L 9 U 5356/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 2620/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 5356/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten im Wege eines Rücknahmeverfahrens die Anerkennung von Unfallfolgen.

Der 1953 geborene Kläger, der bei der Firma G. G. GmbH, I., als Schreinermeister versicherungspflichtig beschäftigt war, spürte am 1. August 2001 vormittags gegen 11:00 Uhr im Betrieb beim Heben eines Türblattes plötzlich Schmerzen im linken Ellbogen, dessen Beweglichkeit sogleich schmerzbedingt eingeschränkt gewesen sei. Im Durchgangsarztbericht vom selben Tag teilte Prof. Dr. S., H., nach Röntgen den linken Ellbogens in zwei Ebenen und Radiusköpfchenschrägaufnahme die Diagnose "Muskelzerrung prox. UA (Muskulus Brachioradialis)" mit. Er versorgte den Kläger mit einem Salbenverband.

Am 2. August 2001 stellte der den Kläger behandelnde Orthopäde Dr. S., L., sodann die Verdachtsdiagnose "distaler Abriss der Bizepssehne li. Radius" (Zwischenbericht vom 9. August 2001). Die Verdachtsdiagnose wurde durch MRT vom 7. August 2001 bestätigt. Daraufhin unterzog sich der Kläger vom 13. bis 19. August 2001 der stationären Behandlung in der Sportklinik S ... Im Operationsbericht vom 14. August 2001 beschreibt Dr. B., dass die lange Bizepssehne noch an einem schmalen Streifen gehangen habe, großteils aber traumatisch abgelöst gewesen sei. Nach der Operation sei der Kläger mit einer Oberarmgipsschiene versorgt worden. Eine feingewebliche Befunderhebung unterblieb. Im Entlassungsbericht vom 27. August 2001 teilte die Klinik mit, beim Kläger sei eine distale Bizepssehnenruptur links mittels offener transossärer Naht operativ komplikationslos versorgt worden.

Die Arbeitgeberin des Klägers schilderte den Unfallhergang der Beklagten unter dem 28. August 2001 wie folgt: Der Kläger habe im Betrieb an einer ausgehängten Türe gearbeitet, die auf zwei Holzböcken gelegen sei. Beim Umdrehen des schweren Türblattes habe er dieses, die linke Hand unten und die rechte Hand oben zunächst hochkant gestellt. Beim Anheben mit links und gleichzeitigem Zurückziehen des Türblattes, sei der Kläger von einem stechenden Schmerz in der linken Armbeuge befallen worden. Er habe die Arbeit sofort eingestellt und ärztliche Hilfe gesucht.

Der Kläger machte zum Unfallhergang unter dem 30. August 2001 folgende weitere Angaben: Das von ihm allein gehobene und auf den Holzböcken umgedrehte Türblatt sei ca. 70 kg schwer gewesen. Der tatsächliche Bewegungsablauf habe dem geplanten Bewegungsablauf entsprochen. In der Bewegung sei er sogleich eingeschränkt gewesen. Auch Schmerzen hätten sich sofort nach dem Einreißen (Knacksen) bemerkbar gemacht. Im Bereich des linken Armes habe er bereits vor dem Unfallereignis an einem "Tennisarm" gelitten.

Ein von der Beklagten ferner beigezogenes Vorerkrankungsverzeichnis der Innungskrankenkasse Heilbronn vom 6. September 2001 wies folgende Arbeitsunfähigkeitszeiten aus - 07.03.-17.03.1995 Lipomexcision linke Flanke - 31.08.-01.09.1995 Vasektomie - 19.03.-06.04.1997 Im Laesion links - 28.01.-05.02.1999 Distorsion des linken Sprunggelenks - 13.08.-laufend Verletzung des Muskels.

Im weiteren Befundbericht vom 5. Oktober 2001 teilte die Sportklinik S. der Beklagten mit, der linke Arm sei noch gering geschwollen bei reizlosen Operationsnarben. Die Beweglichkeit (Extension/Flexion) betrage 0-15-110°. Pro- und Supination seien noch deutlich eingeschränkt. Unter der Narbe sei eine deutliche Verhärtung tastbar. Röntgenologisch zeige sich im Bereich der Insertionsstelle der distalen Bizepssehne eine leichte Verknöcherung von ca. 2 mal 4 cm. Zur Verbesserung der Beweglichkeit bedürfe es weiterer intensiver Krankengymnastik. Der Kläger sei für weitere vier Wochen arbeitsunfähig.

