmungstechnik und die Protokollierung der Anhörung genommen. Mit Blick auf den Fall der Klägerin hat er Übereinstimmung mit dem Eindruck des erkennenden Senats eingeräumt; die Bedingungen, unter denen die Klägerin gearbeitet habe, seien nach der Anhörung sehr klar geworden; dass die Klägerin verschiedene Arbeitsplätze beim so genannten Stab inne hatte; die frühere Darstellung, dass es sich um ein 4-Stunden Arbeitsverhältnis in einer Schneiderwerkstatt und daneben um Zwangsarbeiten gehandelt habe, könne nach ihrer Anhörung nicht mehr aufrecht erhalten werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens und des Beweisergebnisses wird auf die Sitzungsniederschriften des erkennenden Senats, die eingeholten Sachverständigengutachten, die Gerichtsakte mit Anlagen, die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Entschädigungsakte aus dem BEG-Verfahren der Klägerin sowie auf die Videoaufzeichnung ihrer Anhörung in Israel verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des erkennenden Senats gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Die Klägerin hat im zugesprochenen Umfang Anspruch auf Altersrente nach dem ZRBG. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind insoweit rechtswidrig und beschweren die Klägerin im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren sozialen Rechten aus §§ 1 bis 3 ZRBG.

Dabei geht der Senat für die Auslegung der vorgenannten Vorschriften von den unter A. dargelegten Kriterien aus. Die zur Ausfüllung dieser Voraussetzungen im Einzelfall der Klägerin getroffenen Feststellungen beruhen auf der tatrichterlichen Würdigung aller Umstände des Einzelfalles durch den erkennenden Senat (hierzu unter B). Die Einwände der Beklagten gegen die Berücksichtigung der persönlichen Anhörung der Klägerin greifen nicht durch (hierzu unter C). Eine über den Zeitraum von November 1941 bis Juni 1942 hinausgehende Ghettobeitragszeit lässt sich demgegenüber nach dem Ergebnis der historischen Ermittlungen des Senates nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit im Sinne einer guten Möglichkeit feststellen. Die Berufung war daher insoweit zurückzuweisen (dazu unter D.).

A.

I. Der erkennende Senat hält im Kern an der vom 13. Senat des BSG im Urteil vom 7. Oktober 2004 - B 13 RJ 59/03 - vertretenen Auffassung fest, dass es sich bei den Vorschriften der §§ 1 bis 3 ZRBG um Bestimmungen handelt, die auf dem Boden der bis zum Jahr 2002 ergangenen sogenannten Ghettorechtsprechung des 5. und 13. Senats des BSG stehen und die das bis dahin in Kraft befindliche Rentenrecht einschließlich des Fremdrentengesetzes (FRG) und des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) ergänzen und nur teilweise verdrängen. Der Auffassung des 4. Senats im Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 4 R 29/06 R - Rn 104 - , als Entgelt i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1b ZRBG genüge jede Zuwendung wegen geleisteter Arbeit, unabhängig von ihrer Art oder Höhe, vermag der erkennende Senat nicht beizutreten. Soweit der 4. Senat des BSG (aaO Rn 102) ausführt, das Nichtvorliegen von Zwangsarbeit sei keine Tatbestandsvoraussetzung des § 1 ZRBG, folgt der erkennende Senat dem nicht. Das gilt auch für die Annahme des 4. Senats (aaO Rn 50 und 65), dass nach § 1 Abs. 3 ZRBG die Entstehung eines Rechts auf Altersrente, soweit sie auf der gleichgestellten Vorleistung von Ghettobeitragszeiten i.S.d. ZRBG beruht, die Erfüllung einer allgemeinen Wartezeit von 60 Monaten nicht voraussetzt (dazu unter II.). Im Übrigen legt der erkennende Senat hinsichtlich der Auslegung der Begriffe "Zwangsarbeit", "Ghetto" und "Beschäftigung aus eigenem Willen" Folgendes zugrunde:

1.

Um ein "Ghetto" im Sinne des § 1 ZRBG handelt es sich jedenfalls bei solchen Wohnbezirken, in denen Juden durch eine Aufenthaltsbeschränkung vollständig und nachhaltig durch die Androhung schwerster Strafen oder durch Gewaltmaßnahmen von der Umwelt abgesondert wurden und die sich in einem Gebiet befanden, das rechtlich als vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert zu qualifizieren ist, womit der faktische Herrschaftsbereich des NS-Staates gemeint ist. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob auch ein sogenanntes "offenes" Ghetto unter den Ghetto-Begriff i.S.d. § 1 ZRBG fällt. Denn auf den Unterschied zwischen "offenem" und "geschlossenen" Ghetto kommt es im Fall der Klägerin rechtlich nicht an. Vielmehr lässt sich aus den unter B. dargelegten Gründen feststellen, dass sie in ihrer Zeit in Pogrebiszcze in einem "geschlossenen" Ghetto war (eingehend zum Problemkreis des Ghettobegriffs: LSG NRW, Urteil v. 1. September 2006 - L 14 R 41/05; Urteil v. 15. Dezember 2006 - L 13 RJ 112/04 - mit anhängiger Revision - B 5 R 12/07 R -).

2.

"Beschäftigung" i.S.d. § 1 ZRBG ist jede nicht selbständige Arbeit. Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ist nicht notwendig. Anhaltspunkte sind eine von Weisungen eines anderen hinsichtlich Zeit, Ort, Dauer, Inhalt oder Gestaltung abhängige Tätigkeit sowie eine gewisse funktionale Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Unternehmens oder Weisungsgebers, wobei die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls und das sich daraus ergebende Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit maßgeblich sind. Auch Arbeiten und Dienstleistungen, die außerhalb des räumlichen Bereichs eines Ghettos verrichtet wurden, werden dabei vom ZRBG erfasst, wenn sie Ausfluss der Beschäftigung im Ghetto waren (4. Senat des BSG a.a.O. Rn. 99 mit Hinweis auf Bundestagsplenarprotokoll 14233 vom 25. April 2002, 23281). Die Arbeit muss dem Verfolgten lediglich von einem Unternehmer oder einer Ghettoautorität mit Sitz im Ghetto (z.B. dem örtlichen Judenrat) angeboten oder ähnlich einer Arbeitnehmerüberlassung oder einer Arbeitsvermittlung zugewiesen worden sein. Eine direkte Rechtsbeziehung mit unmittelbarem Entgeltzufluss zwischen einer deutschen Dienststelle und den betroffenen Ghettobewohnern ist daher nicht erforderlich.

3.

