Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 RJ 2857/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 5570/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. September 2004 sowie der Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2003 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 1. Februar 2002 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1948 geborene Klägerin hat von April 1963 bis April 1966 Friseurin gelernt und war anschließend im wesentlichen in diesem Beruf beschäftigt. Vom 25.7.1988 bis 16.1.1989 hat sie die Meisterschule besucht und betrieb von Oktober 1991 bis 1996 selbstständig ein Friseurgeschäft. Von 1996 bis 15.11.1997 arbeitete sie als Bürogehilfin in der M. GmbH ihres früheren Ehemannes. Anschließend war sie arbeitslos. Vom 1.2. bis 30.4.1999 war sie in geringem Umfang selbstständig als Friseurin tätig und absolvierte vom 1.2. bis 31.7.1999 einen vom Arbeitsamt geförderten Lehrgang zur Bürokauffrau, den sie nach ihren Angaben jedoch nicht abschloss. Seit 2.5.2000 war sie als Friseurmeisterin abhängig beschäftigt, wobei sie in einem Alten- und Pflegeheim eingesetzt war. Seit 24.6.2001 war sie arbeitsunfähig und bezog bis zum 21.12.2002 Krankengeld.
Am 20.2.2002 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ die Klägerin vom Internisten Dr. S. gutachterlich untersuchen. Dieser stellte im Gutachten vom 13.5.2002 folgende Gesundheitsstörungen fest: 1. Gastroösophagiale Refluxkrankheit (laparoskopische Fundoplicatio 6/01) 2. Pleuraemphysem nach Ösophaguspenetration mit abgelaufener Mediastinitis und Pneumonie (ohne nennenswerte Einschränkung der Lungenfunktion) 3. Wiederkehrende Nackenbeschwerden mit linksseitigen Zervikobrachialgien bei HWS-Verschleiß 4. Depressiv gefärbter psychischer Erschöpfungszustand mit Somatisierungsstörung. Die Klägerin sei sechs Stunden und mehr als Friseurin einsetzbar und könne leichte Arbeiten ohne besonderen Zeitdruck und ohne Exposition gegenüber inhalativen Reizstoffen, Kälte, Zugluft und Nässe sechs Stunden und mehr ausüben. Wegen durchgehender Arbeitsunfähigkeit und erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit sei eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme indiziert.
Mit Bescheid vom 16.5.2002 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege.
Hiergegen legte die Klägerin am 29.5.2002 Widerspruch ein und trug vor, jeder ihrer Ärzte könne bestätigen, dass sie in ihrem Zustand nicht arbeitsfähig sei.
Die Beklagte holte eine Auskunft bei der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie K.-E. vom 8.10.2002 (Diagnose: depressive Störung, zervikale Foramenstenose, vaskuläre Enzephalopathie, Drop attacks) ein und zog den Bericht der Rehabilitationsklinik Ü. vom 23.12.2002 über ein Heilverfahren der Klägerin vom 27.11. bis 18.12.2002 bei. Die dortigen Ärzte diagnostizierten bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen: 1. Schwere Anpassungsstörung 2. Subjektive Atembeschwerden bei Zustand nach Pleuraempyem bei Zustand nach endoskopischer Fundoplicatio 7/01 3. Rezidivierende HWS-Beschwerden mit Brachialgien 4. Impingementsyndrom der Schultergelenke linksbetont 5. Übergewicht. Die Klägerin sei als Friseurmeisterin unter drei Stunden täglich einsetzbar und könne leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung nur unter drei Stunden täglich verrichten, wobei Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Überkopfarbeiten, Tätigkeiten mit inhalativen Belastungen und Allergenen vermieden werden sollten. Die psychische Belastbarkeit sei wegen der schweren Anpassungsstörung beeinträchtigt.
Die Beklagte veranlasste sodann eine nervenärztliche Begutachtung der Klägerin. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. stellte bei der Klägerin im Gutachten vom 25.3.2003 folgende Diagnosen: 1. In biografischer Belastungssituation fehlverarbeitete Speiseröhren-Operation mit angegebenen Komplikationen 2. Erheblichere, teilweise bewusste Entschädigungswünsche bei subjektiven gesundheitlichen sozialen Belastungen 3. Bei anamnestisch berichteten kurzen Synkopen kein ausreichender Anhalt für organneurologische Erkrankung. Aus nervenärztlicher Sicht könne die Klägerin als Friseurin noch sechs Stunden am Tag arbeiten. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Nachtschicht und ohne besonderen Zeitdruck könne die Klägerin noch sechs Stunden und mehr verrichten, wenn man berücksichtige, dass eine adäquate psychotherapeutische Behandlung bislang noch nicht erfolgt sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 9.5.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Die Klägerin hatte schon am 18.6.2002 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben, mit der sie die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung weiter verfolgte. Sie legte ein arbeitsamtsärztliches Gutachten vom 2.4.2003 vor, in dem eine Leistungsunfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für länger als sechs Monate angenommen wurde.