Unter dem 6. November 2001 berichtete die Sportklinik S. der Beklagten erneut über den Kläger. Darin teilte sie als Befund für den linken Ellbogen mit: "Reizlose Haut- und Weichteilverhältnisse, keine Überwärmung, keine Schwellung, deutliche Verhärtungen im Bereich der Narbe tastbar, Beweglichkeit in Extension und Flexion 0-10-90° und in Pronation und Supination 20-0-0° bei Parästhesien im Bereich des Unterarms." Krankengymnastik, Elektrotherapie und Wärmetherapie seien fortzuführen. Arbeitsunfähigkeit bestehe für weitere vier Wochen. Im darauffolgenden, an die Beklagte adressierten Befundbericht der Sportklinik S. vom 22. November 2001 wurde die Beweglichkeit der linken Ellbogens in Extension und Flexion mit 0-5-120° und die Beweglichkeit in Pronation und Supination mit 20-0-10° bei fortbestehenden Parästhesien im Bereich des radialen Unterarms angegeben. Ab dem 26. November 2001 sei ein einwöchiger, täglich vierstündiger Arbeitsversuch im Beschäftigungsbetrieb vorgesehen.

Im von der Beklagten zwischenzeitlich veranlassten unfallchirurgischen Zusammenhangsgutachten vom 28. November 2001 führten Prof. Dr. H. und Dr. O., K.hospital S., wie folgt aus: Bei dem 178 cm großen und 78 kg schweren Kläger sei eine operativ refixierte distale Bizepssehnenruptur mit ausgeprägten metaplastischen Verknöcherungen im Reinsertionsbereich am proximalen Radius sowie eine noch eingeschränkte Beugefunktion im Ellbogengelenk mit eingeschränkter Pro- und Supination festzustellen gewesen. Zu der Ruptur der distalen Bizepssehne sei es anlässlich des Verletzungsereignisses vom 1. August 2001 gekommen. Das Unfallereignis sei aber als Gelegenheitsursache zu bewerten, weil die Bizepssehne bei willentlicher Kraftanstrengung gerissen sei. Reiße eine Sehne bei willentlicher Kraftanstrengung, setze der Riss nach herrschender Lehrmeinung eine Störung im Funktionssystem der Muskelsehne voraus. Dabei müsse die Zugfestigkeit der Sehne unter die Kraft des Muskels absinken. Eine Sehne, die weniger zugfest sei, als der Muskel aufzubringen vermöge, sei aber pathologisch. Deshalb wäre der Sehnenriss beim Kläger – unabhängig vom Unfallereignis – etwa zur selben Zeit und im gleichen Umfang aufgetreten.

Daraufhin lehnte es die Beklagte durch mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenem Bescheid vom 18. Dezember 2001 ab, dem Kläger Leistungen zu gewähren. Bei dem Riss der körperfernen Bizepssehne im linken Ellbogen handele es sich um keine Folge eines Arbeitsunfalls, denn die rechtlich wesentliche Ursache sei die bisher schleichende degenerative Veränderung gewesen. Die betriebliche Tätigkeit sei nur als rechtlich nicht wesentliche Teilursache zu betrachten. Der Bescheid wurde am 18. Dezember 2001 als einfacher Brief zur Post gegeben.

Den dagegen am 22. Februar 2002 mit der Bitte um erneute Prüfung seines Falls erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2002 wegen Versäumens der Widerspruchsfrist mit dem Hinweis, Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht ersichtlich, als unzulässig zurück.

Am 24. Mai 2002 erhob der Kläger fristwahrend Klage zum Sozialgericht Heilbronn (S 7 U 1261/02).

Mit weiterem Bescheid vom 11. Juni 2002 lehnte die Beklagte es ab, den Bescheid vom 18. Dezember 2001 zurückzunehmen. Die Rücknahme setze den Vortrag neuer Tatsachen voraus. Erst dann müsse in die Sachprüfung eingetreten werden, ob der betreffende Bescheid rechtswidrig ergangen sei. Neue Tatsachen seien aber nicht mitgeteilt worden und auch nicht erkennbar. Deshalb komme eine sachliche Überprüfung des Bescheids vom 18. Dezember 2001 nicht in Betracht. Dieser Bescheid werde Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens.

Nachdem der Kläger auf entsprechenden Hinweis des SG am 11. Juli 2002 die Klage gegen den Bescheid vom 18. Dezember 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2002 zurückgenommen hatte, wurde das Klageverfahren gegen den Bescheid vom 11. Juni 2002 unter dem Az. S 7 U 2620/02 weitergeführt.