Eine freiwillige Beschäftigung "aus eigenem Willen" scheidet dann aus, wenn der Arbeitende von hoher Hand unter Ausschluss jeder freien Willensbetätigung zur Arbeit gezwungen wurde, z.B. bei Strafgefangenen oder KZ-Häftlingen. Ein eigener Willensentschluss i.S.d. ZRBG liegt demgegenüber vor, wenn die Arbeit vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage im Ghetto jedenfalls auch noch auf einer - wenn auch auf das Elementarste reduzierten - Wahl zwischen wenigstens zwei Verhaltensmöglichkeiten beruhte. Solange NS-Verfolgte hinsichtlich des Zustandekommens und/oder der Durchführung der zugewiesenen angebotenen Arbeiten noch eine gewisse Dispositionsbefugnis hatten, sie also die Annahme und/oder Ausführung der Arbeiten gegenüber dem, der sie ihnen zuwies, auch ohne unmittelbare Gefahr für Leib, Leben und ihre Restfreiheit ablehnen konnten, liegt keine Unfreiwilligkeit vor, auch dann nicht, wenn sie deshalb mangels eines Entgelts weniger oder nichts mehr zu Essen hatten. Gleiches gilt für eine nur den Zwangsaufenthalt im Ghetto aufrecht erhaltende, also vor allem eine fluchtverhindernde Bewachung bei Beschäftigungen außerhalb des räumlichen Ghettobereichs (vgl. 4. Senat des BSG aaO Rn 102 mwN).

II.

Nach wie vor erachtet der erkennende Senat indes zur Anwendung des ZRBG die Abgrenzung von der Zwangsarbeit nach dem sozialversicherungsrechtlichen Typus des Beschäftigungsverhältnisses für geboten (so auch Urteil L 8 R 54/05 vom 06.Juni 2007). Dazu ist nicht nur auf den Grad der Freiwilligkeit abzustellen, sondern auch auf eine von Zwangsarbeitsbedingungen deutlich unterscheidbare Entgelthöhe. Der erkennende Senat gründet diese Auslegung auf die Erkenntnis, dass der Gesetzgeber mit dem ZRBG trotz des Betretens von Neuland in der rentenrechtlichen Tradition der durch die BSG-Urteile des Jahres 1997 vorgezeichneten Ghetto-Rechtsprechung geblieben ist und an der Differenzierung zwischen Zwangsarbeit und Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne festhält (hierzu unter 1.). Der Senat sieht sich jedoch aufgrund neuer historischer Erkenntnisse gehalten, seine bisherige Rechtsprechung zur Feststellung einer für die Anwendung des ZRBG ausreichenden Höhe des Entgelts zu modifizieren und stellt dazu - als Hilfstatsache bei Beweisnot - nunmehr auch auf die Frage ab, ob das im Ghetto erhaltene Entgelt objektiv dazu ausreichte, neben dem Arbeitenden selbst auch weitere Menschen über einen erheblichen Zeitraum zu ernähren oder hierzu einen entscheidenden Beitrag zu leisten (hierzu unter 2.). Im Übrigen setzt auch ein Rentenanspruch nach dem ZRBG die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von 60 Monaten voraus, nicht aber die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (hierzu unter 3.).

1.

Die grundsätzliche Fortgeltung der sogenannten Ghettorechtsprechung des BSG (Urteile vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 66/95 -; 21. April 1999 - B 5 RJ 48/98 R -; 14. Juli 1999 - B 13 RJ 61/98 R) für die Auslegung des ZRBG ergibt sich aus der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksachen - BT-Drs. - 14/8583 Seiten 1, 5 und 14/8602 Seiten 1, 5), die ausdrücklich auf diese Urteile Bezug nimmt, sowie aus dem Wortlaut der gesetzlichen Überschrift ("Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten ..." - ebenso LSG NRW, Urteil v. 7. Mai 2007 - L 3 R 34/07). Zudem vertraten in der Bundestagsdebatte alle Fraktionen des Deutschen Bundestages den Standpunkt, das ZRBG schließe eine rentenrechtliche Lücke für den besonderen Personenkreis der Ghettoüberlebenden (BT-Plenarprotokoll 13/233; 23279 ff). Für die hier vertretene Auffassung spricht darüber hinaus der systematische Zusammenhang zu dem auch vom 4. Senat des BSG genannten Stiftungsgesetz, vor allem dessen § 16 Abs. 2 Satz 1, der ausdrücklich bestimmt, dass mit Beantragung der dortigen Leistungen durch Erklärung "auf jede darüber hinaus gehende Geltendmachung von Forderungen für Zwangsarbeit gegen die öffentliche Hand unwiderruflich verzichtet" werde, während gemäß § 16 Abs. 3 Stiftungsgesetz weitergehende Ansprüche gegen die öffentliche Hand "unberührt bleiben". Hieraus hat der erkennende Senat mit rechtskräftigem Urteil vom 29. Juni 2005 - L 8 RJ 97/02 - die Notwendigkeit der Abgrenzung von Zwangsarbeit (zu entschädigen nach dem Stiftungsgesetz) und entgeltlicher Arbeit i.S.d ZRBG abgeleitet. Die Rentenversicherungsträger sind diesem Urteil auch bundesweit gefolgt. Der erkennende Senat hält an dieser Entscheidung fest. Schließlich sind auch die außerhalb des Rentenrechts bestehenden allgemeinen entschädigungsrechtlichen Bestimmungen des BEG für die im Ghetto erlittene Freiheitsentziehung und Gesundheitsbeschädigung durch Hunger und Misshandlung als Beleg heranzuziehen, insbesondere § 43 Abs. 3 BEG, der Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen der Freiheitsentziehung gleichachtet (hierzu Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil v. 25. Juni 1970 - IX 241/67 - mwN). Wären Ansprüche nach dem ZRBG demgegenüber, entsprechend dem Verständnis des 4. Senats des BSG, unabhängig vom Vorliegen oder Nichtvorliegen von Zwangsarbeit und einer deren Bedingungen typischerweise deutlich übersteigenden Entgelthöhe zu gewähren, so würde sich in der Tat die auch vom 4. Senat am Ende seiner Entscheidung (Rn 118) aufgeworfene Verfassungsfrage stellen, warum nicht auch alle anderen Gruppen von Zwangsarbeitern, also auch solchen, die nicht in einem Ghetto leben mussten, Anspruchsberechtigte dieser Leistung sein sollen. Eine generelle Entschädigung aller im 2. Weltkrieg zur Arbeit für Deutschland gezwungenen Kriegsopfer würde jedoch deutlich über den im ZRBG erklärten gesetzgeberischen Willen hinausgehen. Bisheriger außen- und staatspolitischer Praxis der Bundesrepublik Deutschland folgend ist eine solche generelle Reparationsregelung vielmehr in allen völkerrechtlichen Verträgen zur Regelung der Folgen des 2. Weltkrieges, angefangen vom Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953 - BGBl Teil II 331 - in Art 5 Abs. 2 bis hin zum Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990- BGBl Teil II 1317 -, bei der Wiedervereinigung Deutschlands vermieden worden (vgl. Bericht der Bundesregierung über Wiedergutmachung und Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht - BT-Drs. 10/6287, S. 8 ff, s. auch § 1 Abs. 1 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes - AKG - aus dem Jahr 1957 - BGBl Teil I 1745, hierzu Pagenkopf AKG 1958, Einführung und Art 1 Anmerkung 1 ff). Eine Änderung dieser Grundentscheidung würde zu außerordentlich weit reichenden staats-, außen- und haushaltspolitischen Konsequenzen führen und hätte, wenn sie mit dem ZRBG hätte bewirkt werden sollen, klaren Ausdruck im Gesetz finden müssen. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat den in dieser Frage bestehenden außerordentlich weiten politischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ausdrücklich anerkannt (Beschluss des 2. Senats vom 13. Mai 1996 - 2 BvL 33/93 -; allgemein zu den Auslegungsgrenzen: BVerfGE 11, 16, 130). Zu einer mittelbaren Änderung der in der Gesetzgebung zum ZRBG getroffenen politischen Grundentscheidung sieht der erkennende Senat die Rechtsprechung als dem Gesetz unterworfene Gewalt gemäß Artikel 20 Abs. 3 und Artikel 97 Abs. 1 Grundgesetz (GG) iVm § 31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) daher nicht befugt (so auch 13. Senat des BSG, Urteil v. 7. Oktober 2004, aaO Rn 44).