Das SG zog Gutachten aus einem Parallelverfahren nach dem Schwerbehindertengesetz (S 3 SB 2853/02: radiologisches Gutachten vom 19.5.2003 sowie internistisches Gutachten von Prof. Dr. Z.) bei. Professor Dr. Z. führte darin zusammenfassend aus, bei der Klägerin bestehe auf internistischem Gebiet neben der Refluxerkrankung eine leichtgradige restriktive Lungenfunktionsstörung bei rechtsseitiger Pleuraschwiele. Auffällig sei die Diskrepanz zwischen dem Ausmaß der geschilderten Beschwerden und dem Leidensdruck einerseits und den objektivierbaren Befunden andererseits. Eine mögliche Ursache hierfür könne die laut Anamnese und Aktenlage beschriebene depressive Erkrankung sein.
Das SG holte daraufhin ein nervenärztliches Gutachten ein. In dem Gutachten vom 9.5.2004 stellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. bei der Klägerin auf neurologischem Gebiet degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, insbesondere der Halswirbelsäule, und auf psychiatrischem Gebiet eine Anpassungsstörung im Sinne einer leichteren längeren depressiven Reaktion fest. Die Klägerin sei aus nervenärztlicher Sicht noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts sowie eine Tätigkeit als Friseurmeisterin vollschichtig ausüben. Vermieden werden sollten Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, mit häufigem Bücken und Treppensteigen, gleichförmigen Körperhaltungen, mit Überkopfarbeiten, auf Leitern und Gerüsten, mit Absturzgefahr, mit besonderem Zeitdruck, mit Akkord-, Wechselschicht oder Nachtarbeit, mit besonders hohen Ansprüchen an Auffassung, Konzentration sowie erhöhter Verantwortung und besonders hoher geistiger Beanspruchung sowie unter Einwirkung von Kälte oder im Freien. Die Anpassungsstörung sei einer Therapie und Besserung zugänglich, wobei psychotherapeutische Maßnahmen und medizinische Behandlung kombiniert werden sollten. Sollten ambulante Therapiemaßnahmen keine ausreichende Besserung erbringen, kämen auch stationäre Behandlungsmaßnahmen in Betracht. In der ergänzenden Stellungnahme vom 8.6.2004 führte Dr. H. aus, bei den Kollegen aus der Rehaklinik Ü. handle es sich nicht um Nervenärzte. Ein psychischer Befund, der wesentlicher Kern der nervenärztlichen Befunderhebung sei, sei im Entlassungsbericht der Reha-Klinik nicht enthalten. Das untervollschichtige Leistungsvermögen lasse sich nicht mit Erkrankungen des nervenärztlichen Fachgebiets begründen.
Die Klägerin legte ein Attest von Dr. S., Arzt für Allgemeinmedizin und Urologie, vom 10.12.2003 vor.
Durch Urteil vom 15.9.2004 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, nach Überzeugung des SG sei die Klägerin mit gewissen Funktionseinschränkungen noch in der Lage zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Das SG stütze dabei seine Überzeugung auf das neurologisch-psychiatrische Gutachten von Dr. H., das mit dem des Vorgutachters Dr. S. übereinstimme. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da die Klägerin weiterhin als Friseurin vollschichtig tätig sein könne. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen das am 10.11.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 9.12.2004 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und vorgetragen, die Befunde auf orthopädischem Gebiet hätten sich mittlerweile gravierend verschlechtert. Sie gehe mittlerweile auf Krücken.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. September 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antragstellung Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Orthopäden Drs. M./K. und die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie E. (früher: K.-E.) als sachverständige Zeugen gehört und ein orthopädisches Gutachten eingeholt.
Dr. M. hat unter dem 13.6.2005 erklärt, bei der Klägerin liege auf seinem Fachgebiet eine chronische Zervikobrachialgie bei Osteochondrose der HWS C 5/6 beidseits, eine Kontraktur der linken Schulter, eine Meniskusrevision des linken Kniegelenks (Arthroskopie 26.4.2005) mit Bakerzyste links sowie ein Fersensporn vor. Seit Mai 2004 sei es zu keiner wesentlichen dauerhaften Verschlimmerung gekommen; die Situation sei durchgehend gleich schlimm gewesen.
Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie E. hat unter dem 22.6.2005 mitgeteilt, seit ihrer Auskunft von Oktober 2002 sei bezüglich der depressiven Symptomatik keine graduelle Veränderung eingetreten; allerdings sei die Depression chronifiziert. Seit der Untersuchung durch Dr. H., dessen Begutachtungsergebnis ihr persönlich nicht bekannt sei, sei keine Änderung eingetreten. Nach Angaben der Klägerin sei dieser jedoch nicht auf ihre Schmerzzustände und HWS-Veränderungen eingegangen. Die Klägerin befinde sich in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung und nehme regelmäßig ein Antidepressivum ein. Das subjektive Krankheitserleben sei bei der Klägerin so ausgeprägt, dass sie sich nicht in der Lage sehe, wieder zu arbeiten. Eine Gesprächstherapie finde nicht statt, u. a. deswegen, weil sie die Klägerin nicht für ausreichend motiviert halte.