Am 22. Oktober 2002 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und trug vor, Dr. S. habe ihm erklärt, dass die Feststellung des Gutachters Prof. Dr. H. falsch sei. Bei abgewinkeltem Arm und Abrutschen des linken Fußes werde die volle Last von der Bizepssehne übernommen. Nur dadurch habe es zu der Überlastung der Sehnen und zum Sehnenabriss kommen können. Aufgrund dieser neuen Tatsache sei der Fall zu überprüfen.

Der Orthopäde Dr. S. hatte sich bereits zuvor - unter dem 6. Mai 2002 - gegenüber der Beklagten zum Gutachten von Prof. Dr. H. geäußert. Dr. S. rügte, die im Gutachten von Prof. Dr. H. wiedergegebene Anamnese sei unvollständig. Insbesondere fehle es an einer Auseinandersetzung mit dem relativ hohen, vom Kläger nicht vorhersehbaren Drehmoment bei dem Umdrehen des schweren Türblattes auf den Holzböcken. Dieses Drehmoment bewirke eine "schlagartige Anspannung" der Oberarmmuskulatur. Im Übrigen könnten distale Bizepsrupturen nur selten mit Verschleißprozessen in Zusammenhang gebracht werden; sie seien nach gängiger Auffassung in der Literatur regelmäßig auf traumatische Läsionen zurückzuführen. Daher sei beim Kläger eine berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung durchzuführen; die Ansichten von Prof. Dr. H. könnten nicht geteilt werden.

Das Sozialgericht beauftragte nunmehr Dr. V., Ev. Diakoniekrankenhaus S.-H., ein unfallchirurgisches Zusammenhangsgutachten zu erstatten. Im unter dem 6. Dezember 2003 verfassten Gutachten teilte Dr. V. folgende Gesundheitsschäden des linken Arms des Klägers mit: - Im Wesentlichen regelgerechte strukturelle und funktionsmäßige Wiederherstellung der linken körperfernen Bizepssehne, - Mäßiggradige Minderung der Muskelweichteilmasse des linken Oberarmes mit leicht- bis mäßiggradig ausgeprägtem Kraftverlust beim Beugen des linken Ellbogens und Auswärtsdehnen des Unterarms und - Röntgenologisch allenfalls leichtgradig ausgeprägte sehnenansatznahe Verknöcherungen ohne nennenswerte nachteilige Auswirkung auf die funktionelle Gebrauchsfähigkeit. Die vorbenannten Gesundheitsschäden seien mittelbare Folge des Bizepssehnenrisses vom 1. August 2001. Der zeitliche Bezug zwischen Schaden und Verletzungsereignis sei ohne vernünftigen Zweifel gegeben. Zu einer direkten Gewalteinwirkung auf die geschädigte Sehne sei es nicht gekommen. Die stattgehabte mittelbare Gewalteinwirkung sei nachvollziehbar. Nach sämtlichen zunächst vorliegenden Informationen sei das Verletzungsereignis physiologisch, d.h. geplant, willkürlich und koordiniert verlaufen. Erst mittlerweile - seit Oktober 2002 - trage der Kläger vor, er sei im Moment des Anhebens des Türblattes mit dem linken Fuß weggerutscht. Dieser neue Aspekt sei im Rahmen der Kausalitätsprüfung bedeutsam, erfüllte der Verletzungsvorgang nun doch die Merkmale eines plötzlichen, unerwarteten, zufälligen und unkoordinierten Ablaufs. Eine unphysiologische Belastung der Sehne sei unter derartigen Bedingungen denkbar, vom Kläger aber aufgrund seines zunächst abweichenden Vortrags vom 24. August 2001, aber zunächst nicht glaubhaft gemacht worden. Die zeitnah zum Verletzungsereignis gemachten Angaben zum Unfallhergang seien grundsätzlich "wahrheitsgetreuer" als spätere Angaben. Deshalb sei das Verletzungsereignis vom 1. August 2001 nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als wesentliche Bedingung für den Gesundheitsschaden des Klägers an der körperfernen linken Bizepssehne anzuerkennen. Es lägen schicksalmäßige, alterungsbedingte degenerative Umbauvorgänge der Sehnenstruktur vor. Daher sei auch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - als Folge des Ereignisses anzuerkennen. Die Ausführungen des Vorgutachters Prof. Dr. H. seien nachvollziehbar; diejenigen von Dr. S. vom 6. Mai 2002 dagegen nicht. Insbesondere sein Hinweis, der Riss der distalen Bizepssehne sei "stets ... eine traumatische Läsion" sei aufgrund veröffentlichter aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht aufrecht zu erhalten. Zusatzgutachten seien nicht erforderlich.

