L 9 R 4356/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 1241/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4356/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. August 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1976 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, der seit dem 1. Lebensjahr an Epilepsie, motorischen Störungen und mentaler Entwicklungsstörung aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung mit einer leichten spastischen Hemiparese links leidet, besuchte vom 24. August 1992 bis zum 11. Mai 1994, unterbrochen von einer ersten versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit vom 21. Juni 1993 bis zum 22. Oktober 1993 im Rahmen unter Schulfreistellung erfolgten Arbeitsversuchs, die Schule a. W. - Schule für Geistigbehinderte - in I., die er auf eigenen Wunsch mit dem Ende seiner Schulpflicht verließ. Anschließend war er als ungelernter Arbeiter vom 5. Oktober 1994 bis 16. Dezember 1994 in der Hausmüllsortierung versicherungspflichtig beschäftigt. Danach bezog er vom 17. Dezember 1994 bis zum 1. Juli 1996 Leistungen der Kranken- und Arbeitslosenverwaltung. Später, vom 1. Juli 1998 bis zum 18. September 1998 und sodann erneut vom 25. November 1998 bis zum 4. April 1999 war der Kläger wieder versicherungspflichtig beschäftigt, zunächst in der Müllsortierung und später als Hilfskraft in einem metallverarbeitenden Betrieb. Daran anschließend weist der Versicherungsverlauf Krankengeldbezug vom 28. Juni bis 4. Juli 1999 aus.

Versorgungsrechtlich ist der Kläger seit dem 28. November 1996 als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt (Schwerbehindertenausweis des Versorgungsamts Karlsruhe vom 15. November 1999).

Mit Bescheid vom 6. September 2000 bewilligte die Beklagte dem Kläger ausgehend von dem Antrag auf Reha-Leistungen vom 6. Januar 1997 auf der Grundlage einer vorzeitigen Wartezeiterfüllung unter Anerkennung des Eintritts des Leistungsfalls mit dem 25. September 1996 rückwirkend ab dem 1. Januar 1997 auf Dauer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Dem gingen folgende medizinischen Tatsachenfeststellungen voraus: Arbeitsamtsärztliche Gutachten von Dr. T., P. vom 20. November 1996 und vom 16. August 1999, Arztberichte von Prof. Dr. K., Klinik für Kinderneurologie und Sozialpädiatrie, M., vom 1. August 1996 und vom 17. Februar 2000 und ärztliche Bescheinigungen von Prof. Dr. K. vom 17. Februar 2000 und von dem Orthopäden Dr. Dr. D., M. vom 11. März 2000, jeweils "zur Vorlage beim türkischen Konsulat".

Dr. T. stellte im Gutachten vom 20. November 1996 folgende Diagnosen: frühkindliche Hirnschädigung, Epilepsie mit generalisierten Anfällen, Intelligenzminderung und leichte beinbetonte Hemispastik links. Im Vordergrund stehe die Hirnschädigung, bei der es sich um eine bleibende Behinderung handele; um große Krampfanfälle zu vermeiden, sei lebenslängliche Medikation erforderlich. Für übliche Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sei der Kläger leistungsunfähig; in Betracht kämen nur Tätigkeiten in einer Werkstatt für Behinderte. Im weiteren arbeitsamtsärztlichen Gutachten vom 16. August 1999 teilte Dr. T. folgende Diagnosen mit: Zustand nach frühkindlicher Hirnschädigung mit Hemispastik links, Epilepsie und Intelligenzminderung, rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom bei Spinalkanalstenose und Zustand nach operativer Entfernung eines Narbenceloids an der linken Achillessehnennaht am 17. Mai 1999. Im Vergleich zu früher habe sich der Gesundheitszustand des Klägers deutlich gebessert. Unter Medikation sei der Kläger seit zwei Jahren anfallsfrei. Des Weiteren bestehe nur noch eine leichte spastische Teillähmung der linken Körperhälfte mit Ungeschicklichkeiten der linken Hand sowie Fuß- und Zehenheberschwäche links. Insgesamt wirke der Kläger seit der Untersuchung im Jahre 1996 körperlich deutlich kräftiger und auch seelisch gefestigter. Er könne nunmehr überwiegend im Sitzen auszuübende leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollsichtig verrichten. Es müsse sich allerdings um einfachere Arbeiten handeln, die ohne Zeitdruck ausgeführt werden können. Maschinenarbeit sei nur an Maschinen ohne besonders hohe Verletzungsgefahr zumutbar.

Prof. Dr. K. diagnostizierte beim Kläger unter dem 1. August 1996 eine leichte Hemispastik links, fokale linksseitige Anfälle, eine Lernbehinderung und Schlafstörungen. Seine unter dem 17. Februar 2000 gestellten Diagnosen lauteten: fokale, linksseitige betonte Anfälle (früher Hemi-Grand-Mal-Anfälle), mentale Entwicklungsstörung im Grad einer Lernbehinderung und motorische Koordinationsstörung. Der letzte Krampfanfall sei nach den Angaben des niedrig antikonvulsiv dauertherapierten Klägers am 19. September 1999 aufgetreten. Während des ein bis zwei Minuten dauernden Anfalls, sei es, wie früher, zu Zuckungen im Mund- und Gesichtsbereich gekommen, der Kläger habe nicht sprechen können sowie den Kopf und die Schulter nach links gedreht. Dr. Dr. D. attestierte dem Kläger, den er seit Jahren unregelmäßig behandele, rezidivierende Lendenwirbelsäulenprobleme bei relativer Spinalkanalstenose und Ausschluss eines Bandscheibenvorfalls. Weiter sei über eine deutliche genua valga mit einer Chrondropathiesymptomatik ohne Normabweichung zu berichten und ein diskreter Beckenschiefstand von rechtsseitig -0,5 cm zu erwähnen.