Der Orthopäde Dr. H. diagnostizierte im Gutachten vom 20.9.2005 bei der 165 cm großen und 90 kg schweren Klägerin folgende Gesundheitsstörungen: 1. Cervikalsyndrom mit mäßigen, das altersentsprechende Maß nicht überschreitenden Verschleißerscheinungen, ohne Anhaltspunkt für Nervenwurzelreiz- oder ausfallerscheinungen 2. Lumbalsyndrom bei Fehlhaltung und diskreten, das altersentsprechende Maß nicht überschreitenden Verschleißerscheinungen ohne Anhaltspunkt für Nervenwurzelreiz- oder -ausfallerscheinungen 3. Impingementsyndrom linke Schulter mit diskreter Funktionsbeeinträchtigung 4. Zustand nach Innenmeniskusteilresektion linkes Kniegelenk, Aufbrauchserscheinungen des medialen Kompartiments und Bakerzyste 5. Senk-Spreiz-Füße beidseits mit kleinem plantaren Fersensporn links größer als rechts. Eine Tätigkeit als Friseurin mit ständiger Arbeit in der Armvorhalte und nach vorne geneigtem Oberkörper halte er nur noch für unter drei Stunden täglich für möglich. Sonstige Arbeiten, wie zum Beispiel organisierende, verwaltende und überwachende Tätigkeiten, leichte Montagetätigkeiten im Sitzen seien jedoch acht Stunden täglich zumutbar. Unterbleiben müssten schwere Arbeiten, Tätigkeiten mit ständigen Zwangshaltungen (in der Hocke, gebückt oder in sonstigen statisch ungünstigen Körperhaltungen), ständiger Armvorhalte, Überkopfarbeiten, mit andauerndem Stehen und Umhergehen, häufigem Treppensteigen bzw. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, unter Kälte, Nässe oder Zugluft.
Nach Kenntnis des Gutachtens hat die Beklagte unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme von Dr. J. vom 30.9.2005 die Auffassung vertreten, die Klägerin könne zwar nicht mehr ihren Beruf als Friseurin ausüben, sei aber auf die Tätigkeit einer Rezeptionistin verweisbar. Die Beklagte hat hierzu ein Urteil des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg vom 17.5.2000 (L 2 J 4187/97) vorgelegt.
Der Senat hat Unterlagen aus einem Parallelverfahren (L 9 RJ 2166/04) beigezogen (Auskunft des Landesinnungsverbandes Friseurhandwerks S. vom 3.5.2004: schätzungsweise höchstens 100 Arbeitsplätze für Rezeptionisten in S.; des Fachverbandes Friseur und Kosmetik Baden-Württemberg vom 2.5.2005: Zahl der Rezeptionistinnen und Rezeptionisten unter 1000; seit Anfang der 90er Jahre seien die Rezeptionisten im allgemeinverbindlichen Lohn- und Lehrlingstarifvertrag erfasst; der Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks übersandte mit Anschreiben vom 9.1.2006 von ihm abgegebene Auskünfte vom 5.6. und 15.12.1998 sowie 19.8.2003).
Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Die Berufung der Klägerin ist auch teilweise begründet, da sie Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit hat.
Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist (§ 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Entscheidend für die damit angesprochene Frage des Berufsschutzes kommt es auf die soziale Zumutbarkeit einer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angebotenen Verweisungstätigkeit an, die sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs auf der Grundlage des vom Bundessozialgericht entwickelten Mehrstufenschemas bemisst (vgl. näher: BSG, Großer Senat, U. v. 19. Dezember 1996, GS 2/95, BSGE 80, 24 (38 ff); BSG, U. v. 3. Juli 2002, B 5 RJ 18/01 R, juris-dok.; BSG, U. v. 22. August 2002, B 13 RJ 19/02 R, juris-dok). Die in diesem Mehrstufenschema genannten Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion und des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (z. B. BSGE 59, 201 = SozR 2200 § 1246 Nr. 132; BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 138, 140).
Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend ist allein die Qualität der verrichteten Arbeit, das heißt der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung, bisheriger Beruf, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (BSG SozR 3-2000 § 1246 Nrn. 27, 33).
In Anwendung dieser Kriterien ist die Klägerin als langjährig selbständig tätige Friseurmeisterin als Vorarbeiterin mit Vorgesetztenfunktion oder als besonders hoch qualifizierte Facharbeiterin einzustufen.