2.

Unabhängig davon gibt das Urteil des 4. Senats des BSG vor dem Hintergrund neuer historischer Erkenntnisse Anlass, die bisherige Rechtsprechung zum Entgeltbegriff des ZRBG zu modifizieren. Nach dieser Rechtsprechung war festzustellen, zur Zuteilung welcher genauen Mengen welcher Nahrungsmittel die Coupons im jeweiligen Ghetto berechtigten und welchen Gegenwert diese Dinge damals besaßen. Es hat sich in der (den Beteiligten des Verfahrens bekannten) Praxis der jüngsten Beweiserhebungen des erkennenden Senats zu den Gebieten des Baltikums, Polens und der Ukraine im 2. Weltkrieg gezeigt, dass diese Umstände für die allermeisten Überlebenden nach so langer Zeit nicht erinnerbar und auch historisch kaum aufklärbar sind, zumal sich daran weitere ungeklärte Fragen anschließen, wie etwa, ob für den Wert von Lebensmitteln auf offiziell von deutscher Seite festgelegte Preise oder die real auf dem (schwarzen) Markt in Ghettos geltenden Tauschrelationen abzustellen ist.

Die Anerkennung eines ZRBG-Anspruchs hing danach zudem davon ab, ob die jeweiligen lokalen NS-Machthaber in Ghettos oder besetzten Gebieten in irgendeiner Form "ortsübliche Löhne" festsetzten oder nicht. Nur im Ghetto Lodz, das sowohl dem BSG in seiner Ghettorechtsprechung wie auch dem Deutschen Bundestag bei Verabschiedung des im Anschluss an diese Rechtsprechung ergangenen ZRBG vor Augen stand, galt nämlich wegen - zwar völkerrechtswidriger (so schon James Graf v. Moltke 1940 unter Hinweis auf die Haager Landkriegsordnung in: Sitzung der Sektion Völkerrecht der Akademie für deutsches Recht, Diskussionsprotokoll, Bundesarchiv Berlin/Koblenz R 61/360; ferner Ipsen, Völkerrecht, 5. Auflage 2004, § 23 Rn 42 ff), aber formal-juristisch wirksamer Annexion der westlichen Teile der Republik Polen durch das Deutsche Reich die RVO (Ostgebiete-Verordnung v. 22. Dezember 1941 - Reichsgesetzblatt Teil I 777) und damit auch die §§ 1227 bzw. 1228 RVO, auf denen die o.g. Einschränkungen beruhen.

Für die außerhalb des ("groß"-) deutschen Reichsgebiets liegenden besetzten Gebiete ergibt sich demgegenüber auf Basis der neuesten, auch den Beteiligten bekannten historischen Erkenntnisse des erkennenden Senats sowohl nach den unterschiedlichen Phasen und Orten des Kriegs- sowie Besatzungsverlaufs als auch den verschiedenen im NS-Staat willkürlich miteinander rivalisierenden NS- und Militärorganisationen (Wehrmacht, Rüstungsindustrie, Organisation Todt, SS, SA, Einzelpersonen- und Firmen etc.) ein von reinen Zufällen und gravierenden inneren Widersprüchen gekennzeichnetes Bild über die Festsetzung der örtlichen Löhne sowohl für die nicht-jüdische Bevölkerung als auch für die dort verfolgten Juden. "Recht" war das, was örtliche NS-Machthaber als Lohn oder Ration in Ghettos verordneten, ohnehin in keinem Fall (grundlegend: Gustav Radbruch, Gesetzliches Unrecht und überpositives Recht, in: Süddeutsche Juristenzeitung 1946, 105 ff unter III.; vgl. auch 4. Senat des BSG aaO Rn 109, 114). Die aus heutiger Sicht gebotene wenigstens nachträglich gleiche Anwendung vergleichbarer Maßstäbe für vergleichbare Umstände darf von diesem willkürverzerrten Verhalten lokaler NS-Stellen nicht abhängig sein. Dies verkennt die sogenannte Anspruchstheorie, nach der die Anwendung des ZRBG - unabhängig von der tatsächlichen Gewährung von Entgelt - allein von einem hierauf theoretisch bestehenden Rechtsanspruch abhängen soll (dagegen schon Urteil des erkennenden Senats - L 8 R 249/05 -).

Zudem geht der Senat davon aus, dass der Deutsche Bundestag bei Erlass des ZRBG nicht ernstlich gewollt haben kann, dass für die Anwendung dieses Gesetzes durch Verwaltung und Rechtsprechung zu Lasten der Betroffenen so hohe Nachweishürden für die Entgeltlichkeit der Tätigkeit aufgestellt würden, dass für die Überlebenden, die im Regelfall über keinerlei Dokumente aus der damaligen Zeit verfügen, ein Nachweis der entgeltlichen Beschäftigung praktisch unmöglich gemacht wird (vgl. auch § 2 Abs. 2, 2. Halbsatz SGB I). Dem deutschen Bundestag konnte bei Erlass des ZRBG der neueste historische Befund allerdings noch nicht bekannt sein, weil die historische Forschung zu den Ghettos des 2. Weltkrieges im Jahr 2002 erst am Anfang stand und sich seit der Öffnung der Archive in den Staaten des ehemaligen Ostblocks seit Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts im Umbruch befindet (vgl. auch BT-Drs. 15/1476 zu den bei Erlass des ZRBG fehlenden Möglichkeiten die Zahl der Anträge und ihre Ergebnisse zu prognostizieren).