Nachdem die Beklagte die unterschiedlichen Leistungsbeurteilungen in den Gutachten von Dr. T. vom 1996 und 1999 unter dem 8. Dezember 2000 festgestellt hatte, veranlasste sie eine stationäre Untersuchung und Begutachtung des Klägers in ihrer Klinischen Beobachtungsstation in K. am 20. und 21. März 2001 auf internistischem (Dr. M.), nervenärztlichem (Dr. G.) und chirurgischem (Dr. W.) Gebiet. Im von dem Internisten Dr. M. verfassten Hauptgutachten vom 13. Juni 2001 wurden für den damals 169 cm großen und 67 kg schweren Kläger folgende Diagnosen gestellt: - Anfallsleiden mit überwiegend fokalen Anfällen von geringer Frequenz, - Leichtgradige linksseitige Koordinationsstörung nach frühkindlichem Hirnschaden, - Minderbegabung im Sinne einer Lernbehinderung, - Rezidivierendes LWS-Syndrom, ohne Funktionseinbuße und ohne radikuläre Zeichen und Zustand nach Achillessehnenverlängerung links in der Kindheit und Narbenkorrektur im Jahre 1999. Während der klinisch-neurologischen Untersuchung sei eine geringgradige Halbseitensymptomatik links mit leichter Störung des Koordinationsvermögens und diskreter Reflexsteigerung festzustellen gewesen. Weitere schwerwiegende richtungsweisende neurologische Befunde seien nicht zu erheben gewesen. Auch ein abgeleitetes EEG habe keinen sicheren pathologischen Befund erbracht und keine erhöhte cerebrale Krampfbereitschaft angezeigt. Funktionseinschränkungen des Bewegungsapparats seien nicht nachzuweisen gewesen. Die Laborwerte hielten sich im Normbereich, insbesondere auch die Entzündungsparameter. Der antiepileptische Medikamentenspiegel liege im therapeutischen Bereich, Ruhe-EKG und Sonographie des Abdomens seien unauffällig gewesen. Qualitativ seien folgende Leistungsausschlüsse festzustellen gewesen: anspruchsvolle geistige Tätigkeiten, Tätigkeiten unter Zeitdruck, Nachtschichtarbeit und Arbeiten unter erhöhter Verletzungsgefahr. Quantitativ sei beim Kläger seit August 1999 wieder ein vollschichtiges Leistungsvermögen für mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes gegeben.

Daraufhin hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 10. Juli 2001 zur beabsichtigten Entziehung der mit Bescheid vom 6. September 2000 gewährten Erwerbsminderungsrente unter Setzung einer Äußerungsfrist bis zum 31. Juli 2001 an. Dem trat der Kläger unter dem 24. Juli 2001 unter Hinweis auf nach wie vor unregelmäßig und unerwartet auftretende epileptische Anfälle entgegen. Mit Bescheid vom 7. August 2001 entzog die Beklagte dem Kläger sodann die Erwerbsunfähigkeitsrente mit Wirkung zum 1. September 2001. Zur Begründung führte sie aus, eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen sei insofern eingetreten, als ärztlicherseits aktuell gutachtlich festgestellt worden sei, der Kläger könne zumindest leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes regelmäßig wieder ganztägig ausüben.

Im an die Hausärzte des Klägers adressierten Bericht vom 13. August 2001 teilte Prof. Dr. K. für den zum Untersuchungszeitpunkt, am 10. August 2001, in gutem Allgemein- und Ernährungszustand befindlichen Kläger die Diagnosen Epilepsie (fokale, linksseitige Anfälle, Verdacht auf Hemi-Grand-mal) und mentale Entwicklungsstörung (Lernbehinderung) mit. Der Kläger spreche klar, recht gut artikuliert in deutscher Sprache, sein Gangbild sei relativ flüssig und nunmehr ohne Seitendifferenz. Der anfallsbedingte Medikamentspiegel liege mit 6 µg/ml im unteren therapeutischen Wirkspiegelbereich. Zur Zeit seien keine neurologischen Symptome einer Seitendifferenz mehr feststellbar. Dies spreche dafür, dass die vom Kläger geschilderten Anfälle zumindest nicht mehr sehr intensiv seien.

Den am 4. September 2001 unter nochmaligen Hinweis auf das unerwartete und unregelmäßige Anfallsrisiko erhobenen Widerspruch gegen die Rentenziehung wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2002 als unbegründet zurück.

Die dagegen am 21. Februar 2002 erhobene Klage wies das Sozialgericht Karlsruhe - S 15 RJ 626/02 - nach schriftlicher Befragung der die Kläger behandelnden Ärzte und Anhörung der Beteiligten durch rechtskräftig gewordenen Gerichtsbescheid vom 26. November 2002 als unbegründet ab. Prof. Dr. K. hatte als sachverständiger Zeuge unter dem 25. April 2002 mitgeteilt, der Gesundheitszustand des Klägers habe sich gebessert. Eine leichte körperliche Arbeit von mehr als 6 Stunden halte er für zumutbar.