Sodann machte der Kläger von seinem Anspruch auf Beantragung einer wahlärztlichen gutachtlichen Untersuchung Gebrauch und benannte den Orthopäden Prof. Dr. R., Universität H., als Gutachter. Im Gutachten vom 18. Mai 2004 führte Prof. Dr. R. aus, ein degenerativer Vorschaden im Bereich der gerissenen Sehne sei mangels histologischer Untersuchung im Rahmen der stattgehabten Operation nicht zu beweisen. Knackpunkt der Argumentation sei deshalb der konkrete Ereignisablauf. Nach den sehr konkreten Angaben des Klägers zum plötzlichen Wegrutschen des linken Fußes bei dem Versuch das Türblatt zu umgreifen - sollten sie zutreffen -, müsste von einer ungeplanten Aktion ausgegangen werden. Das entstandene Leiden - Zustand nach körperfernem Bizepssehnenriss links mit Zustand nach operativer Refixation und struktureller und funktionsmäßiger weitgehender Wiederherstellung - wäre dann durch den Unfall vom 1. August 2001 verursacht oder mindestens mitverursacht. Auffällig sei allerdings, dass das Wegrutschen des linken Fußes vom Kläger erstmals im Schreiben vom 22. Oktober 2002 erwähnt werde. Sämtliche vorausgehenden Ereignisschilderungen ließen diesen entscheidenden Umstand nicht erkennen. Welche Angaben des Klägers "wahrheitsgetreuer" seien, entziehe sich der medizinischen Erkenntnis.

Zu den Gutachten von Dr. V. und Prof. Dr. R. äußerte sich die Beklagte mit beratungsärztlicher Stellungnahme des Unfallchirurgen Dr. B. vom 18. August 2004. Dr. B. kommt darin zu der Feststellung, auch bei einem unterstellten Abrutschen des Klägers mit dem Fuß anlässlich des Verletzungsereignisses vom 1. August 2001 könne er keine unphysiologische Belastung erkennen. Der Kläger habe anheben wollen, also eine natürliche Bewegung ausgeführt. Des Weiteren spreche der Erstbefund gegen eine Traumagenese, weil wenig bis keine Beschwerden in der Ellenbeuge geschildert worden seien.

Mit Urteil vom 19. Oktober 2005 wies das Sozialgericht die Klage sodann als unbegründet ab. Zur Begründung führte das Gericht aus: Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 11. Juni 2002 eine sachliche Überprüfung des Bescheids vom 18. Dezember 2001 abgelehnt habe, sei dies schon deshalb nicht zu beanstanden, weil der Kläger der Beklagten erstmals unter dem 22. Oktober 2002 einen neuen Sachverhalt mitgeteilt habe, nämlich dass er bei dem Verletzungsereignis am 1. August 2001 auch mit dem linken Fuß abgerutscht sei. Im übrigen sei die Beklagte bei Erlass des Bescheides vom 18. Dezember 2001 auch von keinem Sachverhalt ausgegangen, der sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als unrichtig erwiesen habe. Das Gericht habe sich nämlich nicht von erheblichen Zweifeln an der Glaubhaftigkeit des nachträglichen Vortrags - Abrutschen mit dem linken Fuß - frei machen können. Dagegen spreche, dass der Kläger diesen wichtigen Umstand weder im der Beklagten am 30. August 2001 ausgefüllten Fragebogen noch gegenüber dem Gutachter Prof. Dr. H. bzw. gegenüber dessen Mitarbeiter Dr. O. anlässlich der gutachtlichen Untersuchung am 22. November 2001 erwähnt habe. Das Urteil wurde den Bevollmächtigten des Klägers am 22. November 2005 zugestellt.