Damit ergab sich für den erkennenden Senat das Erfordernis, ein neues vor Gericht noch heute objektiv überprüfbares aber auch regelmäßig nachweis- und erinnerbares Kriterium zu finden, welches die Unterscheidbarkeit von reiner Zwangsarbeit einerseits und freiwilliger entgeltlicher Tätigkeit andererseits mit dem für die Glaubhaftmachung gebotenen Gewissheitsgrad richterlicher Überzeugungsbildung ermöglicht. Für nicht ausreichend hält der Senat dabei nach wie vor die bloße Versorgung des Betroffenen mit Nahrungsmitteln selbst, selbst wenn diese Ernährung besser war und im Ghetto u.U. größere Überlebenschancen bot (wie im durch den 13. Senat des BSG am 7.Oktober 2004 entschiedenen Fall, dem tatsächliche Feststellungen des erkennenden Senats zugrunde lagen). Das gilt auch, wenn die Nahrungsmittel objektiv nur dazu geeignet waren, den mit der Arbeit verbundenen Kalorienmehrbedarf zu decken (so auch LSG NRW, Urteil v. 8. Dezember 2006 - L 13 R 144/06). Denn die Ernährung zum Zwecke des Erhalts der eigenen Arbeitskraft ist ein Umstand, der in gleicher Weise für Zwangsarbeit typisch ist - schon aus dem reinen Eigeninteresse desjenigen, der die Arbeitskraft der Zwangsarbeiter für sich ausbeutet. Einen deutlichen Unterschied sieht der Senat jedoch dann als hinreichend glaubhaft gemacht an, wenn das Maß des empfangenen Entgelts - unabhängig davon, ob in Form von Bargeld, Coupons oder Naturalien gewährt - objektiv bewertet dazu ausreichte, um nicht nur den Arbeitenden selbst, sondern mindestens eine weitere Person für einen erheblichen Zeitraum zu ernähren oder hierzu einen entscheidenden Beitrag zu leisten, und sei es nur auf dem im Ghetto allgemein herrschenden außerordentlich niedrigen Ernährungsniveau. Denn die Möglichkeit zur Mitversorgung weiterer Angehöriger ist auch nach dem historischen Befund, nach den wirtschaftlichen Bedingungen wie auch im Erleben der Opfer ein grundlegender Unterschied zu der für echte Zwangsarbeit charakteristischen totalen Ausbeutung, wie sie in den Zwangsarbeiterlagern und dann noch später bei der Vernichtung durch Arbeit in den Konzentrationslagern stattfand. Ob dieses Kriterium der objektiven Eignung zur Mitversorgung von Angehörigen jeweils gegeben war oder nicht, ist nach den tatrichterlichen Erfahrungen des erkennenden Senats, der sich insoweit nicht nur auf eine langjährige Praxis und eine Vielzahl von Fällen, sondern auch auf die durch den Berichterstatter in den persönlichen Anhörungen von NS-Opfern in Israel gewonnenen Erkenntnisse stützen kann, praktisch allen Überlebenden der Ghettos, soweit sie heute noch verhandlungsfähig sind, erinnerlich. Denn dieses Kriterium betrifft in aller Regel die nächste eigene Familie, deren Schicksal am intensivsten erlebt wurde.

3.

Im Übrigen bleibt es für die Rechtsanwendung des ZRBG bei dem allgemeinen rentenrechtlichen Erfordernis der allgemeinen Wartezeit von 60 Monaten gemäß §§ 35 Nr. 2, 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Entsprechend hat der erkennende Senat seine Entscheidung daher als Grundurteil tenoriert. Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 ZRBG, die der 4. Senat hier als generelle Regel zitiert, betrifft nämlich nur den auch im Verhältnis zu Israel eingreifenden speziellen Fall, dass zwischen- oder überstaatliches Recht Sonderregeln zur Mindestanzahl an rentenrechtlichen Zeiten trifft (sog. Kleinstzeitenregeln). Ohne diesen Ausschluss des § 1 Abs. 3 ZRBG wären Rentenzeiten von weniger als 12 Monaten (im Verhältnis zu Israel) bzw. von 18 Monaten (im Verhältnis zu den USA) durch den anderen Staat abzugelten (BT-Drs. 14/8583). Der vom 4. Senat des BSG insoweit ergänzend genannte § 3 Abs. 2 ZRBG regelt ebenfalls etwas anderes, nämlich die Frage des Zugangsfaktors, die aber für die Grundvoraussetzungen der Wartezeit nicht relevant ist. In der Praxis liegt darin indes für die Anwendung des ZRBG zugunsten der Berechtigten keine erhebliche Hürde. Fehlende Zeiten können danach nämlich durch das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung gemäß § 7 SGB VI über nachträgliche Annahme von Beiträgen seitens der Beklagten gemäß §§ 197 Abs. 3, 198 Satz 1 SGB VI iVm Art 2 Abs. 1, Art 3 Abs. 1 a) und Art 4 Abs. 1 Satz 1 des Deutsch-Israelischen Sozialversicherungsabkommens (DISVA) vom 17. Dezember 1973 - BGBl. Teil II 246, 443 - in der Fassung des Änderungsabkommens vom 7. Januar 1986 - BGBl Teil II 863, 1099 -, das in Israel lebende israelische Staatsangehörige mit deutschen Versicherten in Deutschland gleichstellt, ausgeglichen werden. Diese Rechtsfolgen haben Rückwirkung bis zum frühestmöglichen Rentenbeginn nach dem ZRBG, d.h. bis zum 1. Juli 1997 (näher hierzu zuletzt Senatsurteil vom 23. Mai 2007 - L 8 R 28/07 - mwN).

Anderes gilt freilich für das Erfordernis des deutschen Sprach- und Kulturkreises (dSK), das im ZRBG ausdrücklich aufgegeben ist und das sich auch nicht aus den allgemeinen Bestimmungen des FRG bzw. des WGSVG in das ZRBG "hineininterpretieren" lässt, wie der 4. Senat des BSG aaO (Rn 105 ff, 114) zutreffend dargelegt hat. Eine solche einschränkende Auslegung würde nämlich dem ursprünglichen Gesetzeszweck zuwiderlaufen (so auch die Stellungnahme der Bundesregierung zu dieser Frage - BT-Drs. 16/5720). Auch würde sie im Ergebnis zu einer historisch fragwürdigen Unterscheidung zwischen deutschsprachigen und nicht-deutschsprachigen Verfolgten führen.

Auch in der tatrichterlichen Praxis würden bei einer solchen Interpretation des Gesetzes für die Instanzgerichte noch weitere, mit erheblichem Aufwand verbundene tatsächliche Feststellungen erforderlich, denn zur Feststellung des dSK ist der Gesamtbereich der mündlichen und schriftlichen Kommunikation unter Ausschöpfung aller erreichbaren Beweismittel konkret zu erfassen und in Beziehung zur jeweiligen Sprachverwendung zu setzen (BSG, Urteile v. 10 März 1999 - B 13 RJ 83/98 R - und 14. März 2002 - B 13 RJ 15/01 R). Die in den Akten häufig anzutreffende bloße Verneinung des zum dSK anzukreuzenden Feldes im Antragsvordruck dürfte - schon wegen fehlenden Problembewusstseins der Antragsteller - dazu keine tragfähige Entscheidungsgrundlage sein.

B.

Die nach den unter A. ausgeführten rechtlichen Voraussetzungen hat die Klägerin im zugesprochenen Zeitraum erfüllt. Die dazu erforderlichen Tatsachen sind insoweit aufgrund freier richterlicher Beweiswürdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens gemäß §§ 128, 202 SGG iVm § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht, d.h. überwiegend wahrscheinlich, was gemäß § 3 WGSVG und § 4 FRG als Beweismaß für Ansprüche nach dem ZRBG ausreicht.

I.

Unter Berücksichtigung aller für den Einzelfall bedeutsamen Umstände stellt der Senat hier jeweils im Sinne einer guten Möglichkeit Folgendes fest:

1.