Im Folgenden fand der Kläger für die Zeit vom 10. März 2003 bis zum 9. März 2004 eine versicherungspflichtige halbschichtige Beschäftigung als Montagearbeiter bei der GSI - Service- und Integrationsgesellschaft E. in M ... Im Anschluss daran bezog er Leistungen der Arbeitsverwaltung bis Ende 2005 (vgl. den Versicherungsverlauf vom 19. April 2006)

Am 7. August 2003, während der halbschichtigen Beschäftigung, beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Zur Feststellung des Leistungsvermögens veranlasste die Beklagte daraufhin die Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch die Internistin Dr. S., P., die im Gutachten vom 10. November 2003 folgende Diagnosen mitteilte: - Frühkindlicher Hirnschaden nach Anfallsleiden, Minderbegabung und leichtgradige linksseitige Koordinationsstörung, - Rezidivierendes Lumbalsyndrom bei vorbeschriebener Spinalkanalstenose, derzeit erscheinungsfrei und - Zustand nach Achillessehnenverlängerung links in der Kindheit und Narbenkorrektur 1999. Der Kläger befinde sich in gutem Allgemeinzustand; der aktuelle Carbamazepinspiegel von 3,61 µg/ml liege unterhalb des therapeutischen Bereichs. Bevorstehende Anfälle bemerke der Kläger nach seinen Angaben rechtzeitig, so dass es bislang weder zu Stürzen noch zu Verletzungen gekommen sei. In psychischer Hinsicht habe der zeitlich und örtlich orientierte Kläger einen geordneten Denkablauf geboten und lebhaft, affektiv gut schwingungsfähig, kooperativ, freundlich und ohne erkennbare Störungen von Konzentration und Merkfähigkeit gewirkt. Unter Würdigung der Gesamtsituation bestehe beim Kläger ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere, geistig anspruchslose Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Ausgeschlossen seien Arbeiten unter Zeitdruck, in Nachtschicht und mit erhöhter Selbst- oder Fremdgefährdung.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 17. November 2003 unter Hinweis darauf ab, dass der Kläger mit dem vorhandenen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch zumutbar täglich sechs Stunden und mehr beschäftigt werden könne. Außerdem stehe einer Rentengewährung entgegen, dass die erforderliche Wartezeit von fünf Jahren mit anrechenbaren Zeiten (Beitrags-, Ersatz- oder Kindererziehungszeiten) nicht erfüllt sei. Für die Wartezeit seien nur drei Jahre und 5 Monate (41 Monate) mit anrechenbaren Zeiten zu berücksichtigen. Auf den beiliegenden Versicherungsverlauf vom 17. November 2003 werde verwiesen.

Am 19. Dezember 2003 erhob der Kläger gegen den seinen Bevollmächtigten am 19. November zugegangenen Ablehnungsbescheid Widerspruch und bezog sich zu dessen Begründung zunächst auf den vorläufigen Arztbrief des Städtischen Klinikums P., Neurologische Abteilung vom 22. Dezember 2003. Darin stellte Dr. L. nach stationärem Aufenthalt des Klägers vom 21. bis 23. Dezember 2003 die Diagnosen "gehäufte Anfälle bei bekannter Epilepsie seit der Kindheit" und dringender Verdacht auf Medikamenteninkompliance. Bei der stationären Aufnahme sei lediglich ein Carbamazepinspiegel von 0,4 µg/ml festzustellen gewesen. Dieser habe sich unter kontrollierter Einnahme nach einem Tag auf 13,6 µg/ml erhöht; unter dieser Medikation seien keinerlei Anfälle mehr aufgetreten. Darüber hinaus ließ der Kläger vortragen, sein Gesundheitszustand habe sich seit Ende Dezember 2003 weiter vehement verschlechtert; die Anfälle nähmen von Tag zu Tag zu.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers sodann mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2004 als unbegründet zurück. Zur Begründung hieß es: Der Kläger könne noch täglich mindestens sechs Stunden erwerbstätig sein, mit der Folge, dass eine Erwerbsminderungsrente medizinisch nicht begründbar sei. Im Übrigen seien auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung zum Tag der Rentenantragstellung nicht erfüllt. Für die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren seien bis zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung am 7. August 2003 lediglich drei Jahre und 11 Monate (47 Monate) an anrechenbaren Zeiten anstatt der vom Gesetz geforderten fünf Jahre zurückgelegt worden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine vorzeitige Wartezeiterfüllung lägen nicht vor. Darüber hinaus seien auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass Erwerbsunfähigkeit und Erwerbsminderung durchgehend seit dem 25. September 1996 vorliege.

Die dagegen vom Kläger am 26. März 2004 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) ohne Klagebegründung erhobene Klage - S 15 RJ 1241/04 - wies das SG nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 3. August 2004 als unbegründet ab. Zur Begründung hieß es: Der Kläger sei nicht erwerbsgemindert, weil er in der Lage sei, zumindest leichte Tätigkeiten vollschichtig und damit über sechs Stunden täglich zu verrichten. Damit könne offen bleiben, ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente erfüllt seien. Der Gerichtsbescheid wurde den Bevollmächtigten des Klägers am 6. August 2004 zugestellt.

Am 6. September 2004 hat der Kläger Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Der Kläger ist weiter der Auffassung, dass ihm auf Grund seiner gesundheitlichen Leiden die Ausübung einer nennenswerten Erwerbstätigkeit nicht möglich sei. Zumindest sei dies seit Oktober 2005 nicht mehr der Fall. Zu diesem Zeitpunkt habe er ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 19. April 2006 auch die allgemeine Wartezeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. August 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. November 2003 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 17. März 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab Antragstellung bzw. ab Oktober 2005 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte macht weiter geltend, der Kläger sei nicht erwerbsgemindert. Außerdem lägen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente lägen nicht vor. Der Kläger erfülle die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren weder am Tag des Rentenantrags (7. August 2003) noch am ersten Tag nach Ablauf seiner letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung (10. März 2004).