Am 14. Dezember 2005 hat der Kläger Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Der Kläger ist der Auffassung, die Zweifel des Sozialgerichts an der Glaubhaftigkeit seiner Unfallschilderung - Abrutschen mit dem linken Fuß beim Umdrehen des schweren Türblatts - seien nicht gerechtfertigt. Im Fragebogen der Beklagten sei er danach nicht gezielt befragt worden; ob Dr. O. eine Befragung über die Bewegungsabläufe der unteren Extremitäten durchgeführt habe, lasse sich nicht mehr aufklären. Er habe die Schilderung des Unfallhergangs zunächst auf den eigentlichen Arbeitsvorgang beschränkt und dementsprechend den Bewegungsabläufen der unteren Extremitäten anfangs keine Bedeutung beigemessen. Schließlich habe er die Türe nicht mit den Beinen, sondern mit den Händen umgedreht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Oktober 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 18. Dezember 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2002 zurückzunehmen und festzustellen, dass der Riss der körperfernen linken Bizepssehne Folge des Arbeitsunfalls vom 1. August 2001 ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist weiter der Auffassung, der Kläger erbringe nicht den Vollbeweis für ein "Abrutschen des linken Fußes" im Unfallzeitpunkt. Unabhängig davon ändere auch ein unterstelltes "Abrutschen des linken Fußes" nichts am Ergebnis. Nach der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B. vom 18. August 2004 würde selbst ein solches Abrutschen des Fußes nach der Richtung des Hebens für eine Belastung der Bizepssehnen nicht beweisend sein. Von einer Nichteignung des Unfallhergangs zur Zerreißung der Bizepssehne sei auch für diesen Fall auszugehen.

Der Senat hat die Beteiligten auf die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur "Gelegenheitsursache" (BSGE 94, 269 ff.) hingewiesen. Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats unter Verzicht auf eine mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts Heilbronn - S 7 U 2620/02 und S 7 U 1261/02 - und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist nach den §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 SGG zulässig.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Oktober 2005 ist rechtmäßig. Das Sozialgericht hat die Klage mit überzeugender Argumentation unter Einbeziehung der Kontrolle des eine Überprüfung nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X - ablehnenden Bescheids der Beklagten vom 11. Juni 2002 analog § 96 SGG (vgl. dazu BSG, Urteile vom 17. Juli 1985, 1 RA 35/84, SozR 1500 § 77 Nr. 61 und vom 24. März 1992, 14b/4 Reg 12/90, JURIS; LSG Berlin, Urteil vom 13. Februar 2003, L 8 RA 27/99, JURIS) zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der begehrten Unfallfolgen

Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII). Durch das Wort "infolge" drückt § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII aus, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung und dem Unfall als auch zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden erforderlich ist. Diese sog. doppelte Kausalität wird nach herkömmlicher Dogmatik bezeichnet als die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität. Der Bereich der haftungsbegründenden Kausalität ist u.a. betroffen, wenn es um die Frage geht, ob der Unfall wesentlich durch die versicherte Tätigkeit oder durch eine sog. innere Ursache hervorgerufen worden ist, während dem Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität die Kausalkette Unfallereignis- (primärer) Gesundheitsschaden und (primärer) Gesundheitsschaden - weitere Gesundheitsstörungen zuzuordnen ist. Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits-(-erst-)schadens im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (vgl. BSG vom 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R).