Im Ort Pogrebiszcze bestand jedenfalls im Zeitraum von November 1941 bis Juli 1942 ein durch einen Metallzaun abgetrennter jüdischer Wohnbezirk, den die "nicht-arischen" Bewohner nicht ohne besondere Erlaubnis, Kennzeichnung und Begleitung verlassen durften. Wer dieser Anordnung nicht Folge leistete, setzte sich, so wie es die Klägerin glaubhaft und eindrucksvoll geschildert hat, der Gefahr schwerster körperlicher Misshandlungen und Demütigungen aus. Dies wird von der Beklagten auch nicht mehr bestritten und steht nach Auswertung der historischen Quellen durch den als Autorität international anerkannten historischen Sachverständigen Prof. Dr. Golczewski für den Senat zweifelsfrei fest. Der Quellenbefund wird zudem durch die Ergebnisse der US-amerikanischen Grabungsfunde jüdischer Massengräber am Ort Pogrebiszcze bestätigt.

Schwieriger zu beurteilen und zu entscheiden war die Frage in welchem Zeitraum das Ghetto in Pogrebiszcze, in dem sich die Klägerin befand, bestanden hat. Hier war auch sie selbst nach ihren eigenen Erinnerungen auf Schätzungen angewiesen. Doch sind rückblickende Zeitschätzungen des eigenen Erlebens nach den Erkenntnissen der Aussagepsychologie und der gerichtlichen Praxis eher unzuverlässig, weil das, was im Gedächtnis haften bleibt, in erster Linie die emotionale Belastung ist (Bender/Nack Rn 132 ff, 620; Arntzen S. 56 ff). Hier zeigt sich bei der Klägerin in typischer Weise, dass für sie die Zeit im Ghetto und die Zeit im Versteck bis zur Befreiung in annähernd gleicher Weise traumatisierend waren und als subjektiv gleich lang erlebt wurden. Dies hat auch die Sachverständige Prof. Dr. R in ihrer gutachterlichen Aussageauswertung bestätigt. Der Senat misst daher den historischen Quellen, die der Sachverständige Prof. Dr. Golczewski in einzelnen ausgewertet und zitiert hat ein gegenüber dem subjektiven Erinnern der Klägerin größeres Gewicht bei. Das führt dazu, die Existenz eines jüdischen Ghettos in Pogrebiszcze als überwiegend wahrscheinlich nur für den zugesprochenen Zeitraum anzunehmen.

2.

Die Klägerin war während ihrer Zeit im Ghetto Pogrebiszcze auch beim örtlichen Judenrat, also einer "Ghettoauthorität" im Sinne des § 1 ZRBG beschäftigt. Sie war in dessen "Betrieb", der durch die Vermittlung von Arbeitskräften an die deutsche Wehrmacht gekennzeichnet war, im notwendigen Umfang organisatorisch eingegliedert. Auf die Existenz eines etwaigen arbeitsrechtlichen Verhältnisses zu den deutschen Bedarfsträgern oder auch zum Judenrat kommt es nach der oben genannten Rechtsprechung nicht an. Die erforderliche gewisse Dauerhaftigkeit ihrer Eingliederung ergibt sich für die Klägerin schon daraus, dass sie über einen Zeitraum von insgesamt 8 Monaten, die von ihr erinnerten zum Teil auch fachlich qualifizierteren Tätigkeiten (kleinere Schneiderarbeiten, Reparieren von Uniformen) verrichtete.

3.

Diese Beschäftigung hat die Klägerin auch aus eigenem Willensentschluss in Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) ZRBG ausgeübt. Denn sie hat sich nach ihren glaubhaften Bekundungen selbst bei den Kapos des örtlichen Judenrates gemeldet und ist bei dieser Arbeit geblieben, um so ihren kleinen damals noch am Leben befindlichen Bruder ernähren zu können. Eine unmittelbare Bewachung bei der Arbeit, die als Indiz für eine Unfreiwilligkeit zu werten wäre, hat es nach den Bekundungen der Klägerin weder im Gebäude des deutschen Stabs noch auf den Feldern oder bei den Zugreinigungsarbeiten gegeben. Die "Bestrafung" der Klägerin für ihren Versuch auf dem Rückweg von der Arbeit nicht direkt ins Ghetto zurückzukehren, stand nicht in unmittelbaren Zusammenhang zu einer von der Klägerin verrichteten Beschäftigung, sondern diente der Erzwingung der allgemeinen Ghettodisziplin. Daher ist sie trotz ihrer Grausamkeit als solche kein gegen die Freiwilligkeit der Arbeit im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) ZRBG sprechender Umstand und kann dem Begehren der Klägerin nicht entgegen gehalten werden.

4.

Die Klägerin erhielt auch ein Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 b) ZRBG für ihre Arbeitsleistung, dass diese deutlich im vom Senat als erforderlich angesehen Umfang von der Zwangsarbeit unterschied. Die ihr für ihre Arbeit im Stab in der Küche zugewiesenen Nahrungsmittel genügten nämlich dafür, auch ihren kleinen Bruder bis zu dessen späteren Ermordung zu ernähren. Dies hat die Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung glaubhaft und im Detail bestätigt. Gerade, dass die Klägerin bei ihrer Arbeit blieb und erst aus dem Ghetto floh, als ihr kleiner Bruder schon tot war, zeigt in aller Deutlichkeit, dass es der Klägerin bei ihrer Beschäftigung im Stab vor allem darum ging, auch ihren Bruder am Leben zu erhalten und dass dies objektiv betrachtet auch bis zu dessen Ermordung möglich war.

Die Klägerin erhielt ihren Verdienst auch nicht nur "bei Gelegenheit", also etwa ohne innere Zweckbeziehung zu der von ihr ausgeübten Beschäftigung. Vielmehr wurde ihr die Verpflegung ausdrücklich "für" die geleisteten Tätigkeiten, das heißt in der für das ZRBG erforderlichen inneren Austausch- und Zweckbeziehung als Gegenleistung gewährt. Auf eine "Gerechtigkeit" oder Angemessenheit zur Gegenleistung kommt es nach Auffassung des erkennenden Senats für die heutige Zuerkennung eines Rentenanspruchs nach dem ZRBG, wie oben dargelegt, nicht an.

II.

Das Vorbringen der Klägerin aus der persönlichen Anhörung wird nicht nur generell vom schriftlichen und mündlichen Gutachten des historischen Sachverständigen Prof. Dr. Golczewski gestützt. Es ist auch nach der tatrichterlichen Einschätzung des erkennenden Senats individuell glaubhaft. Es erfüllt alle maßgeblichen Kriterien für die subjektive Glaubhaftigkeit von Aussagen vor Gericht (Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band I Glaubwürdigkeits- und Beweislehre, Band II, Vernehmungslehre 1995, Rn 231 ff; Arntzen aaO S. 25 ff). Diese Regeln gelten nicht nur für Zeugen, sondern auch für die Angaben von Beteiligten des Verfahrens (Bender/Nack aaO Rn 168, 551).

1.