Der Senat hat zunächst die den Kläger behandelnden Ärzte im Wege der schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft vernommen. Der Orthopäde Dr. Dr. D., P., hat dem Senat unter dem 13. März 2005 berichtet, den Kläger seit 1994 in unterschiedlicher Häufigkeit zu behandeln (massiv im Jahre 1995 an 41 Terminen), u.a. wegen LWS-Syndroms, Zuständen nach Prellungen von Großzehe, rechter Hand, linker Hand, Reizzustand im rechten Kniegelenk, Prellung des rechten Mittelfußes. Auf orthopädischem Gebiet lägen keine wesentlichen Befunde vor, die eine grundsätzliche Einschränkung der Erwerbsfähigkeit auch nur ansatzweise erkennen ließen. Inwiefern die Epilepsie sich auswirke, vermöge er fachlich nicht zu beurteilen. Der Allgemeinmediziner Dr. H., M., hat dem Senat am 5. April 2005 mitgeteilt, den Kläger seit 1989 zu behandeln. Die letzte Beratung sei am 2. Dezember 2004 erfolgt; seither habe er den Kläger nicht mehr gesehen. Wegen der Epilepsie habe er ihm gelegentlich Tegretal 400 rezeptiert; die Behandlung dieser Erkrankung liege in den Händen der Neurologin. Der Kläger habe im gesamten Behandlungszeitraum über häufige epileptische Anfälle, über Schwindel und Müdigkeit sowie über chronische Kreuzschmerzen geklagt. Mit epileptischen Episoden sei beim Kläger ständig zu rechnen. Darüber hinaus sei er ohne Distanzgefühl, leicht beeinflussbar und geistig zurückgeblieben. Seiner Einschätzung nach befinde er sich geistig auf dem Stand eines 13-Jährigen. Der Orthopäde Dr. L., M., hat dem Senat unter dem 17. Mai 2005 erklärt, den Kläger nur vom 26. Januar bis zum 9. Februar 2004 behandelt zu haben. Der Kläger habe damals über Lumbalgien mit leichten Ischialgien links geklagt. Der Röntgenbefund der LWS in 2 Ebenen habe ein leichte rechts-konvexe c-förmige Skoliose und eine Diskopathie im L5/S1 Bereich zu Tage gefördert. Er habe den Kläger konservativ therapiert und zuletzt am 9. Februar 2004 mit gebesserten linkseitigen Lumboischialgie gesehen. Die Neurologin und Psychiaterin Dr. H., M., hat dem Senat unter dem 7. August 2005 berichtet, den Kläger seit Oktober 1996 in unregelmäßigen Abständen - d.h. am 14. Oktober 1996, 19. Juli 1999, 24. Januar 2000, sechsmal im Jahr 2004 und dreimal im Jahr 2005 - behandelt zu haben. Mehrere weitere Termine habe der Kläger, ohne abzusagen, nicht eingehalten. Diagnostiziert habe sie eine leichte Intelligenzminderung ohne oder mit geringfügiger Verhaltensstörung sowie eine sonstige generalisierte Epilepsie und epileptische Syndrome. Eine eingehende testpsychologische Untersuchung sei mangels hinreichender deutscher Sprachkenntnisse des Klägers nicht möglich gewesen. Neurologisch sei klinisch allein eine Gesichtsasymmetrie auffällig. Auf der Grundlage eines von ihr bei Dres. K., W., S. - Praxis für bildgebende Diagnostik -, M., veranlassten MRT habe Dr. W. unter dem 11. Februar 2004 folgende Diagnose gestellt: Asymmetrie der Hypophyse mit diskreter Vergrößerung links mit beginnendem Mikroadenom im Sinne eines Prolactinoms bei Prolactinerhöhung und unauffällige Darstellung des übrigen Neurocraniums ohne Hinweis auf eine fokale Läsion. Ein am 26. April 2005 aufgezeichnetes EEG habe einen unregelmäßigen Verlauf bei intermittierendem Herdbefund links über den vorderen Ableitungen ergeben. Dabei seien vereinzelt generalisiert steile Wellen als Zeichen erhöhter cerebraler Krampfbereitschaft nachzuweisen gewesen. Der Kläger werde antiepileptisch mit Carbamazepin behandelt, das er aber, dem Medikamentenspiegel zufolge, nicht immer regelmäßig einnehme. Befriedigende Behandlungserfolge seien nicht festzustellen gewesen; der Gesundheitszustand bestehe seit Behandlungsbeginn im Wesentlichen unverändert fort. Im Alltagsverhalten sei der Kläger auf fremde Hilfe angewiesen; eine selbständige Haushaltsführung sei ihm nicht möglich. Er sei zwar in der Lage kleinere Besorgungen (Einkäufe) selbst zu erledigen, könne dies aber bei Ämtern, Banken oder ähnlichen Einrichtungen nicht. Die Betreuung in einer Einrichtung oder die Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte habe der Kläger abgelehnt.