Für die Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus und in einem zweiten wertenden Schritt, dass das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war (BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Während für die Grundlagen der Ursachenbeurteilung - versicherte Tätigkeit, Unfallereignis, Gesundheitsschaden - eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich ist, genügt für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den wesentlichen Ursachenzusammenhang sprechenden so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann und ernstliche Zweifel ausscheiden; die bloße Möglichkeit einer wesentlichen Verursachung genügt nicht (BSG, Urteil vom 7. September 2004 -B 2 U 34/03 R m. w. N.). Dabei müssen auch körpereigene Ursachen erwiesen sein, um bei der Abwägung mit den anderen Ursachen berücksichtigt werden zu können; kann eine Ursache jedoch nicht sicher festgestellt werden, stellt sich nicht einmal die Frage, ob sie im konkreten Einzelfall auch nur als Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn in Betracht zu ziehen ist (BSGE 61, 127 ff.). Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet war, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen (vgl. Urteil des BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -JURIS). Ausgehend von diesen Grundsätzen vermag auch der Senat nicht festzustellen, dass die Beklagte beim Erlass des Bescheides vom 18. Dezember 2001 von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen oder das Recht unrichtig angewendet hat. Sie hat daher zurecht im angefochtenen Bescheid vom 11. Juni 2002 die Rücknahme dieses Bescheides abgelehnt. Zwar steht auch für den Senat fest, dass der Kläger am 1. August 2001 in Ausübung seiner versicherten Tätigkeit ein auf Holzböcken gelagertes, ca. 70 kg schweres Türblatt, zu wenden versucht hat, in dem er nach seinen eigenen Angaben und im Fragebogen vom 24./30. August 2001 und nach der Beschreibung in der Unfallanzeige seines Arbeitgebers vom 28. August 2001 das Türblatt zunächst auf die Kante gestellt hatte und es sodann mit der linken Hand von unten anheben und mit der rechten Hand von oben zurückziehen wollte, wobei er beim Anheben des Türblatts mit der linken Hand sofort Schmerzen im linken Ellenbogen in Form eines Knacksens bemerkte und sodann die Beweglichkeit im linken Ellenbogengelenk schmerzbedingt eingeschränkt war. Der Senat kann aber ebenso wie das SG nicht feststellen, dass der Kläger, wie er der Beklagten am 22. Oktober 2002 erstmals mitteilte, bei diesem Hebe- und Drehvorgang mit dem linken Fuß abgerutscht ist. Die überzeugenden Darlegungen des SG auf Seite 7 bis 9 des angefochtenen Urteil macht sich der Senat nach eigener Überprüfung zu eigen. Der Kläger hat auch dem Senat nicht darzulegen vermocht, warum er seine Angaben zum Unfallhergang vom 1. August 2001 erstmals unter dem 22. Oktober 2002 - und damit mehr als 14 Monate nach dem Verletzungsereignis - unter Hinweis auf ein zusätzliches plötzliches Abrutschen des linken Fußes beim Umdrehen des Türblattes ergänzt hat. Eine Fußbeteiligung am Unfall hat er zuvor weder gegenüber seiner Arbeitgeberin noch gegenüber dem Durchgangsarzt oder gegenüber den ihn behandelnden Orthopäden oder gegenüber den Gutachtern Dr. O. und Prof. Dr. H. angegeben. Seine erstmals im Berufungsverfahren verlautbarte Einlassung, er habe die Schilderung des Unfallhergangs - weil er nicht gezielt genug befragt worden sei - zunächst auf den eigentlichen Arbeitsvorgang beschränkt und dementsprechend den Bewegungsabläufen der unteren Extremitäten anfangs keine Bedeutung beigemessen, vermag nicht zu überzeugen. Bereits unter dem 24. August 2001 ist der Kläger von der Beklagten nämlich schriftlich gefragt worden: "Inwiefern und aus welchem Grund wich der tatsächliche Bewegungsablauf von dem geplanten Bewegungsablauf ab?". Diese Frage hat der Kläger ausdrücklich unter Hinweis darauf verneint, der tatsächliche Bewegungsablauf sei von dem geplanten Bewegungsablauf nicht abgewichen. Das ab dem 22. Oktober 2002 geltend gemachte Abrutschen des linken Fußes kann aber kaum ein geplanter Bewegungsablauf gewesen sein.

Die Beklagte hat im Bescheid vom 18. Dezember 2001 auch zutreffend einen rechtlich wesentlichen wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem im dargelegten Ablauf nachgewiesenen Unfallereignis am 1. August 2001 und dem durch das MRT vom 7. August 2001 bestätigten Riss der linken Bizepssehne verneint. Zwar stellen sowohl Prof. Dr. H. als auch Dr. V. fest, dass es anlässlich des Verletzungsereignisses zu einem Abriss der distalen Bizepssehne gekommen ist. Dennoch ist das Verletzungsereignis nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine wesentliche Ursache für den Abriss, denn willentliche Kraftanstrengungen ohne zusätzliche Einwirkungen sind nach dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand generell nicht geeignet, eine distale Ruptur der körperfernen Bizepssehne zu verursachen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., 2003, S. 501 (502); Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl., 2005, S. 231). Der nachgewiesene Unfallhergang beruht aber auf einem willentlich und geplant durchgeführten Hebe- und Drehakt. Dieser gesteuerte und nicht nachweisbar von sonstigen äußeren Einwirkungen begleitete Bewegungsvorgang ist aber nicht geeignet gewesen, die körperferne linke Bizepssehne abzureißen. Vielmehr muss unter diesen Voraussetzungen mit Prof. Dr. H. und Dr. V. und der genannten wissenschaftlichen Literatur als wesentliche Ursache für den Sehnennabriss eine durch degenerative Vorgänge entstandene Störung im Funktionssystem Muskel-Sehne angesehen werden, die die Zugfestigkeit der Sehne unter die Kraft des Muskels hat absinken lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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