Die von jeder Selbstbegünstigungstendenz freie Aussagemotivation der Klägerin ist im Termin durchgängig deutlich geworden, nämlich daran, dass es ihr erkennbar darum ging, vor Gericht einen umfassenden und zutreffenden Bericht im Sinne einer Lebensbeichte abzulegen. Bezeichnend ist dafür, dass die Klägerin, nachdem der Berichterstatter zu dem streitbefangenen Zeitraum keine weiteren Fragen mehr hatte, selbst ihr weiteres Verfolgungsschicksal bis zur Befreiung durch die Rote Armee zu Ende erzählen wollte und dabei - als ihr in gleicher Weise wichtigen Teil der Wahrheit - auch von der versuchten Rettung einer jüdischen Familie durch Volksdeutsche ihres Heimatortes berichtet hat. Dies entspricht genau der auch von den Sachverständigen Oberstaatsanwalt a.D. Ambach und Prof. Dr. R in ihren vorbereitenden Gutachten generell in Bezug auf jüdische NS-Opfer als Zeugen vor Gericht geschilderten Aussagemotivation (s. auch Ambach/Köhler, Lublin-Majdanek, Das Konzentrations- und Vernichtungslager im Spiegel von Zeugenaussagen, Juristische Zeitgeschichte, Band 12, Seite XVI; Quindeau, Trauma und Geschichte, Interpretationen autobiographischer Erzählungen von Überlebenden des Holocaust, 1995, 267). Mit Blick auf die geringe Zahl Überlebender aus ihrem Herkunftsort Pogrebiszcze empfindet sich die Klägerin insoweit - mit Recht - als wichtige Zeitzeugin, die etwas von Bedeutung für die Nachwelt auch jenseits des ganz persönlichen Schicksals zu berichten hat.

2.

Ihr Vorbringen war auch quantitativ außerordentlich detailreich und voller spezifischer Umstände, angefangen von der Zeit des deutschen Einmarschs mit dem grausamen Ende fast ihrer gesamten Familie über die Arbeit im Stab und der Zeit im Ghetto einschließlich der Einzelnamen von Personen ("Moischele") bis hin zu ihren Erlebnissen im Versteck und der schließlichen Befreiung durch die Russen. Die Klägerin schilderte auch eigenpsychische Vorgänge wie z. B. ihren fast erloschenen Lebensmut in der Zeit des Verstecks und ihre Angst vor einer Entdeckung. Sie hat ihre Schilderung auch phänomengebunden abgegeben, d.h. ihre Aussage hat sich auf das rein äußerliche Phänomen ihres Beobachtungsgegenstandes beschränkt. Auch originelle Einzelheiten wie der Sprung vom niedrigen Dach des ukrainischen Bauernhauses bei einer Kontrolle durch die Deutschen und negative Komplikationsketten sind in der Aussage der Klägerin enthalten ("wir wussten damals noch nicht was kommt; mein Großvater meinte, die Deutschen seien gut" in Bezug auf die Frage nach dem Beginn der Verfolgung in der Zeit vor Errichtung des Ghettos). Ferner enthält sie inhaltliche Verschachtelungen (z.B. die erste und die zweite Flucht aus dem Ghetto). Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Klägerin von Erlebnissen berichtet, die mittlerweile 60 Jahre zurückliegen, so dass ihre Gedächtnis- und Erinnerungsleistung eingeschränkt ist (allgemein dazu Anrtzen aaO S. 56 f). Es gibt aber keinen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend, dass man sich an über 50 Jahre zurück liegende Geschehnisse nicht erinnern kann (so schon BSG Urteil vom 13.10.1955 - 3 RKn 25/54 -). Die Annahme, die zeitnäheren Angaben genössen immer den Vorrang vor den späteren, wäre demgegenüber ein Verstoß gegen das Verbot vorweggenommener Beweiswürdigung (so zuletzt BSG, Beschluss v. 12. April 2005 - B 2 U 272/94 B).

3.

Hinweise darauf, dass es in der Erinnerung der Klägerin zu einer nachträglichen Überlagerung unterschiedlicher Gedächtnisschichten gekommen wäre, haben sich in der persönlichen Anhörung nicht gefunden. Vielmehr war am Bericht der Klägerin für den erkennenden Senat deutlich erkennbar, wie ihr das früher Erlebte - z.T. schmerzhaft - nochmals vor ihrem inneren Auge lebendig wurde. Diese Form der Rückerinnerung ("wie in einem Farbfilm") ist ein unverkennbares Merkmal der Wahrhaftigkeit einer Aussage (Bender/Nack aaO Rn 174). Auch die Beklagte hat ausdrücklich eingeräumt, dass die Klägerin in der Anhörung vor dem Berichterstatter aufrichtig bemüht war, vor Gericht die Wahrheit zu sagen. So hat sie insbesondere die genauen Zeiträume im Termin auf die jeweiligen Fragen des Berichterstatters als nicht mehr erinnerlich gekennzeichnet und damit deutlich gemacht, dass sie nur das bekundet hat, woran sie sich aktuell präsent zuverlässig erinnern konnte ("Ich lag im Wald und es regnete"). Bei ihren Erinnerungslücken handelt es sich ebenso wie bei den Erinnerungsergänzungen um einen typischen gedächtnispsychologischen Vorgang, wie ihn die Sachverständige Prof. Dr. R in ihrem vorbereitenden Gutachten (das nicht zuletzt auch zum Zwecke der späteren Beweiswürdigung eingeholt wurde) näher geschildert hat und wie ihn auch Bender/Nack (aaO Rn 110 ff) beschreiben. Im Übrigen hat die Klägerin lebhaft gesprochen, mit ausdrucksvoller Gestik und Körpersprache, wobei sie nach anfänglicher Scheu auch den Augenkontakt zum Berichterstatter gesucht und gehalten hat. Dass die Schilderung eigener Gefühle - die nach Arntzen ein wichtiges generelles Glaubhaftigkeitsmerkmal ist (aaO S. 27; 68 ff) - im Bericht der Klägerin dabei eher von ihr unterdrückt wurde, entspricht dem nach den Untersuchungen der Sachverständigen Prof. Dr. R bei NS-Opfern vorherzusehenden spezifischen Befund. Als die Klägerin jedoch über ihr Erlebnis der demütigenden Bestrafung für ihren Versuch, heimlich außerhalb des Ghettos Besorgungen zu machen, berichtete, wurde sie erkennbar von der schmerzvollen Erinnerung so sehr überwältigt, dass die Sitzung unterbrochen werden musste und erst nach einer Pause von 15 Minuten fortgesetzt werden konnte.

III.