Der Senat hat daraufhin ein neurologisches Gutachten bei Dr. W., W.-Z. Kliniken, Fachkliniken W., Neurolgische Klinik mit Schwerpunkt Schädel-Hirnverletzte eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung des Klägers und zusätzlicher testpsychologischer Untersuchung durch den Diplom-Psychologen B. unter dem 25. Oktober 2005 erstattet hat. Dr. W. hat folgende Diagnosen gestellt: - Zustand nach frühkindlicher Hirnschädigung mit hirnorganischem Psychosyndrom mit leichter bis mittelschwerer Lernbehinderung und Verhaltensauffälligkeiten, - Cerebrales Anfallsleiden mit aktuell überwiegend fokalen und komplex-fokalen Anfällen, in der Vorgeschichte auch mit sekundär generalisierten Anfällen, - Zustand nach motorischer Halbseitenlähmung links, residuell leichten Koordinationsstörungen, Atrophie der linksseitigen Extremitäten und muskuloskelettale Dysbalance mit rezidivierenden LWS-Beschwerden sowie - Zustand nach operativer Achillessehnenverlängerung links in der Kindheit und Narbenkorrektur 1999. Das cerebrale Anfallsleiden werde bereits seit dem ersten Lebensjahr medikamentös therapiert. Die aktenkundige Krankengeschichte sei seit 1991 dokumentiert. Nachdem zwischen 1991 und 1996 keine epileptischen Anfälle aufgetreten seien, sei die Medikation vom Kläger und seinen Angehörigen selbständig abgesetzt worden. Ab 1996 sei das erneute Auftreten einfach fokaler Anfälle mit wechselnder Frequenz von zwei- bis dreimal wöchentlich bis hin zu maximal zwei- bis dreimal täglich und die Wiedereinführung einer antikonvulsiven Medikation mit Carbamazepin dokumentiert, ohne dass allerdings während einer ärztlichen Untersuchung ein cerebrales Anfallsereignis beobachtet worden sei. Anfallsfreiheit werde aber seit 1996 in keinem fachärztlichen Bericht mehr angegeben. In einem Epilepsiezentrum sei der Kläger nicht untersucht, beobachtet und eingestellt worden. Infolge der frühkindlichen Hirnschädigung bestehe beim Kläger zusätzlich ein deutliches hirnorganisches Psychosyndrom mit Lernbehinderung und Verhaltensauffälligkeiten im Sinn eines sehr kindlichen Affekts bei stark schwankenden Verhaltensmustern. Bei der neuropsychologischen Untersuchung hätten sich auffällige visuelle Explorationsschwächen, eine reduzierte kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit, Schwächen im Bereich der Konzeptbildung und teilweise reduzierte Merkfähigkeitsleistungen gezeigt. Den während der Untersuchung festgestellten spürbaren Verdeutlichungstendenzen sei kein aggravatives oder simulatives Element zu eigen; ein solches wäre vom Kläger aufgrund seiner beschränkten intellektuellen Leistungsfähigkeit auch nicht kongruent durchzuhalten und ihm auch sonst nicht zuzutrauen oder zu unterstellen. Aufgrund der täglich auftretenden cerebralen Anfallsereignisse und der hirnorganischen Einschränkung sei dem wegefähigen Kläger auch die Verrichtung von Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeitstäglich maximal drei bis unter sechs Stunden zumutbar. Dabei seien folgende qualitative Leistungseinschränkungen zu beachten: keine Fließband- und Akkordarbeit, keine Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten, keine Nacht- und Schichtarbeiten, keine Tätigkeiten in außergewöhnlicher Wärme oder Kälte, kein Arbeiten an rotierenden oder anderweitig gefährlichen Maschinen ohne Schutzvorrichtung, keine Arbeiten mit Publikumsverkehr und erhöhter Verantwortung, keine Arbeiten mit erhöhtem Zeitaufwand, besonderer geistiger Beanspruchung und Arbeiten unter Zeitdruck. In Folge der neuropsychologisch dokumentierten intellektuellen Leistungseinbußen und den täglich auftretenden Anfallsereignissen mit minutenlanger Reorientierungsphase seien zudem nicht im vorhinein planbare betriebsunübliche Pausen erforderlich. Hinzu komme, dass der Kläger im Verhältnis zu einem Gesunden auch nur langsamer in der Lage sei, sich auf neue Anforderungen und Arbeitsplatzgegebenheiten einzustellen. Hinsichtlich der Befunde und Diagnosen stimme er den Feststellungen der Vorgutachter zu. Bei der Einschätzung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers und der zeitlichen Abläufe bestehe aber kein Konsens. Seit 1996 habe nie eine cerebrale Anfallsfreiheit erreicht werden können. Dies bedinge seither eine erhebliche Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit. Das Fehlen einer konsequenten Therapie und entsprechender Maßnahmen sowie die mangelnde Krankheitsverarbeitung hätten allenfalls zu einer weiteren Verschlechterung der ohnehin schon seit 1996 prekären Situation geführt.

Für die Beklagte hat der Prüfarzt Dr. G. mit Stellungnahme vom 19. Dezember 2005 ausgeführt, den Befunderhebungen und Diagnosen von Dr. W. zuzustimmen. Zu widersprechen sei aber der ihm nicht nachvollziehbaren Leistungsbeurteilung von Dr. W ... Die festgestellten Gesundheitsstörungen führten zu keiner quantitativen Leistungsminderung, zumal die bisher nicht sicher belegte Anfallsfrequenz des Klägers nachweislich durch entsprechende Medikation wesentlich zu stabilisieren sei. Die mangelnde Therapie-Compliance des Klägers gehe zu seinen Lasten.