Den Beruf einer Friseurmeisterin bzw. einer Friseurin kann die Klägerin auf Grund der bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet nicht mehr ausüben. Bei ihr liegen nämlich ein Cervikal- und ein Lumbalsyndrom, ein Impingementsyndrom an der linken Schulter, ein Zustand nach Innenmeniskusteilresektion des linken Kniegelenkes, Aufbraucherscheinungen des medialen Kompartiments und Bakerzyste sowie Senk- Spreizfüße beidseits mit kleinem plantaren Fersensporn, links größer als rechts, vor. Ausgeschlossen sind deswegen Arbeiten in ständiger Armvorhalte, Überkopfarbeiten, häufiges Treppensteigen bzw. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ständig in der Hocke, gebückt oder in sonstiger statisch ungünstiger Körperhaltung sowie unter Kälte, Nässe oder Zuglufteinwirkung. Die zumutbaren Tätigkeiten sollten überwiegend im Sitzen erfolgen. Eine Tätigkeit als Friseurin mit ständiger Arbeit in der Armvorhalte, mit nach vorne geneigtem Oberkörper und überwiegend im Stehen kann die Klägerin nur noch unter drei Stunden täglich auszuüben, wie Dr. H. für den Senat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt hat. Auch die Beklagte geht nunmehr (vgl. Schreiben vom 6.10.2005) davon aus, dass die Klägerin als Friseurin nicht mehr einsetzbar ist.
Die vor dem 1.1.1961 geborene Klägerin genießt Berufschutz mit der Folge, dass sie nur eingeschränkt auf die Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar ist. Die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit als Rezeptionistin kann die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben.
Bei der Tätigkeit einer Rezeptionistin handelt es sich nämlich um eine Tätigkeit, die mit geistigen und psychischen Belastungen verbunden ist, wie der Senat der aus einem anderen Verfahren beigezogenen Auskunft des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks vom 19.8.2003, die den Beteiligten übersandt wurde, entnimmt. Das Handhaben und Koordinieren der Terminierung bedarf wegen ständiger sich ändernder Planungsparameter - Terminabsagen, Änderungswünsche und variierender Personalausfälle und Absenzen - hoher Flexibilität in einem gewissen Spannungsverhältnis zwischen Kundenorientierung und einer personalgerechten Arbeitsauslastung, was im betrieblichen Alltag zu Reibungen und Spannungen führt, so dass diese Tätigkeit mit gewissen nervlichen Belastungen verbunden ist. Die Tätigkeit wird überwiegend im Stehen verrichtet und kann mit sehr hoher Verantwortung als Teil des Salonmanagements verbunden sein.
Unabhängig davon, dass die Klägerin schon auf Grund der Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet überwiegend im Sitzen arbeiten sollte, während die Tätigkeit als Rezeptionistin überwiegend im Stehen ausgeübt wird, ist die Klägerin auf Grund der Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Gebiet nicht in der Lage, die Tätigkeit einer Rezeptionistin auszuüben.
Auf nervenärztlichem Gebiet liegt bei der Klägerin eine Anpassungsstörung im Sinne einer längeren depressiven Reaktion vor, die von der die Klägerin langjährig behandelnden Neurologin und Psychiatern Ernst als mittelgradige depressive Störung klassifiziert wird. Die Klägerin, die in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung steht und ein Antidepressivum einnimmt, ist resigniert, unzufrieden und ohne Zukunftsperspektive. Schon Dr. S. hat im Gutachten vom 25.03.2003 bei der Klägerin erhebliche psychopathologische Auffälligkeiten festgestellt. Der Sachverständige Dr. H. hat auf Grund des psychischen Befundes zahlreiche qualitative Leistungseinschränkungen bei der Klägerin gemacht. So hat er Arbeiten mit besonderem Zeitdruck, besonders hohen Ansprüchen an Auffassung und Konzentration, mit erhöhter Verantwortung und besonderer geistiger Beanspruchung ausgeschlossen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist die nervlich angeschlagene Klägerin den Anforderungen an eine Rezeptionistin, die immer flexibel und freundlich sowie ausgleichend sein und Konfliktsituationen aushalten können muss, nicht gewachsen.
Da sonstige Verweisungstätigkeiten von der Beklagten nicht benannt worden und dem Senat auch nicht ersichtlich sind, steht der Klägerin aufgrund ihres Antrags vom 20.02.2002 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem 01.02.2002 zu.
Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet, soweit sie Rente wegen voller Erwerbsminderung begehrt. Denn die Klägerin ist nach den übereinstimmenden Beurteilungen von Dr. S., Dr. S., Dr. H. und Dr. H., die der Senat für überzeugend hält, nicht gehindert, körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen ohne besonderen Zeitdruck, ohne Wechsel- und Nachtschicht, ohne häufiges Bücken und Treppensteigen, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ohne Einwirkung von Kälte, Nässe und Zugluft sowie ohne besondere Ansprüche an Auffassung, Konzentration und Verantwortung mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Sie kann damit noch z. B. leichte Montagearbeiten ausführen, wie Dr. H. zutreffend dargelegt hat. Die Klägerin ist auch in der Lage, viermal täglich mehr als 500 m zurückzulegen, wobei sie für eine Wegstrecke von 500 m höchstens 20 Minuten benötigt. Außerdem kann sie auch öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen und damit Arbeitsplätze erreichen. Unerheblich ist, ob die für sie zuständige Arbeitsagentur ihr einen ihrem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz anbieten könnte. Denn das Risiko, keinen offenen Arbeitsplatz zu finden, ist nicht von der Renten-, sondern grundsätzlich von der Arbeitslosenversicherung zu tragen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. eine 37 m. w. N.).
Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Dauer zu gewähren. Im übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § einer 93 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1948 geborene Klägerin hat von April 1963 bis April 1966 Friseurin gelernt und war anschließend im wesentlichen in diesem Beruf beschäftigt. Vom 25.7.1988 bis 16.1.1989 hat sie die Meisterschule besucht und betrieb von Oktober 1991 bis 1996 selbstständig ein Friseurgeschäft. Von 1996 bis 15.11.1997 arbeitete sie als Bürogehilfin in der M. GmbH ihres früheren Ehemannes. Anschließend war sie arbeitslos. Vom 1.2. bis 30.4.1999 war sie in geringem Umfang selbstständig als Friseurin tätig und absolvierte vom 1.2. bis 31.7.1999 einen vom Arbeitsamt geförderten Lehrgang zur Bürokauffrau, den sie nach ihren Angaben jedoch nicht abschloss. Seit 2.5.2000 war sie als Friseurmeisterin abhängig beschäftigt, wobei sie in einem Alten- und Pflegeheim eingesetzt war. Seit 24.6.2001 war sie arbeitsunfähig und bezog bis zum 21.12.2002 Krankengeld.
Am 20.2.2002 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ die Klägerin vom Internisten Dr. S. gutachterlich untersuchen. Dieser stellte im Gutachten vom 13.5.2002 folgende Gesundheitsstörungen fest: 1. Gastroösophagiale Refluxkrankheit (laparoskopische Fundoplicatio 6/01) 2. Pleuraemphysem nach Ösophaguspenetration mit abgelaufener Mediastinitis und Pneumonie (ohne nennenswerte Einschränkung der Lungenfunktion) 3. Wiederkehrende Nackenbeschwerden mit linksseitigen Zervikobrachialgien bei HWS-Verschleiß 4. Depressiv gefärbter psychischer Erschöpfungszustand mit Somatisierungsstörung. Die Klägerin sei sechs Stunden und mehr als Friseurin einsetzbar und könne leichte Arbeiten ohne besonderen Zeitdruck und ohne Exposition gegenüber inhalativen Reizstoffen, Kälte, Zugluft und Nässe sechs Stunden und mehr ausüben. Wegen durchgehender Arbeitsunfähigkeit und erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit sei eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme indiziert.
Mit Bescheid vom 16.5.2002 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege.
Hiergegen legte die Klägerin am 29.5.2002 Widerspruch ein und trug vor, jeder ihrer Ärzte könne bestätigen, dass sie in ihrem Zustand nicht arbeitsfähig sei.
Die Beklagte holte eine Auskunft bei der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie K.-E. vom 8.10.2002 (Diagnose: depressive Störung, zervikale Foramenstenose, vaskuläre Enzephalopathie, Drop attacks) ein und zog den Bericht der Rehabilitationsklinik Ü. vom 23.12.2002 über ein Heilverfahren der Klägerin vom 27.11. bis 18.12.2002 bei. Die dortigen Ärzte diagnostizierten bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen: 1. Schwere Anpassungsstörung 2. Subjektive Atembeschwerden bei Zustand nach Pleuraempyem bei Zustand nach endoskopischer Fundoplicatio 7/01 3. Rezidivierende HWS-Beschwerden mit Brachialgien 4. Impingementsyndrom der Schultergelenke linksbetont 5. Übergewicht. Die Klägerin sei als Friseurmeisterin unter drei Stunden täglich einsetzbar und könne leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung nur unter drei Stunden täglich verrichten, wobei Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Überkopfarbeiten, Tätigkeiten mit inhalativen Belastungen und Allergenen vermieden werden sollten. Die psychische Belastbarkeit sei wegen der schweren Anpassungsstörung beeinträchtigt.
Die Beklagte veranlasste sodann eine nervenärztliche Begutachtung der Klägerin. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. stellte bei der Klägerin im Gutachten vom 25.3.2003 folgende Diagnosen: 1. In biografischer Belastungssituation fehlverarbeitete Speiseröhren-Operation mit angegebenen Komplikationen 2. Erheblichere, teilweise bewusste Entschädigungswünsche bei subjektiven gesundheitlichen sozialen Belastungen 3. Bei anamnestisch berichteten kurzen Synkopen kein ausreichender Anhalt für organneurologische Erkrankung. Aus nervenärztlicher Sicht könne die Klägerin als Friseurin noch sechs Stunden am Tag arbeiten. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Nachtschicht und ohne besonderen Zeitdruck könne die Klägerin noch sechs Stunden und mehr verrichten, wenn man berücksichtige, dass eine adäquate psychotherapeutische Behandlung bislang noch nicht erfolgt sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 9.5.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Die Klägerin hatte schon am 18.6.2002 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben, mit der sie die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung weiter verfolgte. Sie legte ein arbeitsamtsärztliches Gutachten vom 2.4.2003 vor, in dem eine Leistungsunfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für länger als sechs Monate angenommen wurde.