Soweit die Beklagte die vom Berichterstatter vor Ort angewandte Vernehmungstechnik generell beanstandet, verkennt sie die rechtlichen Vorgaben richterlichen Handelns, wie sie allgemein für jede Vernehmung vor Gericht und besonders für die Anhörung von NS-Opfern gelten. So ist das Gebot der Freundlichkeit, des Interesses und der Anteilnahme gegenüber gerichtlichen Auskunftspersonen in der richterlichen Vernehmungslehre allgemein anerkannt (Bender-Nack aaO Rn. 502 ff; Balzer, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung im Zivilprozess, 2001, 159 ff). Freundlichkeit im Umgang mit Auskunftspersonen stärkt sogar den Beweiswert ihrer Angaben, denn sie erhöht die Hemmschwelle, dem Richter mit Bedacht etwas Unwahres zu sagen (Balzer aaO Rn 161). Die Erfahrungen des Gerichts mit Anhörungen in Israel haben im Übrigen belegt, dass bei Anwendung der Gebote zugewandter richterlicher Vernehmungstechnik und der durch Frau Prof. Dr. R aufgezeigten Vorgaben eine Überforderungssituation oder gar Retraumatisierung der befragten NS-Opfer, die zunächst auch von der Beklagten befürchtet worden war, vermieden werden kann. Dabei ist Freundlichkeit nicht mit einer unkritischen Haltung zu verwechseln, zumal nicht in der anschließenden Beweiswürdigung. Auch kritische Vorhalte können - und sollen - aber vor Gericht in möglichst milder Form vorgebracht werden (Bender/Nack aaO Rn 505, 594).

Dass den anwesenden Beteiligten schließlich vom Berichterstatter jeweils noch im Termin eine Rückmeldung über dessen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit gegeben wurde, entspricht ebenfalls allgemeinen richterlichen Grundsätzen und dem Gebot der Verfahrensfairness (Bender/Nack a. a. O. Rdnr. 511, 497). Auch nach den vorbereitenden Hinweisen der Sachverständigen Prof. Dr. R war es geboten, den persönlichen Eindruck des Befragers zeitnah festzuhalten. Aus rechtsstaatlichen Gründen (Art 103 GG iVm §§ 107, 62 SGG) ist dies offen im Termin geschehen und zu Protokoll genommen worden.

IV.

Das Vorbringen der Klägerin wird durch die von ihr bzw. ihren Bevollmächtigten in das Verfahren eingeführten eidesstattlichen Versicherungen und/oder ihre früheren Angaben im BEG- und JCC-Verfahren nicht durchgreifend in Frage gestellt.

1.

Zwar stehen die eidesstattlichen Versicherungen der Klägerin zum Teil im Widerspruch zu ihren Angaben während der Anhörung, insbesondere was die Art und die zeitliche Dauer ihrer täglichen Arbeit im Ghetto betriff. Den Angaben in der Anhörung gebührt indessen im Rahmen der Beweiswürdigung der Vorzug. Die eidesstattlichen Versicherungen der Klägerin sind bei weitem nicht so detailliert wie ihre heutigen Schilderungen und decken auch nicht deren gesamten Inhalt mit ab. Dass die Klägerin sich während der Anhörung nicht mehr an alle Angaben aus den eidesstattlichen Versicherungen erinnern konnte, spricht dabei eher für ihre Glaubwürdigkeit (vgl. Arntzen aaO S. 57). Zudem kann der Senat die Entstehungsumstände der eidesstattlichen Versicherungen - anders als die der richterlichen Anhörung - nicht genau überprüfen. Insbesondere ist unklar, ob die Klägerin (bzw. dem damals tätigen Dolmetscher und dem Aufnehmenden der Erklärung) die Bedeutung des Rechtsbegriff "Zwangsarbeit" bei der Abfassung bekannt war.

2.

Ähnlich verhält es sich mit den eidesstattlichen Erklärungen aus den BEG-Verfahren.

Diese sind zunächst im Wege des Urkundsbeweises verwertbar. Datenschutzrechtliche Gesichtspunkte stehen einer Beiziehung und Verwertung nicht entgegen (vgl insoweit BSG, Beschluss v. 31. Mai 2007 - B 13 R 37/07 B -). Unmittelbar erbringen diese Urkunden allerdings gemäß § 118 SGG i.V.m. § 439 Abs. 2 ZPO lediglich darüber Beweis, dass die in den BEG-Verfahren enthaltenen Erklärungen in den 50er Jahren so von der Klägerin abgegeben und von den Entschädigungsbehörden gemäß §§ 176, 40 Abs. 3 BEG im Rahmen ihrer Amtsermittlung in Empfang genommen worden sind. Ein Beweis über die Wahrheit ihres Inhalts ist damit weder über § 438 ZPO noch über § 418 Abs. 3 ZPO verbunden, denn es handelt sich nicht um öffentliche Urkunden. Eine unmittelbare Bindungswirkung für Dritte entfalten auch die später auf dieser Grundlage getroffenen Entscheidungen der Entschädigungsbehörden nicht.

Für das heutige sozialgerichtliche Verfahren folgt daraus die Pflicht, die damaligen Erklärungen selbständig zu würdigen. Dabei ist zunächst aufzuklären, wie genau sie entstanden sind und - wie bei jeder Analyse von Erklärungen oder Texten - in welchem rechtlichen und zeitgeschichtlichen Zusammenhang sie standen (exemplarisch: Senatsurteil v. 29. Juni 2005 - L 8 RJ 97/02). Dabei ist für BEG-Akten zu berücksichtigen, dass es damals im Rahmen des § 43 BEG um Fragen der Freiheitsentziehung ging und (heute rentenrechtlich differenziert zu betrachtende) Zeiträume zusammengefasst werden konnten. Um eine zeitnahe "frische" und "unverfälschte" Schilderung des Verfolgungsschicksals wie z.B. gegenüber einem alliierten Betreuungsoffizier unmittelbar nach dem Krieg (zu einem solchen - seltenen - Fall: Oberlandesgericht München in: Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1966, 174) handelt es sich in den BEG-Erklärungen aus den 50er Jahren nicht.

3.

Gleiches gilt schließlich auch für die Angaben aus dem JCC-Verfahren, die ebenfalls in ihrer Entstehung für den Senat nicht vollständig rekonstruierbar sind, wenngleich anhand der (offensichtlich von der der Klägerin verschiedenen) Handschrift und der verwandten deutschen Sprache (die die Klägerin nicht spricht) feststellbar ist, dass sie nicht von der Klägerin selbst verfasst wurden. Gegen ihren Beweiswert spricht i.Ü. die vollständige Identität mit denen der BEG-Akten - bis hin zu einer, die tatricherliche Skepsis weckenden markanten Übereinstimmung bei einzelnen Rechtsschreibfehlern ("Stahl" an Stelle von "Stall" bei der Erwähnung des Verstecks der Klägerin).

4.