Weiter macht die Beklagte auch für den Fall, dass der Leistungsbeurteilung des Gutachters Dr. W. zu folgen sei, geltend, dass ein Rentenanspruch des Klägers zu verneinen sei. Dr. W. habe die von ihm angenommene quantitative Leistungseinschränkung mit dem Anfallsleiden und der hirnorganischen Einschränkung begründet. An beidem leide der Kläger seit Kindheit bzw. seit Geburt. Im Hinblick darauf sei davon auszugehen, dass der Kläger bereits bei Eintritt in die Versicherung am 21. Juni 1993 voll erwerbsgemindert gewesen sei. Ein Risiko, das sich bereits bei der Aufnahme der versicherten Tätigkeit verwirklicht habe, könne aber nach ständiger Rechtsprechung nicht in den Versicherungsschutz einbezogen werden. Ein Herabsinken der Erwerbsfähigkeit setze voraus, dass diese zunächst einmal bestanden und sich erst im Lauf der Zeit verringert habe.

Aus dem vom Senat weiter beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenversicherung des Klägers - AOK E./P. - vom 4. Juli 2006 ergeben sich folgende Arbeitsunfähigkeitszeiten: vom 25. November 1994 bis 15. März 1995 wegen Lumboischialgie, LWS-Syndrom, vom 20. Juni 1995 bis 3. Oktober 1995 wegen grippalen Infekts und Rückenschmerzen, vom 7. Dezember 1995 bis 28. Januar 1996 wegen Hepatitis, Rückenschmerzen und Diskusprolaps, am 24. Juni und 16. September 1998, vom 17. Mai 1999 bis 4. Juli 1999 wegen Narbenkorrektur (Achillessehnenerkrankung), vom 26. bis 28. Mai 2003 wegen viraler Grippe mit Bronchitis, vom 11. bis 13. Juni 2003 wegen Atemwegserkrankung, vom 31. Juli bis 1. August und vom 11. September bis 15. September 2003, am 16. September 2003 wegen Epilepsie, am 23. September und 21. Oktober 2003, vom 14. November bis 21. November 2003 wegen Epilepsie, vom 24. bis 28. November 2003 wegen inf. Diarrhoe, vom 21. Dezember bis 23. Dezember 2003 wegen Grand-mal-Anfalls, vom 7. Januar bis 24. Januar 2004 wegen Epilepsie, vom 26. Januar bis 13. Februar 2004 wegen Lumboischialgie, vom 23. bis 27. Februar 2004 wegen Migräne, vom 2. bis 6. März 2004 wegen Schwindel zentralen Ursprungs und vom 8. bis 10. März 2004 wegen Atemwegsinfekts.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestands wird auf die Akten der Beklagten, diejenigen sozialgerichtlichen Rentenentzugsverfahren - SG Karlsruhe, S 15 RJ 626/02 - sowie die Akten des Sozialgerichts Karlsruhe im erstinstanzlichen Verfahren - S 15 RJ 1241/04 - und auf diejenigen des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. August 2004 und der Bescheid der Beklagten vom 17. November 2003 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 17. März 2004 sind im Ergebnis rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (1.). Auch Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit steht ihm nicht zu (2.).

1. Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben ( § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI -). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (§ 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Darüber hinaus ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigten (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Der Kläger ist, an diesem gesetzlichen Maßstab orientiert, zur Überzeugung des Senats seit dem Zeitpunkt der Rentenbeantragung (7. August 2003) zwar erwerbsgemindert (a.), erfüllt aber zu diesem Zeitpunkt die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht (b.).

a. Der Kläger leidet nach Auffassung sämtlicher als Gutachter mit seinem Fall befassten Ärzte an folgenden Gesundheitsstörungen: Zustand nach frühkindlicher Hirnschädigung mit hirnorganischem Psychosyndrom mit leichter bis mittelschwerer Lernbehinderung und Verhaltensauffälligkeiten, cerebralem Anfallsleiden mit aktuell überwiegend fokalen und komplex-fokalen Anfällen, in der Vorgeschichte auch mit sekundär generalisierten Anfällen, Zustand nach motorischer Halbseitenlähmung links, residuell leichten Koordinationsstörungen, Atrophie der linksseitigen Extremitäten und muskuloskelettaler Dysbalance mit rezidivierenden LWS-Beschwerden sowie einem Zustand nach operativer Achillessehnenverlängerung links in der Kindheit und Narbenkorrektur 1999.

Eine Erwerbsminderung des Klägers, das heißt ein Absinken seiner beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, ab dem Zeitpunkt der neuerlichen Beantragung einer Erwerbsminderungsrente im August 2003 sieht der Senat auf der Grundlage des im Berufungsverfahren eingeholten Gutachtens von Dr. W. (25. Oktober 2005), den Ausführungen im Arztbrief des Städtischen Klinikums P. vom 22. Dezember 2003, der Auswertung des Vorerkrankungsverzeichnisses der AOK E./P. vom 4. Juli 2006 und der weiteren aktenkundigen ärztlichen Unterlagen als nachgewiesen an. Aufgrund der frühkindlichen Hirnschädigung verbunden mit einem hirnorganischen Psychosyndrom und einer Minderbegabung im Sinne einer leichten bis mittelschweren Lernbehinderung und seines cerebralen Anfallsleidens ist es dem Kläger ab August 2003 nicht mehr zumutbar, täglich mindestens sechs Stunden auch nur körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten, ohne hierfür besonderer Arbeitsbedingungen - insbesondere betriebsunübliche Pausen und lange Einlern- bzw. Einarbeitungsphasen - zu bedürfen.