Das SG zog Gutachten aus einem Parallelverfahren nach dem Schwerbehindertengesetz (S 3 SB 2853/02: radiologisches Gutachten vom 19.5.2003 sowie internistisches Gutachten von Prof. Dr. Z.) bei. Professor Dr. Z. führte darin zusammenfassend aus, bei der Klägerin bestehe auf internistischem Gebiet neben der Refluxerkrankung eine leichtgradige restriktive Lungenfunktionsstörung bei rechtsseitiger Pleuraschwiele. Auffällig sei die Diskrepanz zwischen dem Ausmaß der geschilderten Beschwerden und dem Leidensdruck einerseits und den objektivierbaren Befunden andererseits. Eine mögliche Ursache hierfür könne die laut Anamnese und Aktenlage beschriebene depressive Erkrankung sein.
Das SG holte daraufhin ein nervenärztliches Gutachten ein. In dem Gutachten vom 9.5.2004 stellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. bei der Klägerin auf neurologischem Gebiet degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, insbesondere der Halswirbelsäule, und auf psychiatrischem Gebiet eine Anpassungsstörung im Sinne einer leichteren längeren depressiven Reaktion fest. Die Klägerin sei aus nervenärztlicher Sicht noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts sowie eine Tätigkeit als Friseurmeisterin vollschichtig ausüben. Vermieden werden sollten Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, mit häufigem Bücken und Treppensteigen, gleichförmigen Körperhaltungen, mit Überkopfarbeiten, auf Leitern und Gerüsten, mit Absturzgefahr, mit besonderem Zeitdruck, mit Akkord-, Wechselschicht oder Nachtarbeit, mit besonders hohen Ansprüchen an Auffassung, Konzentration sowie erhöhter Verantwortung und besonders hoher geistiger Beanspruchung sowie unter Einwirkung von Kälte oder im Freien. Die Anpassungsstörung sei einer Therapie und Besserung zugänglich, wobei psychotherapeutische Maßnahmen und medizinische Behandlung kombiniert werden sollten. Sollten ambulante Therapiemaßnahmen keine ausreichende Besserung erbringen, kämen auch stationäre Behandlungsmaßnahmen in Betracht. In der ergänzenden Stellungnahme vom 8.6.2004 führte Dr. H. aus, bei den Kollegen aus der Rehaklinik Ü. handle es sich nicht um Nervenärzte. Ein psychischer Befund, der wesentlicher Kern der nervenärztlichen Befunderhebung sei, sei im Entlassungsbericht der Reha-Klinik nicht enthalten. Das untervollschichtige Leistungsvermögen lasse sich nicht mit Erkrankungen des nervenärztlichen Fachgebiets begründen.
Die Klägerin legte ein Attest von Dr. S., Arzt für Allgemeinmedizin und Urologie, vom 10.12.2003 vor.
Durch Urteil vom 15.9.2004 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, nach Überzeugung des SG sei die Klägerin mit gewissen Funktionseinschränkungen noch in der Lage zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Das SG stütze dabei seine Überzeugung auf das neurologisch-psychiatrische Gutachten von Dr. H., das mit dem des Vorgutachters Dr. S. übereinstimme. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da die Klägerin weiterhin als Friseurin vollschichtig tätig sein könne. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen das am 10.11.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 9.12.2004 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und vorgetragen, die Befunde auf orthopädischem Gebiet hätten sich mittlerweile gravierend verschlechtert. Sie gehe mittlerweile auf Krücken.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. September 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antragstellung Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Orthopäden Drs. M./K. und die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie E. (früher: K.-E.) als sachverständige Zeugen gehört und ein orthopädisches Gutachten eingeholt.
Dr. M. hat unter dem 13.6.2005 erklärt, bei der Klägerin liege auf seinem Fachgebiet eine chronische Zervikobrachialgie bei Osteochondrose der HWS C 5/6 beidseits, eine Kontraktur der linken Schulter, eine Meniskusrevision des linken Kniegelenks (Arthroskopie 26.4.2005) mit Bakerzyste links sowie ein Fersensporn vor. Seit Mai 2004 sei es zu keiner wesentlichen dauerhaften Verschlimmerung gekommen; die Situation sei durchgehend gleich schlimm gewesen.
Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie E. hat unter dem 22.6.2005 mitgeteilt, seit ihrer Auskunft von Oktober 2002 sei bezüglich der depressiven Symptomatik keine graduelle Veränderung eingetreten; allerdings sei die Depression chronifiziert. Seit der Untersuchung durch Dr. H., dessen Begutachtungsergebnis ihr persönlich nicht bekannt sei, sei keine Änderung eingetreten. Nach Angaben der Klägerin sei dieser jedoch nicht auf ihre Schmerzzustände und HWS-Veränderungen eingegangen. Die Klägerin befinde sich in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung und nehme regelmäßig ein Antidepressivum ein. Das subjektive Krankheitserleben sei bei der Klägerin so ausgeprägt, dass sie sich nicht in der Lage sehe, wieder zu arbeiten. Eine Gesprächstherapie finde nicht statt, u. a. deswegen, weil sie die Klägerin nicht für ausreichend motiviert halte.