Im Ergebnis kommt es daher vorliegend auf den zentralen Aussageinhalt der eidesstattlichen Versicherungen und sonstigen Erklärungen der Klägerin an, der in Beziehung zu ihrem Vorbringen in der richterlichen ausführlichen Anhörung zu setzen ist. Hier gibt es bezogen auf den streitbefangenen Zeitraum bei allen Unterschieden im einzelnen einen im Wesentlichen übereinstimmenden Kern, nämlich hinsichtlich ihres Aufenthalts im Ghetto Pogrebisze jedenfalls in der Zeit von Ende 1941 bis Mitte 1942 und bezogen auf die allgemeinen dortigen Lebensumstände. Die verbleibenden Widersprüche im Detail können durch die o.g. Hintergründe - z.B. hinsichtlich wegen früher summarischen anwaltlichen Vortrags zu § 43 BEG - sowie durch Kommunikationsbrüche im Zusammenhang mit der Verwendung verschiedener Sprachen (hebräisch, jiddisch, russisch, deutsch) erklärbar sein und stehen daher der Glaubhaftigkeit der heutigen Erklärungen der Klägerin im Sinne einer guten Möglichkeit nicht entgegen. Hinzu kommt, dass auch die Schnittstellen der Kommunikationskette zwischen Klägerin, Dolmetscher, Korrespondenzbevollmächtigten in Israel und schließlich den Bevollmächtigten in Deutschland jeweils mögliche Fehlerquellen beinhalten. Nicht zuletzt deswegen ist die persönliche Anhörung im sozialgerichtlichen Verfahren gerade bei komplexen Sachverhalten (z.B. bei der Aufklärung von Betriebsunfällen oder bei der sozialrechtlichen Entschädigung von Opfern einer Straftat) zur Ermittlung des unverfälschten unmittelbaren Beteiligtenvorbringens in der gerichtlichen Praxis die Regel. Auch die Beklagte hat durch ihren Bevollmächtigten zuletzt im Senatstermin eingeräumt, dass die persönliche Anhörung der Klägerin durch den Berichterstatter in Israel den unmittelbarsten Eindruck von ihrer Zeit im Ghetto geboten hat. Verbleibende Zweifel - auf die das SG zu Unrecht abgestellt hat - sind bei dem geforderten Beweismaß der Glaubhaftmachung ohnehin unschädlich (so schon BSG Beschluss vom 13.10.1958 - 10 RV 759/56 - ).

C.

Soweit die Beklagte schließlich gegen den Beweiswert der persönlichen Anhörung der Klägerin auch formal-rechtliche Bedenken geltend macht, greifen diese nicht durch.

1.

In prozessualer Hinsicht gesehen handelte es sich um eine richterliche Anhörung gemäß § 106 SGG, die in eine konsularische Beweisaufnahme gemäß § 202 SGG i.V.m. § 363 ZPO in entsprechender Anwendung und den Art 15 ff ZRHG eingebettet war. Die Erlaubnis dazu wurde vom Staat Israel vermittelt durch die Deutsche Botschaft nun erstmals gemäß Art 15 - 18 ZRHG erteilt (allgemein hierzu Hecker/Müller-Chorus, Handbuch der konsularischen Praxis, 2. Auflage 2002, § 5; Balzer aaO Rn412 ff). Erst diese Entscheidung der israelischen Regierung hat die persönliche Anhörung der Klägerin, die aus zu respektierenden gesundheitlichen und geschichtlichen Gründen nicht nach Deutschland reisen kann, durch den erkennenden Senat ermöglicht. Dabei ist echtes Beweismittel im Sinne des Strengbeweises nur das im Termin durch den Historiker Prof. Dr. Golczewski erstattete Sachverständigengutachten gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 4 SGG. Dieser wurde gemäß § 404a Abs. 1 ZPO vor dem Termin nochmals durch den Berichterstatter für seine Aufgabe angeleitet. Eines besonderen Einweisungstermins gemäß § 404a Abs. 4 ZPO bedurfte es nicht. Entgegen der Einschätzung der Beklagten hat keine (in der Tat im sozialgerichtlichen Verfahren nicht zulässige) eides- und damit strafbewehrte Parteivernehmung gemäß § 455 ZPO stattgefunden. Ungeachtet dessen ist für das sozialgerichtliche Verfahren anerkannt, dass das persönliche Beteiligtenvorbringen aus Anhörungsterminen eine wichtige Erkenntnisquelle und umfassend richterlich zu würdigen ist (stellvertretend: Leitherer, in: Meyer-Ladewig SGG, 8. Auflage 2005, § 103 Rn 12, und § 106 Rn 15 mwN). Eines Glaubwürdigkeitsgutachtens aufgrund nochmaliger besonderer Exploration der Klägerin bedurfte es zur Beurteilung nach der Einschätzung des erkennenden Senates dabei nicht, so dass offen bleiben kann, ob ein solches Beweismittel im sozialgerichtlichen Verfahren nach dem ZRBG zulässig ist oder nicht (generell zu aussagepsychologischen Begutachtungen Arntzen aaO S. 123 ff mwN). Die eingeholte Stellungnahme von Frau Prof. Dr. R diente insoweit lediglich der sachverständigen Klärung, ob greifbare Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer solchen Begutachtung vorhanden waren, was i.E. aber nicht der Fall war.

2.

Die Protokollierung der Anhörung ist gemäß § 160a Abs. 2 ZPO und durch Wiedergabe im Tatbestand dieses Urteils erfolgt (zu dieser Möglichkeit BGH Urteil vom 18.09.1986 - I ZR 179/84 - mit weiteren Nachweisen). Ein Fall der ortsverschiedenen Videokonferenzschaltung nach § 128a ZPO (bei dem die Videoaufzeichnung nach dem Termin hätte vernichtet werden müssen) lag nicht vor. Die Videoaufzeichnung war demgemäß nach § 179 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) zu Verfahrenszwecken, insbesondere der späteren Beweiswürdigung durch den Senat zulässig (Kissel, GVG, 4. Auflage 2005, § 169 Rdn. 73; BT-Drs. 4/178, S. 46, BGH in Strafsachen 19, 193, 195; zu Originaltonaufnahmen: Bender-Nack a.a.O., Rn 832, 837). Diese Form der Dokumentierung hat die spätere Bewertung der Videoaufzeichnungen durch den gesamten Senat ermöglicht und diesem einen persönlichen Eindruck von der Klägerin vermittelt. Zudem erlaubt sie eine genauere Analyse der Aussage (vgl. Bender-Nack aaO Rdn. 837).

3.

Soweit die Beklagte schließlich meint, eine persönliche Anhörung der Klägerin in Israel sei unverhältnismäßig und ihr wegen des damit verbundenen organisatorischen Aufwands nicht zuzumuten, geht auch dieser Einwand fehl. Die Entscheidung über die prozessleitenden Maßnahmen liegt gemäß §§ 103, 106 SGG allein beim Gericht. Schon deswegen, weil ihr widersprüchliches Vorbringen vorgehalten wurde, war es eine geeignete Verfahrensweise, ihr die Möglichkeit zu geben, sich persönlich im Termin dazu zu äußern. Der besondere Beweiswert ihrer Aussage war im Ergebnis darüber hinaus auch streitentscheidend, denn allein auf den Akteninhalt gestützt, hätten sich die genauen Verhältnisse der Beschäftigung der Klägerin im Ghetto Pogrebiszcze, über das nur sie selbst Auskunft geben konnte, nicht feststellen lassen.

D.

Soweit der erkennende Senat die weitergehende Berufung der Klägerin abgewiesen hat, beruht dies nach dem oben Gesagten nicht darauf, dass er das Vorbringen der Klägerin insoweit für unglaubwürdig hält, sondern hängt vielmehr damit zusammen, dass sie selbst sich nicht genau erinnert und die kürzere Zeit der Existenz des Ghettos Pogrebiszcze nach dem überzeugenden Sachverständigengutachten des Historikers Prof. Dr. Golczewski die zeitgeschichtlich wahrscheinlichere Möglichkeit der Ereignisse darstellt.

E.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt zum einen das Maß des jeweiligen Obsiegens.

Der erkennende Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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