Das mit der frühkindlichen Hirnschädigung verbundene hirnorganische Psychosyndrom zeigte sich im Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. W. nicht nur in der leichten bis mittelschweren Lernbehinderung sondern auch in deutlichen Verhaltensstörungen im Sinne eines sehr kindlichen Affektes und stark schwankender Verhaltensmuster. Zwar weist Dr. W. überzeugend darauf hin, dass sich das hirnorganische Psychosyndrom bezüglich der intellektuellen Leistungseinbußen nicht wesentlich verändert hat und verändern wird. Jedoch kann festgestellt werden, dass der Kläger zuvor weniger verhaltensauffällig war. So beschreibt Dr. T. im Gutachten vom 5. August 1999 das Verhalten des Klägers dahingehend, dass er sich bemühe, sich als gesund darzustellen. Auch seine Mutter hielt ihn im Vergleich zu früher für viel selbständiger. Anläßlich der Untersuchung durch Dr. G. am 23. März 2001 erschien sein Gedankengang auf einfachem intellektuellen Niveau geordnet, ohne gröbere kognitive Störungen und mit ausreichender Konzentrations- und Merkfähigkeit. Auch erschien er stimmungsmäßig ausgeglichen, gut schwingungsfähig und auslenkbar. Schließlich berichtete auch der den Kläger langjährig betreuende Arzt Prof. Dr. K. im Verfahren S 15 RJ 626/02 als sachverständiger Zeuge unter dem 25. April 2002, dass sich das Verhalten des Klägers im Laufe der von 1985 bis 2001 dauernden Behandlung deutlich gebessert habe. Demgegenüber war er bei Dr. W. von der Stimmung her herabgestimmt, in den Gedankenabläufen und -inhalten sowie in der Psychomotorik verlangsamt und die testpsychologische Untersuchung erbrachte reduzierte kognitive Leistungen und Einschränkungen der Merkfähigkeit.

Entscheidend für die zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Klägers ab Antragstellung im August 2003 ist jedoch das cerebrale Anfallsleiden, welches sich verschlimmert hat. Vergleicht man die aktenkundigen Werte des Medikamentenspiegels, liegt die Annahme nahe, dass die Erhöhung der Anfallsfrequenz und die damit verbundenen Arbeitsunfähigkeitszeiten auf einer unzureichenden Medikamenteneinnahme beruhen. So war der Carbamazepinspiegel bei der Untersuchung durch Prof. Dr. K. am 10. August 2001 mit 6 µg/ml noch im wenn auch unteren therapeutischen Wirkungsbereich, während er bei der Begutachtung durch Dr. S. am 10. November 2003 mit 3,61 µg/ml unterhalb des therapeutischen Bereichs abgesunken war und am 21. Dezember 2003 bei der Aufnahme in stationäre Behandlung lediglich noch 0,4 µg/ml erreichte. Das Vorerkrankungsverzeichnis dokumentiert auch drei - wenn auch jeweils kurzzeitige - Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers im Gesamtumfang von 12 Arbeitstagen aufgrund seines cerebralen Anfallsleidens im Zeitraum von September bis Dezember 2003. Vom 21. bis 23. Dezember 2003 musste der Kläger wegen gehäufter cerebraler Anfälle im Städtischen Klinikum P. sogar stationär behandelt und medikamentös neu eingestellt worden. In der Folgezeit - 2004 und 2005 - hat sich die bis dahin sehr niederfrequente nervenfachärztliche Behandlungsnachfrage des Klägers bei der ihn deswegen ambulant behandelnden Neurologin Dr. H. deutlich erhöht (vgl. Auskunft Dr. H. vom 7. August 2005). Auf dieser Tatsachengrundlage ist die auf seine eigenen Untersuchungen und die zusätzliche Durchführung neuropsychologischer Tests gestützte Beurteilung des Gutachters Dr. W., der Kläger sei wegen häufig auftretender cerebraler Anfallereignisse und der hirnorganischen Einschränkung quantitativ erwerbsgemindert - jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Rentenantragstellung (2003) - nachvollziehbar und schlüssig. Die unregelmäßige Einnahme der Medikamente oder das gänzliche Vergessen, Medikamente einnehmen zu müssen, kann dem Kläger aufgrund seiner intellektuellen Minderbegabung mit Lernbehinderung kaum vorgehalten werden. Deshalb wird man auf ihn auch keine größeren Erwartungen in Bezug auf eine Besserung dieses Zustands setzen dürfen und solche auch nicht unter Zugrundelegung strenger Anforderungen an die eigene Willenskraft zur zumutbaren Mitwirkung an einer Erhaltung oder Verbesserung des Gesundheitszustands verlangen können.