Der Orthopäde Dr. H. diagnostizierte im Gutachten vom 20.9.2005 bei der 165 cm großen und 90 kg schweren Klägerin folgende Gesundheitsstörungen: 1. Cervikalsyndrom mit mäßigen, das altersentsprechende Maß nicht überschreitenden Verschleißerscheinungen, ohne Anhaltspunkt für Nervenwurzelreiz- oder ausfallerscheinungen 2. Lumbalsyndrom bei Fehlhaltung und diskreten, das altersentsprechende Maß nicht überschreitenden Verschleißerscheinungen ohne Anhaltspunkt für Nervenwurzelreiz- oder -ausfallerscheinungen 3. Impingementsyndrom linke Schulter mit diskreter Funktionsbeeinträchtigung 4. Zustand nach Innenmeniskusteilresektion linkes Kniegelenk, Aufbrauchserscheinungen des medialen Kompartiments und Bakerzyste 5. Senk-Spreiz-Füße beidseits mit kleinem plantaren Fersensporn links größer als rechts. Eine Tätigkeit als Friseurin mit ständiger Arbeit in der Armvorhalte und nach vorne geneigtem Oberkörper halte er nur noch für unter drei Stunden täglich für möglich. Sonstige Arbeiten, wie zum Beispiel organisierende, verwaltende und überwachende Tätigkeiten, leichte Montagetätigkeiten im Sitzen seien jedoch acht Stunden täglich zumutbar. Unterbleiben müssten schwere Arbeiten, Tätigkeiten mit ständigen Zwangshaltungen (in der Hocke, gebückt oder in sonstigen statisch ungünstigen Körperhaltungen), ständiger Armvorhalte, Überkopfarbeiten, mit andauerndem Stehen und Umhergehen, häufigem Treppensteigen bzw. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, unter Kälte, Nässe oder Zugluft.
Nach Kenntnis des Gutachtens hat die Beklagte unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme von Dr. J. vom 30.9.2005 die Auffassung vertreten, die Klägerin könne zwar nicht mehr ihren Beruf als Friseurin ausüben, sei aber auf die Tätigkeit einer Rezeptionistin verweisbar. Die Beklagte hat hierzu ein Urteil des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg vom 17.5.2000 (L 2 J 4187/97) vorgelegt.
Der Senat hat Unterlagen aus einem Parallelverfahren (L 9 RJ 2166/04) beigezogen (Auskunft des Landesinnungsverbandes Friseurhandwerks S. vom 3.5.2004: schätzungsweise höchstens 100 Arbeitsplätze für Rezeptionisten in S.; des Fachverbandes Friseur und Kosmetik Baden-Württemberg vom 2.5.2005: Zahl der Rezeptionistinnen und Rezeptionisten unter 1000; seit Anfang der 90er Jahre seien die Rezeptionisten im allgemeinverbindlichen Lohn- und Lehrlingstarifvertrag erfasst; der Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks übersandte mit Anschreiben vom 9.1.2006 von ihm abgegebene Auskünfte vom 5.6. und 15.12.1998 sowie 19.8.2003).
Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Die Berufung der Klägerin ist auch teilweise begründet, da sie Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit hat.
Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist (§ 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Entscheidend für die damit angesprochene Frage des Berufsschutzes kommt es auf die soziale Zumutbarkeit einer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angebotenen Verweisungstätigkeit an, die sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs auf der Grundlage des vom Bundessozialgericht entwickelten Mehrstufenschemas bemisst (vgl. näher: BSG, Großer Senat, U. v. 19. Dezember 1996, GS 2/95, BSGE 80, 24 (38 ff); BSG, U. v. 3. Juli 2002, B 5 RJ 18/01 R, juris-dok.; BSG, U. v. 22. August 2002, B 13 RJ 19/02 R, juris-dok). Die in diesem Mehrstufenschema genannten Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion und des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (z. B. BSGE 59, 201 = SozR 2200 § 1246 Nr. 132; BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 138, 140).
Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend ist allein die Qualität der verrichteten Arbeit, das heißt der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung, bisheriger Beruf, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (BSG SozR 3-2000 § 1246 Nrn. 27, 33).
In Anwendung dieser Kriterien ist die Klägerin als langjährig selbständig tätige Friseurmeisterin als Vorarbeiterin mit Vorgesetztenfunktion oder als besonders hoch qualifizierte Facharbeiterin einzustufen.