Nicht zu folgen vermag der Senat den gutachtlichen Ausführungen von Dr. W. allerdings zu den zeitlichen Abläufen der Entwicklung der beim Kläger seit Kindheit vorliegenden Gesundheitsstörungen. Soweit Dr. W. annimmt, der derzeitige schlechte Gesundheitszustand des Klägers und die daraus resultierenden erheblichen Funktionseinschränkungen seien seit 1996 durchgehend aktenkundig dokumentiert, ist dies dem Senat nicht nachvollziehbar. Richtig daran ist, dass der Kläger zwischen 1991 und Mitte 1996 - trotz fehlender oder nur unregelmäßiger Medikamenteneinnahme - praktisch anfallsfrei gewesen ist (Bericht Prof. Dr. K. vom 1. August 1996) und sich im Lauf der Jahres 1996 diesbezüglich eine Verschlechterung eingestellt hat (vgl. Gutachten Dr. T. vom 20. November 1996). Diese mit cerebralen Anfällen einhergehende Verschlechterung hat sich jedoch in der Folgezeit bis 2002 wieder entscheidend verbessert, wie das zweite Gutachten von Dr. T. vom 16. August 1999, der Bericht von Prof. Dr. K. vom 17. Februar 2000 und insbesondere dessen sachverständige Zeugenaussage im ersten Verfahren vor dem SG Karlsruhe - S 15 J 626/02 - vom 25. April 2002 nachdrücklich belegen. Darin wird der Kläger von Dr. T. im August 1999 als über zwei Jahre anfallsfrei beschrieben; Prof. Dr. K., der den Kläger von 1985 bis August 2001 betreute, teilte im Bericht vom 17. Februar 2000 nur einen Krampfanfall - am 19. September 1999 - mit und führte in der sachverständigen Zeugenaussage vom 25. April 2002 aus, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers im Laufe seiner Behandlung gebessert habe. Dies galt insbesondere für die halbseitige Bewegungsstörung, die bei der Untersuchung am 10. August 2001 nicht mehr nachweisbar war und das Verhalten des Klägers. Prof. Dr. K. hielt zu diesem Zeitpunkt eine leichte körperliche Berufstätigkeit von mehr als 6 Stunden pro Tag für möglich. Dazu passt, dass der Kläger sich zwischen 1996 und 2003 nur an drei Tagen ambulant nervenfachärztlich hat behandeln lassen - am 14. Oktober 1996, 19. Juli 1999 und 24. Januar 2000 - (vgl. Dr. H., 7. August 2005), obgleich die Behandlung seines Anfallsleidens laut Auskunft seines Hausarztes, Dr. H., vom 5. April 2005 in den Händen eben jener Nervenärztin gelegen hat. Hinzu kommt, dass Arbeitsunfähigkeitszeiten für den Kläger im Vorerkrankungsverzeichnis der AOK E./P. aufgrund von Epilepsie erst ab dem Jahr 2003 dokumentiert sind. Von 1994 bis 1999 finden sich im Vorerkrankungsverzeichnis neben Infekterkrankungen allein orthopädisch bedingte Krankschreibungen. Schließlich sprechen auch die Feststellungen zu Laborwerten, EEG und Bewegungsapparat im Gutachten von Dr. M. (13. Juni 2001) gegen eine damals vorhandene dauernde Erwerbsminderung des Klägers.

b. Auf der Grundlage einer damit erst zum Zeitpunkt der Antragstellung am 7. August 2003 nachgewiesenen Erwerbsminderung, fehlt es beim Kläger für eine Rentengewährung an der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

Zunächst verfehlt der Kläger die für eine Rentengewährung nach § 43 SGB VI nach § 50 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI erforderliche allgemeine Wartezeit von 60 Monaten. Auf die allgemeine Wartezeit und auf die Wartezeiten von 15 und 20 Jahren werden gemäß § 51 Abs. 1 SGB VI Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet. Im Versicherungsverlauf des Klägers sind bis August 2003 nur 47 Monate und nicht 60 Monate mit Beitragszeiten belegt.

Die allgemeine Wartezeit hat der Kläger auch nicht unter den Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB VI vorzeitig erfüllt. Eine verminderte Erwerbsfähigkeit wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit liegt ebenso wenig vor wie wegen der Folgen einer Wehr- oder Zivildienstbeschädigung oder eines Gewahrsams (§ 53 Abs.1 SGB VI). Aber auch den Tatbestand des § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB VI erfüllt der Kläger nicht, weil er - ausgehend von einem im August 2003 eingetretenen Leistungsfall - weder vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung (1994) voll erwerbsgemindert geworden ist (2003) und er darüber hinaus in den letzten beiden Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung - also in der Zeit vom 7. August 2001 bis zum 6. August 2003 - nicht mindestens ein Jahr, sondern lediglich 6 Monate Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat (vgl. Versicherungsverlauf vom 19. April 2006).

Entgegen der durch den im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellten Antrag zum Ausdruck gebrachten Auffassung des Klägers kann auch kein späterer Leistungszeitpunkt angenommen werden. Die Wartezeit von 60 Monaten ist unter Berücksichtung der auf August 2003 folgenden Pflichtbeiträge wegen versicherungspflichtiger Beschäftigung bis März 2004 und wegen Leistungsbezugs von der Arbeitsverwaltung mit Ablauf des September 2005 erfüllt worden. Es liegen aber angesichts der Feststellungen im Gutachten von Dr. W. keine Anhaltspunkte dafür vor, dass erst zu diesem Zeitpunkt sich der Gesundheitszustand des Klägers so verschlechtert hat, dass eine zeitliche Einschränkung seines Leistungsvermögens und damit die Erwerbsminderung erst dann eingetreten wäre.

Schließlich stünde dem Kläger auch dann keine Erwerbsminderungsrente zu, wenn man - entgegen den zitierten Feststellungen von Prof. Dr. K. - annehmen würde, dass der Kläger aufgrund seiner frühkindlichen Hirnschädigung schon voll erwerbsgemindert in die Rentenversicherung eingetreten und durchgehend voll erwerbsgemindert wäre. Unter diesen Voraussetzungen hätte er gemäß § 43 Abs. 6 SGB VI einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung erst nach Erfüllung der Wartezeit von 20 Jahren.

2. Aus dem unter 1. Gesagten ergibt sich zugleich, dass dem Kläger auch keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Abs. 1 SGB VI zusteht, zumal er nach dem 2. Januar 1961 geboren ist und auch nie einen Beruf erlernt hat oder in einem solchen Lernberuf gearbeitet hat.

3. Nach alledem ist der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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