Den Beruf einer Friseurmeisterin bzw. einer Friseurin kann die Klägerin auf Grund der bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet nicht mehr ausüben. Bei ihr liegen nämlich ein Cervikal- und ein Lumbalsyndrom, ein Impingementsyndrom an der linken Schulter, ein Zustand nach Innenmeniskusteilresektion des linken Kniegelenkes, Aufbraucherscheinungen des medialen Kompartiments und Bakerzyste sowie Senk- Spreizfüße beidseits mit kleinem plantaren Fersensporn, links größer als rechts, vor. Ausgeschlossen sind deswegen Arbeiten in ständiger Armvorhalte, Überkopfarbeiten, häufiges Treppensteigen bzw. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ständig in der Hocke, gebückt oder in sonstiger statisch ungünstiger Körperhaltung sowie unter Kälte, Nässe oder Zuglufteinwirkung. Die zumutbaren Tätigkeiten sollten überwiegend im Sitzen erfolgen. Eine Tätigkeit als Friseurin mit ständiger Arbeit in der Armvorhalte, mit nach vorne geneigtem Oberkörper und überwiegend im Stehen kann die Klägerin nur noch unter drei Stunden täglich auszuüben, wie Dr. H. für den Senat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt hat. Auch die Beklagte geht nunmehr (vgl. Schreiben vom 6.10.2005) davon aus, dass die Klägerin als Friseurin nicht mehr einsetzbar ist.
Die vor dem 1.1.1961 geborene Klägerin genießt Berufschutz mit der Folge, dass sie nur eingeschränkt auf die Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar ist. Die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit als Rezeptionistin kann die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben.
Bei der Tätigkeit einer Rezeptionistin handelt es sich nämlich um eine Tätigkeit, die mit geistigen und psychischen Belastungen verbunden ist, wie der Senat der aus einem anderen Verfahren beigezogenen Auskunft des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks vom 19.8.2003, die den Beteiligten übersandt wurde, entnimmt. Das Handhaben und Koordinieren der Terminierung bedarf wegen ständiger sich ändernder Planungsparameter - Terminabsagen, Änderungswünsche und variierender Personalausfälle und Absenzen - hoher Flexibilität in einem gewissen Spannungsverhältnis zwischen Kundenorientierung und einer personalgerechten Arbeitsauslastung, was im betrieblichen Alltag zu Reibungen und Spannungen führt, so dass diese Tätigkeit mit gewissen nervlichen Belastungen verbunden ist. Die Tätigkeit wird überwiegend im Stehen verrichtet und kann mit sehr hoher Verantwortung als Teil des Salonmanagements verbunden sein.
Unabhängig davon, dass die Klägerin schon auf Grund der Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet überwiegend im Sitzen arbeiten sollte, während die Tätigkeit als Rezeptionistin überwiegend im Stehen ausgeübt wird, ist die Klägerin auf Grund der Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Gebiet nicht in der Lage, die Tätigkeit einer Rezeptionistin auszuüben.
Auf nervenärztlichem Gebiet liegt bei der Klägerin eine Anpassungsstörung im Sinne einer längeren depressiven Reaktion vor, die von der die Klägerin langjährig behandelnden Neurologin und Psychiatern Ernst als mittelgradige depressive Störung klassifiziert wird. Die Klägerin, die in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung steht und ein Antidepressivum einnimmt, ist resigniert, unzufrieden und ohne Zukunftsperspektive. Schon Dr. S. hat im Gutachten vom 25.03.2003 bei der Klägerin erhebliche psychopathologische Auffälligkeiten festgestellt. Der Sachverständige Dr. H. hat auf Grund des psychischen Befundes zahlreiche qualitative Leistungseinschränkungen bei der Klägerin gemacht. So hat er Arbeiten mit besonderem Zeitdruck, besonders hohen Ansprüchen an Auffassung und Konzentration, mit erhöhter Verantwortung und besonderer geistiger Beanspruchung ausgeschlossen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist die nervlich angeschlagene Klägerin den Anforderungen an eine Rezeptionistin, die immer flexibel und freundlich sowie ausgleichend sein und Konfliktsituationen aushalten können muss, nicht gewachsen.
Da sonstige Verweisungstätigkeiten von der Beklagten nicht benannt worden und dem Senat auch nicht ersichtlich sind, steht der Klägerin aufgrund ihres Antrags vom 20.02.2002 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem 01.02.2002 zu.
Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet, soweit sie Rente wegen voller Erwerbsminderung begehrt. Denn die Klägerin ist nach den übereinstimmenden Beurteilungen von Dr. S., Dr. S., Dr. H. und Dr. H., die der Senat für überzeugend hält, nicht gehindert, körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen ohne besonderen Zeitdruck, ohne Wechsel- und Nachtschicht, ohne häufiges Bücken und Treppensteigen, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ohne Einwirkung von Kälte, Nässe und Zugluft sowie ohne besondere Ansprüche an Auffassung, Konzentration und Verantwortung mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Sie kann damit noch z. B. leichte Montagearbeiten ausführen, wie Dr. H. zutreffend dargelegt hat. Die Klägerin ist auch in der Lage, viermal täglich mehr als 500 m zurückzulegen, wobei sie für eine Wegstrecke von 500 m höchstens 20 Minuten benötigt. Außerdem kann sie auch öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen und damit Arbeitsplätze erreichen. Unerheblich ist, ob die für sie zuständige Arbeitsagentur ihr einen ihrem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz anbieten könnte. Denn das Risiko, keinen offenen Arbeitsplatz zu finden, ist nicht von der Renten-, sondern grundsätzlich von der Arbeitslosenversicherung zu tragen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. eine 37 m. w. N.).
Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Dauer zu gewähren. Im übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § einer 93 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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